2014-11-12

Aufgabe an Euch: Vögel füttern! Und zwar ganzjährig!

Wer mich kennt, vor allem wer mir in den sozialen Netzwerken so folgt, weiß, dass ich und die Krähen hier im Dreh superdicke miteinander sind. Wir begrüßen uns mit einem HighFive, wenn wir uns sehen. Ich bin die, die ferngesteuert von den lustigen Raben, deren Walnüsse anknackt, wenn sie es selbst nicht schaffen. Ich bin sowieso trotz Vogelphobie immer schon sehr nett zu dem Federvieh, denn Vögel vor dem Fenster gefüttert, bedeutet seit je her prima vogelkundliche Expertise für eins, zwei, drei Katzen. Kurz: Katzen-TV.

Ich habe heute einen Link von Frau C. zu einem Interview mit dem Ornithologen Peter Berthold zugespielt bekommen. Der Mann räumt mit den Futter-Mythen à la „Vögel füttern, das zieht die Ratten an” etc. auf und nennt gute Gründe, warum wir – wie es die Briten erfolgreich tun – anfangen sollten es unseren Vögeln das ganze Jahr über gut gehen zu lassen.

Ich finde den Text prima, weil ich auch in dem Mythos groß geworden bin, man soll Vögel nur füttern, wenn Schnee liegt und sie nicht an ihr Futter kommen. Jetzt kann ich die lustigen Gefährten füttern ohne mir den Kopf über Futterzeiten zu machen! Und der Artikel geht an die Hausverwaltung, die in dem letzten Genossen-Magazin den Kram mit den Ratten auch behauptet hatte. (STRIKE!)

Zum Bildungsprogramm geht es hier entlang!

Sterben

Ein Streitgespräch in der taz zur Diskussion aktive Sterbehilfe. Eine der Stimmen, Gita Neumann, sagt in dem Gespräch „Bewusste Abschiede sind das Beste, was Sterbenden passieren könne.”

Montag Abend lief auf 3Sat ein stiller, klarer Film unter dem Titel „Intensivstation”. Gezeigt wird Leben und Sterben auf einer Intensivstation in dem vorrangig Ärzte und Personal, wenn fähig, auch die Patienten zu Wort kommen. Ich kann nur empfehlen, auch wenn das Thema nicht attraktiv zu sein scheint, sich diesen Film anzusehen solange er in der Mediathek verfügbar ist. Denn er kann Angst nehmen und Klarheit schaffen. Auch Vertrauen schaffen in Ärzteschaft. Vor allem aber wird durch diesen Film deutlich, wie sehr wichtig es ist, dass man sich im Vorfeld Gedanken über das eigene Sterben macht und diese schriftlich fixiert.

Der Film zeigt behutsam und direkt, was Intensivmedizin bedeutet. Wo sie gut tut und hilft. Wo sie natürliche Grenzen gesetzt bekommt und was passiert, müssen diese Grenzen überschritten werden aufgrund unserer Rechtslage. Nämlich dann, wenn Intensivmedizin verlängertes Leiden im Sterbeprozess bedeutet. Was bedeuten kann, am lebendigen Leib zu verfaulen, weil die Sepsis, ein Organversagen infolge dessen man früher ohne Versorgung binnen weniger Stunden verstorben ist, nun mit Intensivmedizin über Monate hinaus gezögert werden kann. Obwohl das Ende frühzeitig absehbar ist. Ein Leiden, das Ärzte kennen, um das die Ärzte wissen, ihnen aber ohne eine rechtliche Verfügung des Patienten für lange Zeit die Hände gebunden sind, denn es gilt Leben zu erhalten.

Dieser Film gibt indirekt Tipps hinsichtlich der eigenen Patientenverfügung. Gezeigt wird am Ende – neben vielen anderen aus unterschiedlichen – und nicht immer traurigen – berührenden Szenen ein besonderes Gespräch. Geführt von einer Ärztin mit einem Patienten, der den Zuschauer bis zu dem Zeitpunkt tapfer, lustig und liebenswert durch den Film getragen hatte und dessen Ende nun zeitnah bevorsteht. Der für sich in einer Patientenverfügung weitere Rettungsmaßnahmen ausgeschlossen hat. Es geht in diesem gemeinsamen Gespräch darum, wie sich sein Ende voraussichtlich anfühlen wird und was es für Angebote für ihn gibt, damit er sanft gehen kann. Wohlbemerkt: nicht aktiv getötet. Aber so, dass er seinen Herztod nicht bei Bewusstsein erleben muss.

Ich habe dieses Gespräch als so ermutigend empfunden. Denn Klarheit haben zu dürfen über das eigene Sterben, entscheiden zu dürfen bis zu einem bestimmten Punkt, kann, so stelle ich mir das vor, viel Frieden schenken. Mitentscheiden zu dürfen, mündig sein zu dürfen, das kann noch ein großes Glück sein am Ende eines Lebens.

Was auch in diesem Film deutlich wird, wie sehr der Mensch immer an seinem Leben hängt. Der Pfleger, der erzählt, dass die allermeisten Menschen, die vor einer Diagnose noch die Meinung vertreten, bestimmte Therapien nie in Anspruch nehmen zu wollen, beim Eintreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung dann doch jede mögliche Behandlung für sich wünschen, die es gibt. Man hängt an diesem einen Leben viel mehr als man manchmal glauben mag.

Diese Beobachtung spricht auch dafür, was alle Statistiken der Länder besagen, wo eine aktive Sterbehilfe gesetzlich möglich ist. Das aktive Sterbehilfe eher selten tatsächlich nachgefragt wird. Dort, wo sie aber gewünscht wird, soll man den Menschen ermöglichen, dieses persönliche Glück am Ende eines Lebens haben zu dürfen: Bewusst Abschied nehmen zu dürfen, wenn man es noch kann. Für sich in Frieden.

(„Intensivstation” ist noch fünf Tage in der Mediathek zu sehen.)

2014-11-11

Frau Brüllen gibt Nachhilfe …

… und zwar in Puncto Versicherungen, Akquise und was man alles falsch machen kann, bei Interessenten – also etwaigen Kunden, die man nicht einmal kalt akqukirieren müsste. Zum brüllen …

netzpolitik.org haben gerade die Pest am Bein!

Und zwar in Gestalt einer Abmahnung der Deut*schen Wirt_schafts Nachrichten, die etwas obskur klingt. Gebraucht wird juristische Fachexpertise und vor allem finanzielle Unterstützung, um ggfs. in einem oder mehreren Prozessen das Recht auf Meinungsfreiheit einzuklagen.

