Knappe 10 km² Gesamtfläche. 570.000 Einwohner. Die Basilikata (Lukanien) ist keine allzu große Provinz im Süden Italiens. Aber sie ist eine wunderschöne Region, die mit langen Wäldern, kurzen Meeresküsten, wilden Bergregionen und geschwungen Hügellandschaften lockt. Sie bietet viel Grün und vor allem einfach viel unberührte Natur. Ihre abwechslungsreiche Landschaft schenkt aromatische Olivenöle und tiefgründige Weine, Getreide, Hülsenfrüchte und die Peperone Crusco wird hier angebaut, auf dem Tisch serviert liebevoll Cruschi genannt.
Drei Tage durfte ich (endlich!) durch die Basilikata reisen, nachdem mich 2019 schon Matera verführt hatte. Und dieses Mal, nach zwei selbst gestalteten Tagestouren dorthin, erfüllte sich mein großer Wunsch: Einmal in den Sassi di Matera schlafen dürfen. Und ich durfte sogar zwei Nächte hier an diesem magischen Ort ruhen – aber auch die südliche Vielfalt der Basilikata sollte ich entdecken dürfen. Ihren Nervenkitzel auf ZIPLines oder auf einer ewig langen tibetanischen Brücke erleben, tief in ihre Historie eintauchen. Und die köstliche lukanische Küche genießen.
Von Matera im Norden der Basilikata nach Maratea an die lukanische Küste – alles geht im Prinzip an einem Tag. Obwohl man sich natürlich deutlich mehr Zeit nehmen sollte, um diese schöne und vielfältge italienische Region zu entdecken! Es war traumhaft.
Die Basilikata, deren Süden vor allem noch wenig vom internationalen Tourismus entdeckt ist, bietet wohl als eine der nur noch wenigen italienischen Regionen ein sehr unverfälschtes italienisches Leben.
An unserem ersten kompletten Reisetag haben wir Matera sehr früh mit dem Auto verlassen. Ivana Scilipoti von der Reiseagentur Ivy Tour Basilicata, hatte unsere Reise im Auftrag des Tourismusverbands der Basilikata nicht nur organisiert, sondern uns höchst charmant begleitet. Unser erster Weg führte nach ca. 1,5 Stunden Fahrzeit nach Castelmezzano in die lukanischen Dolomiten (Dolomiti Lucane). In dem kleinen Ort kann man das aufregende Erlebnis eines ZIPLine-Fluges erleben. Quatsch, hier wird das Erlebnis jeder anderen ZIPLine Europas noch getoppt, denn hier fliegt man – wer es möchte – gleich zweimal kurz hintereinander. Hier fliegt man nicht nur über eine Schlucht … die Reise durch die Luft führt auf den nächsten Hügel zu dem gegenüberliegenden Ort Pietrarossa. Und von dort kann man gleich noch einmal zurück nach Castelmezzano fliegen, wenn man es denn möchte.
Wir wären nicht in Italien, dem Land der puren Romantik; wäre hier der neumoderne Sprachgebrauch „ZIPLine” nicht ersetzt worden. Natürlich bucht man in Castelmezzano oder in Pietrarossa den „Volo dell’Angelo” – den Flug der Engel. Natürlich bin ich geflogen (ja, das bin ich auf dem Foto oben), teile meinen Einsatz als Engeline ein anderes Mal intensiver mit euch hier im Blog.
Die Cripta del Peccato Originale
Den Nachmittag verbrachten wir wieder in der Nähe Materas. Eingeladen waren wir, die „Cripta del Peccato Originale” zu besichtigen. Sie liegt ca. 15 Kilometer von Matera entfernt auf dem Gelände der Azienada vitivincola Casal Dragone an der Via San Biagio. Ein Agriturismo, ein Familienbetrieb, der seit mehreren Jahren in der Basilikata Getreide anbaut und seit dem letzten Jahrhundert auch Weine keltert. Erst 1963 wurde diese Krypta auf dem Gelände der Familie entdeckt. Familienpatron Vincenzo Dragone hatte am Ende der 2000er die Krypta einer Stiftung geschenkt, damit sie mit Spendengeldern und staatlicher Unterstützung restauriert, konserviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte, was einige Jahrzehnte dauern sollte. Seit 2023 sind die Restaurationen der Fresken aus dem 8. und 9. Jahrhundert abgeschlossen und die Krypta der Erbsünde kann von interessierten Besuchern (in kleinen Gruppen) besichtigt werden.
