Mir geht gerade etwas ganz gewaltig auf den Keks. Und zwar das hier, sehr stimmig von Erzaehlmirnix auf den gestrichenen Punkt gebracht:
(Anmerkung: Erzaehlmirnix aka Nadja Hermann bringt ganz wundervoll typische Alltagsgespräche auf ihren absurden Punkt und es lohnt sich immer, wenn man ihren Bildern in den Sozialen Netzwerken begegnet, ihren Erläuterungen hierfür auch im Blog zu lauschen.
Ich folge in den sozialen Netzwerken aus Gründen relativ vielen Menschen, die sich öffentlich zu der Diagnose Depression bekennen (was so leicht immer noch nicht ist). Das tut ganz gut. Und das tut ganz oft nicht gut. Ist so ein Web-Dingens – auf viele Ebenen übertragbar. Man geht nie mit der gleichen Stärke in den Tag und die Offenheit der Anderen erwischt einen immer wieder in Intensitäten, die einem selbst nicht immer gut tun. Aber unter dem Strich denke ich sehr wohl ist auch dieses Internet für Menschen mit Krankheiten – egal welcher Couleur übrigens – durchaus ein Gewinn.
Momentan ist aber bei den sich zu den Depressionen bekennenden Menschen zunehmender Tenor, sich darüber zu beklagen wie andere, ein soziales Umfeld auf sie und ihre Krankheit reagiert. Natürlich nicht so, wie sie es sich wünschen. Es wird reihrum nur noch vorgeworfen und das Verhalten der anderen negiert. Sehr selten werden dabei klare Situationen zwischen den jeweiligen Personen geschildert, sondern es wird gerne allgemein eine Welt da draußen, die außerhalb ihres Umfeldes agiert und nicht auf den Depressiven angemessen reagiert, komplex abgeurteilt. Im stillen Kämmerlein, zufällig etwas über die DSL-Leitung offen gehalten, wird rum gemosert und genölt.
Und ich möchte an dieser Stelle denjenigen, die sich gerade in diesem Strudel der vermeintlichen Ablehnung von außen zurufen, lasst das bitte sein! Mich nervt es zunehmend. Das ist aber gar nicht relevant, wichtig ist viel eher: Ihr habt alle in Euren Therapien gelernt, bei Euch zu sein und zu bleiben – also macht die Probleme, die Ihr mit Eurer Krankheit habt nicht zu Problemen, die Ihr mit anderen habt. Vermeintlich.
Und wenn diese Probleme nicht vermeintlich sind, dann hört doch bitte wieder auf damit mit Euren Nomentions (ich hätte auf irgendeinen öden Wikipedia-Artikel verlinken können aber niemand erklärt Nomentions schöner als die wunderbare Anne Schüßler) die ganze Außenwelt zu beschimpfen, sondern habt den Arsch in der Hose (pardon my french) und kommuniziert Eure Unzufriedenheit direkt an die, die es betrifft – denn nur so kann man über diese Krankheit aufklären. Ich behaupte nicht, dass jede Umwelt überhaupt über die Krankheit aufgeklärt werden möchte, aber wer zumindest einmal darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass er eine gewisse Naivität über Depressionen nach außen trägt, die nicht ganz stimmig ist mit dem persönlichen Wunsch hinsichtlich seines Verständnisses, kann darüber nachdenken und eine Veränderung einleiten. Und: hierfür gibt es keinen anderen Weg als den der direkten Ansprache. Gar keinen. In der eigenen dunklen Wolke sitzen und grübeln, dass alle anderen einen nicht verstehen (wollen) ist der Weg jedenfalls nicht. Es sei denn, man gefällt sich darin im dunklen Kämmerchen zu sitzen und die Anderen blöd finden zu wollen. Dann ist's natürlich genau der richtige Weg.
Depressionen sind in ihrem Auftreten, in ihrem Erleben bei sich selbst und somit auch bei anderen sehr unterschiedlich. Mindestens so unterschiedlich, wie es unterschiedliche Diagnosen und unterschiedliche Betroffenheitsgrade, also ICD-Schlüssel zu ihr gibt. Und von einem Laien zu verlangen, dass er sich damit auszukennen hat und somit einen perfekten Umgang mit einem als nicht selbst als von der Krankheit betroffen verlangt, kann nicht funktionieren! Nebenei bezweifle ich sehr, dass man überhaupt selbst den perfekten Umgang mit sich selbst kennt in der Krankheit, denn das hieße quasi sie besiegt zu haben.
