Neulich dieses Foto aus analogen Zeiten von mir gefunden. Ich muss auf dem Bild irgendwas zwischen 23 - 25 Jahre alt gewesen sein. Aufgenommen bei meiner Mutter in der Küche, links im Bild meine dritte Katze, Dalia, die ein halbes Jahr nachdem ich von zu Hause ausgezogen bin, bei mir eingezogen ist. Vermisse sie, wie alle Katzen, die mein Leben schöner gemacht haben, noch heute.
Wie Ihr sicherlich erraten könnt, fühlte ich mich zur damaligen Zeit, bei einer Körpergröße von 181 cm und ungefähr 58 Kilo Körpergewicht zu dick. Das kann man nicht glauben, ich möchte das ehrlich gesagt selber nicht glauben. Aber: ich fühlte mich zu dick! Und das Wissen beschämt mich.
Natürlich frage ich mich heute, wie konnte ich so blöd/verblendet/dämlich sein? Aber Fakt ist, ich, als Frau mit sicherlich so etwas wie einem von hiesigen Frauenmagazinen (einschließlich der an denen klebenden ätzenden Industrien) propagandierten Idealgewicht, fühlte mich zu dick. Ich trug Kleidergröße 36/38, die 38 eher wegen Längenverhältnissen, Jeansgröße 29 (weil man damals eher weiter trug als eng und die Levis men's cut mit Gürtel möglichst eng schnürte), die war mir damals zwei Nummern gefühlt zu „dick”, denn ich hatte immer so etwas wie einen Hintern, also Hüften, die die 27 nicht möglich machten. Die 27 wollte ich gerne tragen können. Konnte ich nicht, also: zu dick. Die 27 trug eine Freundin von mir, die gerade runter wie ein Lineal lief und lässige 20 cm kleiner war als ich. Auf die war ich, blind für Realisationen, neidisch.
Zurückblickend also habe ich viele Jahre meiner Jugend, natürlich fing das in der Kindheit schon an, damit verbracht mir das Leben schwer zu machen. Übrigens auch sehr vielen anderen schwer zu machen – da muss ich mich insbesondere nachträglich bei meiner Mutter und meinem damaligen Freund und wohl auch diversen Freundinnen, die darunter litten, nicht so dürr zu sein wie ich – entschuldigen. Und das alles gänzlich ohne Grund, wie mir das Foto heute im Nachhinein beweist.
Gucke ich mir heute dieses Foto an, empfinde ich meine Gedankenwelt, mein damaliges Selbstbildnis, selbst unglaublich. Vor allem aber: als gänzlich verkehrt.
Aber Mädchenträume machen genau das mit einem. Ich bin aufgewachsen inmitten einer wachsenden Welt an Fraugenmagazinen. Begleitete mich in frühester Jugend schon die Brigitte mit ihren Diäten, weil meine Mutter sie las, kamen später freundin, Petra und Cosmopolian hinzu – und nie fühlte ich mich als Teenager deren publizierten Idealmaßen angemessen.
Angefangen hatte alles mit der Anmerkung einer Tante, als ich anfing so etwas wie eine pubertär bedingte körperliche Entwicklung zu zeigen, die meine Entwicklung kommentierte mit: „Ich würde ja langsam ganz schön dicke Oberschenkel bekommen. Da käme ich ganz nach meiner Mutter.”
Ich hatte diese Frau nie gemocht. Sie war die Schwägerin meiner Oma, Zeit ihres Lebens Diabetikerin, eine trockene verbiesterte unangenehme Frau, die uns jeden Keks, jeden Apfel vorrechnete, den wir ihn ihrer Anwesenheit aßen – denn sie durfte das alles nicht essen. Wenn doch nie in der Menge, nie mit dem unbekümmerten Genuss. Ihr Credo war nicht nur wenig Zucker essen, sondern generell wenig zu essen – und jeder, der das anders handhaben konnte (und ich konnte zum Glück schon immer essen wie einen Scheunendrescher, ohne mich um mein Gewicht scheren zu müssen) war wohl der potentielle Feind.
Dieser Satz hatte mich damals sehr verunsichert, heute kann ich sagen, er hatte mich sehr verletzt. Meine Oberschenkel – mit meinem Hintern ein Bildnis offenbarend, das nie eine meiner männlichen Begleitungen nicht ausdrücklich zu schätzen gewusst hätte – wurde meine Schwachstelle. Und zwar: mein bisheriges Leben lang just ab dem Moment, in dem diese Tante diesen Satz tätigte, den sie ausdrücklich laut genug äußern musste, damit ich ihn als damals ungefähr Elfjährige auch ja hören konnte.
Es sind Frauen, die vor allem an den Figuren und Gewichtsklassen anderer Frauen herum kritisieren. Leise – nur mit Blicken im Alltag. Laut – mit verletzenden Worten. Den Frauenzeitungen, die ja nur unser Bestes wollen, stehen in 99.9 % der Fälle Frauen als Chefredakteurinnen vor, die die Themen dieser Blätter bestimmen. Es sind Familienmitgliederinnnen, die den Mädchen andeuten, dass mit ihrer körperlichen Entwicklung in sehr jungen Jahren etwas nicht stimmt. Es sind Designerinnen, wie Victoria Beckham, die Frauenmode kreieren, die Frauen mit normalen Figuren niemals stehen würden und ebensolche damit beschämen, das Gefühl in ihnen wecken „nicht schlank” genug zu sein. Es sind Frauen, wie Heidi Klum, die in TV-Formaten vor laufenden Kameras – somit vor einer ganzen fernsehschauenden jungen, meist weiblichen, Nation – jungen Mädchen erklären, sie seien nicht schlank genug für eine Arbeit auf dem Laufsteg.