Da Netzpolitik die Organisation ist, die in Deutschland mehrheitlich für unser Recht auf ein freies Internet kämpft, wie sie selbst über sich sagen: „Wir engagieren uns für digitale Freiheitsrechte und ihre politische Umsetzung”, sollten wir sie so oder so finanziell unterstützen. Markus Beckedahl macht jedes Jahr transparent, wie viel Geld fließt und was mit dem Geld passiert.

Hier hilft jeder Euro!

2014-11-10

25 Jahre Mauerfall

Es ist immer noch schön. So schön. Und es bleibt schwierig.



Selten wurde wohl so deutlich, dass man Feiertage im Herzen nicht einfach so auf einen anderen Tag legen kann. Aufgrund der geschichtlichen Vorgabe ist völlig klar, dass man den 9. November 1989 nicht in seiner zelebrierten Relevanz auf das gleiche Datum legen konnte, denn der Termin war und ist von einem schrecklicheren Termin, der Reichspgogromnacht 1938, vorab belegt.

Nur lässt sich das Geschehen gefühlt im Herzen nicht so einfach verlegen. Ich habe immer Probleme damit, den Tag der Einheit nun am 3. Oktober zu begehen, wenn gleich ich auch als am 2.10.-Geburtstaghabende direkt davon profitiere, aber gefühlt stimmt dieser Termin einfach nicht. Dass man die Einheit vorab zelebriert und im Nachhinein das Geschehen dann bis zur finalen Maueröffnung aufbereitet – die Reihenfolge stimmt nicht und sie wird so auch nie stimmen. Dennoch ist es richtig so.

Natürlich ist gestern in Anbetracht der 25. Wiederkehr der Maueröffnung medial das andere schreckliche Datum und sein damit verbundenes unfassbares Geschehen in den Hintergrund getreten. Ich kann aber für mich nur sprechen, ich habe die letzten drei Tage in denen ich wirklich im Herzen gefeiert habe, nicht vergessen, dass der eigentliche Ursprung der Mauer in eben jener Nacht 1938 zusammen mit all dem Leid, das über die gesamte Welt damit gekommen war, liegt und immer dort liegen wird.

Der schreckliche Beginn, der gute Ausgang, alles wird immer existent bleiben. Folter, Tod, Enteignung, Leid, Lager – das alles darf nie vergessen werden! Vor allem nicht in diesen Tagen, in denen man das Gefühl haben muss, das schreckliche Rad beginnt sich von Neuem zu drehen.



Trotzdem war ich die letzten drei Tage sehr froh und auch immer nahe am Wasser gebaut. Ich kann keine Maueröffnungsszenen sehen ohne nicht mindestens sehr feuchte Augen zu bekommen, meistens läuft es. Ich bin 1965 in dieser Stadt im Westteil geboren, die Mauer war für mich elementare Begleitung in den ersten knapp 25 Jahren meines Lebens. Und diese, ihre Begleitung ließ einfach zu wünschen übrig. Aufgewachsen in der Stauffenbergstraße, direkt am Potsdamer Platz wohne ich direkt nebenan, sie war mir visuell täglich nahe. Unsere Familie war betroffen, denn die Familie meiner Oma, väterlicherseits, lebte eben drüben. Und meine Oma hat die längste Zeit, die ich sie kannte, gelitten wie ein Hund. Ich kenne das Packen der Pakete, das für meine Oma eine das Herz erschwerende Pflicht gewesen war. Ich bin als Kind an der Hand meiner Oma so oft hinüber gefahren in den Osten für einen Tag, die Familie besuchen. Sie in den Arm zu nehmen in der Freude über ein Wiedersehen, immer zugleich mit Trauer begleitet, weil man wusste, der abendliche Abschied steht gleich mit in der Tür. Menschen, die Familie waren und dabei so fern, mit den Jahren der Trennung zunehmend auch so anders. Die Großcousine, die uns als Kind so oft besuchen kam, die wir mochten. Und die mit ihrem 16. Geburtstag von einem auf den anderen Tag einfach wegblieb, weil sie nicht mehr reisen durfte. Erkläre das einem Kind.



Von all den schrecklichen Erleben mit und an der Mauer, wie sie zum Beispiel an den Mauertoten medial groß publiziert wurden, war der irrsinnige Schmerz im Alltag in den betroffenen Familien so fürchterlich präsent. Und er macht uns Berliner wohl auch ein ganz besonderes Stück aus. Verflucht, war das ein Leiden!

Wenn ich für ein Erleben dankbar bin, dann dafür, dass meine Oma die Öffnung noch erleben durfte. Mein Opa nicht, mein Papa nicht. Aber meine Oma konnte ihre Familie wieder in die Arme schließen. Die also, die es dann damals noch gab.

Der Mauerfall ist immer noch ein Wunder für mich! Eine Emotion, die ich nie ganz verarbeiten werde. Für mich ist es eben etwas ganz Besonderes, dass ich jetzt „im Osten” lebe. Man witzelt natürlich gerne darüber, kalauert alte Scherze aber es bleibt die unumstößliche Tatsache bestehen: es berührt mich immer wieder im Alltag, das ich jetzt hier in diesem Ost-Teil der Stadt wohnen darf. Keine 300 Meter entfernt vom ehemaligen Mauerstreifen.

Die Lichtinstallation, die dieser Tage die innerstädtische Grenze Berlin noch einmal aufzeigte, war in meinem Empfinden ein schönes Geschenk an uns alle. Sie hat vermittelt, erklärt, geöffnet, vor allem verbunden. Noch nie war meine Wohngegend hier so voller Menschen, Kinder, die alle mit einander ins Gespräch kamen, sich Geschichten erzählten, ihr Erleben teilten.

Ich bin am Samstag am Engeldamm unterwegs gewesen, hoch gelaufen zur East Side Gallery, die Zeitung mit den vier Buchstaben, die ungefragt in den Briefkästen lag, erfolgreich am Stand der „Die Partei” in ältere Ausgaben der Titanic zu tauschen. Die kippten dann im Laufe des Abends „den Schund” dem Verlag wieder vor die Tür. Ich ließ mich treiben. Ich hörte Vätern zu, die ihren kleinen Kindern die Geschichten auf den Informationstafeln vorlasen und deren Fragen beantworteten. Fragen, die einmal mehr den Irrsinn dieser Mauer, der Teilung direkt offenbarten. Ich sah Paare, die sich unter den Lichtbällen innig küssten. Menschen, die auf Brücken standen, gemeinsam Sekt tranken und sich dabei siezten, sich gerade eben kennengelernt hatten und gemeinsam diese besondere Zeit erlebten.



