2023-04-07

Frauengespräche

Neulich war ich im Kramladen (TKmaxx), schlawendelte durch die Kofferabteilung (ich mag Kofferabteilungen, keine Ahnung warum) und da rannte ein Kind rum. Sehr zielgenauund ohne einen anzurempeln. Aber rannte halt rum. Und ich dachte bei mir: „Kind, was rennst du hier so rum?” Und plötzlich bog das Kind von der einen Seite um die Ecke, um die ich gerade von der anderen Seite bog und dann guckten wir uns an, danach fielen wir uns in die Arme. Es war meine Großcousine.

Das Rumgerenne, wie sich später heraustellte, als Kompensation, um dem familiären Kofferdiskurs zu entgehen. Drei verschieden farbige Koffer gegen drei andere verschiedenfarbige Koffer – für das eine Set hegte die Großcousine (und Cousine) Zuneigung. Für das andere der Großcousin. Der ein bisschen schmollte, weil die Chancen für ihn nicht gut standen.

Dass erst das eine Set (Großcousine) gekauft wurde, um es wieder umzutauschen und dann das andere Set gekauft wurde (Großcousin) lag dann an den Henkeln. Das merkt man manchmal erst, wenn man den halben Laden durchschritten hat.

Jedenfalls ist die Familie mit Koffern versorgt und wir gingen Kaffee trinken.

Letztes Jahr hatte ich der Großcousine zur Einschulung ein Taschenmesser geschenkt. Kein Kindermesser mehr, sondern eines für das ganze Leben, wenn sie darauf aufpasst. Das legendäre Taschenmesser aus der Schweiz in rot mit Korkenzieher, Schraubendreher und Schere. Das gleiche Messer hatte ich mir auch zum Geburtstag gewünscht und geschenkt bekommen. Schwarz. Dann kommt es nicht zu Verwechselungen. Gleiche Konfiguration. Hatte mich sofort daran geschnitten.

Jedenfalls fing Großcosuine mit mir ein fachmännisches Taschenmessergespräch an. Ob ich auch eines hätte. Ob ich es dabei hätte. Ob meines auch eine Schere hätte u.s.w.

Ich glaube, sie findet das gut, das mit dem Taschenmesser. Und wird nicht so schnell vergessen, von wem sie es hat. Tolle Maus!

2023-04-02

Die Salinen des Dolce Sale di Cervia

Meine erste Begegnung mit dem Dolce Salce di Servia hatte ich bei einem Geschmackserlebnis während meines ersten Ausflugs in die Emilia Romagna nach Misano Adriatico. Auf dem Filetsteak im Restaurant Il Mulino schmeckte ich dieses köstliche Salz, das eine eigene kleine Hauptrolle auf dem Teller für sich beanspruchte, sodass ich unbedingt wissen musste, was es für eines war. Ihr erinnert euch vielleicht?

Ihr könnt euch also vorstellen, wie begeistert ich über die Aussicht war, dass während der Reise nach Ravenna ein Ausflug nicht nur nach Cervia in die Stadt des Salzes geplant war, sondern vor allem ein Ausflug in die dazu gehörigen Salinen! Hier ermöglicht ein Verein interessierten Besuchern das Begehen der historischen Salinen.

Es war für mich nicht nur ein sehr lehrreicher, sondern ungemein charmanter und friedlicher Ausflug. Zwar waren die Felder zu dieser Jahreszeit bereits abgeerntet, die regenfreie Saison ist spätestens im Oktober vorüber, da muss das Salz eingebracht sein. Aber der Aufenthalt hier war wunderschön und ich kann ihn nicht nur Salz-Enthusiasten empfehlen. Weite, Farbspiele, Ruhe und in der Weite unendlich viele Flamingos, beim richtigen Sonnenstand ist diese Landschaft in so schönes Licht getaucht! Und: Ornithologen kommen hier sehr auf ihre Kosten.

Warum ist Sale di Cervia so besonders?

Nun – es ist das „Il Sale dei Pape”! Ist in Ländern mit Monarchien das beste Prädikat, das ein Produzent bekommen kann, Hoflieferung zu sein, ist es hier der Vatikan. Italien halt. Wer Salz verschenkt in Italien, wünscht der/dem Beschenkten übrigens Glück und Wohlstand.
Dolce Sale di Cervia ist es ein sehr mildes Salz. Die Art der frühen Ableitung vom Meer sorgt dafür, dass viele Bestandteile üblicher Salze hier nicht mehr zum Tragen kommen. Diese Bestandteile geben Salzen im Abgang die bittere Note. Da sie hier fehlt, schmeckt das „Dolce Sale di Cervia” tatsächlich rund und beinahe süß – und ergänzt Essen auf eine umschmeichelnde Weise, wo andere Salze einen Kontrast generieren.
Durch frühzeitige Messung des Salzgehaltes im ursprünglichen Meerwasser in der ersten Verdunstungszone, Moraro, wird das Wasser ab einem Gehalt von 3,5 Grad Baumé über Wochen auf die immer kleiner werdenden Felder umgeleitet, mit klanghaften Namen wie Gaitone, Lavorieri, Corboli und Salanti. Mit dieser frühen Ableitung (Cervese) erreicht es eine Konzentration von maximal 26/28 °­Bè. Geerntet wird es aus den kleinen Feldern, den Cavedini, die nur noch 32 Quadratmeter groß sind. Aufgrund dieser frühen Begrenzung im Salzgehalt wird die Ablagerung anderer Substanzen verhindert, die dem Salz den sonst üblichen bitteren Nachgeschmack verleihen. So bleibt dieses Salz sehr mild, beinahe süßlich und besonders im Geschmack.

Ach ja: Für alle, die sich, wie ich, in Physik lieber unten im Schulfoyer einen heißen Kakao gezogen haben: Baumé ist die altertümliche Grad-Einteilung des Beaumé-Ärometer zur Dichtebestimmung nach Antoine Baumé benannt. Wird heute nur noch in der Nahrungsmittelindustrie verwendet.

Abgepackt wird Sale di Cervia in zwei Varianten: Grosso (grob) in der blauen Verpackung und in der roten Verpackung in Medio Fine (mittelfein). Üblicherweise kann man das Kilo in Plastikverpackungen verpackt einkaufen. Es gibt aber auch die netten Geschenkverpackungen in den Jutesäckchen mit meist weniger Inhalt für – Überraschung – mehr Geld. Wer gerade nicht in der Emilia Romagna weilt, diverse italienische Onlineshops haben es mittlerweile im Sortiment, das große A. sowieso. Ich empfehle Medio Fine, es ist noch ausreichend strukturiert, um auf dem Steak sichtbar zu sein.

