In diesem qualitativ unsäglichen Wahlkampf …
… dieser Tage also eine neue vermeintliche Stilblüte. Nachdem Robert Habeck nun doch ordentlich dissertiert hatte, jetzt also Olaf Scholz, dem man – und das ist schon interessant – von den am ehesten rechts stehenden Parteien Rassismus vorwirft. Er hatte einen politischen Kollegen, Joe Chialo, der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe ist, auf einer Feier wohl als Hofnarren bezeichnet. Was dem inhaltlich vorausgegangen ist, man weiß es nicht wirklich. Parteigeplänkel.
Das nennt die CDU, zu der Chialo 2016 wechselte, vorher war er Mitglied der Grünen, jetzt Rassismus. Also sie findet, der Begriff Hofnarr wäre ein rassistischer Ausdruck.
Joe Chialo ist Berliner Kultursenator unter der CDU-Regierung und Bundesvorstandsmitglied dieser immer mehr nach rechts driftenden Partei. Und als Berlinerin kann ich nur festhalten, wir weinen seinetwegen Klaus Lederer – seinem Vorgänger – noch sehr viel mehr Tränen hinterher, als wir es eh schon tun. Viel Presse außerhalb dieses Vorfalls bekommt der Mann berufsbedingt in der Stadtjournalie eher nicht.
Viele Zeitungen haben über den Vorwurf gegen Scholz berichtet. Zwischenzeitlich sollen beide Männer die Situation in einem Telefonat geklärt haben und für sich ad acta gelegt haben – so Chialo selbst. Scholz wehrt sich allerdings noch juristisch gegen das Medium, das den Fall zuerst veröffentlichte und den Rassismusvorwurf formulierte. Joe Chialo gibt zu, er habe sich tief getroffen gefühlt. Verstehe ich, aber ganz ehrlich? Welcome to the Club! Was sich politisch aktive Frauen von ihren Kollegen seit Jahrzehnten anhören müssen – und zwar öffentlich – nicht auf einer Fete, das lässt vermuten, dass da jemand womöglich sehr zart besaitet scheint für den Politikbetrieb.
Was mich allerdings wirklich am meisten irritiert, das ist der deutsche Journalismus in diesem Fall. Es konnten alle Medien darüber berichten – aber die allerwenigsten haben sich überhaupt die Mühe gemacht, den Begriff „Hofnarr” historisch einzuordnen, um zu verdeutlichen, dass ein Hofnarr in seiner Funktion nie im Kontext des Rassismus gestanden hatte. Nie. Einige Medien haben erst sehr viel später nachgeliefert. Was ist das eigentlich für ein Journalismus in diesem Land?
Ein Hofnarr galt einerseits als Spaßmacher am Fürstenhof, er war die Person, die sich einem Herrschenden gegenüber wirklich viel herausnehmen durfte – quasi das Spiegelbild des Königs, nur größtenteils mit mehr Intelligenz als dieser ausgestattet. Der Hofnarr war immer auch ein Stück Philosoph: Es war die Aufgabe des Hofnarren, dem Herrschenden zu vermitteln, dass dieser nicht über Gott stand – sondern von simpler sterblicher Natur war und es daher unpraktisch wäre, sich allzu sehr zu versündigen. Das tat ein Hofnarr mit Humor und Späßen, die allermeist auf Kosten der Anderen gingen. Und er durfte sich dabei ordentlich etwas herausnehmen. Nicht mehr. Nicht weniger.
Unstrittig ist sicherlich, dass das nicht unbedingt der höflichste Vergleich ist, mit dem man Menschen bedenken kann – allerdings gar nicht mal gegenüber dem angeblichen Hofnarren, sondern wohl eher der Person gegenüber, in deren Gunsten ein Hofnarr steht. Wir können sicher sein, dass Olaf Scholz das so meinte, wie er es sagte. Er wird eventuell seine Gründe hierfür haben. Auch wenn ich wirklich der Meinung bin, gerade Politiker sollten da ihre spitze Zunge – übrigens vor allem im Wahlkampf – im Zaum halten können.