Wir waren begeistert von diesem Ort. Es ist ein einfaches multimediales Erlebnis, dem man sich sehr entspannt – zumal nicht fotografiert noch gefilmt werden darf – in der Höhle hingeben darf. Nur 20 Personen dürfen während einer Führung in den Raum und werden auf dem Boden sitzend platziert. Was schon einmal ein sehr geerdetes Erlebnis verspricht, denn der Kontakt zu dem Höhlenstein schafft eine seltene Verbundenheit. Eine musikalische und tonale Führung (es gibt Kopfhörer und Übersetzungen in den üblichen internationalen Sprachen), während die besprochenen Objekte – natürlich alle relevanten Persönlichkeiten des christlichen Geschehens – der Wandmalereien durch Lichter hervorgehoben werden, lässt diesen Ort in Ruhe und mit erstaunlicher Spannung erleben. Die Fresken sind wunderschön, teilweise erstaunlich gut erhalten. Die Besonderheit dieser Krypta sind die Mohnblumen, die die bemalten Wände über und über schmücken und diesem Ort eine fröhliche Leichtigkeit vermitteln.
Apericena und Wein-Tasting in der Azienada vitivincola Casal Dragone
Die Familie Dragone verwaltet die Besucherströme zur Krypta in ihrem Empfangsgebäude und bietet in den Räumen ihres Agriturismo Azienda Viticonala Casal Dragone nun vier Zimmer zur Übernachtung an und serviert eine bodenständige Küche aus eigenen Produkten und die der Landwirte aus dem direkten Umland. Natürlich wird hier auch der Wein verkauft, den wir verkosten dürfen, denn wir sind zu einem Apericena eingeladen. Ein Aperitivo, der direkt hinüber in das Cena, das Abendessen, schwelgen lässt. Wie gut kann es einem gehen?
Im Jahr 1882 zogen die beiden Geschwister Antonio und Cristina Dragone nach Matera, die Stadt hatte damals schon einen Namen als Umschlagplatz für Weine. Das erste eigene Familienweingut wurde 1920 in der Via San Biagio eröffnet. Der erste Wein wurde 1955 in Flaschen auch für den Verkauf abgefüllt: Es war das Produkt von Reben, die auf einem zehn Jahre zuvor erworbenen Grundstück in Contrada Pietrapenta, wenige Kilometer von Matera entfernt, angebaut wurden. Heute baut die Familie in der fünften Generation auf fünfunddreißig Hektar ihre Weine an. Die Cantina gehört zu den Gründungsmitgliedern der 1990 entstandenen Initiative Matera DOC (Denominazione di origine controllata), die sich für die Vermarktung der besonders hochklassigen Weine aus Matera engagiert.
Nach dem Abschied von Vincenzo im Jahr 2011 führt nun sein Sohn Cataldo Dragone mit seinen drei Geschwistern die Azienda und hat pünktlich zur Eröffnung der Krypta das alte Familienhaus restauriert und erweitert, sodass hier heute Verkostungen aber auch Feierlichkeiten in großem Rahmen zelebriert werden – und sie natürlich einen Shop beherbergt, wo man die fantastischen Weine und Produkte der Küche erwerben kann. Und natürlich alles, was begeisterte Besucher an die Krypta erinnert. Sagen wir es so: Der Vater hatte mit seiner Entscheidung, die Krypta abzugeben, sehr gut vorgesorgt für die seinen.
Wir wurden herzlich von Angela Dragone empfangen, die Schwester von Cataldo, die uns mit ansteckender Freude durch das kleine, jedoch sehr feine Weinangebot probieren ließ, während uns aus der Küche immer wieder neue Köstlichkeiten serviert wurden. Hier auf dem Foto zeigt sie uns voller Stolz die Teigschüssel ihrer Mama, mit der sie heute noch in der Küche arbeitet. Ich verstehe sie so gut.
Natürlich probieren wir die knackigen Taralli, aber auch die köstlichen, knusprigen Cruschi. Es sind an der Luft getrocknete rote Peperoni, die kurz in – natürlich – Olivenöl frittiert werden und sehr viel Freude machen beim Essen! Man muss sich keine Sorge vor etwaiger Schärfe machen. Cruschi sind eine typische lukanische Spezialität, die man außerhalb der Basilikata wohl nicht finden wird. Denn die süßlichen Früchte der Peperoni di Senise sind seit 1996 in ihrem Ursprung geschützt und dürfen nur um Matera und die Provinzhauptstadt Potenza angebaut, so bezeichnet werden.
Apropos Olivenöl. Natürlich stellt die Familie auch ihr eigenes Olivenöl her; die Bäume auf dem Weg zur Cripta tragen jetzt im September reichhaltig große und kleine Früchte je nach Sorte. Uns wird das hausgemachte Öl zum hausgemachten Pane serviert – und es ist unvergleichlich gut. Fruchtig, mild, mit einer fröhlichen Säure! Leider verkaufen sie es noch nicht, sondern verwenden es ausschließlich in der eigenen Küche. Darüber war ich richtig traurig! Nun, so musste getrocknete Pasta und die schwarzen Kichererbsen – eine Besonderheit Apuliens und der Basilikata – in die Tasche wandern.