Das „Sale dei Pape” ist übrigens 2004 als Slow-Food-Produkt anerkannt!


Die Historie der Salinen di Cervia

Allererste Erwähnung in Dokumenten stammen aus dem 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. Sie beschreiben erstmals die Bedeutung des Ficolense-Gebietes. Das Gebiet der Salinen direkt in der Nähe der Küstenlinie, liegt heute gut zwei Kilometer von der Adria entfernt. Dünen und Schwemmland und sehr lehmhaltiger Boden trennten das Meer von der Staatsstraße „Adriatica” und hier entdeckte man zur Zeit der Römer, dass sich die im Sommer absetzende glitzerne Substanz gleichzeitig sehr würzig schmeckte.
Erstmals offiziell wird Cervia und dessen Salzproduktion im Jahr 1000 n. Chr. erwähnt. Es existieren heute zwei Pergamentrollen von 1192 und 1194, die deutlich machen, dass ein Mönch der Abtei Santa Maria di Marola, Don Guido, zwei Salzsalinen besaß und mit diesen alle Mönche in der Region – damals nur Emilia – mit Salz versorgte.

„Weißes Gold” nannte man damals das Produkt aus dem Meer und die Region, die es schöpfen konnte, galt als reiche Region und war dementsprechend hart umkämpft bis in das 20. Jahrhundert. Cervia unterstand in den Jahren den Herschafften der Da Polenta (1285-1371), der streiwütigen Malatesta (1383-1463), der damaligen Republik Venedig und die Kirche wollen wir auch nicht außer Acht lassen. Der Kirchenstaat verdiente sehr gut am Salz bis zur Vereinigung Italiens, dann traten die Salinen in den Besitz des Staates über.

1959 wurde die Art der Salzproduktion industrialisiert. Die ehemals 148 kleineren Salinenbecken, die von Hand und mit Geräten wie Ghévar, Forabus und Cariòl im Dialekt genannt beerntet wurden, legte man zusammen und sie wurden nach der sogenannten französischen Methode nur noch einmal im Jahr mit großen Gerätschaften geerntet. Die Handkarren wurden durch einen kleinen Zug ersetzt, Arbeitskräfte spezialisiert, anderen dagegen eingespart – das übliche Dilemma.
Im Jahr 1994 wollte der Staat die Salinen sogar ganz schließen – die Produktion schien nicht mehr kommerziell attraktiv. Nicht so lukrativ wie es sicher gewesen wäre, das attraktive Gebiet am Meer den Bauspekulanten für den sich gerade sehr erfolgreich entwickelnden Strandtourismus zu überlassen. Was man in Cervia wohl schon Jahre früher hatte kommen sehen, sodass man das Gebiet 1971 in das RAMSAR-Abkommen in Feuchtzonen von internationaler Bedeutung aufnehmen ließ, 1979 wurden die Salinen zum Tierschutzgebiet erklärt und 1988 als südliche Destination in den Regionalpark des Po-Deltas aufgenommen.

Gegen das Vorhaben, die Salinen nun endgültig zu schließen, liefen die Cervianer Sturm und engagierten sich für den Erhalt des Gebietes, in dem Wunsch, die wichtigen ökologischen Aspekte ihrer Region zu erhalten. Aber vor allem kämpften sie dagegen, dass man ihnen die historisch gewachsene Identität und Geschichte nehmen wollte. Man entwickelte Konzepte, die Salinen zu erhalten und in ein Projekt zu überführen, das ihren naturalistischen, ökologischen und auch didaktischen Wert in die Zukunft hinein sichern sollte. Dass nebenbei die Region um Cervia auch immer mehr für den Tourismus interessant wurde, spielte hier natürlich mit hinein.

2003 trat der italienische Staat die Verwaltung des Gebietes an die Gruppo Culturale Civiltà Salinara ab und erlaubt ihren (oft ehrenamtlichen) Mitarbeitern in geregelter Menge das Salz di Cervia zu schöpfen. Und auch weiterhin Schlamm und Meerwasser für die Thermalbäder abzuführen.


Saline Camillone

Das Gebiet der Saline 89 von den insgesamt 148 Salinen – bevor es zu ihrer Zusammenlegung kam – ist heute die Saline Camillone. Sie ist das Add-on zu dem Museo del Sale, MUSA, in Cervia und wird vom Kulturverein mithilfe vieler engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiter bestellt. Es ist ausgerechnet die Saline, die von allem am schwierigsten zu beernten ist, heute das Freiluft-Museum vom MUSA.
Auf einer Gesamtfläche von 23.570 Quadratmetern wird das Salz nach der Methode „cervese”, wie oben schon beschrieben, immer weiter in die Felder umgeleitet, bis es in den kleinsten Feldern, der sogenannten Ausblühfläche, geerntet wird. Getrennt durch einen Entwässerungskanal, der das Wasser wieder zurück ins Meer leitet – und auf dem die Besucher in Booten an die Saline gefahren werden.
Je näher das Wasser in den Feldern steht in denen die Ernte erfolgt, desto mehr nimmt es an rosa Färbung zu. Der Grund ist die einzellige Alge Dunaliella Salina. Sie wächst mit dem Salzgehalt und bildet unter der Sonneneinstrahlung β-Carotin aus.
Davon nicht wenig, immerhin 5-15 % ihres Trockengewichts. Da sie auf dem Speiseplan von Garnelen und Flamingos steht, kommt die rosa Färbung der Schale (Garnele) und dem Federkleid (Flamingo) nicht von ungefähr. Ihr findet Dunaliella Salin übrigens häufig in eurer Kosmetik oder in Nahrungsergänzungsprodukten.

Nach historischem Vorbild Salz ernten!