Als mir neulich ein Burda-Schnitt erklären wollte, ich würde mir jetzt einen Rock in Konfektionsgröße 44 nähen müssen, hatte mich das getroffen, erschreckt und mich und meine körperliche Erscheinung hinterfragen lassen. Auch wenn ich das hier halbwegs belustigt zum Thema machte: ich fühlte mich getroffen. Meine körperliche Erscheinung ist jedoch völlig in Ordnung. Wer mich kennt, weiß, ich bin schlank. Für Einige wohl immer noch zu schlank. Und sollte ich nicht in einem Alter sein in dem ich über den körperlichen Dingen stehe? Offen zugegeben: ich tue das nicht. Ich kann es nicht, denn ich bin von frühesten Beinen über meine Körperlichkeit definiert worden – als Mädchen, später als Frau. Immer war ich „zu groß”, „so dünn” oder – wie von der Tante empfunden „auf dem Weg zu dick zu werden”. Ich war für das Tanzen – trotz allem Talent - zu lang. Für die Leichtathletiktabellen im Schulsport zu schnell gewachsen, um hier auch nur einen einzigen Erfolg für mich einfahren zu können. Ich war immer „zu”, nie war ich richtig. Bei solchen äußeren Einflüssen, ist es kein besonders schwieriger Weg, sich und seine eigene Körperlichkeit ständig kritisch zu hinterfragen – und schlimmstenfalls das eigene Leben mit der dementsprechenden Essstörung danach auszurichten. Tatsächlich eine Krankheit, die wundersamer Weise und zum Glück, komplett an mir vorbei gegangen ist.
Mein Bruder indes war übrigens immer schön groß, schön kräftig – galt als ungemein attraktiv. Selbst als er dank übermäßigen Currywurst-Konsumes anfing, in seinen Mittzwanzigern, seinen ersten Bauch zu züchten, sprachen die Frauen nur davon, den bärigen Typen an ihm zu lieben. Schlimmstenfalls noch kam er „halt nach seiner Mutter” bei der aufgewachsen ich für meinen Teil aus nachvollziehbaren Gründen sehr genau wusste, wer die Brigitte-Diät war. Diese gleichen Frauen definierten mich – je nach eigener Körpererscheinung konträr – als zu dürr oder als „Du musst aber aufpassen”. (Aufpassen konnte dabei in beide Gewichtsrichtungen gehen, nach unten oder nach oben.)
Ich weiß noch wie viele Jahr später, meine Mutter und ich in der Tiefgerade zu unserem Auto liefen, wir beide sehr schick gemacht weil von einem Theaterbesuch kommend, meine Mutter mit dem ganzen Mutterstolz dieser Galaxie mir sagte, was ich für wunderschöne Beine hätte. Dieser Ausruf hat mich in seiner herzlichen ehrlichen Schönheit nie so intensiv begleiten können, wie der verletzende Ausruf meiner Tante anderthalb Jahrzehnte zuvor!
Wir sollten uns wirklich sehr sehr genau überlegen, was wir den kleinen Mädchen in unserem Umfeld verbal mit auf deren Lebensweg geben!
Dabei habe ich damals jeden Infekt mitgenommen, der im Umlauf war. Ich war ständig krank, weil zu schlank und fühlte mich unglücklich, weil gefühlt zu dick. Im Vergleich zu heute, da ich 20 Kilo mehr wiege, mit denen ich mich körperlich deutlich wohler fühle, visuell natürlich nicht – denn da bin ich auch heute noch das Produkt der kleinen verletzten Nichte vor der boshaften Tante – fühle ich mich fitter denn je. Gerade in einem Alter, in dem auch ich merke, dass ich deutlich langsamer verstoffwechsele als früher, also auch ich spüre, dass ich entweder weniger essen oder mich mehr bewegen muss, um mein Gewicht zu halten, blicke ich zurück auf diese Zeit, die ich so sorgenlos bezüglich meines Gewichtes hätte verbringen dürfen müssen – und es verdammt noch mal einfach nicht seien durfte, weil ich es mir von einer von Frauenaussagen geprägten Umwelt habe untersagen lassen.
Und viele Frauen, die ein paar Kilo mehr oder weniger auf ihren Hüften tragen, werden jetzt diesen Artikel lesen und sagen „Na, die hat ja Probleme!” Es bleibt, wie es ist und war: es sind viel zu oft wir Frauen, die wir uns selbst in unser Leben grätschen – oder uns von anderen Frauen in unser Leben grätschen lassen, deren Bildnis einer Frau unser Selbstbildnis leider zu oft zu einem Feind werden lassen.
Passt auf Eure Mädels auf! Und tretet den boshaften Tanten rechtzeitig vor deren Schienbeine!
(Dieser Artikel ist für alle Frauen geschrieben, die tagtäglich da draußen mit ihrer Essstörung leben und gleichzeitig gegen diese Krankheit kämpfen müssen. Euch allen die Kraft sehr bald Euer Selbstbild einfach nur lieben und wertschätzen zu können. Für immer!)