2025-02-28

Gut geschlafen: Das L’Artiere Dimore nei Sassi in den Sassi di Matera

Mein persönlicher Jackpot anlässlich der Reise in die Basilikata, der war natürlich die Freude zwei Nächte in Matera schlafen zu dürfen. In den Sassi. In der Altstadt, dem Bereich in dem die früheren Höhlenwohnungen heute noch existieren, die Sassi di Matera, wofür Matera heute noch steht. Seit ich das erste Mal auf eigene Initiative hin einen Tagesausflug in diese bezaubernde und – im wahrsten Sinne des Wortes – alte Stadt, gemacht hatte, hat sie mein Reiseherz gewonnen!
Dort auch einmal zu schlafen, das stand auf meiner Wunschliste ganz weit oben.

Ich glaube nicht, dass ich je von diesem Ort genug bekommen könnte. Es liegt ein Zauber über diese alten Höhlen und Gemäuer, über die Natur der Gravina, deren Schlucht die Stadt begleitet. Die Besonderheit, die immer noch existierenden Zeichen der extremen früheren Armut, den kann auch der zunehmende Luxustourismus nicht auslöschen. Die Liebe mit der die Materani ihre Stadt schmücken, kunstvoll und überall mit kleinen Details. Jedes Mal, wenn ich in Apulien bin, lockt es mich, wenigstens einen Tagesausflug in die Basilikata nach Matera zu machen.
Am Flughafen Bari Palese abgeholt, dauert es mit dem Auto ca. 45 Minuten und ich fahre zum ersten Mal in die Sassi hinein – anstatt über die Piazza Dumono die Treppen hinabzusteigen – direkt zu unserem B&B.

L'Artiere Dimore nei Sassi

Cinzia und ihr Bruder Nicholas haben ganz zentral im Bezirk Sasso Caveoso ein entzückendes Refugio für ihre Gäste geschaffen. Das L’Artiere Dimore nei Sassi ist ein B&B, das in einigen der früheren zusammenhängenden alten Häuser integriert ist, die – und das ist doch das Besondere an den Sassi – teilweise in das Gestein der Felsen eingehauen oder auf die früheren Höhlen gebaut wurden. Hier ist eine eine riesengroße ehemalige Zisterne, die diese Anlage unterkellert.
Vier traumhaft schöne und große, autark gelegene Appartements warten auf Gäste – alle sind modernisiert und mit Liebe und Charme gestaltet. Sie sind benannt nach den typischen historischen Berufen, die einst in Matera hoch geschätzt waren, es teilweise heute noch sind. Il Ceramista, il Cartapestaio, il Vetraio und il Ferraio – der Keramiker, der Papiermacher, der Glasmacher und der Eisenwarenhändler.
Feine kleine Details in den Räumen deuten auf den jeweiligen Berufsstand hin. Ich – als Enkeltochter eines Kunstschmieds – darf im Il Ferraio schlafen. Und das tue ich, wie ein Engel, in einem wunderschönen Eisenbett mit Baldachin. Das Zimmer ist erstaunlich groß, bietet bequeme Sitzmöbel, einen kleinen Esstisch und eine ebensolche hübsche kleine Küche im Nebengelass. Der Mix des Mobiliars zwischen Antike und Moderne ist gelungen und unterscheidet sich angenehm von der üblichen Stilistik monotoner Hotelzimmer.
Auch das Bad ist modern, groß und lässt mich in einer großen Dusche meine ebensolche genießen. Eine charmante kleine Terrasse, die nach hinten hinausgeht und von der man einen Teil der Sassi überblicken kann, lädt zu ruhigen Momenten ein.

Nach vorne habe ich einen grandiosen Ausblick auf die Via Bruno Buozi. Sie ist eine der relevanten Straßen in den Sassi, durch die auch – der in den Sassi nur partiell geduldete – Autoverkehr geht. Allerdings ist hier lediglich ein Anlieger- und Lieferverkehr zu bestimmten Uhrzeiten gestattet. Ruhe ist garantiert.

B&B, Galerie und Cocktails in der Zisterne

Schräg gegenüber des L'Artiere Dimore nei Sassi liegt die bekannte Pasticceria (und Bar) Il Forno nei Sassi, die das Pane di Matera selber backen und verkaufen. Die Rezeptur ist über 500 Jahre alt und trägt längst das IGP-Siegel. Ein Stück weiter das Restaurant Pane e Pomodorro, hier habe ich immer sehr gut gegessen bei meinen bisherigen Ausflügen nach Matera. Besonders das Fave di Cicoria habe ich hier in leckerer Erinnerung. Da ich diesen Bereich von Matera also schon gut kenne, fällt es mir überhaupt nicht schwer, mich sofort wie zu Hause zu fühlen.