Die Arbeiter schöpfen hier noch barfuß bzw. in Badelatschen und tatsächlich ausschließlich von Hand. Sie arbeiten mit den alten Gerätschaften, die ich schon in dem Blogpost zum Museum zeigte, und tragen die Ernte in Holzkörben zur Sammelstelle. In der Erntezeit Mitte Juni bis Mitte September kann man sich am Besucherzentrum anmelden und wird in Gruppen mit einem Salzarbeiter auf die Saline geführt, wo die Salzproduktion genau erklärt wird.
Wer immer schon einmal Salz selber ernten wollte (wie ich), kann dies sogar auch tun für einen Tag (Terminabsprache) und gegen eine Spende. Bequeme, leichte und vor der Sonne schützende Kleidung ist dann unbedingt empfohlen – von einem Salzbauern bekommt man gezeigt, wie die Ernte vonstattengeht. 50 bis 200 Tonnen Salz Jahresernte wollen schließlich in den Handel gebracht werden!
Nach der Ernte wird das Salz einfach gewaschen und zentrifugiert für die Trocknung. Es ist daher nicht ultraweiß. Aber so erhält es alle Bestandteile und Spurenelemente der Adria. Der restliche Feuchtigkeitsgehalt liegt bei 2 %, wenn es also in der Verpackung nach einiger Zeit härter wird: Das gehört sich so und ist mit etwas Krafteinwirkung wieder verschwunden. Es ist halt pur ohne Rieselhilfe, ein Qualitätsmerkmal.

Salina Camillone
via Salara
48015 Cervia (RA)
musa@comunecervia.it
web: Salina Camillone

Musea Del Sale Di Cervia
via Nazario Sauro, 24
48015 Cervia (RA)
musa@comunecervia.it
web: MUSA

Cervia – Vielfalt an der Adria
Ravenna – einfach köstlich!
Die Sehenswürdigkeiten von Classe

2023-03-27

Cervia – Vielfalt an der Adria

Ravenna als Ausgangspunkt zu nehmen in die vielfältige Umgebung, das bietet sich einfach an. Ob mit dem Auto oder der Bahn, viele attraktive und geschichtsträchtige Orte wie Cervia, Milano Marritima, Comacchio und Classe sind in kürzester Zeit erreicht.

Heute geht es nach Cervia! Die Stadt fließt entlang eines neun Kilometer langen Strandes. Muscheln sammeln, jede Art von Wassersport oder einfach nur in der Sonne liegen und baden gehen – typischer italienischer Badeflair wird hier geboten. Wem das zu gemütlich ist: Radsport ist in Cervia und Umgebung das bewährte Fortbewegungsmittel im Urlaub. Es gibt Radwege von 150 bis 300 Kilometern Länge. Auf Wunsch im Hinterland auch mit charmanten Anstiegen. Das ganze Jahr über feiert Cervia diverse Sportereignisse, die zum Mitmachen oder nur Zugucken einladen, z.B. der Ökomarathonlauf, Ecomaratona del sale; Radrennen, Granfondo via del sale Cervia u.v.m.


Cervia – Stadt der Salinen

Cervia ist vor allem bekannt als die Salzstadt der Emilia Romagna. Von hier stammt das süße Salz von Cervia. So locken nicht nur der kilometerlange Strand sondern auch Salinen, in denen das Salz der wunderschönen Adria geerntet wird. In den unterschiedlichen Stadtbereichen Cervias kann man sich auf vielfältige Weise die (Urlaubs-)Zeit vertreiben, Museen, die über die lange Historie der Region aufklären, Kunst auf den Straßen, Mosaike sind auch hier immer wieder als faszinierende Kunstform zu finden. Die vielfältige Küche der Emilia Romagna muss ich wohl nicht erst erwähnen.


Pinarella und Tagliata

Südlich von Cervia gelegen findet man einen sicheren, weil in der Saison gut bewachten Strand (ausgezeichnet mit der blauen und grünen Flagge) mit unzähligen vielen Sport und Spielmöglichkeiten auf dem Meer oder am Strand: Pinarella. Im Namen ist nicht ohne Grund Pino, die Pinie, angedeutet, denn an diesem Strand schließt ein heute nur noch 240 Hektar großer Pinienwald an, den sich Pinarella und ein weiterer Ortsteil von Cervia, Tagliata, teilen.
Im Sommer spenden die Bäume in der Hitze Schatten und Kühle, ein Trimm-Dich-Pfad lädt zum Sport ein und ein Verein stellt bei Bedarf auch Wanderführer an die Seite, die Familien und Kindern die Geheimnisse des Waldes erklären. Zum Meer hin wurden Strandkiefern und Olivenbäume gepflanzt. Nun schützt er die dahinter liegenden Häuser vor den starken Winden des Meeres. 1977 ist Pinarella zu einem Naturschutzgebiet erklärt worden. Heute wachsen hier auch Eichen, Kiefern, Eschen und Ulmen und Sträucher wie Wacholder, Mäusedorn, Weißdorn und Wildblumen. Während sich im Wald Fasan, Bussard, Eule, Käuzchen, Igel, Wiesel und Otter „Gute Nacht!“ sagen. Besucher können hier unter Berücksichtigung auch Kajak fahren und auf bestimmten ausgewiesenen Strecken Rad fahren.
Der Ortsbereich Tagliata bietet neben Strand und typischen Köstlichkeiten der Emilia Romagna für die jüngsten Besucher den Parco Lento, ein Spieleparadies mit neun Themenbereichen, wo sich die Kinder richtig austoben können.


