Seit ich in dieser Wohnung lebe, habe ich gestern den vierten Toilettendeckel erworben. Den ersten habe ich aufgegeben, weil ich ihn (vermutlich aufgrund der Verwendung von Reinigungsmitteln) unschön verfärbt hatte. Ich sinnierte damals schon darüber ob wir mittlerweile soweit sind, dass in Kunststoffmassen extra Substanzen eingemixt werden, die solch einen wenig hübschen farblichen Effekt hervorrufen. Ich möchte Euch visuelle Einzelheiten in diesem Punkt ersparen – und nein, ich pinkele nicht auf die Unterseite von Toilettenbrillen, dass es irgendein Grund gäbe sie so aussehen zu lassen. Ich schämte mich für diese Toilettenbrille, sie musste ausziehen obwohl sie funktionsmäßig top in Form war – und ihre Halterung astrein hielt.
Die zweite Brille musste gehen, weil ihre Halterung kaputt ging.
Die dritte Brille musste gehen, weil ihre Halterung sich ständig löste und in der Konsequenz auch die Absenkautomatik aufgab. Man gewöhnt sich vergleichsweise schnell an leise schließende Toilettendeckel. Ich habe eine Katze, die ist sensibel. Ich bin sensibel. Es gibt überhaupt keinen Grund sich von unsensibel laut schließenden Toilettendeckeln auf Toilettenbrillen die Harmonie schreddern zu lassen!
Meine ungefähr seit drei Monaten andauernden Unternehmung „neuer WC-Deckel”, scheiterten entweder an zu teuer, Angebot im Laden dann doch nie existent oder Angebot im Griff so günstig, dass mein Ego und das Portemonnaie nein dazu befinden mussten, weil dann doch nicht so günstig in weiser Voraussicht. Oder: falsche Farbe. Hat schon jemand über geschmackliche Gestaltung von Toilettendeckeln promoviert?
Jedes Mal, jedes verdammte Mal, hatte ich bei der Installation irgendeine neue technische Variante des Anbringens des Toilettendeckels. Zwei Löcher in einem Toilettenbecken, die verfügbare Vielfalt von Halterungen muss mittlerweile unendlich sein!
Von einfach: Schraube oben unten Mutter, die man mit üblichem Werkzeug relativ schnell fest anbringen konnte über Plastikschrauben mit unterer Spezialmutter für die man ein bestimmtes Plastikwerkzeug brauchte, um diese feststellen zu können, das im Lieferumfang beilag und das man tunlichst gut aufbewahren sollte über Jahre (und sich ebenso tunlichst gut merken, wo!), um den Deckel auch wieder losschrauben zu können (und generell nicht wirklich lange hielt) damit bis hin zur Metall-Plastikombi, die wie im letzten Fall alle drei Wochen der ganzen Installation ordentlich Spiel und dem WC-Deckel viel Freiraum einräumte.
In der gestern bei einem Discounter im Angebot erworbenen neuen Toilettenbrille gibt es jetzt eine Art Dübelkonstruktion mit unterer Gegenschraube aus Plastik, die man mit keinem handelsüblichen Werkzeug festhalten kann, während man oben mit einem Kreuzschlüssel die Schraube hinein dreht. Die Plastikunterlage ist denkbar dünn und hält erst, wenn die ganze Chose vergleichsweise festgedreht ist. Die man aber erst festdrehen kann, wenn der Toilettendeckel an der Befestigung ausjustiert ist und dazu sollten die Plastikunterlagen fest sitzen (das System möchte offensichtlich aufgrund der in den letzten Jahren am Markt zugenommenen Vielfalt von Toilettendeckeln omnitauglich sein), diese sitzen jedoch erst fest, wenn man festgeschraubt hat. Natürlich kann man das Ganze nur wirklich richtig justieren, wenn der Deckel aufgebracht ist – dann kann man aber nicht mehr schrauben.
Lange Rede: ich habe gestern nach 45 Minuten Installationsversuchen einfach den Toilettendeckel beiseite gestellt und vertagt.
Ich pflege auch hier im Blog schon seit langen Jahren einen großen Groll gegen Verpackungsdesigner. Diese Menschen sitzen in ihren Jobs, die längst erledigt und zu Tode erfunden wurden. Und weil sie ihre Existenz rechtfertigen müssen, designen sie an Verpackungen herum. Nun sind schätzungsweise 85 Prozent aller Verpackungen bereits zur Perfektionen erfunden worden. Die restlichen 15 Prozent der Verpackung sind so notwendig wie Zahnschmerzen, während man im Packeis festsitzt. Ein Beispiel: ich benutzte relativ konsequent seit Jahren das gleiche Haarshampoo an dem inhaltlich der Hersteller seit ebenso langer Zeit nichts verschlimmbessert hat. Aber wir sind mittlerweile bei der dritten Verpackung. Beim letzten Verpackungswechsel verordnete man den Flaschen einen Deckel, der es unmöglich macht, die Flasche auf den Kopf zu stellen möchte man das zur Neige gehende Shampoo nach unten laufen lassen. Verpackungsdesigner. Meiner Meinung hohl wie Stulle und so notwendig wie … die notwendige Wurzelspitzenresektion im Packeis ohne Personal vom Fach.
Verpackungsdesigner, leider auch zunehmend Produktdesigner laufen bei mir – die Pest hat seit kurzem einen neudeutschen Namen – Bullshit-Jobs. Jobs, die bzw. deren Ergüsse keiner braucht. Aber sie sind da, weil man in einer Welt, die zunehmend von Maschinen bearbeitet wird, Alibijobs braucht. Denn anderenfalls müssten die Menschen ja jetzt schon auf die Straße gehen und sich gegen die nächste industrielle Revolution aufregen. (Die größtmögliche Anzahl von Alibijobs werden neben dem Verpackungsdesign übrigens unter den Absolventen von betriebswirtschaftlichen Studiengängen vergeben.)
Also verpacken sie lieber Produkte bis zur grenzenlosen Sinnlosigkeit und vor allem Unerreichbarkeit derer Benutzer. Oder sie gestalten Toilettenbrilleninstallationsmechanismen, die man nicht mehr installieren kann ohne eine Bedienungsanleitung lesen zu müssen, herkömmliche Werkzeuge nicht helfen können und man bitte schön ohne eine zweite helfende Hand nicht mehr die eine Toilettenbrille installieren kann.
Ich vorhersehe in fünf Jahren die mehrteilige Toilettenbrille. Deswegen erfunden, weil sonst irgendwo auf dieser Welt einer nichts zu tun hat und seine berufliche Existenz an den sinnvollen Nagel hängen müsste, denn er hat einen Bullshit-Job. Bullshit-Jobs stecken immer dahinter, wenn Euch Menschen in Callcentern erklären wollen, Dinge würden nicht geregelt werden können (pragmatische Dinge, die seit Jahrhunderten problemlos machbar waren) weil es „das System nicht hergibt.”
Interview mit David Graeber, Autor von „Bullshit-Jobs”. Lesenswert!
Ich nutze derzeit meine Toilette ohne Aufsatz. Habe heute keine Lust. Danke der Nachfrage.