Irgendwann fing ich an die Bälle zu lomografieren. Knackscharfe Aufnahmen in allen Lichtverhältnissen gibt es von ihnen zu Hauf. Ich spielte mit ihnen, sie bekamen eine künstlerische Bedeutung für mich. Und ich habe mich ein bisschen an ihnen verloren. Das war gut. Als ich hinter der Schillingbrücke den Stralauer Platz hochlief in Richtung Mühlenstraße und ich das erste Stück Mauer der East Side Gallery sah, musste ich direkt umdrehen. Ich konnte die Mauer nicht sehen, sie bereitete mir in diesem Moment Herzschmerzen und Atemnot. In der physischen Konsequenz tatsächlich.

Die Mauer, die Teilung Deutschlands, sie hat etwas mit uns gemacht. Auch mit denen, die auf der anderen Seite lebten. Neulich schrieb jemand im Internet, er stände gerade auf der „richtigen Seite” der Stadt. Ich überlege seitdem die ganze Zeit, welche das wohl gewesen sein mag.

Als könnte es eine richtige Seite, eine falsche Seite überhaupt geben von einer Stadt, von einem Land.



Gestern Abend ging ich dann zum Engelbecken runter. Es hätte viele Stellen in Berlin gegeben, wo ich den Aufstieg der Lichtgrenze hätte sehen können. Am Brandenburger Tor wäre mir es mit den öffentlichen Feierlichkeiten zu viel Tamtam gewesen. Am Checkpoint Charlie hätte ich es nicht ausgehalten, dieser Ort macht mir heute noch so großes Unbehagen. Also ich die Bilder von dort sah, dachte ich, dort brichst Du zusammen! So blieb ich also in meinem Dreh, der Ecke, wo ich nach dem Mauerfall immer dachte, hier möchte ich wohnen! Schon als die ganze Gegend noch nicht erschlossen war. Ich entschied nach einigem Herumlaufen mich oben an der Mauer zu stellen, auf der Ostseite, um den besten Blick auf die leuchtende Grenze zu haben. Die Verabredung mit Freundin und Cousine und Großcousin „wir rufen uns an”, war hinfällig, da es überhaupt keinen Handyempfang mehr gab. In der einen Stunde versammelten sich so unglaublich viele Menschen. Neben mir stand eine junge Mutter, die ihrer ca. fünf Jahre alten Tochter die Geschichte der Mauer und vom Leben zweier deutschen Länder, die unterschiedlicher nicht sein konnten, erzählte. Das Kind stellte kluge Fragen. Die Mutter erzählte ihr, wie sie einmal in Ungarn urlaubend, Menschen aus der DDR kennenlernte. Wie man sich gemeinsam zum Pizza essen verabredet hätte, wie sich herausstellte, dass beide Parteien unter „Pizza” etwas ganz anderes verstanden hatten. (s. Krusta). Sie erklärte dem Kind von der Aufteilung nach dem Krieg. Auf die Frage des Mädchens hin, warum die Deutschen bei dieser nicht mitsprechen durften meinte die Mutter, die Deutschen hätten dabei nichts zu sagen gehabt, denn die hätten ja den Krieg angefangen und verloren. Die Deutschen waren die Dummen.

So einfach!



Einen Moment später stand ein junger Mann mit sehr weißem Haar neben mir mit seinem Fotoapparat und wir kamen ins Gespräch. Er muss dem Erzählen nach geschätzt 15 Jahre älter sein als ich. Er ist wie ich in (West-)Berlin geboren und hatte immer in Neukölln gelebt. In den späten Siebzigern war er Fluchthelfer und wurde 1977 auch von der Stasi festgenommen. Er erzählte mir von dem, der sie alle verraten hatte, einem Journalisten. Denn das wollte er nach dem Mauerfall wissen, wer das war von ihnen. Von seiner Zeit im Gefängnis, wo er zu Weihnachten ein Weihnachtsgespräch erhielt, eine Banane und eine Mandarine. Ihm ein Gefängnisinsasse sagte, da müsse er erst ins Gefängnis kommen, um mal eine Banane zu sehen. Wie er später in das viel unangenehmere Gefängnis der Volkspolizei verlegt worden war, wie dann endlich der Prozess gemacht wurde. Er dreieinhalb Jahre auf Bewährung bekam und dann nach fast 19 Monaten Untersuchungshaft eines Tages mit einem Bus an der Oberbaumbrücke in den Westen entlassen wurde. Wo alle anderen – ohne Wohnsitz – Freigelassenen von der Westpolizei direkt wieder in Gewahrsam genommen wurden. Nur er nicht, weil er eine Wohnadresse hatte.

Wir sprachen darüber, wie wir damals wohnten, wie wir Mauer erlebten. Er erzählte mir wie seine Eltern sich damals eine Schwedenküche in die Wohnung einbauten, der letzte Schrei, in dem Wohnhaus in der Sonnenallee in dem er sein Leben lang gelebt hatte. Erst in der völlig überfüllten Einzimmerwohnung seiner Eltern mit Außenklo, dann in einer eigenen Wohnung, heute wohnen seine Kinder in dem gleichen Haus. Das ist das, was die „ist-doch-egal-ob-ihr-gentrifiziert-werdet”-Denkenden immer nicht bedenken möchten, das wir Berliner dazu neigen, ganze Leben, ganze Generationen in ein und derselben Wohnung zu verbringen und das Vertreiben für uns daher ganz besonders traumatisch ist.

Ich hätte mir keinen angenehmeren Nachbarn in dieser emotionalen Stunde wünschen können. Als ganz vorne an der Brücke die ersten Bälle hochgingen und es dann erst einmal nicht weiterging, was natürlich kommentiert wurde in unserer Umgebung, meinte mein Gesprächspartner, „der Berliner hat ja immer was zu meckern.” Da musste ich einlenken und korrigieren, eigentlich sei dem gar nicht so, wir hätten nur immer was zu sagen. Und würden das halt nicht in Blümchen verpacken sondern direkt auf den Tisch packen. Er stimmte mir zu.