Die Gartenstadt Milano Marittima
Nordöstlich in Cervia liegt Milano Marittima. In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts war Cervia eine typische kleine Stadt, in der die Menschen sich ihr Geld mit der Fischerei und Salzproduktion verdient haben. 1882 entstand eine erste Badeanstalt, man wurde sich zunehmend der heilenden Wirkung des Salzes und somit der finanziellen Attraktivität der Thermalbäder bewusst. 1884 wurde Cervia daher in das italienische Bahnnetz integriert und konnte direkt von Ravenna angefahren werden, im Jahr 1889 wurde diese Strecke auf Anschlüsse an die Orte Ferrara und Rimini erweitert.
Cervia definierte einen Teilbereich des Strandes – im Zusammenschluss mit den wohlhabenden Bürgern Mailands – für den Tourismus und so konnte sich die Mailänder Bohème am Strand einen eigenen Badeort schaffen: Milano Marittima. Die Lungomare ist zu unserer Reisezeit im Oktober längst von ihren Sonnnenstuhl- und schirmanlagen befreit und wenn jetzt gestählte sportliche Körper für den Ironman aus dem Wasser entsteigen, um noch ein bisschen auf dem Sand zu joggen. Das Auge isst am Meer eben immer irgendwie mit.
Die »Società Milano Marittima per lo sviluppo della spiaggia di Cervia« gründete sich 1911, um die Entwicklung des Strandes und der Bauvorhaben nicht allzu entgleisen zu lassen. Zu dieser Gesellschaft gehörte Giuseppe Palanti (1881-1946) aus Mailand, der ein bekannter Kostüm- und Bühnenbildner im Teatro alla Scala Milano war – und als Multitalent nicht nur als Porträtmaler, Illustrator und Plakatmaler einen Ruf über Mailands Grenzen hinaus hatte. Hier in Milano Marittima tat er sich erstmals als Stadtplaner hervor. Er war begeistert von der Theorien des englischen Stadtplaners Ebenezer Howard, der als Begründer der Gartenstadt gilt.
Seiner Idee nach sollte sich Milano Marittima von einer Vorstadt Cervias zu einer eigenständigen Stadt möglichst im gemeinschaftlichen Besitz (zur Vermeidung von Spekulationen) entwickeln. Dabei wurde auf die bestmögliche Beibehaltung des existierenden Pinienwaldes geachtet. So ist Milano Marittima heute eine kleine Stadt am Strand, mit hübschen, oft gut restaurierten kleinen Ferienvillen aus Holz im Jugendstil, derer Straßen erstaunlich grün angelegt sind.
Vor allem die Kreisverkehre sind von Sponsoren wunderschön floral gestaltet und stellen sich jährlich einem internationalen Gartenwettbewerb. Hier und da wird es abstrus, wenn eine ausgemusterte Seilbahngondel auf so einem Rondell herumsteht. Aber als Retter vor Regen im Frühling bestimmt auch praktisch.

Auf jeden Fall lässt es sich hier auch bei hohen Temperaturen im Schatten der Pflanzen angenehm flanieren. Natürlich sind kunstvolle Wasseranlagen und Wege ohne Mosaike hier nicht denkbar. Es ist wunderschön! MIt einem Gelato auf der Hand noch wunderschöner!
Palantis eigene Villa steht heute noch in Strandnähe in der Via 2 Giugno Ecke Via Toti.

Cervia – vom Papst kurzerhand umgezogen

Cervia selber ist eine Stadt in der man sich sofort wohlfühlen kann. In der Adria an der Molo di Ponente Cervia mit ihrem Hafen entspringt der Canale di Cervia.
Entlang seinen Ufern hat sich die Stadt nach einer von Papst Innozenz XII. befohlenen Umsiedlung im Jahr 1697 aus den Salinen heraus zwischen diesen und dem Meer entwickelt. Er wollte damit dem Volk etwas fern ab der Salinen und den dort aktiven, auch früher schon krankheitsübertragenden Stechmücken mehr gesundheitliche Lebensqualität zu geben.
Cervia ist eine Planstadt der Renaissance. Sie wirkt aufgeräumt, erstaunlich weiträumig und offen. Natürlich ist das heutige Centro Storico von ehrwürdigen Stadtmauern umgeben und wirkt wie eine kleine Stadt in der Stadt. Es ist eine große Freude entlang des Kanals spazieren zu gehen und die vielen großen und kleineren Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Wie z. B. den Torre San Michele, in dessen kleinem Oberstübchen geheiratet werden kann.
Auf jeden Fall hat man von hier eine wundervolle Aussicht auf Cervia. Zum Beispiel auf das MUSA, das Museo del Sale, früher Salzspeicher, heute wundervoll restaurierte Begegnungsstätte mit dem Salzmuseum im Seitentrakt und Restaurant bzw. Veranstaltungsgelände. Es führt die Besucher durch die frühe Geschichte dieser Salzstadt mit originalen Unikaten. Es ist umfangreich ausgestattet aber klein genug, um für Kinder ausreichend kurzweilig zu sein.
Auf jeden Fall ist es sehr charmant und liebevoll mit gesammelten charmanten Sammelutensilien rund um das Thema Salz ausgestattet.
Am Ende kann man auch handgeschöpftes unbehandeltes Salz aus Cervia gegen eine Spende mitnehmen.
Aber dem Salz von Cervia und Produktionsort soll noch ein eigener Blogpost gegönnt sein.


Pesce, pasta, Cervica

Man isst hier fantastisch – und natürlich, das wird nicht sehr verwundern, Fisch!
Ein typisches Mittagessen hatten wir in dem schönen Restaurant La Brasseria Borgo Marina in der V.le Nazario Sauro, 100/B, 48015 Cervia – direkt am Kanal gelegen. Köstliche Pasta und Frutti di mare fritto satt und dazu Insalata mista, das war nach unserem Ausflug am Vormittag am Strand genau das Richtige für unsere knurrenden Mägen. Eine reichhaltige, ursprüngliche Küche mit rasend schnellem Service.

Das Abendessen nach der spannenden Führung durch die Altstadt Cervias wird uns im Officine del Sale (Via Evangelisti 2, 48105 Cervia) mehr als reichhaltig serviert. Wir werden sehr herzlich empfangen und dürfen direkt vor der offenen Küche Platz nehmen und der Pastaköchin beim Zubereiten ihrer handwerklichen Spezialitäten zuschauen. Pasta ist hier garantiert hausgemacht! Die Küche schafft mich – wir bekommen nach einem wundervollen Artischockenflan mit einer Sauce aus Squacquerone gleich zwei Pastagänge serviert.
Ich musste da leider passen, dreimal am Tag Pasta schaffe ich einfach nicht. In dem Punkt muss ich noch an meiner italienischen Identifikation arbeiten.
Die Küche erlaubte mir als Alternative noch einen Artischockenflan, was mich sehr glücklich, aber auch nicht weniger satt machte, als die Pasta-Genießer. Die sich sehr begeistert darüber im Officine del Sale äußerten. Es gab für uns alle kein Erbarmen: Schweinerücken mit (fantastischem) Grillgemüse, danach eine Kuchenplatte. Wir sind zum Bus gerollt – nach einem wunderschönen Tag in Cervia. Von dem Flan träume ich übrigens heute noch!
Dabei Cervia lohnt sich auf jeden Fall auch für einen mehrtägigen Besuch. Hier kann man abschalten, genießen, wandern. Hat Strand und Kanallandschaft mit den wunderschönen alten Segelschiffen, die an seinem Ufer ankern. Man kann eine traumhafte Gegend erkunden – ob auf dem Land oder auf dem Wasser. Oder einfach nur stundenlang in einem der Cafés am Kanal sitzen und dem Treiben zuschauen. Echer Italien-Urlaub eben.