Zum L’Artiere Dimore nei Sassi gehört eine kleine Boutique Bar in der uns das Frühstück nach freier Wahl serviert wird. Überall faszinieren hübsche Details. Bei der Restaurierung und Einrichtung war sehr viel Liebe zur Tradition im Spiel.
Die zur Via Bruno Buozzi liegenden Außenplätze lassen uns den willkommenen Spritz später genießen, Gästen können auch kleine, typisch lukanische Spezialitäten bestellen.
Die Bar ist gleichzeitig eine Galerie auf kleinem Raum. Überall hängen Gemälde und Zeichnungen, sind Keramiken und Skulpturen befreundeter Künstler aus Matera ausgestellt, die man natürlich auch erwerben kann. Gemeinsames Thema, es wird nicht wundern: Matera.
Über eine spektakuläre Wendeltreppe gelangt man in den unteren Raum. In die frühere in den Felsen gehauene ehemalige Zisterne ist heute ein Restaurant und Bar eingezogen und kann natürlich als Eventlocation gebucht werden. Es ist ein wirklich besonderer Ort mit historischer Atmosphäre, den das Geschwisterpaar aus dem für Zisternen typisch runden hohen Raum gemacht haben.
Und aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass die Flasche Pietrapena von der Casal Dragone, die wir gemütlich oben auf der grandiosen Dachterrasse trinken, sie für alle Gäste zugänglich und bietet einen Rundumblick auf den Sasso Caveoso, ein besonderes Erlebnis ist. Klarer Sternenhimmel on top!
Ach ja: Die kleine Katze, die sich dem B&B verpflichtet gehört, heißt Eva. Ihre Anwesenheit und diese tiefe Ruhe, die dieser wirklich schöne und gastliche Ort auf mich ausstrahlt. Jackpot eben!

Mitten drin!

Die Sehenswürdigkeiten der Sassi di Matera insbesondere in den Sasso Caveoso sind vom L'Artiere Dimore nei Sassi aus zu Fuß bequem zu erreichen. Nicht weit vom B&B entfernt, führen von der Via Bruno Biozzi schmale Treppen auf die höhere gegenüberliegende Ebene und von dort wieder hinunter zur Panoramastraße.
In den verwinkelten kleinen Gassen wohnen Manterani und sie gestalten ihre Außenflächen sehr charmant mit der typischen lukanischen Vegetation. Und das erstaunlich üppig in einem Untergrund, der nur aus Felsen besteht.
Eine Besonderheit dieser Region sind keramische Arbeiten jeglicher Art. Der Berufsstand scheint schon deswegen gerettet, weil überall in der Stadt die Wasserableitungen an den Häusern aus Ton gestaltet sind. Das sieht zum einen sehr harmonisch aus und zum anderen haben sie den Vorteil, dass sie gestückelt installiert sind. Geht also einmal eine Röhre kaputt, kann sie alleine ersetzt werden.
Auf einem Platteau etwas südlich gelegen, ungefähr oberhalb der Chiesa S. Lucia alle Malve, kann man noch Reste von früheren Nekropolen entdecken. Die in den Stein gehauenen Gräber der frühen Materani.
Dieser ruhige Ort, wo heute Touristen auf Felsen sitzen und die Aussicht auf die gegenüberliegende Seite der Sassi genießen, war also einmal ein Friedhof.

Auf der anderen Seiten hinab gestiegen, sind wir wieder auf der Panoramastraße, Vicinato di vico Solitario, auf der wir den Tag zuvor die zahlreichen Sehenswürdigkeit besucht haben. Alles zu erreichen und man ist lediglich einmal über den Berg geschlendert.

Mein Geschenk an mich

Am letzten Tag unseres Aufenthaltes gehe ich genau diesen Weg noch einmal. Ich wollte unbedingt einmal den Sonnenaufgang in den Sassi di Matera zu erleben, der Wecker klingelte um fünf Uhr. Tatsächlich zeigt sich der Charme der frühen Sonne eher von der anderen Seite der Sassi. Aber diesen friedlichen Moment ganz früh am Morgen, nur für mich, die Ruhe zu dieser besonderen Zeit, das war ein persönliches Geschenk an mich. Lediglich ein Müllauto und ein Mann, der zur Arbeit eilte, sind mir begegnet.

Ich habe mich auf die Felsen gesetzt und über die Schlucht geguckt, den kleinen Katzen beim morgendlichen Mäusefang zugesehen und durfte zuhören, wie die Vogelwelt langsam erwachte mit dem ersten Gruß der Sonne.
Etwas Grillenzirpen mischte sich in Klaviatur. Eine so friedliche Welt, die sich farblich von einem tiefen dunklen Blau der Nacht zur morgendlichen blauen Stunde, später zum hellen Morgen wandelte.

Links von mir liefen zwei Glühwürmer den Abhang zur Gravina hinunter, deren Stimmen in der Ferne entpuppten sich dann doch als Menschen, die sich in der Dunkelheit aufgemacht hatten auf die gegenüberliegende Seite zu wechseln. Faszinierend war zu verfolgen, wie sich deren zwei Lichter durch die Dunkelheit erst hinab, über die Hängebrücke und dann wieder hinauf bewegten. Und eine dieser frühen Menschen ließ es sich nicht nehmen, später mit einer wunderschönen Stimme und klassischem Gesang die Sonne zu begrüßen. Für dieses besondere Erlebnis bin ich ihr dankbar!
Das war mein perfekter Moment in der Basilikata, in den Sassi di Matera. Und ich weiß genau, was ich anlässlich meiner nächsten Übernachtung in Matera auch tun möchte: Den Sonnenaufgang über die Stadt von der anderen Seite der Schlucht ansehen. Keine Sorge, ich werde nicht singen! Die Stille dort – vielleicht mit einem ersten Cafè aus der Thermoskanne – wäre mir Stimmung genug!

2025-02-27

Küchen der Welt

Pierre Raffard ist Franzose, Geograf, Ernährungswissenschaftler mit Stil und einem Faible für Klamotten. Der Mann ist so etwas wie ein Food-Philosoph. Er versucht zu verstehen, wie geografisch lokalisierte kulinarische Systeme interagieren und sich vermischen. Dabei nimmt er intensive Analysen im Kontext der historischen Geschichte von Lebensmitteln und Gerichten in den einzelnen geografischen Regionen vor. Kurz: Der Mann ist ein wandelndes Food-Lexikon.

