Posts mit dem Label abschied werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label abschied werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

2015-07-21

Meine Mum! Neun Jahre †

Heute von neun Jahren stand nachts die Polizei in der Tür, um mir mitzuteilen, dass man meine Mum tot aufgefunden habe. Neun Jahre. Das ist immer noch so unfassbar. So unwirklich. So viel hat sich, hat mich verändert in diesen Jahren.

Liebe Mum, danke für alles! Und: I hope you dance!

2015-03-27

Suizid

Ich denke, man muss die unterschiedlichen Arten von Suiziden verstehen, um das vielleicht irgendwann einmal begreifen zu können.

Es gibt den Bilanzsuizid, da guckt jemand auf sein Leben zurück, auf seine Zukunft, regelt alles und geht. So wie es Gunter Sachs gemacht hat.

Es gibt den krankheitsbedingten Selbstmord. Den Menschen in einer schweren depressiven Phase, Psychose oder Suchterkrankung wählen. Also Menschen, die sogar in Behandlung sind, aber für sich den Kampf nicht mehr kämpfen möchen und können.

Dann gibt es den spontanen Selbstmord. Da läuft irgendetwas im Leben schief, was den Menschen sehr tief berührt. Mehr vielleicht als er es selbst benennen könnte. Dann gibt es einen Moment – der sogenannte Trigger – der kann ganz lapidar sein, das Schlüsselbund fällt runter, man kommt nicht rechtzeitig an das Telefon, eine Tasse kippt um, die Sonne schiebt sich vor die Wolken und dann kommt es zu dieser Affekthandlung. Das sind die Leute, die mitten im Gespräch aufspringen und aus dem Fenster springen.

Vor allem im letzten Fall ist der Mensch gar nicht in der Lage Verantwortung für andere Menschen zu tragen. Dazu muss er keine verantwortungslose Person sein. Im Gegenteil. Aber in dem Moment ist die Person in einer mentalen Schleife gefangen, die ein Ermessen dessen, was getan wird, überhaupt nicht möglich macht. Es gibt nur noch einen Drang: dieser Situation zu entfliehen. Dieser Mensch steht in diesem Moment unter unermesslichen Qualen. Nennen wir es selbstverursachte Folter.

Es ist durchaus möglich, dass dem Co-Pilot vom Flug in den Sekunden überhaupt nicht bewusst war, dass er seinen Weg nicht alleine geht. Es ist gut möglich, dass der Mann den Piloten draußen gar nicht mehr gehört hat. Oder die Flugkontrolle.

Unser Bild vom Suizid ist viel zu sehr ZDF-Krimi gefärbt. Da stehen die Menschen immer auf dem Dach am Rand und lassen sich von den Kommissaren noch in Konversationen verwickeln. In der Realität sind diese Leute nicht zwingend überhaupt noch ansprechbar. Oder auch: sie reagieren nur noch mechanisch, das heißt, was sie da tun, tun sie nicht bewusst.

Was geschehen ist, ist unfassbar. Und unfassbar traurig. Viele Fragen, womöglich die wichtigsten Fragen, werden vermutlich nie beantwortet werden können.

Es ist ein fürchterliches Geschehen. Der Mann war krank.

2014-11-12

Sterben

Ein Streitgespräch in der taz zur Diskussion aktive Sterbehilfe. Eine der Stimmen, Gita Neumann, sagt in dem Gespräch „Bewusste Abschiede sind das Beste, was Sterbenden passieren könne.”

Montag Abend lief auf 3Sat ein stiller, klarer Film unter dem Titel „Intensivstation”. Gezeigt wird Leben und Sterben auf einer Intensivstation in dem vorrangig Ärzte und Personal, wenn fähig, auch die Patienten zu Wort kommen. Ich kann nur empfehlen, auch wenn das Thema nicht attraktiv zu sein scheint, sich diesen Film anzusehen solange er in der Mediathek verfügbar ist. Denn er kann Angst nehmen und Klarheit schaffen. Auch Vertrauen schaffen in Ärzteschaft. Vor allem aber wird durch diesen Film deutlich, wie sehr wichtig es ist, dass man sich im Vorfeld Gedanken über das eigene Sterben macht und diese schriftlich fixiert.

Der Film zeigt behutsam und direkt, was Intensivmedizin bedeutet. Wo sie gut tut und hilft. Wo sie natürliche Grenzen gesetzt bekommt und was passiert, müssen diese Grenzen überschritten werden aufgrund unserer Rechtslage. Nämlich dann, wenn Intensivmedizin verlängertes Leiden im Sterbeprozess bedeutet. Was bedeuten kann, am lebendigen Leib zu verfaulen, weil die Sepsis, ein Organversagen infolge dessen man früher ohne Versorgung binnen weniger Stunden verstorben ist, nun mit Intensivmedizin über Monate hinaus gezögert werden kann. Obwohl das Ende frühzeitig absehbar ist. Ein Leiden, das Ärzte kennen, um das die Ärzte wissen, ihnen aber ohne eine rechtliche Verfügung des Patienten für lange Zeit die Hände gebunden sind, denn es gilt Leben zu erhalten.

Dieser Film gibt indirekt Tipps hinsichtlich der eigenen Patientenverfügung. Gezeigt wird am Ende – neben vielen anderen aus unterschiedlichen – und nicht immer traurigen – berührenden Szenen ein besonderes Gespräch. Geführt von einer Ärztin mit einem Patienten, der den Zuschauer bis zu dem Zeitpunkt tapfer, lustig und liebenswert durch den Film getragen hatte und dessen Ende nun zeitnah bevorsteht. Der für sich in einer Patientenverfügung weitere Rettungsmaßnahmen ausgeschlossen hat. Es geht in diesem gemeinsamen Gespräch darum, wie sich sein Ende voraussichtlich anfühlen wird und was es für Angebote für ihn gibt, damit er sanft gehen kann. Wohlbemerkt: nicht aktiv getötet. Aber so, dass er seinen Herztod nicht bei Bewusstsein erleben muss.