Und da genau liegt wohl der Kern in der ganzen Dramatik im Rahmen einer depressiven Erkrankung: es ist ganz schön bequem das eigene Unwohlsein den anderen in die Schuhe zu schieben. Die sind aber nicht schuld. Es ist bitteschön unsere Depression – nicht die der Anderen!
Mein bester Freund thematisiert meine Krankheit mir gegenüber nicht. Er fragt nicht, wie es mir damit geht. (Was nicht heißen soll, dass er mich nicht fragen würde, wie es mir sonst geht.) Er fragt nicht, wie es mit den Therapien voran geht, was ich tue, damit es mir besser geht. Er fragt nicht, wo ich gerade stehe, wie ich meine Zukunft sehe. Er wollte vor einigen Jahren als ich gerade aus der Tagesklinik gekommen bin, mir eine seiner üblichen Standpauken halten (er kennt mich gut über viele Jahre und hat natürlich alles Recht der Welt dazu und grundsätzlich oft recht), als ich ihm aber genau da reingegrätscht bin und ihm das verboten habe zu tun, solange er sich nicht intensiv mit dem auseinander setzen möchte, was mit mir auf therapeutischem Weg passiert, ich dabei leiste bzw. ich nicht gut hinbekomme. Das hatte einiges geklärt, wenngleich sicherlich nicht für beide Seiten zufriedenstellend. Soweit so gut wie schlecht. Denn ja: das tut mir natürlich weh, es ist verletzend, es suggeriert mir Desinteresse. (Wobei er vermutlich ganz persönliche und für ihn auch richtige Gründe hat, sich so zu verhalten.) Andererseits ist es genau der richtige Umgang mit mir, weil ich mich so bei ihm weniger unter Druck gesetzt fühlen muss als ich es eh schon immer bei mir selbst tue. Der Punkt dabei ist: es ist nicht seine Depression. Es ist meine. Es ist nicht sein Job meine Depression zu verstehen, sondern meiner. Und es ist nicht seine Aufgabe mich zu jedem Zeitpunkt meiner Depression zu verstehen, korrekt mit mir umzugehen, auf mich einzugehen – weil er das auch gar nicht kann. Und schon mal gar nicht, solange ich das nicht einmal selbst kann. Und: er hat alles Recht der Welt mit meiner Depression umzugehen, wie er nur kann und es für sich aushalten kann. (Er wird immer für mich da sein, wenn ich Hilfe brauche. Mehr kann ich mir nicht wünschen.)
Dieser Freund ist für mich da. Zum Beispiel, als ich eine Bein-OP hatte, hat er mich abgeholt und ist mit mir einkaufen gefahren. Pragmatische Hilfestellung. Wie kann ich von ihm verlangen, dass er bei einer seelischen Erkrankung irgendwie anders – aus nur meiner Sicht verständlichen Weise – anders hilft? Eine seelische Erkrankung ist für ein Gegenüber nicht greifbar. Ist so. Das Gegenüber kann nicht dafür, es kann nicht begreifen. Es kann sich bemühen – aber es wird trotzdem nicht begreifen können. Das macht das Gegenüber doch aber nicht zu einem schlechten, nicht hilfsbereiten Menschen? Was soll diese ständige Unterstellung an die Umwelt?
Eine andere Freundin von mir versteht die Krankheit Depression nicht. Kann sie auch nicht. Sie kann noch so hoch in der Scheiße stehen für sie ist das Glas trotzdem zu einem Dreiviertel voll! Wir sprechen über meine Krankheit, ich versuche zu erklären, sie bemüht sich zu verstehen. Aber sie wird es höchstwahrscheinlich nie können (was ich ganz großartig finde, weil solche Leute für mich ein bisschen der Leuchtturm in meinem Leben sind.) Sie wird nie die Zeichen meiner Krankheit deuten können – aber sie ist trotzdem bei mir und für mich da und tut, was sie glaubt, was mir gut tut. Das ist toll. Ich könnte das ganz einfach auch negativ sehen und ihr unterstellen, dass sie immer das Falsche im jeweiligen Moment für mich tut – so zu empfinden ist ja nicht sonderlich schwer in einer Depression. Nein, das ist ganz wunderbar, wie sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten für mich da ist. Auch wenn sie mich nicht versteht – ist sie trotzdem in ihrer Weise mein Anker.
