Freundschaft – mit einer Künstlichen Intelligenz
Immer noch sitze ich so ratlos davor, wie seit zwei Jahren künstliche Intelligenz gehypt wird – als hätte sie es zuvor nie gegeben. Und mich erschrickt auch ehrlich gesagt, wie sich in Arbeitswelten darauf gestürzt wird, wie Menschen im Arbeitsprozess willentlich die Kontrolle über ihr eigenes Tun – vor allem aber eigenes Wissen abgeben.
Es ist nun einmal so, der Mensch ist vom Training abhängig. Sei es körperlich, sei es psychisch. Der Mensch muss Dinge selber tun, selber lernen, damit er sie in sein physisches oder mentales Programm einspeisen kann und muss sie praktizieren, um sie erhalten zu können. Es tut mir leid, ich verstehe die Freude über die Vereinfachung alltäglicher Dinge – aber sind Menschen wirklich überhaupt in der Lage abzuschätzen, welchen Preis sie dafür zahlen, gerade so hip zu sein, um mit den üblichen KI-Tools umgehen zu können?
Ihr bedient eine Software – in zwei Richtungen – mehr passiert da gerade nicht. Eine verschlagwortete Wikipedia, die euch die Antworten tippt – wann werdet ihr aufhören, die Antworten zu hinterfragen? Wer hat schon aufgehört, die Antwort zu hinterfragen?
Bei Volle Kanne (Frühstücks-TV im ZDF) hatte sich eine Redakteurin zwei Wochen lang mit einer KI befreundet. Das Resultat: Die neue Freundin bleibt vergleichsweise blass, reagiert kaum auf persönliche Einlassungen, was sich natürlich ändern soll, wenn man von der kostenlosen Nutzung in die Pay-Freundschaft switcht.
Freundschaft für Geld. Okay, das wird vermutlich öfter im Real Life praktiziert, als man sich vielleicht vorstellen mag – aber entsenden wir mit solchen Ansprüchen die KI nicht ein Stück weit in die Prostitution? Ich bin mir unsicher, ob die Menschheit wirklich darauf stolz sein sollte.
Ursächlich für diesen Beitrag waren die in der letzten Zeit publik gewordenen Suizide eines Kindes und eines Mannes in den USA, nachdem sie sich von der KI nicht mehr ausreichend geliebt, womöglich verraten fühlten. In dem anschließenden Gespräch mit der Psychologin (Name reiche ich nach, Format noch nicht online) wurde gefragt, wer denn besonders gefährdet sei in der Nutzung einer Künstlichen Intelligenz hinsichtlich psychischer Schäden? In ihrer Antwort fielen die vulnerablen Gruppen, von ihr benannt als Menschen mit Behinderungen und junge Menschen, die vielleicht gar nicht oder noch nicht abschätzen konnten, was die Kommunikation mit KI mit ihrer seelischen Gesundheit anstellen könnte.
Ich halte das für sehr naiv eingeschränkt. Wenn ich mir angucke, als eine Person, die nun seit Jahren gerne im kommunikativen Bereich des Internets unterwegs ist, wie heftig Menschen an das Gute einer Person irgendwo im Netz – sei es auf Beziehungsebene oder nur platonischer Freundschaft – glauben wollen. Wie oft dabei eine breite Masse von uns getäuscht werden konnte – in Blogs, auf Twitter etc. – durch gemeinschaftlich im großen Stil auf erfundene Identitäten und ihre Geschichten über einen unfassbar langen Zeitraum hereingefallen sind. Wir sollten uns tunlichst hüten, zu glauben, es wäre irgendjemand gefeit, auch einer Künstlichen Intelligenz nahezukommen, von ihr berührt und manipuliert zu werden. Also so zu nahe, dass wir nicht Schaden nehmen könnten.
Wie viele Erwachsene sind schon in den letzten Jahren finanziell ausgenommen worden? Und die Liebe passierte ausschließlich im Internet. Dass wir vorrangig von Frauenschicksalen hören bzw. lesen, ist übrigens nicht relevant. Auch hier würde ich keinem Geschlecht eine besondere Schwachstelle zuschreiben. Männer sind auch extrem geschädigt worden, lediglich zeigen sie diese kriminellen Delikte aus einem vielleicht nicht ganz gesundem Stolz heraus (zu tiefer Verletzung) seltener an, als es Frauen tun. Weswegen ich tatsächlich vermute, dass Männer auch im Bereich der Freundschaftsbindung von KI (Stichwort: Pornobusiness) womöglich als Ziel einfacher einzunehmen sind, um im Bereich der KI-Friendship mental und finanziell geschädigt zu werden.
Andere Frage: Was wissen wir von den Telegram-Gruppen, die in Zeiten der Covid-Pandemie halbwegs gut gebildete Menschen zu Schwurblern umprogrammiert haben? Wer will glauben, dass hier ausschließlich von humanoiden Identitäten kommuniziert worden ist?
Wenn ich dann erlebe, wie man derzeit psychologische Hilfe mittels KI für die Zukunft als den ultimativen Einsatzort für den existierenden Therapeutenmangel sehen möchte, wird das noch sehr interessant werden. Teilweise ganz toll, sinnvoll und sehr spannend, teilweise grauenvoll und Menschen vernichtend – in ihrer völligen Existenz, nicht nur in ihrer finanziellen Existenz.
Und es wird alle Menschen betreffen. Nicht nur Kinder oder Jugendliche, nicht nur Menschen mit Behinderungen, kranke Menschen, einsame Menschen. Also: Bei weitem nicht nur vulnerable Bevölkerungsgruppen. Wer das noch glauben möchte, hat schon verloren.
Ich empfehle zu diesem Thema immer das Buch aus dem Science-Fiction-Genre Hyperion (also Bücher, eigentlich ist es ein Dreiteiler) von Dan Simons zu lesen. Da kann man sich sehr schön fragen, wer zu gesunder Selbstkritik fähig ist – an welcher Stelle in seiner persönlichen Nutzung des Internets und der KI man selber gerade steht.