Ich habe dieses Gespräch als so ermutigend empfunden. Denn Klarheit haben zu dürfen über das eigene Sterben, entscheiden zu dürfen bis zu einem bestimmten Punkt, kann, so stelle ich mir das vor, viel Frieden schenken. Mitentscheiden zu dürfen, mündig sein zu dürfen, das kann noch ein großes Glück sein am Ende eines Lebens.

Was auch in diesem Film deutlich wird, wie sehr der Mensch immer an seinem Leben hängt. Der Pfleger, der erzählt, dass die allermeisten Menschen, die vor einer Diagnose noch die Meinung vertreten, bestimmte Therapien nie in Anspruch nehmen zu wollen, beim Eintreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung dann doch jede mögliche Behandlung für sich wünschen, die es gibt. Man hängt an diesem einen Leben viel mehr als man manchmal glauben mag.

Diese Beobachtung spricht auch dafür, was alle Statistiken der Länder besagen, wo eine aktive Sterbehilfe gesetzlich möglich ist. Das aktive Sterbehilfe eher selten tatsächlich nachgefragt wird. Dort, wo sie aber gewünscht wird, soll man den Menschen ermöglichen, dieses persönliche Glück am Ende eines Lebens haben zu dürfen: Bewusst Abschied nehmen zu dürfen, wenn man es noch kann. Für sich in Frieden.

(„Intensivstation” ist noch fünf Tage in der Mediathek zu sehen.)

2014-10-22

Mein Ende gehört mir!

Mein Ende gehört mir!” Der Slogan mit dem zur Zeit die Gesellschaft für Humanes Sterben (Freud ließ mich hier zuerst „Werben” schreiben, ich finde, Ihr solltet das wissen.) auf die aktuelle Debatte in Deutschland aufmerksam macht zum Thema Sterbehilfe. Jedes Bundesland regelt die Beihilfe eines Arztes zur Selbsttötung anders, hier soll es nun zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen. Debatten folgen derzeit auf politischer Ebene und werden im November in einer Anhörung vor dem Bundestag ihren ersten Höhepunkt finden. Mit einer Gesetzesvorlage und -verabschiedung muss man nicht vor Ende 2015 rechnen – wenn dann was entschieden werden wollte.

Prof. Dr. Udo Reiter, der ehemalige Intendant des MDR, der am 9. Oktober diesen Jahres sein Leben freiwillig beendete, war langjähriges aktives Mitglied der DGHS und Fürkämpfer für ein freibestimmtes Sterben in unserer Gesellschaft. Noch eine Woche vor seinem Suizid sprach er in einer im Fernsehen ausgestrahlten Talkshow darüber, dass er sich wünsche, wenn er es dann für sich für richtig halten würde, einen Cocktail einnehmen zu dürfen, um friedlich einschlafen zu können.

Ein unerfüllter Wunsch. Udo Reiter wählte, warum auch immer, die Waffe.

Menschen, die sich eine lange Lebensphase mit ihrer Gesundheit, Krankheit und somit zwangsläufig ihrem Tod auseinander setzen und für sich eine sehr persönliche und ihr Leben grundlegend beeinflussende Entscheidung treffen, wäre künftig mehr als zu wünschen, dass sie sich nicht auf so schreckliche Weise suizidieren müssen, wie sich vor einen Zug zu werfen oder sich mit der Waffe zu richten.

Ich denke dieser Tage vor allem an den Menschen, der Udo Reiter aufgefunden hat. An den Lokführer, der heute mit dem Suizid von Robert Enke für immer ganz anders leben muss, als wir alle das tun müssen. An die Menschen, die in dieser Nacht vor Ort waren und sehen mussten.

Als meine Großmutter sich suizidierte, wählte sie die Herrentoilette ihres Altenheims als Ort. Mit Bedacht, so stand es in ihrem letzten Brief, sie glaubte, dass Männer mit dem Anblick ihrer Leiche wohl besser klar kommen würden. Ich habe mit dem Freitod meiner Oma irgendwann abschließen können und kann ihre Entscheidung immer mehr nachvollziehen. Ich habe aber heute noch ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken daran, wie es dem Menschen im Nachgang ergangen sein muss, der sie so auffinden musste. Der sie noch versuchte zu retten, denn sie lebte noch, wurde auch lebend ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte ließen sie dort gnädig gehen in weiser Voraussicht der entstandenen zerebralen Schäden.

Sicher liegt in der Natur der Umgebung in der sich alles abspielte, dass dieser Mann diese schreckliche Erleben nicht mehr ein ganzes Leben mit sich tragen musste, begleitet wird es ihn wohl aber haben – bis zu seinem Ende.

Ich habe meinen Opa als ich zehn Jahre alt war, sehr schnell und sehr schrecklich an Krebs sterben sehen. Die Oma wählte den Freitod kurze Zeit später, ich war zwölf. Neunzehn war ich als mein Vater binnen eines halben Jahres an den Folgen seines Lungenkrebs starb, schrecklich verstarb. Mit Schmerzen. Mit Atemnot. Ein Tod begleitet durch langsames Ersticken. Und dieses Ersticken begleitet durch fürchterlichen Schmerz. Salopp gesprochen, das kann man sich ruhig klar machen, haben manche Menschen im Sterben die doppelte Ar***-Karte.

Den ersten normalen Tod, weil hier das Alter seinen ganz einfachen Tribut zollte, erlebte ich zehn Jahre später, als meine andere Oma verstarb – weit in ihren Siebzigern. Diese zwangsläufig für mich sehr frühe Auseinandersetzung mit dem Tod unter schmerzvollen Bedingungen, hat mich mein Leben lang angetrieben, mich mit dem Tod auseinander zu setzen. Ich hatte damals nach dem Tod meines Vaters für mich die Entscheidung getroffen, sollte ich irgendwann die Diagnose Krebs erhalten, dass ich ab einem bestimmten Moment der im Krankheitsverlauf ein vorhersehbares Ende meines Lebens diktiert, eine finale Entscheidung für mich treffen wollte. Und das muss man eben auch können. Ich bereitete mich also darauf vor.