Um uns herum standen mittlerweile dicht gedrängt, viele Menschen mit unterschiedlich deutschen Dialekten darüber sprechend, wie sie nach Berlin gekommen wären, von Zweitwohnungen in alten Heimaten, wie sie Berlin erleben heute, falls damals schon, dann damals. Sie sprachen und sprachen, machten Witze, erzählten sich wie sie den Mauerfall erlebt hätten, irgendwann behauptete einer in überheblicher Lautstärke sogar „Der Berliner sei ja an sich nicht dumm, der wäre ja nicht auf den Kopf gefallen.”

(Ich konnte darüber lachen aber, wenn ich ehrlich sein darf, symbolisiert dieser Moment sehr perfekt genau den heutigen Umgang der nach Berlin Zugezogenen mit uns Einheimischen dieser Stadt. Sie stehen um uns herum, in dieser Stadt, direkt neben uns, zeigen mit dem Finger auf uns als säßen wir in einem Käfig vor ihnen und erzählen dann – gänzlich unsensibel, dass es auch ja alle hören können – was sie von uns halten. Direkt danach werfen sie uns dann mangelhafte Migration vor.)

Dieser Mann hatte verbal unbewusst eine Mauer aufgerissen. Wir zwei Berliner guckten uns an, grinsten und ich meinte zu ihm „sie werden einfach nie begreifen, dass sich der Berliner nicht mit Lob einnehmen lässt.” Er nickte.



Film originale Grö0e

Dann gingen die Bälle wirklich hoch, um uns herum wurde weiterhin gelacht, applaudiert, wurden Possen gerissen und jeder Ball moniert, der aus der Reihe tanzte und sich nicht in Reihe in die Luft erheben wollte. Dabei waren gerade sie eine schöne Symbolik für die alten (und vielleicht auch neuen) eingesessenen Mauern in unseren Köpfen.

Der weißhaarige Fluchthelfer links neben mir und ich sprachen währenddessen kein Wort. Als der letzte Ballon, das letzte Stück Mauer, im dunklen Himmel verschwunden war, guckten wir uns an, nickten uns zu mit Tränen in den Augen. Dann reichten wir uns die Hand und bedankten uns beide. Er ging. Der Berliner ist nicht dumm. Er ist still, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Wenn alles gesagt ist; wenn alles getan ist.

25 Jahre ohne Mauer. Meinen innigen Dank an alle, die das möglich gemacht haben. Danke an die, die die letzten Tage in dieser Stadt das Jubiläum so besonders gemacht haben. Mit ihrem Engagement, ihrer Hilfe, ihrer Anwesenheit, ihrem Interesse an dieser fürchterlichen Vergangenheit. Danke an die vielen vielen Kinder, die so viele großartige Fragen gestellt haben!



Direkt hinter mir lief ich abschließend dann doch meiner Cousine, ihrem Ehemann und dem kleinen Großcousin in die Arme. Ein kleiner müder, erstaunlich stiller Junge, der mir erzählte, dass alle Bälle nun weg wären. Ganz oben. Im Himmel. So soll es sein, alle Grenzen weg. Ganz oben. Im Himmel.

2014-11-07

Baby beim Sport

Die morgendliche Pilates-Gruppe am Freitag ist eine offene Gruppe, wenngleich sie auch deutlich hochbetagt durchwandert ist. Ich zum Beispiel gehöre zu den Leuten, die den Altersdurchschnitt tatsächlich noch mit absenken, das will etwas heißen.

Seit einigen Wochen kommt eine junge Frau zum Sport mit ihrem Minimenschen. T. ist wie alle Kinder aus meiner Sicht sehr süß. Er ist aber, das muss man betonen, ein besonders entspanntes, glückliches, daher dauerhaft grinsendes Kind von dem ich noch nie einen Glucksen gehört habe, das Unmut ausdrücken würde. T. ist das ideale Baby, Sorte Tiefenentspannt.

In der ersten Zeit wurde T. von seiner Mama gestillt am Anfang der Stunde und schlief dann durch. Später lag er auf der Matte und machte Stimmproben. Jetzt kann T. sitzen, begeistert nach Bällen greifen und giggelt vor sich hin. T. tut also niemandem etwas. Er macht Babysound.

Alle Damen machen „duzzi duzzi” mit T., finden ihn so süß, erzählen von ihren Enkeln, geben ungefragt Ratschläge. Geben vor allem aber der Mutter nie das Gefühl, sie wäre mit ihrem Sohn nicht willkommen. Im Gegenteil, kommt sie einmal ohne T. wird sofort nachgefragt, wo er denn sei.

Heute wurde der Mama von T. vom Sportanbieter mitgeteilt, sie solle nicht mehr mit ihm zum Sport kommen, weil die Frauen sich beklagt hätten, weil er stört und sie sich nicht konzentrieren könnten. Das schaukelte sich dann später in der Umkleide hoch mit „wir konnten das damals ja auch nicht” und unangebrachten regelrechten Hassausbrüchen, weil seine Mutter mit Tim mangels Platz in der Umkleide auf dem Boden saß und eine Dame meinte, nicht an ihnen vorbei zu können. Natürlich ohne vorher einfach zu fragen, ob man eventuell kurz zur Seite rutschen könnte.

Deutschland 2014. Deine Kinder.

2014-11-06

Enteignung



Den Rock auf dem Nishia hier gerade abhängt, den hatte ich mir letzten Winter genäht. Keine große Sache, ein Strickbünden an zwei Filzteile, die zusammen genäht wurden. Den Filz zu säumen habe ich mir gekniffen, doppelt gelegen hätte der recht dicke Stoff im Saum zu sehr aufgetragen. Ein schöner Winterrock, weil sehr warm. Die Farbe ist für meine Verhältnisse recht ungewöhnlich aber zum sonstigen Schwarz, das ich hauptsächlich trage, ein passabler Eyecatcher.

Neulich habe ich die Wintergarderobe aus ihrem Verlies geholt, gewaschen und nach dem Trocknen die Röcke für einen Moment auf das Bett gelegt. Nachdem Nishia nun seit zwei Wochen an diesem Rock festgewachsen ist, tagsüber wie nachts und echt schlechte Laune bekommt, wenn ich ihn anfassen möchte (s. Foto!), kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten: ich bin da wohl um einen Rock enteignet worden.

Der von mir gestrickte Schal der im Hintergrund auf dem Bett liegt, war auch einmal …. Ach, lassen wir das. Aber es ist schon interessant, dass alle selbstgestrickten Schals, die ich in der Vergangenheit angefertigt habe oder geschenkt bekommen habe, ziemlich direkt von kleinen zarten befellten Pfoten und Plüschhintern dauerhaft besetzt und in persönliches Eigentum umgewandelt werden.

Wie machen die das?

