Die Swiftsche Taylor
Da spielt sie nun auch in Deutschland, die Göttin des Pops. Die Frau, die die Madonnas, Britneys und Christinas dieser Welt längst hinter sich gelassen hat. In Gelsenkirchen.
Warum ruft Erfolg bei uns deutschen Menschen immer zur Spaltung auf? Wie oft ich in diesen Tagen in den Sozialen Medien lesen durfe, ob „XYZ” die einzige (postende) Person sei, die noch nie einen Song von Taylor Swift gehört habe? Um in nächsten Satz beiläufig etwas Negatives über eine Künstlerin zu schreiben, von der man angeblich noch nie gehört haben will.
Was eh so absurd albern ist, denn dieser Frau und ihren Songs entkommt man nicht. Schon seit ihrem ersten Hit, ihrer „Love Story” in der sie sich textlich elegant (für ihr damaliges Alter) an Romeo und Julia bediente. Das Lied hatte in Deutschland Platin-Status erreicht – will sagen, wer Radio hört oder in Supermärkten oder sonstigen Geschäften mit Musikberieselung einkauft, kennt Songs von Taylor Swift. Die Swift hört man, ob man will oder nicht. Genauso wie man an Michael Jackson, Prince oder George Michael nie vorbei kam. Also bitte Leute, macht euch nicht lächerlich mit solchen Behauptungen! Das funktioniert allenfalls, solltet ihr die letzten 15 Jahre in einem Erdloch ohne Funkempfang gewohnt haben.
Aber ich kenne das Swift-Phänomen der Menschen, die ihre Musik nicht bewusst hören – aus welchen nachvollziehbaren Gründen auch immer. Beschäftigt man sich einmal näher mit ihr – mir ist das neulich auf Instagram passiert, als ich versehentlich ein Reel mit ihr klickte – dann weiß man, dass man viel mehr von Taylor Swift gehört hat, als man es sich je vorstellen könnte. Die Swift ist wie Beethovens Neunte. Die kennt man auch lange Zeit schon, bevor einem der Musikunterricht in der Oberstufe das Leben und Schaffen des Komponisten dieses Werkes inhaltlich nahebringt.
Das Gleiche ist mir übrigens neulich mit Harry Styles passiert. Gleicher Zugang, von den Yellow Medien her kenne ich den jungen Mann natürlich, weil er einfach das krudeste Zeug sich auf den Körper zieht, sehr oft darin interessant gut aussieht – und mir damit viel Freude bringt. Aber seine Musik? Und dann hatte ich neulich dieses: „Ach, der Song ist von Styles? Der auch? Ach guck an, der also auch!” Mein direkten bewussten Zugang zu Styles Musik hatte ich estmals mit „As it was” – ich kannte bis dahin also jeden Hit von Styles ohne zu wissen, dass die von dem Ex-Boybandler stammten. Was ich im Nachhinein eigentlich ganz schade finde.
Taylor Swift macht also Musik. Mainstreamigen Pop und damit offensichtlich sehr viele Menschen auf diesem Planeten glücklich. Wie wunderschön ist das denn? Zudem ist sie das Itigste It-Girl, das man sich überhaupt vorstellen könnte – ohne ein It-Girl zu sein. Wo Madonna zu klein ist vom Körperwuchs her, ist die Swift zu groß. Wo Britney in all ihrer Bürgerlichkeit den Vamp geben musste, lässt die Swift es lieber gleich bleiben. Bühnenpräsenz in Tanznummern erledigt sie mit staksiger Bravour, die ahnen lassen, dass ihre Talente vielleicht doch woanders liegen. Sie ist gefällig im Look, signalisiert aber immer mit einer Nonchalance, dass sie echt andere Dinge zu tun hat, als sich die Lippen aufpumpen zu lassen. Sie sieht jenseits der Bühnenklamotte üblich normal aus – und die sie mir sehr sympathische machende Realität, dass sie Katzen (und sonstiges Geviech) mag, ist mir auf Insta auch mehr als einmal vorgeschlagen worden.
Was ich an Taylor Swift völlig abgefahren finde (gut, daran ist ihr Management schuld), dass sie jetzt drei Konzerte in Gelsenkirchen spielt.
Gelsenkirchen.
Das Mekka der deutschen Unbekanntheit – so unsichtbar, dass man Bielefeld dagegen als die Hochburg der Neonleuchten beschreiben würde. Halb Gelsenkirchen scheint nur aus einer überdimensionierten Sportarena zu bestehen. Und dennoch oder deswegen: Nach Gelsenkirchen wird dieser Tage gepilgert als würden dort drei Ex-Päpste gleichzeitig exhumiert. Berlin kann abdanken – Gelsenkirchen is the place to be. Und ich finde es so unfassbar entzückend!
Genauso entzückend, wie ich Taylor Swift als Person großartig finde, seit sie sich dazu entschlossen hat, eine Meinung zu haben und mit dieser nicht hinterm Berg hält. Eine Meinung dazu, wie absurd rückständig Frauen im Show- (oder sonstigen) Berufsleben behandelt werden, eine Meinung zu Feminismus, eine Meinung dazu, dass man ständig ihre Ex-Beziehungen aufzählt (mit wie vielen Frauen/Männern hatte Harry Styles eine Beziehung?) eine musikalische Meinung zu Ex-Typen, die dieser Frau selten gewachsen waren, eine Meinung zu den üblichen Themen, wie Tierschutz, Umwelt und Klimathemen – und eine klare Meinung zu den Republikanern und Donald Trump. Und offensichtlich scheint sie eine ziemlich kluge Vorstellung zu haben, was sie mit ihrem hart verdienten Geld anstellen will. Und eine klare Idee, wer ihr dieses Geld in die Kassen spielt.
Stundenlang könnte ich Interviews mit der Swift sehen – vorausgesetzt ihre Interview-Partner sind ihr auch nur halbwegs gewachsen, was leider keine Selbstverständlichkeit ist. Merkt man übrigens auch den vielen Artikeln an, die über Taylor Swift geschrieben werden. Natürlich ist ihre Musik seichter Pop, wenn man lieber Gabba oder Independent-Rock hört. Aber das, was die Taylor sagt, darin liegt sehr oft verdammt viel Wahrheit und Schönheit. Alleine ihre Größe in solchen Gesprächen auch ihre Emotionen, Wut oder Trauer zu zeigen – als Mensch. Neben ihrer sichtlich existierenden Intelligenz. Das ist etwas, was sie der einstigen Pop-Göttin Madonna wirklich voraus hat: Sie ist ganz nebenbei ein Mensch. Irgendwie anfassbar. Zumindest gefühlt nahbar. In einer jede und jeden zerfleischenden Öffentlichkeit, die zu gerne keine Fehler verzeihen möchte. Was für eine Grandessa!
Hört dieser Frau zu, von ihr kann man lernen – und das sage ich als Frau, die doppelt so alt ist, wie Taylor Swift. Um bei dem ungelenkten Wort „agism” zu bleiben, das Charlotte Brandi in ihrem launigen Artikel beim Rolling Stone zum gestrigen ersten Konzert in Deutschland verwendet hat.
Es muss wahnsinnig anstrengend sein, mit Vorurteilen in ein Konzert zu gehen und es mit den gleichen Vorurteilen zu verlassen und darüber zu schreiben, während 59.999 Menschen (nicht jeder davon wird Fan gewesen sein, sondern nur Begleitperson) einfach großen Spaß hatten mit der Swift und ihrer Popmusik.