Das heißt noch lange nicht, dass ich es tun werde, wenn es soweit ist. Aber ich möchte es tun können. Übrigens hat mich die Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Suizid besonders in dem Erleben der Krankheit, mit der ich mich gerade auseinander setze, davor beschützt, für mich ungünstige Entscheidungen zu treffen. Meine Erfahrung ist, je mehr man sich bewusst mit dem Sterben auseinander setzt, um so näher ist man dem Leben und liebt dieses auch in dunklen Stunden – auf eigene Weise.

Und dennoch möchte ich die Freiheit haben für mich, wenn ich den unbedingten Wunsch habe meine letzte Stunde selber zu bestimmen, diese Stunde es werden zu lassen. Und zwar so, dass ich möglichst wenig Menschen durch die aktive Vorgehensweise mit belasten muss.

Denn gerade der Freitod beeinträchtigt andere Menschen noch ganz anders als die sich in der Trauer befindlichen Freunde und Verwandte. Der Lokführer, der gezwungen wird, einen Menschen zu überrollen. Der Mensch, der den sich erschossenen Menschen auffinden muss – ein ganz schrecklicher Anblick, die meisten richten die Waffe gegen den Kopf – das sind traumatische Erlebnisse für die, die aufinden, die übrig bleiben; für die, die vor Ort ermitteln und aufräumen müssen. Und mit dieser Entscheidung des Anderen dann ein Leben lang leben müssen.

Herr Münterfering, derzeit gerne in jeder Diskussion zugelassene Gegenstimme zur weiterführenden Legalisierung der Sterbehilfe, möge einmal an diese Menschen denken, wenn er von den Kranken verlangt, Verantwortung in ihrem Sterben zu tragen für die Hinterbliebenen und die, die pflegen. Herr Müntefering möge sich einmal mit der medizinischen Seite auseinander setzen, derer, die nach der Pflege eines Verstorbenen im Erleben eines schrecklichen Sterbens und Dahinsiechens traumatisiert sind. Krank werden in der Folge. Arbeitslos. In der Folge oft selbst hochgradig Suizid gefährdet.

Herr Müntefering möge sich bitte auch mit dem künftigen Erleben unserer Generation in der Pflege auseinander setzen, denn wir werden, da zunehmend vom schnöden Mammon diktiert, weder schöner noch angenehmer sterben. Da wirkt es eher zynisch, folgt er in der Debatte (s)einer Argumentation, wir mögen doch bitte auch die Arbeit des Pflegepersonals wertschätzen. Das künftige Pflegepersonal wird uns in Deutschland zunehmend in unserem Sterben nicht verstehen, weil es unsere Sprache kaum bis gar nicht spricht.

Wir sollten nicht so tun als würden diese Menschen, die selbst über ihr Sterben bestimmen möchten, das ohne Überlegung und Verantwortung tun. Diesem besonderen Wunsch gehen lange und viele Gedanken voraus, intensive Gespräche. Ich erlebe es bei einer Freundin mit einem Krebs-Rezidiv, die bei der ersten Diagnose noch von der Lösung Schweiz sprach als für sich unabdingbare Lösung. Die gleiche Freundin heute – in der Rezidivbehandlung, die bis zu ihrem Tod, begleiten wird – für sich entschieden hat, den Weg bis zum Ende zu gehen und sich heute in Richtung Hospiz orientiert und uns darauf vorbereitet.

Die Idee vom Tod unterliegt immer der eigenen Entwicklung. Die Freiheit das eigene Ende selbst bestimmen zu können, heißt doch nicht zwangsläufig, dass es auch alle tun werden. Sie bedeutet lediglich: wir können uns auch für einen anderen Weg entscheiden. Sie bedeutet Frieden. Wir alle sollten wählen dürfen. Und wir sollten uns vor allem eine Gesellschaft erhalten, in der eine solche Entscheidung nicht durch An- oder Abwesenheit von Geldern vorrangig betrieben wird.

Diese Sorge treibt mich in diesem Land viel mehr um zur Zeit!

2014-09-18

Der Norma Tschüss gesagt

Heute war Normas Beerdigung. Meine erste Beerdigung auf einem Friedhof in Berlin-Mitte. Der II. Sophien-Friedhof in der Bergstraße. Allererste Lage, für Norma nur das Beste.

Wie es sich für die kleine Sonnenanbeterin geziemt, schien heute die Sonne hell und leuchtend. Sie tauchte die Scheiben in der kleinen Kapelle in wunderschönes Licht und wärmte uns während der Trauerrede im kalten Gemäuer die Oberkörper. Die Familie hatte zu der roten Urne ein Foto von Norma aufgestellt, das sie schon als ältere Dame zeigte. Sie trägt auf dem Foto so etwas wie das, was man heute „Fascinator” nennt. Ein Hauch von Etwas seitlich am Kopf. Sie guckt auf dem Foto genauso wie sie war, heiter bis belustigt, irgendwo in dem Gesicht und in den Augen saß immer eine Portion Schabernack. Diese Frau war noch im Alter wunderschön!

Der Trauerredner erzählte von ihrem Leben. Ich war dabei erstaunt, wie viel ich davon tatsächlich schon wusste, obwohl ich sie nicht lange kannte und wir nun auch nicht immer beisammen saßen. Aber sie hat mir in der kurzen Zeit viel erzählt. Nur vom Heinz war nie die Rede, ihre unglückliche Liebe, die kurze Ehe, die sie wohl mehrmals noch nach der Scheidung versuchte wieder zum Leben zu erwecken, was nie mehr gelingen sollte bis der Mann dann nach Westdeutschland gegangen war. Was damals halt hieß, die DDR verlassen hatte.