Dass wir uns – mit einer Depression betroffenen Menschen – gerne wünschen von einem allwissenden Menschen, Partner, Freund, Elternteil, Arbeitgeber zu jeder Zeit gut aufgefangen zu werden, ist ein sehr nachvollziehbares menschliches Gefühl. Aber der Anspruch an eben jene Personen ist komplett unmenschlich und kann nicht funktionieren. Punkt. Es geht nicht. Deren Seele ist nicht Eure Seele und umgekehrt. Ganz doofer Anspruch, der nur scheitern kann. Davon abgesehen würde uns dieses Aufgefangen sein auch viel zu sehr in unserer Komfortzone zurück halten und uns daran hindern, die nächsten Schritte aus der depressiven Phase zu gehen. Schritte, die man immer selbst und für sich alleine gehen muss.
In all diesen Nomentions dem Umfeld gegenüber schwingt gerne dieses Unterstellen den Anderen gegenüber, sie würden denken/sagen „Du siehst doch gut aus, Du kannst nicht depressiv sein.” mit.
Ja. Das ist in der Tat ein Merkmal dieser Krankheit, dass man sie auf dem ersten Blick nicht sieht. Deswegen ist es ja so wichtig, dass man das kommuniziert, wenn sie gerade wieder zuschlägt bzw. man die Leute, die einen mit dieser Ansicht konfrontieren, dann aufklärt.
Ich bin selbst so eine Kandidatin. Ich zeige meine Depression nicht, eher würde ich mir die Hand abhacken. Ich funktioniere nach außen sehr lange, sehr gut, sehr professionell, sehr komplex. Das hat einen Ursprung, bei mir ist jahrelange kindliche Sozialisierung. Ich bin in einem Umfeld groß geworden, in dem der Vater alkoholisiert nachts meine Mutter vergewaltigte und verprügelte, was wir Kinder natürlich mitbekommen mussten und wo – aus gesellschaftlichen Zwängen heraus – am nächsten Tag so getan wurde, als wäre gar nichts geschehen und die Welt tiptop in Ordnung. Es hat mich darin zum Profi werden lassen, so zu tun als wäre nichts mit mir. Wenn ich etwas beherrsche, dann ein Pokerface zu haben, sobald es um meine Gefühle geht. Ganz im Gegenteil, drehe ich gerne noch mal eine Runde extra auf, damit ja nicht etwa jemand auf die Idee kommen könnte, mit mir könne etwas nicht stimmen. Das hat mich wahnsinnig viel Kraft kostet, so dass es mir heute so geht, wie es mir geht: bedingt gut. Mehr instabil als stabil. (Wenngleich deutlich stabiler als noch vor drei Jahren.) Aber wenn es mir schlecht geht, dann lasse ich weiterhin nur sehr sehr wenige Menschen in meine Karten gucken. Würde ich nicht vebal offen mit meiner Krankheit umgehen, die allermeisten Menschen in meinem sozialen Umfeld würden es nicht merken, wissen; weil ich es niemanden merken lassen will. Weil ich es nicht kann, ich hab's nicht gelernt – im Gegenteil, es wurde mir quasi von Anfang an aberzogen.
Das erst einmal verstanden zu haben, war therapeutische Arbeit und ist ein trauriges aber auch sehr gutes Ergebnis, denn damit lässt es sich arbeiten. Es ist nun mein Job nach 50 Jahren aus solchen Mechanismen auszusteigen, es ist mein Projekt, meine Aufgabe. Ob ich sie jemals bewältigen werde? Keine Ahnung. Ich kann es nur üben, manchmal funktioniert es, oft scheitere ich daran. Dann muss ich wieder aufstehen. Mir wird seitens der verfügbaren medizinischen und sozialen Möglichkeiten, die uns in diesem Land gegeben sind, dabei sehr viel und gute Hilfe angereicht. Aber den Hauptjob habe ich zu erledigen. Es ist vergleichsweise ein bescheidener Job, aber es ist mein Job. Nicht der von den Anderen. Noch einmal: es ist meine Geschichte, es ist mein Umgang mit der Krankheit – ich kann daraus nicht anderen Menschen in meinem sozialen Umfeld einen Vorwurf generieren. Das wäre nicht fair!