Mehr Informationen: Commune Cervia

2023-03-26

Nerven

Gestern habe ich Nerven gezeigt. Habe jemanden auf sehr hässliche Weise seine Grenzen aufgezeigt. Und das Schlimme daran ist: Es tut mir nicht einmal mehr leid.

Ich weiß nicht, ob es euch auch so ergeht, vielleicht ist es ein reines Berliner Ding. Aber in meinem Erleben haben mit der Covid-Zeit die allermeisten Menschen jegliches Benehmen (so sie es denn vorher hatten) an den Nagel gehängt. Und ohne jetzt hier die Männlein/Weiblein-Schiene aufmachen zu müssen – aber ich erlebe schlechtes Benehmen, Ignoranz, Unhöflichkeit vor allem bei den Herren. Was geht eigentlich ab bei euch, Jungs?

Ich bin gerne höflich und erwarte das auch in einem Miteinander. Dass man geschlechterübergreifend sich die Türen aufhält, in Jacke und Mäntel hilft, mit kleinen Aufmerksamkeiten und Taten sich gegenseitig den Tag verschönert. Aufmerksam ist, zur Seite steht. Fürsorglich ist, anderen das Leben hier und da einfacher gestaltet. Aber ich haben zunehmend das Gefühl, ich bin da ein echtes Auslaufmodell. Warum eigentlich?

Dass es offensichtlich eine Selbstverständlichkeit ist, dass Menschen wie ich, anderen Menschen die Tür (noch) aufhalten und dafür nicht einmal mehr ein Dankeschön bekommen, daran ist man in Berlin schon fast gewohnt. Das Einzige, was ich daraus mitgenommen habe, ich halte nur noch sehr ausgesucht anderen Personen Türen auf.

In der letzten Woche habe ich als Rad- bzw. Fußgängerin in drei Situationen AutofahrERn bewusst durch Handzeichen eingeräumt vor mir abbiegen bzw. weiterfahren zu dürfen, habe bewusst an Straßen gewartet – ohne dass ich es hätte tun müssen – damit sie fahren können, ohne stoppen zu müssen. Es gab in keiner dieser Situationen vom anderen Verkehrsteilnehmer ein Nicken oder ein Handzeichen des Dankes. Gut, mir doch in Zukunft egal, wann du die Straße räumen kannst. Ich werde es ab sofort nicht mehr tun und auf mein Recht in Verkehrssituationen bestehen.

Vornehmer Stehempfang neulich anlässlich der ITB. Es gab vereinzelt Stehtische, ein delikates Flying Büfett, ebensolchen Service mit Kellnern, die mit Tabletts umhergingen, um benutztes Geschirr direkt bei den Gästen einzusammeln. Wir stehen zu mehreren Personen am Tisch und essen, der erste Mann schmeißt uns seine benutzte Serviette vor die Teller auf den Tisch. Der nächste ungehobelte Waldschrat stellt – wieder ohne zu fragen – seine benutzten Teller dazu, während gegessen wird.

Der nächste Benimmbrecher trat an den Tisch in eine vermeintliche Lücke, fragte nicht etwa vorher, ob da noch frei sei und machte sich so breit, indem er uns anderen Personen einfach zur Seite drängte – und wir hinterher nicht mehr wussten, welches Glas seines war und welches unseres. Es geht nicht darum, nicht auch andere Menschen an einem Tisch essen lassen zu wollen. Aber seit wann fragt man nicht mehr vorher wenigstens, ob es okay ist? Ob der Platz frei ist? Macht wenigstens am Anfang kurz höflich Konversation – insbesondere in einem Treffen in einem beruflichen Umfeld?

Ich fand es erschreckend. Es ist auch mittlerweile offensichtlich üblich in Restaurationen, dass Stühle einfach von dem eigenen Tisch weggenommen werden ohne zu fragen, ob das okay sei.

Gestern stand ich mittags bei Kaufland in Neukölln (Okay! Drei Fehler in einem Satz: Samstagmittag. In Neukölln. Im Kaufland. Das macht man auch nur, wenn der eigene masochistische Grad sehr frei liegt an dem Tag) an der Selbstbedienungskassenschlange. Ich in der Mitte stehend, als nächste und einzige in der Reihe. Kommt so ein männliches Es, Typ überfüttertes Kronprinzenbaby, angeschlurft und stellt sich seitlich vor mich, mich ignorierend und mir war so klar, was der versuchen würde, sortierte mich schon mal vor ihn, und er stellte sich wieder seitlich vor mich hin. Dann tat er auch prompt bei der nächsten frei werdenden Kasse, was absehbar war, woraufhin ich ihn kurz am Arm packte, an ihm vorbei zog und ihm bestimmt erklärte, dass das Ende der Schlange hinter mir sei.

Und anstatt sich zu entschuldigen, denn er war leider nicht nur überfüttertes Kronprinzenbaby – nachdem er den Mund geöffnete hatte, musste ich nicht nur seine Unhöflichkeit aushalten, sondern auch die Dummheit, die ihm aus dem Gesicht und Mund sprang ertragen – fing er an rumzublöken „Warum ich ihn anfassen würde?“ Antworte ich, „Weil du dich nicht benehmen kannst.“ Dann meinte er diesen typischen Clan-Aggressor raushängen zu lassen, der in Neukölln bei jungen Männern sehr üblich ist und fing an, mich mit seiner Cola-Sucht-Figur körperlich bedrohen zu wollen. Also habe ich mich noch einmal umgedreht, habe mich sehr aufgerichtet (anderthalb Köpfe über seinem) und habe nur gesagt: „Himmel, du kannst doch froh sein, dass du überhaupt mal angefasst wirst, so hässlich wie du bist, musst du doch sonst dafür bezahlen!“

Das hatte gesessen, er ist zusammengesunken und hat nichts mehr gesagt. Gedroht hat er auch niemandem mehr. War fies, ja. Weil ich natürlich diesem spät pubertierendem Bengel in seine echte und richtige tiefe Wunde gestochen hatte. Aber ganz ehrlich, wenn Männer meinen, unhöflich sein zu müssen und in einer solchen Situation sich nicht einmal Mühe geben wollen, das eigene Verhalten zu hinterfragen – insbesondere dem anderen Geschlecht gegenüber – dann sollen sie sich nicht wundern, wenn das buddhistische Prinzip von Ursache und Wirkung ihnen um die Ohren pfeift. Bei ihm hat es gestern ganz gut gepfiffen, fürchte ich.