Aber von der Mauer und Stadtteilung war in dieser Trauerrede nie die Rede, wenn doch vom Krieg, dessen Anfang sie als 13-Jährige erlebt hatte, die Schrecken also sehr bewusst wahrnehmen musste, und dann ihren ältesten Bruder mit 17 Jahren in der Uniform am ersten Weihnachtsfeiertag verlor. Das hatte sie mir einmal – Jahrzehnte später – tiefbekümmert über die Balkonbrüstung hinweg erzählt, wie sie danach nie wieder fröhlich Weihnachten feiern konnte. Bis einer ihrer Urenkel an dem ersten Weihnachtsfeiertag geboren wurde, was ihr erst den Frieden wieder gegeben hatte.

Norma hatte dieser Tage Angst vor einem neuen Krieg aufgrund der ganzen Entwicklungen im Nahen Osten und vor allem in Russland. Der Russe im Krieg, davon haben die Menschen ihrer Generation ihr sehr eigenes Erleben. Sie erzählte mir einmal von ihrer Angst, die ich mit ihr teilen konnte. Ich stand da und hatte Gänsehaut und wusste nicht, wie ich sie beruhigen hätte können. Da habe ich lieber die Angst mit ihr geteilt und ihre ernst genommen.

Ich habe mich immer bewusst bemüht in den Zusammentreffen mit Norma keine platten Sprüche zu bringen, die man gerne älteren Menschen gegenüber anwendet, wenn sie von den Dingen sprechen wie Tod, Verlust und Müdigkeit, von denen man selbst noch nichts hören will. Ich bin froh, jetzt froh, dass ich bei unserem letzten Gespräch als sie mir sagte, dass sie müde sei, einfach nur gesagt habe, das ich das verstehen würde aber dass es mich auch traurig machen würde, wenn sie nicht mehr sei. Ehrlichkeit im Leben ist später ein prima Begleiter in der Trauer.

Der Redner sprach von der Fröhlichkeit, die Norma so ausgezeichnet hätte und dass Musik ihr ständiger Begleiter gewesen wäre, er sprach an, dass sie alle Arten von Musik liebte, im Chor gesungen hätte, gerne Klassik gehört hätte und André Rieu. Norma hatte immer den Radiosender an, der Rockmusik spielte, laut. Sie beschallte damit gerne den Hof und somit meinen Weg zum Müll, was ich doch außerordentlich reizend fand. Immer wieder.

Ich habe heute oft auf ihr Foto geblickt und musste immer denken: „Norma, Du kleiner Rocker!” Doch ja, Norma war noch mit 88 irgendwie Rock'n Roll! Die 15-jährige Tochter einer Nachbarin im Haus, heute tapfer dort die Familie vertretend, erzählte mir, dass ihre Mutter ihr immer erzählt hatte, wie sie mit Norma und einer Nachbarin „damals” nebenan in das besetzte Haus gegangen seien und mit den Bewohnern musiziert hätten.

Ich hatte Normas Tochter angesprochen und ihr gesagt, bevor sie den Gartenzwerg auf Normas Balkon wegwirft, denn die Wohnung wird ein Unternehmen auflösen, möge sie ihn bitte mir geben. Sie wollte noch ihre Enkel fragen und hat ihn mir dann neulich in die Hand gedrückt. Ich bin keine Gartenzwergliebhaberin aber dass ich nun vom Normchen den Zwerg hier stehen habe, erheitert mich und meinen Balkon. Ich erinnere mich sehr gerne an sie.

Wie der Redner sprach mit Hinweis auf die Urne, man könne eben nichts mitnehmen, deswegen gehe es im Leben vorrangig darum zu schenken: Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Wärme und Liebe. So kurz ich diese Frau nur kannte, zweifle ich keinen Moment daran, dass sie sehr reich gegangen ist, weil sie Zeit ihres Lebens all das oft und nachhaltig verschenkte.

Nun haben wir sie begraben an einer wunderschönen Stelle, umrahmt von zwei Kirschlorbeerpflanzen mitten in ihrem Berlin. Ich habe mich bei ihr am Grab bedankt, dass ich sie kennenlernen durfte.

2014-08-19

Norma †

Gestern Abend mache ich mir eine Hühnerspuppe. Die einfache Version, Hühnerkeulen abgekocht und weil ich sehr müde und geschafft war vom Tag mit etlichen Arztterminen nur mit tiefgefrorenem Suppengemüse fertig gestellt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Hühnersuppe nicht mit frischem Suppengrün zubereitet zu haben.

Die Brühe von nur drei Hühnerkeulen geriet erstaunlich gut und satt und so dachte ich, davon bringe ich morgen der Norma eine Portion, da freut sie sich vielleicht. Und überlegte, wie ich bei Ihr entschuldigen könnte, dass kein frisches Suppengrün an der Suppe sei. Norma hatte mir nämlich öfter erzählt, wie wenig sie dieses Mittagessen auf Rädern mag, dass ihr da täglich gebracht worden ist. Einmal habe ich es mir angesehen. Ich konnte sie gut verstehen.

Heute früh verlasse ich das Haus, um zur Krankenkasse zu gehen. Da stehen vor Normas Haus vier erwachsene Menschen und deren Stimmung scheint nicht gut. Ich gehe vorbei und frage, ob ich helfen kann (die Anlage hier ist so dörflich irgendwie, wir machen das halt hier), was sie verneinen; ich sehe nasse Augen, ich sehe, dass in Normas Wohnung überall Licht ist; ich gehe weiter, dann verstehe ich.

Auf dem Fußweg zur Krankenkasse, das sind zehn Minuten, kommen mir immer und immer wieder die Tränen. Da ist so eine Gewissheit. Ich schimpfe mit mir, weil ich mir sage, dass kann auch jemand anderes getroffen haben, im gleichen Haus wohnt noch ein älteres Ehepaar. Aber ich kann mich an den Mann erinnern, der dabei stand. Er hatte mir voriges Jahr erzählt, dass sie nach einem Sturz ins Krankenhaus gekommen sei, er war ihr Schwiegersohn.