2014-11-05

Mauerdingens

Na gut, Euch kann ich es ja sagen. Ich heule ständig derzeit bei Blicken auf Schlagbäume, die endlich hochgehen.

Diese Mauerzeit, die war so scheiße! (pardon my french aber anders kann man es wirklich nicht nennen.) Was hat sie für und wie viel Leid hat sie über die Menschen gebracht. Wie sehr hat meine Oma, hat meine Familie unter der Trennung von ihrer Familie gelitten.

Ich bin sehr sehr froh, dass wir uns nun alle haben können!

Allerallerärmste Shiina der Welt



Shiina erhält seit gestern Diätfutter. Auf den Verpackungen steht irgendetwas von Adipositas, übergewichtige Katzen, kastrierte Katzen. Katzendiätfutter funktioniert so: die erste Hälfte der Packung wird noch gegessen, die zweite Hälfte wird sehr verabscheut. Es wird schätzungsweise zehn Mal zum Teller hingegangen, geschnüffelt. Dann wird zu mir hoch geguckt.



Erst fragend.
Dann noch einmal fragend.
Dann etwas zweifelnd.
Dann anklagend.
Dann vorwurfsvoll.
Dann anklagend und vorwurfsvoll.
Dann vorwurfsvoll und anklagend.
Dann anklagend, vorwurfsvoll und vorwurfsvoll, anklagend.
Dann verächtlich.
Dann verzweifelt verächtlich.



Dann wird gefressen. Shiina bat mich, ihr Leiden für Euch fotografisch zu dokumentieren. Sie bat mich auch, sie dabei fotografisch perspektivisch besonders schlank in Szene zu setzen. Sie bat mich bei zooplus einen Wunschzettel einzurichten und Euch ihre Kontonummer mitzuteilen, ihre Lieferadresse und darüber hinaus sucht sie ein neues Zuhause und eine neue Futtermittelbeauftragte (gerne mit Mäuse-Flatrate etc.). Sie wünscht sich einen Lottogewinn, möchte sich einen Katzenfuttersupermarkt kaufen und wünscht sich viel mehr Unabhängigkeit in Bezug auf das Thema Fressen.



Vor allem aber: MÖCHTE SIE ZUR ZEIT NICHT VON DER SEITE ANGESPROCHEN WERDEN!

Vom Sex. Mit Freiern.

«Die Qualitäten, die ich in der Erziehung zur Tochter aus gutem Hause gelernt habe, sind die Qualitäten, dank derer ich mich im Bordell heimisch gefühlt habe. Weil ich genau wusste: Du bedienst das, was die Welt von außen an Erwartungen an dich stellt. Und die Welt ist im Patriarchat erst mal eine männliche. Was wir an Hörigkeit den Erwartungen der Welt gegenüber lernen, als Kinder in diesem Schulsystem und später in der Welt aus Studium und Ausbildung, bereitet dich perfekt auf den Puff vor.»

Wir verschießen ständig Potential” Theresa Bäuerlein im Gespräch mit einer Prostituierten bei den Krautreportern. Beim Lesen dachte ich: „Wie spannend, diesen Text sollten vor allem Eltern lesen. Eltern von Jungen und von Mädchen.”

2014-11-04

Jalapeños-Stulle



Am Südstern gibt es seit einiger Zeit Samstag einen Bio-Markt. Der ist klein und übersichtlich aber man bekommt Obst, Gemüse, Blumen, Fisch, Fleisch, Käse, Wurst und Brot regionaler Güteklasse. Auch steht dort der Wurst-Grill mit den feinen Bambergern, die meiner Meinung nach zu den besseren Rostbratwürste in dieser Stadt gehören. Auf diesem Markt gibt es keine Hektik, die Verkäufer sind freundlich, man kennt sich – es ist halt Markt. An einem Stand gibt es die üblichen türkischen Käsepasten. Ich habe dort noch nie ein Stückchen Brot mit einer der Crémes hingereicht bekommen, ohne diese dann nicht auch kaufen zu müssen. Müssen, weil es mir der Geschmack befiehlt, nicht der Verkäufer. Die Rote Beete-Créme mit Meerrettich ist legendär. Und neulich gab es eine Frischkäsepaste mit Jalapeños. Mit der schmiert man sich gutes mexikanisches Feuer auf die Berliner Graubrotstulle, sie ist wirklich scharf! Aber es ist eine gute Schärfe, die beim Essen vorherrscht, später aber wieder schnell abflacht.

Gegenüber vom Markt die Lillienthalstraße hinein, gegenüber dem Eingang zur Hasenheide, liegt eine kleine italienische Salumeria, wo es italienische Wurst, Käse, Antipasti an der Frischtheke gibt. Ansonsten italienischen Kaffee und frisch gemachte Ravioli. Dort kaufe ich immer das Mehl für meinen Nudelteig ein. Das Mehl kostet dort einen Euro weniger als bei den anderen Szene-Italienern im Bezirk. Außerdem glaube ich persönlich, agiert dort der reizendste italienische Verkäufer der Stadt. Schon wegen ihm kaufe ich mein Mehl dort und nirgendwo anders.

Wieder zurück zum Marktplatz und hoch gelaufen in die Gneisenaustraße liegt auf der rechten Seite kurz vor dem Soluna eine kleine französische Épicerie, wo man gute französische Fenchel-Salami bekommt, und den perfekten Kaffee nach einem Marktbesuch trinken kann. Und, bei Bedarf und Sonnenschein, einen sehr feinen französischen Birnen-Cidre. Dieser Laden ist eine kleine Apotheke aber wenn man hinein geht, glaubt man, man ist jetzt und in diesem Moment in Frankreich, so typisch riecht es dort nach Épicerie.

Und wer noch nicht genug hat, den zieht es weiter bis zur Marheinekehalle, da ist jetzt Samstags mindestens so der Teufel los wie in der Markthalle IX.

2014-11-03

Sherlockiges

Die liebe Melody spülte gestern diesen extraordinären Link zur britischen Elle in meinen Facebook-Account. Ein Interview mit Benedict Cumbertatch einschließlich einer wirklich hervorragenden Fotostrecke von Marc Horn fotografiert. Und weil heute Montag ist und überhaupt und so und wir auch mal schöne Dinge sehen möchten … enjoy it!

Krähenscouts

2014-11-02

Get a real life!