Seit Januar 2025 strahlt arte.tv seine Sendung „Küchen der Welt” aus – und ich bin Fan. Jeden Tag zeigt arte um 06:50 Uhr die 30minütige Sendung in der sich Pierre Raffard jeweils ein typisches Gericht aus einem Land oder Region vornimmt und uns Zuschauern nahebringt. Dabei reisen seine Mitspieler jeweils durch die Welt und probieren vor Ort landestypische Spezialitäten, besuchen Köche und Küchen in diesem Land, kaufen ein und sind mit Rafard im Dialog über die Entstehung bzw. Entwicklung bestimmter Zutaten oder Kochprozesse.

Am Ende folgt dann immer in der typischen illustrativen arte-Methodik das Rezept zum Nachkochen.

Eine tolle kurzweilige Sendung, die wahnsinnig viel und schönen Input rund um die Küchen unseres Planeten serviert! Wer keine Katze hat und daher um 06:50 Uhr noch nicht die Augen auf hat, kann die Sendung natürlich in der Mediathek sehen. Mittlerweile sollen wohl ca. 70 Folgen produziert sein.

Kreolische Garnelen, französische Paté oder Currywurst – nichts ist vor Raffard und seinem Team sicher. Tolle Unterhaltung mit echtem Mehrwert

2025-02-25

Ein Spaziergang durch den Sasso Caveoso di Matera

Der Himmel ist strahlend blau über den Sassi di Matera in der Basilikata, kleine Schäfchenwolken schweben, die Sonne leuchtet die alten Häuser aus Tuffstein freundlich, beinahe weiß aus.
Müde Katzen, die sich von den Restaurants haben mit den Resten füttern lassen, liegen entspannt im Schatten.
Die Kunsthandwerker beziehen um zweiten Mal an diesem Tag ihre Outdoor-Werkstätten und die Straßen füllen sich langsam wieder nach der ruhigen Mittagszeit.

Hora Contróra

Es ist nach der Hora Contróra, der in Süditalien praktizierten Mittagszeit, in der sich alle Menschen aus der Hitze zurückziehen in ihre Häuser, um sich nach dem Mittagesseen etwas ausruhen. Wenn um ein Uhr die Schulen aus sind und die Kinder abgeholt werden, wird es sehr geschäftig in den Städten und Gemeinden Süditaliens. Eine Art Feierabendverkehr zu einer, für uns, ungewohnten Zeit setzt ein.

Und ganz plötzlich zieht sich das Leben völlig zurück. Alles wird ruhiger, gelassener. Die Innenstädte leeren sich. Sogar die Züge fahren jetzt in einem deutlich reduzierten Takt. In den Restaurants bzw. in die Familien wird zusammen Mittag gegessen und danach geht man dorthin, wo es kühl ist.
Das kann durchaus heißen, das man in den Restaurants gegen 14 Uhr gebeten wird, langsam zum Ende zu kommen mit seinem Besuch. Und es erklärt auch, warum man in Süditalien um zwei Uhr bei sehr vielen Restaurants vor geschlossenen Türen steht. Die meisten Geschäfte sind nun zu. Keine Unhöflichkeit, die hart arbeitenden Menschen benötigen in der Hitze einfach ihre Ruhe!

Auch in den Familien ziehen sich alle Mitglieder nach dem Essen in ihre Zimmer zurück und ruhen sich aus. Ja, auch die Kinder genießen diese Zeit in Ruhe. Die Sicherheit, dass sie nichts versäumen in der Zeit, scheint ihnen eine gute Beruhigung zu vermitteln. Erst zwischen 16-17 Uhr kehrt das Leben zurück in die Straßen.

Und genau jetzt, um diese Zeit, beginnt unsere geführte Wanderung durch den Sasso Caveoso von Matera.

Kirchen aus Stein im Stein

Unser B&B L'Artiere Dimore nei Sassi liegt in diesem Bereich der unteren Altstadt Materas, den Sassi di Matera, Wir folgen von dort aus dem Verlauf der Via Bruno Buozi, die auf einer Piazza endet, wo uns der Blick auf die beeindruckende tiefe grüne Schlucht, durch die der kleine Fluss Gravina plätschert, erwartet. Ihrem Verlauf folgt die untere Altstadt von Matera mit ihren berühmten Höhlenwohnungen. In dem Felsmassiv gegenüber liegen die früher auch bewohnten Höhlen und sind als größere dunkle Löcher im Gestein zu erkennen.

Diese Seite ist jedoch nie bebaut worden. Heute führt eine kleine Hängebrücke nach einem Abstieg über den Fluss, und man kann auf angelegten Wegen wandern. Eine Führung hierfür zu buchen, um die geschichtlichen Zusammenhänge erklärt zu bekommen, kann sich sehr lohnen.

Auf der Piazza San Pietro, auf der wir stehen, befindet sich auch die Chiesa San Pietro Ceveoso, die Kirche stammt aus dem Jahr 1300. Ihre heutige Fassade erhielt sie im Jahr 1706.
Beeindruckend thront dahinter ein großer Kalksteinfelsen – der Monterrone. Oben bzw. in seinem Inneren befindet sich die Kirche Santa Maria de Idris aus dem 13. Jahrhundert. Es gibt einige Höhlenkirchen in Matera – aber eine, die so in die Höhe gebaut wurde, findet man weltweit nicht oft.