Ich komme kurze Zeit später zurück und die vier Menschen stehen dort immer noch. Ich gehe zu ihnen und spreche direkt eine der Frauen an, ob sie nicht die Tochter von Norma ist. Und sie nickt. Und wir gucken uns an und ich kann nur „Nein!” sagen. Dann liegen wir uns weinend in der Armen und die Gewissheit ist nun auch eine endgültige.

Norma ist also heute Nacht irgendwann gegangen. Ich habe diese kleine Frau sehr sehr gemocht. Ich habe sie, die Achtundachtzigjährige, nur ganz selten klagen hören, obwohl sie fürchterliche Schmerzen gehabt haben muss. Sie war uns Nachbarn immer so dankbar, dass wir für sie da waren – was wir alle einfach gerne waren. Sie war so ein Sonnenschein und freute sich immer, wenn wir auf dem Weg zum Müll für ein Schwätzchen stehen blieben.

Ich habe ihr immer etwas von meinem Obst vom Markt kommend abgegeben, was sie sehr freute und so habe ich ihr dieses Jahr die leckeren Plattpfirsiche vorgestellt, die sie noch nicht kannte und die sie mindestens so lecker fand wie ich. Letzte Woche legte ich ihr eine Packung davon in die Balkonblumen, was ich dann immer tat, wenn sie gerade tief schlief auf ihrem heiß geliebten Balkon. Später hatte sie mich beim Müllgang abgefangen und hatte sich sichtlich sehr gefreut. Sie sah nicht gut aus an dem Tag und ich fragte sie, ob es ihr wirklich gut ginge. Und da sprach sie darüber, wie weh ihr die Füße täten und dass sie müde sei und dass sie mit ihrer Mutter geschimpft hätte, warum sie sie denn nicht zu sich holt. Da hatte sie zum ersten Mal mir gegenüber zugegeben, dass sie dieses Leben, das sie wirklich sehr schätzte, auch ein bisschen satt hatte. Nicht das Leben an sich, aber das gesundheitlich Beschwerliche daran.

Einige Tage vorher war ich für sie einkaufen. Ihr Rosé-Wein war alle, von dem sie gerne am Abend ein Glas trank, was sie mir natürlich noch sympathischer machte. Das hatte sie mir einmal gestanden, natürlich gleich mit der Erklärung, sie hätte ihre Ärztin gefragt und die hätte das erlaubt. Und ich habe ihr gesagt, dass das ihr Leben ist und dass sie es sich so gestalten soll, wie sie es für sich gerne mag. Meine Güte, was soll sich ein Mensch mit 88 wegen seinem Diabetes selbst kasteien? Das fand sie gut und so durfte ich ihr dann vom Supermarkt eine Flasche mitbringen, vom lieblichen Wein natürlich. Den mit dem Drehverschluss, denn Korken bekam sie ja nicht mehr auf mit ihren Händen.

Die zwei Euro fünfzig konnte sie mir nicht bezahlen, weil ich ihren 20 Euro-Schein nicht wechseln konnte und so sprach sie mich jedes Mal darauf an, in Sorge, sie würde das vergessen. Und ich meinte dann, sie solle sich keine Gedanken machen, wir würden das einfach hochrechnen, bis es mal ein Zehner sei – und das hatte sie beruhigt. Ich wollte das Geld sowieso nicht. Und mich beruhigt es jetzt, dass sie nicht gehen musste mit dem Glauben, da sei etwas nicht geklärt. Die Menschen dieser Generation sind da so empfindlich.

Gerade hat sie die Gerichtsmedizin ins Auto getragen. Diesen kleinen Menschen, der so herzlich, liebevoll und fröhlich war.

Kleine Norma, ich bin froh, dass Du noch einen schönen Sommer auf Deinem Balkon in der Sonne hattest. Die Sonnenbäder, die Du so liebtest. Die kurze Zeit, die wir uns kannten, hast Du mich viel gelehrt mit Deiner feinen Art. Du wirst mir sehr fehlen! Mach's gut und sei nun einfach glücklich, wo immer Du bist!

2014-08-12

Robin Williams †

Ich bin die Generation, die „Mork vom Ork” in der Erstausstrahlung gesehen hatte. Die Serie, die mir als Kind erstmals vermittelte, dass es mehrere Arten von Humor gibt. Daran hauptsächlich schuld war wohl Robin Williams.

Wer heute und dieser Tage Ausschnitte im Fernsehen sieht, wie er gemeinsam mit Menschen agiert, der wird sehen, wie er immer offen den Menschen ins Gesicht guckt, sehr offen. Auch Journalisten, die sehr unverschämt intime Fragen stellen, bekommen dieses offenen Blick und eine freundliche Antwort. Eine wundervolle Gabe, die viel Kraft gekostet haben mag.

So unglaublich viel Talent!

Robin Williams war einmal Gast im Actors Studio. Er ist unglaublich lebendig in diesem Interview, mir hat es eben geholfen von der endgültigen traurigen Tatsache etwas Abstand zu bekommen. Für jetzt. Für heute. (via @kieliscalling)

Und noch einmal: so unglaublich viel Talent!

Das Schlimmste für mich an der Depression ist, dass ich in solchen Phasen nicht tun kann, was ich liebe. Ich weiß genau, mir würde das helfen, es wäre der Weg aus dieser Phase hinaus. Aber ich kann es nicht, ich schaffe es nicht. Das ist Depression. Wer sie nicht verstehen kann, muss sich überlegen, wie es ist, etwas nicht tun zu können, was man heiß und innig liebt. Zu erfahren, dass der Kampf darum, es tun zu können, unendlich viel Kraft kostet. Und diese Kraft eben auch das Leben kosten kann.