Wir kennen alle diese Aufforderung derer, die nicht verstehen können/wollen/dürfen, warum man den Tatort nur gemeinsam mit seiner Twitter-Timeline gucken möchte. Warum man sich überhaupt mit all diesen Gestalten in diesem Internet abgeben muss, hat doch das Leben da draußen viel mehr zu bieten und und und …

Ich habe schon in der Vergangenheit und könnte es auch weiterhin in der Zukunft so viele Gründe aufzählen, warum das alles, was wir hier so treiben auch sinnvoll ist und und was uns diese Online-Freuden und -Freunde alles geben. Eben – bleiben wir doch beim Geben:

Ich folge auf Facebook einer jungen Dame C. aus Wien. Wenn ich es richtig erinnere, lernten wir uns über den üblichen Premiumcontent (hier: irgendwas mit einem zugelaufenen Kater) kennen, der einen unvermutet zusammen treibt. Diese junge Dame schreibt gelegentlich über ihre Arbeit in einem Sozialheim. Einem Ort, wo Menschen untergebracht sind, die … nun, nennen wir es anders sind als andere Andere. Die sich eine eigene kleine Welt gebaut haben, dieser Gesellschaft auf ihre eigene Art viel geben auch wenn diese Gesellschaft das nicht immer so verstehen will. Manchmal, wenn C. ein wenig Überlast hat im Job, nach stundenlangen Schichten mit Überstunden und kaum einer Pause, dann kompensiert sie diese Überlast in dem sie ihren Alltag in Facebook für einen kleinen Freundeskreis herunter schreibt. Mit wenig Punkten und kaum Absätzen. Alles einfach raus! Das liest sich natürlich oft sehr lustig, dann bedrückend, manchmal nachvollziehbar und am Ende bin ich tief beeindruck davon, dass C. diesen Job offensichtlich mit viel Hingabe betreibt und tatsächlich sehr liebt. Sie schreibt voller Hochachtung von den vielen Gestalten um sie herum, die ganz besonders ticken. Sie liebt ihre Patienten, so anstrengend die sicherlich sind. Und das tut gut zu lesen.

Einmal berichtete C. von Herrn k. Sie erzählte sehr liebevoll von Herrn k. Ein feiner, sehr stiller Mensch, dem das Leben keine schönen Bälle zuspielte. Nur solche Bälle, die ihn auf der Straße leben ließen; die ihm wenig Glück brachten. Herr k., so schien es den Erzählungen nach, war keiner, der es je gelernt hatte mit dem Finger auf sich zu zeigen und etwas Glück auch einmal für sich einzufordern.

Nun war Herr k. sterbenskrank, sein Ende absehbar. Und C. beklagte in FB ihre Traurigkeit darüber, dass sie in Wien im Sommer keine Mandarinen bekommen konnte. Diese, so hatte Herr k. ausnahmsweise einen Wunsch für sich geäußert, wollte er so gerne noch einmal essen wollen. Die Möglichkeit, dass Herr k. noch den Beginn der neuen Mandarinensaison erleben würde, schien eher nicht gegeben. Und C., die in ihrer Freizeit versucht hatte, die Frucht in Wien zu bekommen, bekam sie nicht und es wollte sie ihr auch niemand bestellen. Diesen Frust ließ C. nun in FB raus.

So meldeten Frau C. (ais Norwegen) und ich uns gleichzeitig in den Kommentaren. Frau C. aus N. schrieb, sie wüsste wohl, wo es in Norwegen Mandarinen auch im Hochsommer gäbe. Ich wiederum schrieb, dass ich sicher sei, ich würde diese in Berlin – allerspätestens im Kaufhaus des Westens – besorgen können. Frau C. aus N. und ich einigten uns, dass ich erst einmal gucken würde, denn ein Päckchen nach Austria ist von Deutschland aus zwar immer noch im Porto unverschämt teuer, womöglich aber günstiger als von N. nach A.

Tatsächlich wurde ich hier schnell fündig, schon in Neukölln. Zwei Säckchen der begehrten Früchte wurden eingekauft, und in einem Päckchen mit etwas Schokolade an die Leitung des Heimes (Herr k. blieb für uns die ganze Zeit korrekt anonym) mit einer Karte verschickt. Und C. (aus A) kündigte unser Paket bei der Heimleitung an, damit nichts schief ging. Frau C. aus N. und ich teilten uns die Kosten.

Kurze Zeit später setzte uns C. in Kenntnis, dass das Päckchen angekommen sei und Herrn k. froh gestimmt hatte. Etwas peinlich berührt wohl auch, weil es um ihn ging; was er nicht gut aushalten mochte in seiner zurückhaltenden Art. Herr k. hatte seine Mandarinen.

Ich muss dieser Tage oft an Herrn k. denken. Jetzt, da es wieder überall Zitrusfrüchte aller Arten zu kaufen gibt, vermute ich Herr k. ist seinen Weg mittlerweile zu Ende gegangen. Dass wir ihm seinen Wunsch erfüllen konnten, macht mich froh, war es doch auch überhaupt nicht schwer. Wir mussten nur von seinem Wunsch und den Schwierigkeiten von C. ihm diesen zu erfüllen, erfahren.

Und das haben wir. Das konnten wir. Weil es eben dieses Internet gibt.

Und damit mein herzliches Dankeschön an alle Menschen, die dieses Internet benutzen, um gute und schöne Dinge für andere Menschen zu tun!

Schuld und Freude

Die Frau engl schrieb eindringlich und wahr über das Leben, Armut, Reichtum … ach, lest selbst!

geld ist eine macht. eine seltsame macht. es maßt sich an, menschen wert oder unwert zu machen.

2014-10-31

Wann immer Ihr glaubt, …

… diese Menschheit hat doch noch eine Chance und ist zu etwas nütze, einfach auf die Seite eines Haustierlieferanten gehen und sich das Produkt „Dosenfutterlöffel piko” ansehen. Dann den Preis. Und dann die Kommentare.

2014-10-30

Was Ihr hier seht …



… das ist ein Schokoladensorbet aus 100 % Kakao und 64 % dunkler Kuvertüre. Serviert als Zwischengang nach einem Schollenfilet und vor einer Rindschulter. Einfach so.

Wir sollten viel öfter Schokoladen-Sorbets zwischen den Gängen genießen. Wir wären viel glücklichere Menschen!

Bin immer noch sprachlos.

2014-10-27

Eine lange verfressene Ode an einen Hirsch aus Neuseeland!

Was passiert, wenn ein neuseeländischer Spitzenkoch und ein deutscher Berliner (!) Meisterkoch aufeinander treffen und mit Hirschfleisch zaubern, durfte ich vergangene Woche im „first flor”, dem Sterne-Restaurant des Berliner Hotel Palace erleben.