Sie scheint das rustikalere Spiegelbild des ebenfalls erhöht gebauten Duomo auf der gegenüber liegenden Seite, den Sasso Barisano, zu sein. Wer ausreichend höhenfest ist, kann über eine kurze steile Treppe diese Kirche erreichen, äußerlich blieb sie immer über die Jahrtausende unverändert. Von ihr aus gelangt man in die Krypta von San Giovanni in Monterrone (11. Jh. geweiht). Dort warten Fresken aus dem 12. bis zum 17. Jahrhundert, gemalt, aber auch in den Stein gehauen.

Diese Schande Italiens

„Die Schande Italiens!”, so sprach der italienische Ministerpräsiden Alcide De Gaspari von den Sassi di Matera nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und ließ die Stadt 1953 räumen. Zuvor wurden am Rande der heutigen Altstadt viele Wohnblöcke hochgezogen und in diese die 15.000 Bewohner der Sassi zwangsweise umgesiedelt.
Die untere Altstadt wurde gesperrt, eingezäunt und verfiel.
1986 vergab Italiens Staat einen Kredit von 50 Millionen Euro (damals waren das ca. 100 Milliarden Lire) für den Wiederaufbau und die Modernisierung der Sassi. Immerhin gilt Matera – zusammen mit dem syrischen Aleppo – als eine der ältesten Städte unserer Welt. Eine Frischwasserversorgung wurde installiert, ebenso ein Stromnetz und die Kanalisation wurde angelegt. Die Besiedelung erfolgte neu, heute leben ungefähr 3.000 Menschen wieder in den restaurierten Häusern.

Viele Häuser wurden in den letzten Jahren restauriert und in Luxus-Etablissements für Touristen umgewandelt. Aber man findet auch noch viele Höhlen, die zwar vor Zugängen gesichert sind, aber mit den erkennbaren Spuren der Bewohner aus ihrer Vergangenheit.
Darin liegt – von der Historie abgesehen, der man hier folgen kann – der besondere Charme der Sassi: diese Brüche. Ruinen, die hoheitsvoll in ihrer Bedeutung neben dem touristischen Ausverkauf liegen. Aber ich möchte fair sein, es gibt auch viele Häuser, die sehr bedacht auf die besondere Geschichte Materas rücksichtsvoll neu aufgebaut wurden, in denen die Menschen wirklich noch leben. Und hoffentlich nicht so verdrängt werden, wie es an vielen anderen Orten geschieht.

Bei der zum Wiederaufbau dazu gehörigen Inventur zählte man alleine 3000 Höhlenwohnungen und 162 Höhlenkirchen, die zum Teil immer noch einen unfassbaren Schatz an den Wänden mit oft hervorragend erhaltenen bunten Fresken tragen.

Man erkennt von außen nicht, dass sich hinter den kleinen Häusern oder Kirchenfassaden teilweise Räume und Gänge mit bis zu 15 Metern Tiefe in das Gestein gehauen befinden. Die Höhlen, die nachweislich in der Steinzeit bereits bewohnt waren, wurden erst im Mittelalter mit Türen verschlossen.

Chiesa Santa Lucia alle Malve

Unser Spaziergang folgt der Panoramastraße und wir besuchen die Chiesa Santa Lucia alle Malve. Eine kleine Felsenkirche mit drei unterschiedlich geformten Schiffen, die durch ihre sehr gut erhaltenen Fresken aus dem 11. bis 17. Jahrhundert besticht.
Zwölf wunderschöne Fresken sind hier zu sehen. Unter anderem sieht man das Bildnis einer stillenden Madonna. Im dritten Seitenschiff kann man einen besonderen Fresko der Heiligen Lucia sehen. Ihr Martyrium bestand in einer Blendung und in dem Bildnis hält sie uns Betrachter*innen ihre beiden Augen hin.
Ich begegne an diesem Ort erstmals dem Abbild der Heiligen Agnes – deren Vertretung ich anlässlich der Feierlichkeiten der Il Tavole di San Giuseppe in Apuliens Giurdignano einmal bei der feierlichen Speisung übernehmen durfte.

Sant'Agostino al Casulvuovo

Mit dem gleichen Eintrittsticket kann man die direkt daneben liegende Höhlenkirche Sant'Agostino al Casulvuovo besichtigen. Deutlich rustikaler im Ausbau enthält sie eine der Schneezisternen, die, lange vor der Erfindung des Kühlschranks, für die Wasserversorgung und Speisekühlung verantwortlich waren. Man differenzierte den weißen und den schwarzen Schnee. Der weiße Schnee war für die menschliche Versorgung geeignet, den verschmutzten schwarze Schnee bekam die Landwirtschaft bzw. wurde für die Reinigung verwendet.

Unterhalb der Kirche existierten sogar Wohnungen.
Diese Höhlenkirche aus dem 13. Jahrhundert interpretiert sich heute gleichzeitig als eine Galerie für moderne Kunstobjekte und landwirtschaftliches Museum.
Gerade werden Feierlichkeiten für die Vernissage vorbereitet.
Ich liebe das so in Italien, diese unbekümmerte und durchaus auch liebevolle Verknüpfung uralter Geschichte mit der heutigen Zeit.