Jungs, Männer, bekommt euch jetzt bitte mal wieder ein. Hört mit dem Gegeneinander auf und fangt mal wieder mit dem Miteinander an! Es nervt. Vor allem aber: es macht euch so hässlich und so unattraktiv.

Das Problem ist nämlich, wenn – Ursache und Wirkung – wir Frauen das künftig auch so handhaben, weil wir alle null Bock mehr haben von euch so herablassend behandelt zu werden, dann wird es wirklich sehr unangenehm in unserer gemeinsamen Gesellschaft. Das kann keiner so richtig wollen.

2023-03-25

Hosen mit Gummizug

Geständnis: Ich musste heute erst einmal Wermelskirchen googeln. Ich hatte so eine Ahnung, wo das liegen könnte und jetzt, da ich es gegoogelt habe, weiß ich es wieder. Das liegt da im Bergischen Land. Bin ich immer vorbeigekommen, als ich noch nach Aachen gefahren bin. Irgendeine dieser Autobahnabfahrten, die sich in dieser Gegend schnell summieren.

Irgendeine Schule möchte nicht, dass Schüler in Schulen Jogginghosen anziehen. Das Tweet dazu hatte ich letzte Woche schon kommentiert, weil es mich wirklich ratlos zurückgelassen hatte – auf zeitlicher, auf modischer, auf intellektueller sowie auf gesellschaftlicher Entwicklungsebene. Inzwischen vereint dieses Wermelskirchen mit seiner Absage an die Jogginghose in Schulen die alten und neuen Bundesländer, wie es vorher keine Bundeskanzler*innen vermocht haben.

Das ist doch auch schön!

Ganz ehrlich? Man kann zu Jogginghosen eine Meinung haben. Aber schlussendlich sind die Dinger nicht erst Kult seit diesem einen Titanic–Cover. Und auch wenn die pastellisierten Seidenballonanzüge mit Gummizug in der Hose oben und unten von Dieter Bohlen und Thomas Anders nicht die schönste Modeepoche unserer Nation in den 90ern eingeleitet haben, spätestens seit denen ist die Jogginghose salonfähig. Das ist halt so. Die Jogginghose ist das Pendant zu den Leggins, die das Pendant zu den Röhrenjeans in den 50ern sind, die das Pendant zu den weiten Marlene Dietrich-Hosen der 40er Jahren waren.

Mittlerweile gibt es alle möglichen Hosenschnitte auch in Sweat-Stoffen – also ganz ehrlich, wo fängt heute die Jogginghose an, wo hört sie auf? Und da finde ich dann die Befindlichkeitsträger aus Wermelskirchen etwas aus der modischen Zeit gefallen. Grundsätzlich finde ich natürlich gut, wenn es im Schulunterricht hinsichtlich von Kleidung im Alltag – von der unterschiedlichen Wirkung im Alltag – einen Austausch gibt. Wir haben eine gesellschaftliche Entwicklung genommen, die allen Menschen – und vor allem uns Frauen – eine große Freiheit heutzutage ermöglicht im persönlichen Kleidungsstil.

Ich schrieb bewusst große Freiheit und nicht die größtmögliche Freiheit. Diese haben wir erst erreicht, wenn wir Frauen auf BHs verzichten können – ohne dass uns auf die Nippel gestarrt wird oder es Kommentare zu Größe oder Fliehkraft gibt. (Auftrag an die Herren: Eure Stillzeit ist echt vorbei!)

Und ja, stimmt. Ich will nicht alles sehen möchte, was mir so im täglichen Berliner Streetstyle entgegen schlürft. Aber das ist mein Ding. Und ich habe nicht zum Ding des Trägers zu machen. Wenn er/sie sich wohlfühlt in der eigenen Klamotte – who cares?

Kleines Beispiel: Neulich stand mit mir eine junge Frau auf dem Bahnhof, die hatte eine Jeggins an, also eine Leggins mit Reißverschluss und Knopf in einem glänzenden Chintz-Material. Das ist die Hose, die ich zu meiner Kindheit nur an den öffentlichen Frauen gesehen habe, die in der Nacht auf der Straße des 17. Juli autofahrende Herren mit ihren nun formbetonten Körpern und hohen Plateauschuhen zu einem von den Herren finanzierten Beischlaf animieren sollten/wollten. Weil diese Art der Hose bei mir so gesetzt ist aus einer Erfahrung in der Vergangenheit, war also mein erster Gedanke: Das ist wirklich interessant, dass sich die jungen Frauen heute mit einer Selbstverständlichkeit so kleiden, wie es „zu meiner Zeit” (was immer das auch ist) als „nuttig” galt. Aber es heute gar nicht mehr so viele Menschen interessiert. Es gehört zum Alltags-Setting. Streetstyle.

Denn zwischenzeitlich haben viele Frauen (und Männer) solche Hosen in ihrer jeweiligen Kunstform, meist als Sänger*innen erst bühnentauglich, dann clubtauglich und mittlerweile – zurück zur Straße – eben straßentauglich gemacht. Und nein, deswegen sind die Menschen, die solche Hosen tragen, weder an dem oben beschriebenen Berufsbild interessiert, noch haben sie kein Benehmen, sie haben durchaus Bildung (und sind auf dem Weg sie weiter auszubauen) und einen eigenen Stil. Gleiches gilt für die Träger von Jogginghosen.

Und ja, ich würde vermutlich echt tief einatmen müssen, wenn sich in fünf Jahren meine Großcousine mit Vorliebe so kleiden wollte. (Während ich es vermutlich ganz cool fände, würde mein Großcousin selbstverständlich einen Rock tragen, weil er sie schick findet.) Ja, ich begreife mein Problem diesbezüglich natürlich. Aber ich hätte es zu respektieren, denn das ist die Freiheit, die auch ich mir damals irgendwann genommen habe. Z. B. in kurzen Kleidern zur Arbeit zu gehen, weil der Mini mal wieder in war und ich schöne lange Beine hatte, die ich gerne gezeigt habe. Damals war das mein Ding. Heute ist es deren Ding. Und das haben wir gesellschaftlich zu akzeptieren.

Schlussendlich ist es eine Frage, wie man sich selber gesellschaftlich entwickeln will – also offen sein möchte und sich von Konventionen frei machen möchte. Und dazu gehört das Aushalten der unterschiedlichen Kleidungsstille aller Generationen. Ich muss die Klamotten von anderen nicht lieben, aber ich habe sie zu respektieren.