Stellt man sich jemanden vor wie Robin Williams, der – wie er selber zugegeben hatte – an Depressionen litt, der also nicht die Kraft hatte, das zu tun, was er liebte. Was in Hollywood ganz andere Konsequenzen für einen Schauspieler haben kann, jenseits der menschlichen und gesundheitlichen Konsequenz. Ja, da können Drogen Dein Freund sein für einen Moment, weil sie Dir Verlässlichkeit vermitteln und Deine tieftraurigen Momente für eine kurze Zeit weg schminken, Dich wieder stark machen, leistungsfähig. Lustig. Bis das Make Up wieder bröckelt und Du tiefer fällst als zuvor, denn Du fällst schneller. Der alternde Künstler, der sich einsam in der hässlichen Garderobe nach der Show die Schminke vom Gesicht wischt – mit Tränen in den Augen, diese visuelle Metapher ist so oft filmisch verwendet worden.

Robin Williams hat sich sbgeschminkt. Ich wünsche ihm Frieden.

Anke Gröner: Die Depression ist eine Lügnerin. Glaub ihr kein Wort.

2014-07-21

Acht Jahre

2006. Auch ein WM-Sommer, ein ebenso heißer Sommer. Seit acht Jahren fehlt sie nun.

Ich würde mir sehr wünschen, sie fehlt nicht nur mir. Fassbar ist es sehr oft immer noch nicht für mich. Sie fehlt. Ihr Geruch fehlt. Ihre Anrufe fehlen. Diese so nervige Frage „Gibt's war Neues?” fehlt. Alls das Liebevolle, Schöne, Warme, das sie mir gab, fehlt. Das Anstrengende,das Nervige, sogar das fehlt manchmal.

Ich würde wahnsinnig gerne noch einmal zu der Stelle gehen, wo ich ihre Asche verstreut habe. Ihr erzählen können. Einen Abschluss finden. In acht Jahren ist so viel passiert.

Der Schmerz hört nicht auf, er hört einfach nicht auf.

2014-06-12

Frank Schirrmacher †

Als ich vor einigen Jahren meinen existentiellen Supergau erlebte und hier davon erzählte, hatte ich einige Tage später eine E-Mail im Postkasten. Von Frank Schirrmacher. Er schrieb lapidar, dass ihm leid täte, was mir passiert sei, er bescheinigte mir Schreibkompetenz und er bot mir an gelegentlich für die F.A.Z. zu schreiben.

So habe ich Frank Schirrmacher zuallererst als einen Menschen erlebt, der mir unbekannterweise in einer dunklen Stunde herzlich die Hand reichte.

Das werde ich ihm nie vergessen und letzte Woche noch dachte ich daran, wie wirklich gerne ich ihm dafür einmal persönlich würde danken wollen. Das geht nun nicht mehr.

Ich bin sehr bestürzt.

Seiner Familie, seinen Freunden, seinen Kollegen wünsche ich viel Kraft.

2014-04-05

Wollen wir einmal über „formschön” reden?

2014-03-18

Neulich in der Luckauer Straße …

… ist der Nachbarschaft die Frau Wichert weg gestorben. Das fanden die Kinder nicht schön und haben sie noch einmal ordentlich hoch leben lassen. Ich fand es sehr berührend!





Wir sollten viel öfter so unsere Nachbarn verabschieden!

2014-03-06

Muttergefühle

Wie Kittykoma hier beschreibt, ist es der Mutter einer lieben Freundin von mir im Januar auch so ergangen. Komisches Gefühl gehabt, zum Sohn (und jüngsten Bruder der Freundin) gefahren, ihn tot aufgefunden. Mit 28.

Und die ganze Zeit überlege ich, ist in der Tragödie, dieser maximalen Tragödie, die eine Mutter, ein Vater, nämlich den Tod des Kindes weit vor seiner Zeit, erleben zu müssen, ist es dann eine Hilfe, wenn es die Eltern sind, die das Kind auffinden? Kann das in der Trauer helfen? Oder ist es ein zusätzlicher Stoß des Schwertes im Schmerz?

Es bleibt unfassbar.

2013-09-12

Ach Otto, …

Otto Sander, Du großer Mann, Du unglaublich talentierter wundervoller Schauspieler. Du Mensch mit diesem unglaublichen Bass in der Stimme, der Du immer öffentlich zu seinen Schwächen gestanden hast: danke! Danke für die Kunst, die Du mit uns geteilt hast. Danke für die unvergesslichen Stunden in denen Du uns andere Welten vorgelebt hast mit Deinen Rollen!

Danke, dass Du diese Frau geheiratet hast und deren Kinder zu Deinen gemacht hast und ihnen Dein Talent – wie immer Du das auch fertig gebracht hast – vererbt hast. Mindestens musst Du in ihnen den Spaß an dieser Kunst geweckt haben.

Sonntag noch habe ich Deinen Sohn, Ben Becker, im Krankenhaus am Urban lesend erlebt und war tief beeindruckt von seinem Können, seiner Liebe zum Text, zur Literatur. Dann, bevor er Fontanes „John Maynard” las, spielte, lebte, erzählte er, dass dies Dein Part sei, den Du immer zu lesen hattest, wann immer Ihr gemeinsam gearbeitet hattet. Und erzählte, dass Du, sein Vater, sein größter Lehrmeister gewesen bist und – wie immer in der Ehrlichkeit und Authentizität eines Ben Beckers, sehr bekannt auch von einem Otto Sander – sprach er an, dass Du dies auch in einigen nicht so guten Disziplinen gewesen bist. Er nannte Dich eben Vater und nicht Stiefvater. Und er erzählte, dass Du ihm nun gestattet hattest auch den „John Maynard” lesen zu dürfen, aber nur, wenn Du einmal nicht dabei sein können solltest.

Das tat Dein Sohn dann in einer Intensität und Tiefe, die mir – dem ganzen Auditorium – den Atem stocken ließ. Wie muss es ihm innen ergangen sein?

Du bist also so oder so unsterblich, lieber Otto Sander. Mach oben 'ne Flasche auf, stecke die Zigarette an und lass‘ die Beine baumeln – wo Du hingegangen bist, muss es jetzt sehr unterhaltsam sein!