Storica Casa Grotta di Vico Solitario

In unmittelbarer Nachbarschaft können Interessierte die Casa Grotta besuchen, und ich möchte es jedem Besucher Materas empfehlen. Die ehemalige Höhlenwohnung der Familie Vico Solitario wurde mit zahlreichen erhaltenen Möbeln und Gegenständen des gelebten Alltags ausgestaltet, sodass man einen guten Einblick in das frühere Leben der Materani erhalten kann.
Diese Art Museum ist klein, so klein, dass die Besucher in kleineren Gruppen eingelassen werden – und nach angemessener Zeit auch wieder zum Verlassen gebeten werden. (Das gilt für viele Sehenswürdigkeiten hier in den Sassi.)
Aber die ganzen Artefakte sind so liebevoll aufbereitet und diese Höhle so anschaulich eingerichtet – sie ist sehr entzückend!
Tatsächlich waren diese nicht allzu großen Behausungen, in denen die Großfamilien lebten und schliefen, gleichzeitig auch die Ställe für die Tiere, Toiletten und Waschräume – und nicht selten erledigte man das alles in einem einzigen großen Raum.
Im Winter war die zweifache Nutzung als Stall und Wohnung durchaus praktisch, weil das Stroh Feuchtigkeit aufnehmen konnte und die Tiere auch Wärme spendeten.
Die Wohnungen hatten keine Fenster, waren dunkel, viele von ihnen bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts ohne Stromversorgung. In der Casa Grotta steht das Pony mitten im Raum – gegenüber dem großen Bett der Eheleute. Ein interessanter Ausflug in eine Zeit, der uns das Leben in den Sassi um einiges bewusster erleben lässt – im Nachhinein. Alleine von dem olfaktorischen Erlebnis der damaligen Zeit wird man heute verschont.
Natürlich wurde in der früheren Zeit fast überall so gemeinsam gelebt, purer Pragmatismus. Aber dass in den Sassi di Matera lange, bis Mitte des letzten Jahrhunderts, in einem sonst zivilisierten Europa so gelebt wurde und erst durch eine politische Agenda verändert wurde … Ich nehme einige besondere Eindrücke für mich mit aus der Casa Grotta.

Storica Casa Grotta di Vico Solitario
Vicinato di vico Solitario, 11
75100 Matera (MT) Italia
e-mail: info@casagrotta.it

Turismo di Matera

Weitere Blogposts zu Matera

2025-02-23

Vercelli lädt ein zu Risò 2025 – dem 1. Festival Internazionale Del Riso

Der Winter ist in Berlin Messezeit und ich durfte mich anlässlich der Fruit Logistica am Stand der italienischen Region Piemont über deren Köstlichkeiten informieren. Dass die feinsten Haselnüsse der Welt aus dem Piemont kommen, dürfte bekannt sein. Die Region steht aber auch für eine große Apfeldiversität. Und in unseren Gläsern sorgen feinste Trauben und fleißige Winzer dieser Region für spritzige Freude. Den Piemonteser Reben entstammen 60 DOC- und DOCG-Weine. Und dann ist da noch: Reis. Kein Wunder, befinden wir uns im Po-Delta!

Risò – in Berlin politisch hochkarätig präsentiert!

Die Pressekonferenz auf dem Stand des Piemont hätte nicht hochkarätiger besetzt sein können, der Präsident der Region Piemont, Alberto Cirio und Paolo Bongioanni (Beigeordneter für Handel, Landwirtschaft und Ernährung Region Piemont), Davide Gilardino (Präsident der Provinz Vercelli), Natalia Bobba die Präsidentin der Ente Nazionale Risi und Domenico Sacchetto (Präsident der Aop Piemonte) stellten die Produkte und auch sonstigen Vorzüge ihrer Region vor, ließen uns einige Produkte verkosten. Später guckte auch Fransesco Lollobrigida (Großneffe von der Lollobrigida) vorbei, der italienische, rechte Minister für Landwirtschaft und Ernährungsouveränität, der am ersten Messetag für sein „Made in Italy” warb.
Anschließend probierten wir ein leichtes Risotto – serviert mit frischen Würfeln vom Apfel aus dem Piemont und mit den piemontesischen Käsesorten Sola sowie Toma Piemontese DOP von der Käserei Quaglia. Die knackigen Apfelwürfel darin hatten es mir besonders angetan!

Italien – führender Reisproduzent in Europa

Italien ist eine Reis-Nation, das ist nichts Neues. Seit über 500 Jahren wird Reis in Italien angebaut. Vor allem in der Region Piemont, die sich stolz rühmen kann, das größte europäische Reisanbaugebiet zu stellen. Rund um die Städte Vercelli und Novara sind zwei Grundvoraussetzungen für das Wachstum der Reispflanzen gegeben: Topfebene – heißt, völlig plane Anbauflächen – und stetiger Wasserfluss, hier aus den Alpen. So wachsen in den Provinzen des Piemonts die beliebtesten Reissorten, Arobio, Vialone und Carnaroli, die Köch*innen Italiens für ihr hochgeschätztes Nationalgericht Risotto verwenden.

Die Reisernte im Po-Delta war harte Handarbeit. Wusstet Ihr, dass bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem italienische Frauen waren, die im Wasser stehend die jungen Reispflanzen setzten, Unkraut zupften und später die Ernte einbrachten? Und immer im Tanz der Moskitoschwärme.