Zu Tisch gebeten hatte Neuseelandhirsch, die Vertriebsvereinigung von neuseeländischem Hirschfleisch. Neuseelandhirsch lädt aktuell zum dritten Mal zur Teilnahme am „Neuseelandhirsch Young Chefs Exchange Programm”. Vier deutsche Jungköche werden für vier Wochen nach Neuseeland geschickt, erhalten die Chance Land, Leute, Farmertun und vor allem die preisgekrönte Gastronomie zu erleben, denn sie dürfen vor Ort in unterschiedlichen Küchen der Top-Chefs arbeiten und mit der Produktvielfalt, die Neuseeland bietet, Küchenkunst kreieren. Ambitionierte junge Köche, reise- und abenteuerlustig, die im Februar 2015 Zeit haben, könnten sich bis zum 9. November 2014 über die Homepage bewerben.



Matthias Diether (re. i. Bild), gebürtiger Berliner, ist Chef im „first flor” im Hotel Palace Berlin. Dass dieser Mann bonfortionös kochen kann, beweisen nicht nur ein Michelin Stern und 17 Punkte im Gault Millau. Bei seinem Neuseelandbesuch lernte Diether Graham Brown kennen. Brown ist nicht minder verwöhnt mit internationalen Preisen und teilt mit seinen Gästen sein Können und lehrt sie die Raffinesse des Anrichtens in der eigenen Kochschule „The Cookhouse” im neuseeländischen Rangioria. Ganz nebenbei ist Graham auch Farmer, Hirschfarmer. Seine Farmertätigkeit bezeichnet er als Hobby und Ausgleich zu seinem anspruchsvollen Job.

Diese beiden Köche lernten sich Anfang dieses Jahres in Neuseeland kennen waren sich sofort sympathisch und entwickelten am BBQ feine Küchenideen rund um das zarte Hirschfleisch. Und ich war eine dieser glücklichen Gäste, die das Resultat einer jungen Freundschaft nun vollzogen genießen durfte.



Begrüßt wurden wir mit Champagner, wieder einmal der charmante Piper-Heidsieck (dem ich im dritten Gruß aus der Küche in einer gänzlich anderen Version erneut begegnete), einer kurzen Ansprache mit einer hübschen Anekdote von Matthias Diether zu seiner teuersten Orange der Welt. Die Einfuhrbedingungen in Neuseeland sind halt ziemlich strikt.

Das Menü begann mit zwei herzlichen, verheißungsvollen Grüßen aus der Küche des first flor



unter anderem ur-berlinlike mit etwas Aal.



Dem dritten Gruß machte ich im späteren Verlauf des Abends in der Küche einen Heiratsantrag (also dem Gruß und nicht gleich dem Koch!): eine Crème Brûlée von der Foie Gras mit Champagnersorbet.



Eine kulinarische Begegnung, die ich wirklich nicht hätte missen wollen. Die war so … hach!



Gunnar Tietz, Chef-Sommelier (Sommelier des Jahres 1012) verwöhnte uns zu den Gängen mit sehr feinen Weinen, vor allem aber mit einer Herzlichkeit, die so schnell nicht überboten wird.



Der erste Gang, von Matthias Diether zubereitet, ein mariniertes Neuseelandhirschfilet mit Pilzen und Kürbis.



Beachtet das schwarze Esspapier im Foto: das war Pilzaroma pur. Fein aromatisierte Fichtennadeln und ganz zartes Fleisch schmiegte sich an die Zunge. Dazu gab es einen, passend zur Historie des Hauptstädtchens einen 2012er Riesling „Auf der Mauer”, Geheimrat Dr. von Bassermann-Jordan aus der Pfalz. Ein Riesling aus der Magnumflasche (!) begleitete den zweiten Gang, jetzt von Graham Brown gezaubert.



Der Graach Josepheshöfer Riesling, Reichsgraf von Kesselstadt an der Mosel umwarb den teegebeizten und kalt geräucherten Neuseelandhirsch mit roten Beeren. Sehr intensive Geschmacksbegegnungen. Toll!



Nun muss ich gestehen, ich kannte Hirschfleisch bisher nur in deutscher, gutbürgerlicher Variante zubereitet. Entweder als einen deftigen Braten, ein wenig ertränkt in einer dicken Sauce oder als Hirschgoulasch serviert. Immer schmackhaft aber eher von grober Substanz her und im Geschmack omnipräsent. Das liegt mit daran, dass Hirsche hierzulande in der Brunftzeit geschossen werden, dann also, wenn sie voller Testosteron stolz die Wälder durchschreiten und ihre Rehe glücklich machen. Hirschfleisch aus Deutschland steht für einen dominanten Haut Goût, den ich mag. Ich verstehe aber auch, dass andere Menschen den Wildgeschmack nicht mögen.

Die Hirsche auf den neuseeländischen Farmen hingegen werden auf riesigen Weiden gehalten, ernähren sich ausschließlich von Gräsern und Blättern und reinem Wasser aus der Natur. Zugefüttert wird allenfalls in sehr kargen Wintern mit Heu, Rübe oder Grünkohl, das die Farmer übrigens selbst für ihre Tiere anbauen. Die Hirsche werden dort nicht in der Brunftzeit erlegt und generell auch nicht gejagt. Das Fleisch, das von Neuseeland nach Deutschland exportiert wird, ist höchstens 12 bis 18 Monate alt. Es ist ganz zart und mild, der Geschmack ist zurückhaltend, aromatisch, fast ein wenig süßlich. Das Fleisch vom Neuseelandhirsch drängt sich förmlich auf einer fantasievollen und abwechslungsreichen Küche zu Diensten zu sein. Interessanterweise funktioniert es auch dort, wo man Fisch erwarten könnte.

Ich war also bereits nach den ersten beiden Gängen von der Andersartigkeit und Vielfalt überrascht. Angenehm überrascht. Vor dem nächsten Gang trieb es mich in die Küche, denn beide Köche hatten meiner Bitte nach Bildmaterial vor Ort sofort zugestimmt.



Während Graham Brown für den nächsten Gang, Neuseelandhirsch und Shiitake Gyoza mit Pak Choi, das Fleisch in Tranchen schnitt, zeigte uns Matthias Diether



den Star des übernächsten Ganges:



Lange Rede: ich weiß nun, wo das Trüffelglas steht im first flor. Kurze Rede: ich habe die Macht!