2012-12-19

Peter Struck †

Wir Buddhisten chanten ja im Schnitt so 42 Tage lange, damit jemand von seiner letzten Existenz gut in seine neue hinüber kommt. Für Peter Struck würde ich das unbekannterweise tun. Der war ein Guter, ein Gerader, ein Wissender, ein Erhellender, ein Ehrlicher.

Auf alle Fälle haben wir heute mit Rotwein auf ihn angestoßen. Mehrfach. Mindestens drei Mal.

Es ist einfach schade. Juter Mann!

2012-10-02

Dirk Bach †

Dirk Bach habe ich immer als einen Menschen und Künstler verstanden, den eine unglaubliche Herzlichkeit zu eigen war, die er nie hätte aus seinen Rollen spielen können. Im Gegensatz zu seinen Kollegen im Kabarett hat er es nie als seine Kunst verstanden, ausschließlich zynisch und bissig Humor zu verbreiten. Sein Mut Farbe zu tragen und sich in die teilweise wirklich unmöglichsten Kostüme zu stecken, hat Farbe und Freude in mein Leben getragen.

Dirk Bach hatte ein sehr besonders Talent: wenn Kollegen neben ihm spielten, großartige Kollegen und Kolleginnen wie z. B. Hella von Sinnen, deren außerordentliches Talent wirklich außer Frage stehen, dann waren sie immer noch einen Tick besser. Er hat von ihnen auch noch das letzte Stück Talent offenbart. Die Liebe in den Blicken, die ihm diese Künstler in manchen Szenen auf der Bühne zuwarfen, wenn sie ihn selber gerade nicht fassen konnten, die machte es im Besonderen aus, seiner Kunst beizuwohnen. Vielleicht machte ihn vor allem das zu so einem Großen.

Ich kann verstehen, dass alle Menschen, die ihn persönlich kannten oder mit ihm arbeiten durften, tief erschüttert sind. Ich bin das auch. Als Zuachauerin. Als Fan. Ich hatte vor von ihm noch so viel zu sehen und mit ihm lachen zu dürfen.

Es bleibt viel von ihm. Vor allem Freude.

2012-09-22

Träume

Ich bilde mir ein, ich träume selten. Zumindest gehöre ich zu den Leuten, die, wenn sie träumen, am nächsten Tag kaum mehr eine Erinnerung daran haben. Deswegen hätte ich bis vor kurzem beinahe behauptet gar nicht zu träumen aber das wird wohl eher nicht stimmen, wenn ich mir die Traumwirtschaft so anschaue und anlese.

Tatsächlich, das ist mir erst dieser Tage bewusst geworden, gibt es einen Traum, der mich seit einigen Jahren sehr intensiv begleitet. Ziemlich genau seit 2006. In diesem Traum leben ich wieder das Leben voller Schmerz und Verzweiflung, weil meine Mum gerade gestorben ist und bin in ihrer Wohnung und bereite ihre Beerdigung vor und bin so tief in dieser schrecklichen Endgültigkeit gefangen – und da steht sie plötzlich in der Tür und ist gar nicht tot. Alles war nur ein Versehen, ein Fehler in der Übermittlung. Sie ist verwundert, wie ich eine solche Nachricht glauben konnte ohne bei ihr nachzufragen. Und sie ist natürlich erschrocken, dass ich hier in Berlin ihr Leben auflöse. In diesem Traum lebt sie eigentlich noch auf Mallorca, weswegen es überhaupt zu diesem Missverständnis kommt.

Von mir fällt in diesem Moment alles Traurige ab – und alles scheint wieder gut. Ich kann sie sogar riechen. Es geht mir im Traum ganz wundervoll, weil die Welt wieder in Ordnung ist und ich erhalte die Chance (gefühlt) Fehler rückgängig zu machen, ihr wichtige Dinge zu sagen, Dinge nicht zu tun, die sie verletzt haben mögen. Aber sie nimmt mich nicht in den Arm, was ich mir so sehr wünsche, weil sie eben so verstimmt ist. Jetzt, da mir dieser Traum überhaupt im Bewusstsein zugängig wird, was er jahrelang gar nicht war, erinnere ich mich daran, wie ich ihn das erste Mal geträumt habe, dann wach wurde und das Entsetzen über die Realität eiskalt über mich zusammenbrach und fast noch einmal mehr weh tat, als ich im Nachspiel meinen Schmerz von dem akuten Damals in Erinnerung habe. Ich glaube, damals habe ich diesen Traum auch weggepackt. Wenn mich jemand nach dem Traum gefragt hätte, ich hätte mich tagsüber nicht daran erinnert.

Ich weiß aber genau, ich habe ihn öfter noch geträumt. Ein wenig ist dieser Moment in dem sich alles zum Positiven wendet und in ein weiteres Leben meiner Mutter auslöst, wie eine Sucht, denn in dem Moment scheint die Welt so dermaßen in Ordnung zu sein. Aber ich habe diesen Traum nie aus dem Unterbewusstsein gelassen, weil er in der Realität mir zuviel Schmerzen bereitet. Und so hat er sich tatsächlich erst in den letzten Wochen nach und nach in mein reales Tagesgeschehen gekämpft und ich kann mich offiziell erinnern. Wer weiß, was dieser Traum die letzten Jahre als Dämpfmaterial gute Dienste geleistet hat.

Seit einigen Wochen träume ich wiederholt einen anderen Traum. Wieder lebt meine Mutter darin und scheint gesund und munter aber sie möchte sterben. Sie möchte sich selbst das Leben nehmen und sie hat sehr viele gute Gründe, dass ich sie schlussendlich gehen lassen muss. Da ist der Zwiespalt zwischen der egoistischen Tochter, die natürlich ihre Mum ja nicht verlieren möchte einerseits und dem der erfahrenen, wissenden Enkeltochter einer Großmutter, die sich umbrachte, und die für den Wunsch alles logische Verständnis hat andererseits. In dem Traum geht meine Mum dann, und ich bleibe zurück und bin verzweifelt darüber, ob ich auch wirklich alles getan habe, um meiner Mum das Leben wieder lebenswert erscheinen zu lassen. Und dann schlägt dieser unglaublich klare alles Fröhliche tötende Verlust im Traum durch, dass ich kaum noch atmen kann.