145 Millionen Tonnen Reis – das ist der stolze Ertrag der in ganz Italien auf 226.000 Hektar angebauten Reisarten. Heute sind es über 140 verschiedene Sorten, die von 3.450 Unternehmen Arbeitsplätze in ganz Italien sichern. Und davon bauen alleine 70 Prozent den Reis in der piemontesischen Provinz rund um die Stadt Vercelli an – Vercelli gilt nicht umsonst als die Reis-Hauptstadt Europas. Und auf diese Relevanz, die beeindruckenden Zahlen möchte Vercelli auch außerhalb Italiens aufmerksam machen.

Vercelli – die Reishaupstadt zelebriert Risò!

Vercelli liegt 85 Kilometer westlich von Mailand entfernt und ist über die Bahnstrecken Turin-Mailand, Vercelli-Pavia und Vercelli-Valenza zu erreichen. Die Stadt hat etwas über 45.000 Einwohner und blickt in ihrer Existenz auf die Römerzeit (Vercellae) zurück. Stadt und die gleichnamige Provinz laden im September 2025 zum ersten Mal ein zu Risò – dem Festival Internazionale Del Riso, das internationale B2B-Messe mit einem großen Festival für Endverbraucher*innen rund um den Reis vereint.

Die Idee für das Festival wurde erstmals anlässlich des G7-Landwirtschaftsgipfels in Ortigia vorgestellt. 2025 freut sich die Stadt darauf, sich Besucher*innen aus aller Welt als europäische Reisehauptstadt zu präsentieren.

Vom 12. bis 14. September wird in der gesamten Provinz Vercelli der Reis (und die neue Ernte) gefeiert werden. Mit ihrem umfangreichen B2B-Programm und Fachdiskussionen wendet sich die Fachmesse an Produzent*innen, Expert*innen und Distributor*innen der Welt. Die Änderungen im Klima führen auch zu neuen Gegebenheiten im hydrologischen und geomorphologischen System der Region. Das ist bekannt – der Klimawandel stellt den Reisanbau (nicht nur in Italien) vor neue Herausforderungen. Möchte man die bisherige Biodiversität im Anbau erhalten, wird man neue Wege gehen müssen und der fachliche internationale Austausch ist von höchster Relevanz.

Die große Reisparty überall in der Stadt!

Das Festival Risò wird in der gesamten Stadt und Region Vercellis zelebriert und lädt alle Menschen ein, sich vier Tage lang an der Schönheit und Tradition – und natürlich Köstlichkeiten – rund um den Reis zu erfreuen. Dabei können interessierte Besucher das eigene Wissen zum Thema Reis und seinen Anbau erweitern, Traditionen entdecken, die Entwicklung über die Jahrhunderte im Anbau erleben und von den Bemühungen neuer Züchtungen, die im Klimawandel Bestand haben, erfahren.

Ob auf der Piazza Antico Ospedale, in der Reis-Börse, dem Dugentesco-Saal oder in der Krypta von Sant’Andrea – auch das Stadttheater Vercellis spielt mit. Historisch interessierte Besucher*innen werden dabei beeindruckenden Fresken aus der frühgeschichtlichen Stadt bewundern können in den besonderen Locations.

Berühren, probieren, hören, entdecken – das ist das Festival-Konzept. Berührt wird im Bereich handwerkliche Produktion – die Besucher*innen können den Reis in seiner Vielfalt anfassen und erleben, was man aus Reis noch alles herstellen kann – wenn er nicht im Risotto glänzt. Schmecken kann man den Reis in den vielfältigen von den lokalen Chefs, die extra für das Festival neue Rezepte entwickeln. Köstlichkeiten, die kulinarisch die Verbindung von Tradition, Region und Geschmack vereinen sollen. Zwei überdachte Ausstellungsflächen laden hierfür ein, die Kochshow-Area und die Food-Area.

Zuhören können die Besucher bei den Konferenzen, Workshops, Masterclasses und Diskussionen, die von Experten, Fachleuten und Unternehmen zu Themen rund um die Welt des Reis angeboten werden: von seiner Geschichte über nachhaltige Innovationen bis hin zu neuen Technologien. Und: Kein Festival in Italien ohne Musik!

Das Entdecken ist den großen und kleinen Kindern überlassen, natürlich – wir wären nicht in Italien – würde nicht vor allem für Kinder ein eigenes Bildungsangebot rund um den Reis mit Spielbereich zur Verfügung gestellt. Vor allem am Wochenende können auch Tourist*innen an Touren teilnehmen und die Dörfer der Wasserwege in der Baraggia-Region entdecken. Das Baraggia-Gebiet ist das einzige Gebiet, in dem Reis mit der europäischen DOP-Zertifizierung angebaut und verkauft werden darf.

Also wer im September noch ein paar Tage Urlaub hat und sich im Piemont wohl fühlen möchte: Rauf auf die Reisfelder, rein in die Bauernhöfe und vor allem trefft die Menschen, die das Produkt Reis leben!

Homepage Risó – 1. Festival Internazionale Del Riso
Città di Vercelli
Bei mir im Blog: Reis – ein europäisches Kulturgut

2025-02-22

Käse kosten in der Trattoria a Muntagnola

LOST in Cheese – wirbt für das Gleichgewicht von Form und Nachhaltigkeit von traditionellem Käse Italiens. Im vergangenen Jahr war ich schon auf dem Presse-Event in Berlin. Acht Konsortien stellten besondere und in ihrem Ursprung geschützte Käsesorten aus ganz Italien vor.