Zurück im Restaurant, wir durften exklusiv im Salon La Tâche im Séparée speisen, servierte Gunnar Tietz einen Spätburgunder Rechtenbacher von 2010 und sein Team uns den Hirsch mit Pak Choi in einem wundervollen Gebilde.



Clou dieser Präsentation, die feine Sauce befand sich im Gyoza und verteilte sich am Tisch über die – wie Sashimi aus Thunfisch zubereiteten – mit Sesam umhüllten Tranchen vom Hirsch und den Pak Choi, der extrem elegant von in Salzlake eingelegter grüner Gurke umschmeichelt wurde.

Da Graham Brown uns für diesen Abend sein Können ausgiebig zelebriert hatte, entschwand er der Küche zu uns an den Tisch, genoss mit uns den zweiten Hauptgang von Matthias Diether – und stellte sich dabei unseren Fragen.



Lucky me, dass der einzige Gast, der diesem Abend fern geblieben ist, neben mir hätte sitzen sollen. So hatte ich die Freude Graham Brown die restlichen Gänge an meiner Seite zu wissen. Der ist nämlich nicht nur ein wundervoller Koch, der ist auch ein ganz reizender Mensch, der natürlich unzählige Anekdoten aus Küchen in aller Welt zu berichten hatte. Übrigens hatte ihn seine Liebe zur Wissenschaft in die Küche getrieben. Er kommt da ganz nach seinem schottischen Vater, einem Wissenschaftler, der ihn aber anhielt sich anstelle mit Forschung lieber mit einem ehrbaren Beruf über Wasser zu halten. Da Chemie und Physik in der Küche keine fremden Variablen sind, lag eine Ausbildung als Koch dann nahe. Die absolvierte Graham Brown übrigens ins Australien.

Das war ein besonders schöner Teil des Abends, der dieser Mann erzählte voller Liebe zu dem, was er da tut und – und eben auch selber produziert!

Der erste neuseeländische Wein des Abends, ein Pinot Noir Block B (Block B würde ich ja sehr gerne einmal kennenlernen!) Schubert Winery aus der Region Wairarapa von 2011, begleitete dann den letzten Neuseelandhirschgang: Zweierlei vom Neuseelandhirsch, Sellerie und Pumpernickel.



Dieses unglaublich zarte Filet zierte dann der weiße Trüffel.

Von der Vielfalt dieser Gänge war ich mehr als beeindruckt. Vor allem wie unbekümmert Hirsch die Hürde zur asiatischen Küche stemmt, empfand ich spannend und kreativ; mich hat’s wirklich begeistert! Also: serviert und kocht ruhig öfter Hirsch! Sein Fleisch bietet so viel Variationsspielraum und Möglichkeit zur kreativen Entfaltung. Es kann hier Rind locker seinen Platz streitig machen. Davon abgesehen ist Neuseelandhirsch ein sehr mageres Fleisch mit einem hohen Eisengehalt, dabei ist es arm an gesättigten Fettsäure und Cholesterin.

Und man kann sich auch guten Gewissens hier an das Fleisch aus der anderen Welt wagen. Deutschland hat einen höheren Hirschfleisch-Verbrauch als selbst bei uns produziert wird, wir importieren bei einem Gesamtverbrauch von 30.000 Tonnen jährlich 10.000 Tonnen Fleisch anderen europäischen Ländern, – und weiterhin 10.000 Tonnen aus Neuseeland. Das Fleisch wird in Neuseeland nach EU-Norm verarbeitet und verpackt und ausschließlich über den Seeweg transportiert. Die Emission an Kohlstoffdioxid ist so gering und das Fleisch kann gemütlich auf seiner Reise nachreifen. Übrigens wird das Fleisch nicht automatisch tiefgefroren. Die Reifung erfolgt vakuumverpackt, so hält es sich über Wochen frisch.



Das Küchenteam vom first floor führte mit einem feinen Gruß aus der Dessertküche den Abend nun in die Zielgerade, begleitet von einem extrem – fast auf Eisweinniveau – runtergekühlten Champagner, wieder aus dem Haus Piper-Heidsieck. Spannend einen Champagner so kalt zu trinken, in dem Moment auch überzeugend.



Matthias Diether schloss die Tore unseres Ausflugs zur Hirschweide mit einem sehr kreativen Dessert: einem Waldspaziergang. Er zauberte einen erdigen Fußbadruck auf den Teller mit Beeren, Ahorn und Nussaromen, denen er ein Steinpilzeis und hier und dort auch ein Stück desselben unterschmuggelte. Das war in der Runde gefühlt der am kritischsten diskutierte Gang, eben wegen der Anwesenheit des Steinpilzes. Ich fand ihn reizvoll und zum Thema absolut stimmig – ein perfekter Abschluss.

Ein toller Abend, eine reichhaltige intime Begegnung mit dem Hirschen von weit her. Wunderschön ins Szene gesetzt auf feinsilbig klingendem Service. Wir wurden verwöhnt von einem perfekt harmonisierenden Team. So talentierten Köchen bei der Arbeit zusehen zu dürfen – dieses Ergebnis dann auch genießen zu dürfen, das ist einfach ein besonderes Glück!

Ach, und diese Crème Brûlée … und Neusseeland. Ich fürchte, ich möchte jetzt nach Neuseeland!

2014-10-25

Es gibt …

… Kohlrouladen, Baby!

Einsicht

Der den Sommer im Garten verbringende Nachbar ist nun zurück gezogen und räumte diese Woche die Balkonmöbel in den Keller. Er erkläre mir gegenüber den Sommer für beendet. Ich kommentierte das im Stillen mit „Weichei”.

Gestern stand ich mit Nachbarn und Hund draußen und übte mich wieder im Ball werfen, da machte sich nach einiger Weile ein Gespür von leichter Unterkühlung breit. Da leistete ich dem Nachbarn Abbitte, wieder im Stillen, und resignierte. Meine Balkonmöbel überwintern trotzdem draußen, die sind doch nicht aus Zuckerwatte.

So wusch ich gestern die Winterjacke. Jetzt waschen die Rollkragenpullis (my love) und Handschuhe. Als nächstes dürfen sich die winterlichen wollenen Röcke und Schals drehen. Nishia liegt gerade glücklich auf ihrem/meinem XXL-Lieblingsstrickschal.

Überlege außerdem bereits jetzt die Weihnachtspyramiden-Installation durchzuführen. So hat man doch gleich viel länger etwas von der Weihnachtszeit. Denn was Supermärkte können, kann ich auch!

Ach!