Aber wenn hier jemand im Kontext beleidigt worden ist, dann wohl eher Kai Wegner, der in der Stadtpolitik Joe Chialo direkt überstellt ist – oder denken wir weiter (und es lässt sich für mich noch eher nachvollziehen), war vielleicht der CDU-Parteivorsitzende damit gemeint? Was den Vergleich wohlwollend sehr zutreffend erscheinen lässt – meiner ganz persönlichen Meinung nach – und Chialo sich ruhig den Bauch gepinselt fühlen könnte.
Jedenfalls empören sich gerade die CDU und, das ist echt lustig, sogar die vom Verfassungsschutz gesichert als rechtsradikale eingestufte Partei darüber. Ich möchte da nur an die diversen verbalen Ausdrücke gegenüber Ricarda Lang erinnern. Von politischen Männern, die sich sehr gerne an ihrer Körperlichkeit abarbeiteten. Nach dieser Legislaturperiode verlassen (nicht nur) Frauen den Bundestag mit dem klaren Vorwurf, dass sich der Ton im Bundestag sehr zum Negativen verändert hat. Peter Ramsauer (CDU) hatte viel früher schon eine Grünen-Politikerin „freches Luder” bezeichnet. Öffentlich. Nur ein Beispiel von vielen.
Na, was sind wir froh, dass Sexismus gegen Frauen okay ist in der christlichen Partei, Engleisungen gegen ihre eigenen männlichen Parteikollegen indes so gar nicht.
Daher ist dieser Vorwurf gegen Scholz, seine benutzte Bezeichnung sei rassistischer Natur – höflich formuliert – echt Banane! Auf jeden Fall darf sich der der deutsche Journalismus langsam mal überlegen, wann er so sehr falsch abgebogen ist – und vor allem, warum?
Und die CDU darf sich gerne überlegen, wie sie in der jüngsten Vergangenheit Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Menschen in der berechtigten sozialen Grundsicherung bezeichnet hatte. Öffentlich. Mehrfach. Nicht auf einer Fete.
Nase fassen, eigene!
2 comments:
Na ja, ein Hofnarr war ja immer jemand, der außerhalb stand, meist behindert oder sonst wie ausgegrenzt. Jedenfalls jemand, der dem König nicht gefährlich werden konnte und über den alle wegen seiner Andersartigkeit lachen konnten.
Was unterscheidet nun aber Herrn Chialo von seinem, äh König? Was macht ihn anders? Weshalb darf man über ihn lachen, weil er sowieso andersartig und unwichtig ist?
Genau.
Und damit wäre der Begriff Hofnarr in seinem Fall doch rassistisch.
@Anonym Hm, nein, nicht ganz korrekt. Geschichtlich wird schon zwischen Narr und Hofnarr entschieden. Der Narr war oft eine Person mit besonderen Merkmalen, die sie stark ausgegrenzt haben bzw. sie dann oft beim fahrenden Volk ausgestellt wurde.
Der Hofnarr war selten behindert. Ganz im Gegenteil, sicherlich wurde er aber ausgegrenzt, weil er natürlich unter den Bediensteten als jemand galt, der besonderes Vertrauen seines Herrschers genießen durfte – bis zu einem bestimmten Grad.
Es geht in der Sache Chialo im übrigen aus Sicht der SPD nicht um Andersartigkeit, sondern eher darum, dass er nicht wirklich viel leistet – aber durchaus Ambitionen zeigt die Karriereleiter weiter hochklettern zu wollen in Richtung Ministerposten.
https://www.freitag.de/autoren/axel-brueggemann/strauchelt-merz-mann-fuer-die-kultur
Scholz hat ihn sicherlich auf seine Weise beleidigen wollen und das wohl auch geschafft, das ist nicht okay. Aber rassistisch beleidigt hat er ihn nicht. Den das Problem, das man mit Chialo haben kann, ist keines, das mit seiner Hautfarbe noch Herkunft zusammenhängt.
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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