Es war ein heißer (und mittlerweile langer) Tag und der sehr herunter gekühlte Pietrapenta aus der autochthonen Traube der Malvasia-Rebe, ein trockener, beinahe leichter Weißwein mit 12,5 % Alkohol-Gehalt von 2023, war genau der richtige Wein zu den Cruschi (Kruski) und der Platte mit Prosciutto, Salami (wie gut schmeckt bitteschön die Salami aus der Basilikata?!!!) und einer Käseauswahl aus drei unterschiedlichen Sorten Pecorino.
Pietrapenta natürlich nach dem Terroir benannt, auf dem die Dragones ihre Weine ausbauen.
Glücklich machte mich der Teller mit Ruccola und zarten Nodini (Mozarella zu Knoten geformt). Ich bin immer noch verspielt genug, um mich an diesem kleinen, so liebevoll geformten frischen Käse zu erfreuen! Große Zustimmung an unserem Tisch erhielt der Brotsalat (Panzarella), der in Lukanien anders heißt. Nur wie? Ich habe es vergessen!
Als besondere Zutat enthält er diese köstliche Gurke Süditaliens, Carosello (in Apulien) und Barratiere (Basilikata), die mit ihrem süßlichen Melonenaroma spielt. Diese Gurkensorten enthalten kein Cucurbitacin, den typischen Bitterstoff hiesiger Gurken. Für mich eines der besten Gemüse in der Hitze Süditaliens – reich an Wasser und sie werden eiskalt gekühlt serviert in den Sommermonaten zum Aperitivo. Köstlich! Gut gewürzte und gegrillte, hauchdünn geschnittene Zucchini und Auberginen, sowie sehr aromatisch gegrillte (und deswegen) besonders köstliche Peperoni machten die Vorspeisen komplett.
Zwischenzeitlich hatten wir auf den zweiten Wein, den ersten Rotwein im Angebot der Cantina Casal Dragone gewechselt. Kistos Cisto Rosso, ein Cuvée aus Primitivo, Merlot und Cabernet – schwarz wie die Nacht im Glas, 2021 abgefüllt. Der Wein ist üppig, mit ausgewogenem Tanningehalt, weich im Abgang.
Ich persönlich hatte leider wieder mein typisches genetisch bedingtes Cuvée-Problem. Bei mir schmecken weiße Verschnitte nach Bier, roter Verschnitt schenkt mir einen muffigen Abgang. Dem anwesenden Wein-Profi hat der Wein gemundet, und das lasse ich herzlich gerne als Empfehlung so stehen. (Das ist wirklich mein Problem und spricht mitnichten gegen den Wein!)
Der letzte Wein unseres Tastings, der Pietrapenta Primitivo 2020, konnte mich zufriedener stimmen. Ein strukturierter Wein mit der tiefen Säure der Primitivo-Traube und grandioser Substanz im Abgang. Weit weg von den leichten Tischweinen, von denen wir an Primitivi hierzulande mittlerweile leider überschwemmt werden. Dieser Primitivo ist ausbalanciert und lockt mit den Aromen von Holz, roten Beeren und Vanille, außerdem hat er für einen Primitivo eine erstaunliche Eleganz. Ein feiner Wein – für 10,— Euro die Flasche zu haben. Übrigens, der höchste Preis für die Weine der Familie Dragone.
Hier begleitete er ein geradezu faszinierend einfaches, dennoch ganz köstliches Gericht. Wir bekamen die „armen Ritter” Italiens in herzhafter Variante serviert! In Milch und Ei eingelegtes und in der Pfanne frittiertes altes Pane, das mit aromatischem Tomatensugo satt serviert wurde. Und unser zartes Dessert, ein Mandelgebäck, mit intensiver Schokolade bestrichen. Sehr einfach, zart und intensiv im Geschmack.
Fazit: Unser Nachmittag in der Cripta del Peccato Originale war ein faszinierendes Erlebnis, dem ein köstliches Abendessen mit soliden, hervorragend zu trinkenden Weinen in der Azienada vitivincola Casal Dragone folgte – alles mit der typischen herzerfrischenden, fröhlichen Gastfreundschaft Süditaliens präsentiert.
Wir haben diesen Abend sehr genossen – und später auf der Terrasse unseres B&B in Matera und einer Flasche Pietrapenta Malvasia von diesem wundervollen Weingut ausklingen lassen.
Adressen
Tourismusverband: Entdecke Basilikata!
Homepage der Krypta: Cripta del Peccato Originale
Homepage der Azienda Dragone: Azienada Vitivincola Casal Dragone