Jetzt folgt der nächste Schritt der leckeren Kamapgane, denn in den letzten Wochen wurde diese Aktion in ausgesuchte italienische Spitzenrestaurants in Berlin transportiert, um diese fantastischen Käse mit historischem Hintergrund auch den Gästen – also Verbrauchern – in Deutschland nahezubringen. Gleichzeitig wurde in München das Event wiederholt, das uns im letzten Jahr schon in der Hauptstadt spannende neue Käseerfahrungen gebracht hatte!
Pino Bianco, Mama Angela, Tina Sento und Cole Donovan und ihre Trattoria a Muntagnola gehören zu den ausgewählten Restaurants.
Sie haben uns eingeladen zu einem schönen Abendessen mit den vom langjährigen Koch CIBI selbst gemachten und legendären Antipasti der Trattoria a Muntagnola: Caponata (nirgendwo in Berlin schmeckt sie besser!), Cicoria (mit Tomaten gedünstet) und frische, und den köstlichen Artischocken aus der Basilikata, die von Mama Angela eigenhändig geschält und eingelegt worden sind – und einem sehr reich gedeckten Käsetisch.
Die Kampagne „LOST in Cheese” wurde von Alessandra Forni vorgestellt. Probiert haben wir u.a. Murazzano DOP, Ossolano DOP, Roccaverano DOP, Strachítunt DOP, Puzzone di Moena DOP, Provolone del Monaco DOP, Pecorino Siciliano DOP und Vastedda della Valle del Belice DOP.

Zur Erinnerung: DOP steht für „Denominazione di Origine Protetta”, ein Qualitätssiegel, das die originale Herkunft eines Lebensmittels innerhalb der EU bezeugt. Wir haben besondere Käsearten aus dem Piemont, der Lombardei, dem Trentino, Kampanien und Sizilien kosten dürfen.

Alles Käse, die in kleinen Käsereien produziert werden, die besonderen Schutz innerhalb der EU benötigen, um ihre regionalen Schätze zu erhalten. Alle Käsereien produzieren nachhaltig – und stehen für kurze Lieferketten!
Die Käse aus Rohmilch von Kühen, Ziegen oder Schafen, teilweise als Hartkäse, teilweise als Weichkäse produziert – für jeden Geschmack etwas dabei.
Einige der Käse hatten eine aromatische Leichtigkeit, wie mein persönlicher Favorit, der Strachítunt DOP. Ein Blauschimmelkäse aus Rohmilch. Die Kühe, die für diesen Käse ihre Milch geben, knabbern sich durch das Gras im Taleggio-Tal. Süßlich, pikant, duftend, aber weit entfernt von der Strenge vieler anderer Blauschimmelkäse und fest und leicht cremig-schmelzend, wird der Strachítunt im Zweimastverfahren hergestellt. Das heißt, dass der abendliche Bruch über Nacht (mind. 12 Stunden) in Leinentüchern abtropft und am nächsten Tag schichtweise mit dem morgendlichen Bruch vermischt wird. Dieser Käse ist also bereits zwei Tage alt, bevor er überhaupt in sein Reifeverfahren geht.
Von allen wirklich gerne gegessen wurde der Pecorino Siciliano DOP. Ein halbgekochter Hartkäse aus Schafsvollmilch, die Tiere werden ausschließlich auf Weiden gefüttert. Er hat eine intensive Würze mit einem konzentrierten Salzgehalt. „O Picurino” nennt man ihn in Sizilien – sein Rezept reicht bis in die Antike und noch früher zurück.
Begleitet wurde unser Tasting von dem aromatischen Rotwein Maddalena von der Cantina Lagalla aus der Basilikata, der hervorragend mit den durchaus auch kräftigeren Käsearomen spielte. Und die lukanischen Cruschi durften die Gäste auch probieren!
Wir hatten einen sehr leckeren und tollen Abend – mit der üblichen herzlichen Gastfreundschaft, wie sie in der Trattoria a Muntagnola seit über 30 Jahren gelebt wird! Grazie mille Alessandra, Pino, Angela, Tina, CIBI! Und natürlich dankeschön an die Organisatoren von Lost in Cheese für diese köstliche Erfahrung!

Was uns Käsefreunden jetzt allerdins noch fehlt, das sind Bezugsadressen, wo wir in Berlin in italienischen Salumerien diese besonderen Käsespezialitäten einkaufen können?! Das Restaurant in der Fuggerstraße 27 in Schöneberg bietet noch bis Sonntag, 23.02.2025 (oder auch solange der Vorrat reicht) den Gästen einen Probierteller mit den Käsesorten frei Haus an. Weitere teilnehmende Restaurants in Berlin: L’Enoteca l’Angeolino, Bertolini Feinkost, Bocca di Bacco und Facciola (Weinbar).

Homepage LOST in Cheese
Mein erestes Blogpost zur Aktion
Trattoria a Muntagnola

2025-02-14

In diesem qualitativ unsäglichen Wahlkampf …

… dieser Tage also eine neue vermeintliche Stilblüte. Nachdem Robert Habeck nun doch ordentlich dissertiert hatte, jetzt also Olaf Scholz, dem man – und das ist schon interessant – von den am ehesten rechts stehenden Parteien Rassismus vorwirft. Er hatte einen politischen Kollegen, Joe Chialo, der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe ist, auf einer Feier wohl als Hofnarren bezeichnet. Was dem inhaltlich vorausgegangen ist, man weiß es nicht wirklich. Parteigeplänkel.