Ich bin seit Mai letzten Jahres mehrmals die Woche in einem therapeutischen Umfeld, wo ich auf Menschen treffe, die wie ich mit Depressionen und Angststörungen zu kämpfen haben. Da sind – höchstwahrscheinlich – ganz viele Patienten, die sich fragen, wenn ich so auftrete wie ich auftrete mit meiner Tarnung „was macht die hier eigentlich, der geht es doch gut?” Die haben alles Recht der Welt dazu so auf mich und meine Person zu gucken. Denn ich leiste hierfür prima Schützenhilfe. Es ist meine mich schützende Methodik der Abgrenzung, die mir vermeintlich gut tut. Ich entspreche nicht dem eigenen Korsett, das jeder andere mit dieser Krankheit Betroffene von sich und seinem Umgang mit dieser Krankheit hat. Umgekehrt ist das genauso: Ich bin eine Person, die – hat mir die Vergangenheit zeigt – noch im hochgradigen Stadium einer schwer depressiven Phase ziemlich lange funktioniert – das tun die meisten anderen nicht. Also gucke ich auf andere Patienten und frage mich, „wieso kriegt der jetzt nicht gebacken, wenn ich das doch gebacken bekomme?” Hier ist des Rätsels Lösung: diese Krankheit ist sehr komplex, weil sie unser Innerstes betrifft. Und es hat nun einmal einen Grund, warum Seelen nicht seziert, schubladisiert werden können. Eine Depression ist vermutlich eine der individuellsten Krankheiten, die es gibt auf dieser Welt.
Wie kann man dann erwarten, dass uns jemand blind versteht und dementsprechend ständig nach unserem Gusto funktioniert?
Lasst es! Das ist vergeudete Energie und Lebensmühe. Das ist nur Ablenkung von Eurem eigenen ToDo im Rahmen dieser Krankheit. Es hält Euch davon ab, bei Euch zu bleiben, sich auf Euch zu konzentrieren, die berühmte Aufmerksamkeit nicht auf Euch zu lenken.
Wir sind es alleine, die uns aus dieser Krankheit nur befreien können und dazu gehört über die Wünsche im Umgang mit sich selbst deutlich und in direkter Ansprache zu kommunizieren.
Sich grundsätzlich darauf konzentrieren, dass immer nur alle anderen nichts richtig machen, immer die Anderen schuld sind, heißt zwangsläufig in der Opferrolle zu versacken. Damit kann man diese Krankheit aber nicht angehen. Also: wenn Dir jemand nicht angemessen in Deiner Krankheit begegnet, ist es nicht dessen Job, Dich zu verstehen. Es ist Dein Job, es ihm zu erklären, Deinen Unmut über sein Verhalten eventuell zu äußern bzw. zu verdeutlichen, was das mit Dir macht – aber es ist eben immer Dein Job ihm die Hand zu reichen mit einer Erklärung, wie er es verstehen kann und auf Dich zugehen kann. Und ja, wenn die Kraft dafür da ist, sich über andere aufzuregen, dann ist die Kraft auch dafür da es ihnen zu sagen. (Auf dieses „ich bin krank, ich bin so schwach, ich kann das nicht”, lasse ich mich an der Stelle gar nicht erst ein. Wer das Verhalten anderer reflektieren kann, kann sein eigenes Verhalten gleichfalls reflektieren.)
Es ist unsere Krankheit. Nicht die der anderen! Und wenn wir Menschen, die uns etwas bedeuten – und sei es nur, dass sie auf uns Rücksicht nehmen – dass sie ein Stück weit mit uns in diesem Boot Depression mitfahren, damit sie nicht am Ufer stehen und im Unverständnis neben uns herlaufen – dann müssen wir sie mit in dieses Boot einladen und ihnen zeigen, wie wir mit dieser Krankheit durch unser Leben rudern. Und nicht mit dem Finger auf die Anderen zeigen, weil sie am Ufer neben uns herlaufen und uns vermeintlich nicht verstehen. Am Ufer neben uns herzulaufen ist ein ganz großes Zeichen von Wollen, sie könnten ja auch am Ufer stehen bleiben und uns nicht mal mehr zuwinken wollen, während wir davon schippern. Es gibt also gar keinen Grund deswegen auf sie mit dem Finger zu zeigen.
tl;dr: Die Autorin ist selbst depressiv und mag dieses zunehmende Mimimi an eine gesamte Umwelt gerichtet – die angeblich nicht wohlwollend auf die eigene Diagnose reagiert – anstatt Vorwürfe direkt an Einzelne, die es betrifft, zu kommunizieren, nicht.