Und dann ist das noch ein Punkt: Wir leben heute in einer Zeit von Fast Fashion. Und wir leben in einer Zeit, in der sich junge engagierte Menschen (wieder) sehr gerne mit Secondhand-Kleidung anziehen – wie es seit Generationen junge Menschen schon tun. Da kauft man solche Klamotten! Aus ökologischen Gründen und übrigens auch (nicht erst seit Covid und Ukraine-Krieg, in einer Zeit in der in vielen Familien das Geld richtig knapp ist) aus ökonomischen Gründen.

Wenn eine Schule nicht möchte, dass Schüler in Alltagskleidung – was die Jogginghose nun längst ist – zur Schule kommen, sollte sie den Schülern das Gefühl vermitteln ein besonderer Ort zu sein und nicht ein Alltagsübel, wo man seine Zeit absitzt und eine derartige schlechte Schulbildung erhält, die einen sehr negativ in die Zukunft blicken lässt. Was, meiner Meinung nach, das größere Problem an Schulen ist, wenn ich die Meldungen zur allgemeinen Schulbildung in Deutschland in den letzten zehn Jahren so überschaue.

Jogginghosen sind cool. Hauptsache sie sind sauber. Wenn Lehrer glauben, Jogginghosen würden für den jungen Träger zu Einbahnstraße im Leben führen, gibt es andere Möglichkeiten diese darauf aufmerksam zu machen – als ausgerechnet ein Verbot.

2023-03-22

Tage wie dieser …

Gestern war so ein Tag, so ein Mix an Emotionen. Tsja, wie soll ich das erklären? Gründe meiner chronischen Erkrankung sind sicherlich ur-anerzogene Überlebensmechanismen, bestimmte Themen nicht an mich heranzulassen, um zu überleben. Und in der therapeutischen Übung ist es meine Hauptübung zu erkennen, wann mich Themen absolut betreffen und etwas in und an mir anrichten. Und zwar ohne, dass ich es abwehre mit einem „nicht so schlimm”, „passiert jedem einmal” oder „musste halt durch”. Im wirklichen Sinne: Augen zu und durch, keine Selbstfürsorge. Das kann man eine relativ lange Zeit machen – bis dann halt auch mal Schluss ist. Und man die Konsequenzen dafür auf anderer Ebene ertragen muss.

Ich bin da bisher in den letzten Jahren ein gutes Stück vorwärts gekommen. Aber dieser Krieg gegen die Ukraine hat bei mir diese alten Mechanismen erneut richtig gut in Stellung gebracht. Da geschehen so viele Dinge, die mir so nahe gehen, dass ich sie ausblenden muss und doch schleppe ich das Leid meiner Mitmenschen, dieses Landes in mein Dasein, denn dazu brauche ich naturgegeben keinen direkten Kontakt zu Menschen. Das ist Talent wie auch Pain in the as gleichzeitg!

Und ich muss so sehr aufpassen gerade, dass ich nicht in diese alten mir alle Kraft raubenden Mechanismen zurück falle. Vermeintlich, weil für mich dann alles einfacher ist. Dass ich auf dem besten Weg dahin bin, fiel mir gerade auf als ich dieses Blogpost mit einem Satz beginnen wollte indem ich behaupten wollte, mir wären gestern so viele emotionale Kicks begegnet, die mich alle tangiert hätten ohne, dass sie mich eigentlich beträfen. Und dann ist mir aufgefallen, dass natürlich alle Momente absolut subjektiv so etwas von mich betroffen und berührt haben, dass der Versuch dagegen anzuschreiben geradezu lächerlich wäre. Was ich als ganz schönes Zeichen deute, denn offensichtlich ist meine Wahrnehmung im positiven Sinne mir gegenüber doch noch etwas aktiv.

Gestern hatte ich einen OP-Vorgesprächstermin. Die nächsten zwölf Monate gönne ich mir je einen Eingriff an den Beinen, rechts und links, das liebe Krampfadern-Erbe von Oma und Papa. Mit der Oma, die diese fantastischen Tänzerinnenbeine bis in ihr hohes Alter hatte, bin ich ja nun leider nicht blutsverwandt. Den ersten kleineren Eingriff im Juni kann ich tatsächlich bei Bewusstsein mit örtlicher Betäubung erleben, was ich ganz interessant finde. Ich habe doch so gerne Kontrolle bei diesen Dingen. Es wird „nur” verödet. Hier hat mein Plan, mir eine Praxis zu suchen bei der meine Krankenkasse die Kosten dafür übernimmt, geklappt. Funktioniert wohl am anderen Bein dank der vorliegenden Diagnose nicht. Aber das ist später dran.

Nun liegt diese Praxis im Ullsteinhaus. Und dieses Wartezimmer kannte ich, weil ich seinerzeit dort mit meiner Freundin S. saß als ihr nach der ersten Krebsdiagnose der Shunt entnommen wurde. Damals als wir noch dachten, dieses Krebsunheil hätten wir von ihr abwenden können. Im Wartezimmer steht ein Flügel, den vergisst man nicht. Was waren wir voller Hoffnung und Freude damals. Irgendwie. Schön war das!

Und sowieso kenne ich diese Räume noch als Kind, denn dort war meine Ballettschule untergebracht. Und heute weist immer noch ein handschriftlicher Zettel im Treppenhaus auf die frühere Vermietung hin. Tatsächlich habe ich aus der Zeit aber keine wirkliche Erinnerung mehr an die Räume, die damals wohl anders aufgeteilt waren – und sehr viel kleiner mir in Erinnerung sind als die heutige Aufteilung. Aber emotional war der Besuch auf zweifacher Ebene ein ganz schöner Ritt durch mein Leben gestern. Wie also kann man so etwas für sich überhaupt abtun wollen?

Auf jeden Fall hat diese Facharztpraxis richtig gute medizinische Fachangestelltinnen – wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe. Sehr den Patient*innen zugewandt, freundlich und offensichtlich mit viel Spaß im Job. Meine Hauärztin hat vorne eine Dame sitzen, die ist das genaue Gegenteil. Scheint nur überfordert und ich frage mich ob sie nicht tatsächlich eine Autismusdiagnose hat, so fremd wirkt ihr Umgehen mit uns Patienten auf mich. Natürlich – wenn dem so wäre – fände ich gut, dass sie dennoch in dem Umfeld eine berufliche Aufgabe hat und sich das dann doch zutraut. Aber unter dem Strich gehe ich so oft aus der Praxis und denke bei mir, wie fehlbesetzt diese eine Frau an dieser besonderen Position ist, wo Mitgefühl und menschliche Zugewandheit nicht das schlechteste Mitbringsel im Job wäre.