Das nennt die CDU, zu der Chialo 2016 wechselte, vorher war er Mitglied der Grünen, jetzt Rassismus. Also sie findet, der Begriff Hofnarr wäre ein rassistischer Ausdruck.

Joe Chialo ist Berliner Kultursenator unter der CDU-Regierung und Bundesvorstandsmitglied dieser immer mehr nach rechts driftenden Partei. Und als Berlinerin kann ich nur festhalten, wir weinen seinetwegen Klaus Lederer – seinem Vorgänger – noch sehr viel mehr Tränen hinterher, als wir es eh schon tun. Viel Presse außerhalb dieses Vorfalls bekommt der Mann berufsbedingt in der Stadtjournalie eher nicht.

Viele Zeitungen haben über den Vorwurf gegen Scholz berichtet. Zwischenzeitlich sollen beide Männer die Situation in einem Telefonat geklärt haben und für sich ad acta gelegt haben – so Chialo selbst. Scholz wehrt sich allerdings noch juristisch gegen das Medium, das den Fall zuerst veröffentlichte und den Rassismusvorwurf formulierte. Joe Chialo gibt zu, er habe sich tief getroffen gefühlt. Verstehe ich, aber ganz ehrlich? Welcome to the Club! Was sich politisch aktive Frauen von ihren Kollegen seit Jahrzehnten anhören müssen – und zwar öffentlich – nicht auf einer Fete, das lässt vermuten, dass da jemand womöglich sehr zart besaitet scheint für den Politikbetrieb.

Was mich allerdings wirklich am meisten irritiert, das ist der deutsche Journalismus in diesem Fall. Es konnten alle Medien darüber berichten – aber die allerwenigsten haben sich überhaupt die Mühe gemacht, den Begriff „Hofnarr” historisch einzuordnen, um zu verdeutlichen, dass ein Hofnarr in seiner Funktion nie im Kontext des Rassismus gestanden hatte. Nie. Einige Medien haben erst sehr viel später nachgeliefert. Was ist das eigentlich für ein Journalismus in diesem Land?

Ein Hofnarr galt einerseits als Spaßmacher am Fürstenhof, er war die Person, die sich einem Herrschenden gegenüber wirklich viel herausnehmen durfte – quasi das Spiegelbild des Königs, nur größtenteils mit mehr Intelligenz als dieser ausgestattet. Der Hofnarr war immer auch ein Stück Philosoph: Es war die Aufgabe des Hofnarren, dem Herrschenden zu vermitteln, dass dieser nicht über Gott stand – sondern von simpler sterblicher Natur war und es daher unpraktisch wäre, sich allzu sehr zu versündigen. Das tat ein Hofnarr mit Humor und Späßen, die allermeist auf Kosten der Anderen gingen. Und er durfte sich dabei ordentlich etwas herausnehmen. Nicht mehr. Nicht weniger.

Unstrittig ist sicherlich, dass das nicht unbedingt der höflichste Vergleich ist, mit dem man Menschen bedenken kann – allerdings gar nicht mal gegenüber dem angeblichen Hofnarren, sondern wohl eher der Person gegenüber, in deren Gunsten ein Hofnarr steht. Wir können sicher sein, dass Olaf Scholz das so meinte, wie er es sagte. Er wird eventuell seine Gründe hierfür haben. Auch wenn ich wirklich der Meinung bin, gerade Politiker sollten da ihre spitze Zunge – übrigens vor allem im Wahlkampf – im Zaum halten können.

Aber wenn hier jemand im Kontext beleidigt worden ist, dann wohl eher Kai Wegner, der in der Stadtpolitik Joe Chialo direkt überstellt ist – oder denken wir weiter (und es lässt sich für mich noch eher nachvollziehen), war vielleicht der CDU-Parteivorsitzende damit gemeint? Was den Vergleich wohlwollend sehr zutreffend erscheinen lässt – meiner ganz persönlichen Meinung nach – und Chialo sich ruhig den Bauch gepinselt fühlen könnte.

Jedenfalls empören sich gerade die CDU und, das ist echt lustig, sogar die vom Verfassungsschutz gesichert als rechtsradikale eingestufte Partei darüber. Ich möchte da nur an die diversen verbalen Ausdrücke gegenüber Ricarda Lang erinnern. Von politischen Männern, die sich sehr gerne an ihrer Körperlichkeit abarbeiteten. Nach dieser Legislaturperiode verlassen (nicht nur) Frauen den Bundestag mit dem klaren Vorwurf, dass sich der Ton im Bundestag sehr zum Negativen verändert hat. Peter Ramsauer (CDU) hatte viel früher schon eine Grünen-Politikerin „freches Luder” bezeichnet. Öffentlich. Nur ein Beispiel von vielen.

Na, was sind wir froh, dass Sexismus gegen Frauen okay ist in der christlichen Partei, Engleisungen gegen ihre eigenen männlichen Parteikollegen indes so gar nicht.

Daher ist dieser Vorwurf gegen Scholz, seine benutzte Bezeichnung sei rassistischer Natur – höflich formuliert – echt Banane! Auf jeden Fall darf sich der der deutsche Journalismus langsam mal überlegen, wann er so sehr falsch abgebogen ist – und vor allem, warum?

Und die CDU darf sich gerne überlegen, wie sie in der jüngsten Vergangenheit Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Menschen in der berechtigten sozialen Grundsicherung bezeichnet hatte. Öffentlich. Mehrfach. Nicht auf einer Fete.

Nase fassen, eigene!