2023-03-26

Nerven

Gestern habe ich Nerven gezeigt. Habe jemanden auf sehr hässliche Weise seine Grenzen aufgezeigt. Und das Schlimme daran ist: Es tut mir nicht einmal mehr leid.

Ich weiß nicht, ob es euch auch so ergeht, vielleicht ist es ein reines Berliner Ding. Aber in meinem Erleben haben mit der Covid-Zeit die allermeisten Menschen jegliches Benehmen (so sie es denn vorher hatten) an den Nagel gehängt. Und ohne jetzt hier die Männlein/Weiblein-Schiene aufmachen zu müssen – aber ich erlebe schlechtes Benehmen, Ignoranz, Unhöflichkeit vor allem bei den Herren. Was geht eigentlich ab bei euch, Jungs?

Ich bin gerne höflich und erwarte das auch in einem Miteinander. Dass man geschlechterübergreifend sich die Türen aufhält, in Jacke und Mäntel hilft, mit kleinen Aufmerksamkeiten und Taten sich gegenseitig den Tag verschönert. Aufmerksam ist, zur Seite steht. Fürsorglich ist, anderen das Leben hier und da einfacher gestaltet. Aber ich haben zunehmend das Gefühl, ich bin da ein echtes Auslaufmodell. Warum eigentlich?

Dass es offensichtlich eine Selbstverständlichkeit ist, dass Menschen wie ich, anderen Menschen die Tür (noch) aufhalten und dafür nicht einmal mehr ein Dankeschön bekommen, daran ist man in Berlin schon fast gewohnt. Das Einzige, was ich daraus mitgenommen habe, ich halte nur noch sehr ausgesucht anderen Personen Türen auf.

In der letzten Woche habe ich als Rad- bzw. Fußgängerin in drei Situationen AutofahrERn bewusst durch Handzeichen eingeräumt vor mir abbiegen bzw. weiterfahren zu dürfen, habe bewusst an Straßen gewartet – ohne dass ich es hätte tun müssen – damit sie fahren können, ohne stoppen zu müssen. Es gab in keiner dieser Situationen vom anderen Verkehrsteilnehmer ein Nicken oder ein Handzeichen des Dankes. Gut, mir doch in Zukunft egal, wann du die Straße räumen kannst. Ich werde es ab sofort nicht mehr tun und auf mein Recht in Verkehrssituationen bestehen.

Vornehmer Stehempfang neulich anlässlich der ITB. Es gab vereinzelt Stehtische, ein delikates Flying Büfett, ebensolchen Service mit Kellnern, die mit Tabletts umhergingen, um benutztes Geschirr direkt bei den Gästen einzusammeln. Wir stehen zu mehreren Personen am Tisch und essen, der erste Mann schmeißt uns seine benutzte Serviette vor die Teller auf den Tisch. Der nächste ungehobelte Waldschrat stellt – wieder ohne zu fragen – seine benutzten Teller dazu, während gegessen wird.

Der nächste Benimmbrecher trat an den Tisch in eine vermeintliche Lücke, fragte nicht etwa vorher, ob da noch frei sei und machte sich so breit, indem er uns anderen Personen einfach zur Seite drängte – und wir hinterher nicht mehr wussten, welches Glas seines war und welches unseres. Es geht nicht darum, nicht auch andere Menschen an einem Tisch essen lassen zu wollen. Aber seit wann fragt man nicht mehr vorher wenigstens, ob es okay ist? Ob der Platz frei ist? Macht wenigstens am Anfang kurz höflich Konversation – insbesondere in einem Treffen in einem beruflichen Umfeld?

Ich fand es erschreckend. Es ist auch mittlerweile offensichtlich üblich in Restaurationen, dass Stühle einfach von dem eigenen Tisch weggenommen werden ohne zu fragen, ob das okay sei.

Gestern stand ich mittags bei Kaufland in Neukölln (Okay! Drei Fehler in einem Satz: Samstagmittag. In Neukölln. Im Kaufland. Das macht man auch nur, wenn der eigene masochistische Grad sehr frei liegt an dem Tag) an der Selbstbedienungskassenschlange. Ich in der Mitte stehend, als nächste und einzige in der Reihe. Kommt so ein männliches Es, Typ überfüttertes Kronprinzenbaby, angeschlurft und stellt sich seitlich vor mich, mich ignorierend und mir war so klar, was der versuchen würde, sortierte mich schon mal vor ihn, und er stellte sich wieder seitlich vor mich hin. Dann tat er auch prompt bei der nächsten frei werdenden Kasse, was absehbar war, woraufhin ich ihn kurz am Arm packte, an ihm vorbei zog und ihm bestimmt erklärte, dass das Ende der Schlange hinter mir sei.

Und anstatt sich zu entschuldigen, denn er war leider nicht nur überfüttertes Kronprinzenbaby – nachdem er den Mund geöffnete hatte, musste ich nicht nur seine Unhöflichkeit aushalten, sondern auch die Dummheit, die ihm aus dem Gesicht und Mund sprang ertragen – fing er an rumzublöken „Warum ich ihn anfassen würde?“ Antworte ich, „Weil du dich nicht benehmen kannst.“ Dann meinte er diesen typischen Clan-Aggressor raushängen zu lassen, der in Neukölln bei jungen Männern sehr üblich ist und fing an, mich mit seiner Cola-Sucht-Figur körperlich bedrohen zu wollen. Also habe ich mich noch einmal umgedreht, habe mich sehr aufgerichtet (anderthalb Köpfe über seinem) und habe nur gesagt: „Himmel, du kannst doch froh sein, dass du überhaupt mal angefasst wirst, so hässlich wie du bist, musst du doch sonst dafür bezahlen!“

Das hatte gesessen, er ist zusammengesunken und hat nichts mehr gesagt. Gedroht hat er auch niemandem mehr. War fies, ja. Weil ich natürlich diesem spät pubertierendem Bengel in seine echte und richtige tiefe Wunde gestochen hatte. Aber ganz ehrlich, wenn Männer meinen, unhöflich sein zu müssen und in einer solchen Situation sich nicht einmal Mühe geben wollen, das eigene Verhalten zu hinterfragen – insbesondere dem anderen Geschlecht gegenüber – dann sollen sie sich nicht wundern, wenn das buddhistische Prinzip von Ursache und Wirkung ihnen um die Ohren pfeift. Bei ihm hat es gestern ganz gut gepfiffen, fürchte ich.

Jungs, Männer, bekommt euch jetzt bitte mal wieder ein. Hört mit dem Gegeneinander auf und fangt mal wieder mit dem Miteinander an! Es nervt. Vor allem aber: es macht euch so hässlich und so unattraktiv.

Das Problem ist nämlich, wenn – Ursache und Wirkung – wir Frauen das künftig auch so handhaben, weil wir alle null Bock mehr haben von euch so herablassend behandelt zu werden, dann wird es wirklich sehr unangenehm in unserer gemeinsamen Gesellschaft. Das kann keiner so richtig wollen.

1 comments:

N. Aunyn hat gesagt…

Berlin ist schon ein spezielles Pflaster und die geschilderten Erfahrungen kann ich gut nachvollziehen. Andererseits erlebe ich immer wieder sehr viel Hilfsbereitschaft gerade bei migrantischen jungen Leuten beiderlei Geschlechts, wenn es um Koffertragen, Platz anbieten etc. geht.

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