Derzeit lohnt sich generell ein Besuch zu den üblichen Werkzeiten im Ullsteinhaus, weil dort gerade eine drollige Robotnik-Pasta-Installation … Pasta kocht. Aitme heißt die vollautomatische Kochstation. Kann man so oder so finden. Aber den Roboterarmen und der Technik zuzugucken, das hatte mir gestern schon Vergnügen bereitet. Vielleicht probiere ich das Essen (also Pasta) doch einmal nächste Woche aus? Preise pro Portion sind zwischen 6-8 Euro. Kommt jemand mit? Ich habe so einen Automaten schon einmal als Kaffeeautomaten in Karlsruhe erlebt. War ganz lustig – aber schlussendlich die Kaffeemenge zu klein für das Geld und geschmacklich (für mich) weit entfernt von „ich würde dort regelmäßig meinen Kaffee (vor allem für das Geld) ziehen.”

Das ist auch der Punkt bei diesen Maschinen, das, was da rauskommt, benötigt relativ lange Zeit – da ist der Mensch definitiv schneller – und im Ergebnis sind die Produkte schlicht viel zu teuer, weil man die Anschaffungskosten kompensieren muss. Ach ja: Pappgeschirr ist auch so ein Ding. Aber ich glaube nicht, dass Menschen auf lange Sicht viel Geld dafür bezahlen, um das Ergebnis zu erhalten. Also: Beispiel am Aitme-Pasta-Automaten: Alle Zutaten werden von Anfang an in die Rührschüssel gegeben – und genauso sah der Brokkoli dann am Ende auch aus. Ein menschlicher Koch würde Brokkoliröschen frühestens in der Mitte des Kochprozesses hinzu geben. Also falls es euch interessiert – unten in der Eingangslobby im Ullsteinhaus. Kann dort jeder probieren.

Auf dem Weg zurück in der Dockingsstation in der U-Bahn von der unteren zur oberen Plattform von Blaulicht empfangen worden. Die Sanitäer räumten gerade alles weg, was zu einer Reanimation gehört. Der Patient wurde in dem Moment in den RTW verladen und es pressierte, den kaum hatte ich die letzte Treppenstufe auf der oberen Plattform erklommen, fuhr dieser schon mit Blaulicht und polizeilicher Begleitung gen Urban-Krankenhaus. Und ganz ehrlich: Ich war richtig froh, dass ich halt genau in diesem Moment vorbei kam und nicht in dem Moment in dem der Mann zum Patienten wurde. Ich kann ja nun mal Erste Hilfe leisten und würde es auch immer tun. Aber gestern hatte ich einfach die Idee von: „Ein Glück, ich hätte da heute gar keinen Nerv für gehabt.” (Gut, ist vielleicht auch so, wenn man sich mit der eigenen Gesundheit vorher beschäftigen musste.) Ich wünsche dem Mann nur das Allerbeste.

Es gehört zu meiner Entwicklung, dass ich mir solche Gefühle erlaube und eingestehe. Im Grunde habe ich sehr viel erreicht. Für mich.

Zu Hause am Abend stellte ich den Geschirrspüler an, der schon am Anfang der Inbetriebnahme Unlust äußerte, was ich als Salzmangel diagnostizierte. Weil ich schon seit Tagen dachte, der braucht bestimmt Salz und dann … man kennt das ja. Also bekam er Salz, lief eine ganze Weile und fing später panisch an zu piepen, weil seine Gummifüßlein im Wasser standen. Kann ich verstehen. Erschrickt man sich erst einmal ordentlich. Also habe ich gestern Abend noch das Sieb gereinigt. Jetzt pumpt er zwar wieder ab, aber zeigt immer noch seine Fehlermeldung. Aber ich hatte gestern keine Lust und vor allem auch kein gutes Licht um mich dem Thema mit Schraubendreher und Liebe zu nähern. Und Zuversicht. Licht sowieso.

Ihr lest hier also ein prima Prokrastinations-Post.

2023-03-19

Gelöscht – Duolingo

Was ich allerdings seit letzter Woche nicht mehr mache, das ist parallel am Abend gleichzeitig am Smartphone noch per Duonlingo Italienisch zu lernen. Ich tat das als Vertiefung die letzten Wochen, also ca. 50 Tage bzw. vier weiter gekommende Level lang. Eine Woche dazwischen bin ich mal nicht aufgestiegen ins nächste Level, weil die Leute in der Aufstiegsklasse schon Punktzahlen hatten, die man mit der Gratisveriante gar nicht hätte erreichen können.

Mir war es zu wettbewerblastig. Zu sehr auf Gaming programmiert: wer lernt am schnellsten, höchsten, weitesten? Ich habe mich zu oft gezwungen gesehen, etwas unbedingt zu tun (ich bin da zu perfektionistisch), um den Strike nicht zu gefähren, um jeden verdammten Punkt einzuheimsen, den ich erzielen konnte. Und es hat mich am Ende mehr belastet, als dass ich noch Freude hatte an erreichten Punktzahlen. Zudem kam, dass ich schlicht andere Dinge vernachlässigt hatte. Kleines Beispiel: Du hast gerade den XP-Booster, kannst also in den nächsten 15 Minuten deine erreichten Punktzahlen verdoppeln. Da habe ich eben nicht auf die Spielrufe von Shiina reagiert. Die aber einfach in der Freizeitgestaltung immer Priorität haben sollte. und womöglich hätte ich im anderen Kurs einige Vokabeln intensiver gelernt?!

Außerdem war mir zu wenig Erläuterung dabei (also zumindest bei der Gratislösung auf dem Smartphone), wenn Fehler angezählt werden, deren Wissen bzw. Worte vorher gar nicht vermittelt wurden – das kann ich gar nicht gut ab.

Am Ende fühlte ich mich schlecht dabei, war genervt, habe mich unter Druck gesetzt. Tut mir nicht gut. Aber als Anfangsbegleitung war es ganz okay. War schön jewesen, jetzt ist die App vom Smartphone geflogen.

Bin aber für Tipps für eine (bezahlbare) Sprachlernsoftware – bei der ich mich nicht mit anderen Teilnehmern messen muss, keine Freundschaften schließen muss, mich nicht in irgendwelchen Scorelisten wiederfinden muss – sehr dankbar!