Ich glaube dieser Traum lässt den anderen gerade nur in die Realität hüpfen, weil er ihn ablöst.

Ehrlich? Ich hätte gerne anderen, schönere Träume. Diese hier machen zu viel mit meinem Nerven- und Gefühlskostüm. Sie ermüden mich sehr.

2012-09-03

Herr M. ist nicht mehr.

Ich kannte Herrn M. gar nicht. Frau Lotta Lotter kannte ihn eigentlich auch nicht. Aber sie hat sich gekümmert. Einmal hat sie ihn getroffen, da war er schon am hinübergehen. Am Freitag, da hat sie ihm vorgelesen. Als sie Samstag nach ihm sehen wollte, hatte er es gerade geschafft. Herr M. war weit in seinen Achtzigern, Magenkrebsbesitzer, Vater von sieben Kindern und keines war da, bevor und als er starb.

Obwohl nun Herr M. Samstag gegangen ist, war er gestern, am Sonntag, mit Frau Lotta Lotter und ihrem Volvo, den wir beide sehr lieben, und mir auf Tour. Uli war auch dabei. Uli ist auch schon weg. Lange schon. Ich ehre die ehrenamtliche Arbeit von ihr, der Lotto Lotter, die Gespräche darüber, denn sie lehren mich viel über den Tod, die wichtigen Fragen beim Sterben, die wir heute für uns alle nicht auf dem Plan haben. Es fehlt uns doch allen an Erfahrung darin. Wenn es soweit ist, wird es zu spät sein die Dinge zu klären, die dann relevanten Fragen vorab beantwortet zu haben, das steht fest.

Da Frau Lotta Lotter Herrn M. erstmals traf, als er bereits nicht mehr kommunizieren konnte, wusste sie nicht, ob er Nähe mag oder was er überhaupt gerne mochte. Das ist schwierig beim Sterben mit der körperlichen Nähe, denn die menschliche Ehre lässt es nicht zu, den Sterbenden einfach anzutatschen – vielleicht sehnt er sich danach, vielleicht bereitet es ihm Qualen? Frau Lotta Lotter sagt immer, man muss so etwas aufschreiben. Wenn man zum Beispiel gerne zwischen den Zehen gekrault wird oder hinter dem Ohrläppchen, lieber auf dem Rücken liegen will, soll man das verflucht noch mal vorher aufschreiben. Wie sollen denn die Menschen im Hospiz wissen, was mann so gerne mag? Und was überhaupt nicht? Und nur wenn sie es wissen, können sie einem das Sterben so schön wie möglich machen, was doch in ihrem erklärten Sinn liegt: ein schönes Sterben unter gegebenen Umständen. Selber wird man sich kaum kümmern können in diesem Moment.

Frau Lotta Lotter hat Herrn M. also vorgelesen. Sie sagt, er schien entspannt. Jedenfalls war da nichts in seinem Gesicht an seinem Körper, das hätte erkennen lassen, er wolle das nicht. Ich fragte, „Was?” und sie sagte „Konsalik.” „Konsalik?!”, fragte ich zurück? „Ja”, sagte sie. Auch etwas unglücklich darüber die Schultern zuckend. Denn man weiß es nicht, vielleicht hat Herr M. Konsalik sehr gerne gemocht. Vielleicht auch nicht. Ich sage Frau Lotta Lotter, ich möchte bitte nicht Konsalik vorgelesen bekommen. Vorgelesen bekommen, finde ich an sich sehr schön und kann mir das auch für mich gut vorstellen. Ich sage, mir soll man lieber von Kishon vorlesen oder Max Goldt, Roald Dahl. Ich bekäme sicherlich gerne Bücher mit einem besonderen Humor vorgelesen. Ich habe nun sehr große Angst, man könnte mir, weil keiner weiß was ich gerne vorgelesen bekommen möchte, aus einem Hera Lind-Buch vorlesen wenn es soweit ist. Dann doch lieber die Bäckerblume.

Fatal wenn jemand glaubt, das wäre einem zu diesem Zeitpunkt längst egal. Ich bezweifle das stark. Ich weiß, wie ich leiden kann, wenn man mich mit der falschen Musik im Supermarkt beschallt. Und an der Kasse stehen ist ja nun längst nicht so ein intimer intensiver Moment wie mein Sterben. Also stelle man sich vor, man liegt da, stirbt – vielleicht über viele Tage – und wird von einem Lebenden vor dessen Lieblingsradiosender geparkt, aus dem Volksmusik erklingt. Musik fände ich nämlich auch schön, in Maßen. So wippend und zappelnd hinübergleiten, vielleicht bei richtig coolem Funk die Biege machen, stelle ich mir sehr charmant vor.

Nein, ich habe auch keine Ahnung. Ich kann mir nur vorstellen und es wird niemand meiner Vorstellung gerecht werden können, wenn ich nicht aufschreibe für meinen möglichen Hospizmoment, wie und was ich gerne mag.

Aufschreiben! Herr M., da danke ich Ihnen jetzt! Denn ich habe von Ihnen etwas gelernt. Nämlich, dass man sich rechtzeitig vorher mit viel Liebe betrachtet und sich überlegt, was man sich für sich wünschen würde, um einen möglichst schönen Übergang zu haben. Wer sich selbst ein bisschen mag, sollte sich diesen Moment im Vorfeld gut gestalten. Denn vielleicht können ja diese Wünsche eines Tages erfüllt werden. Ich glaube, es stirbt sich schöner mit letzten erfüllten Wünschen als mit reinen Vermutungen. Das beste Wohlwollen gepaart mit Unwissen, könnte wohl recht quälend sein. Also Herr M., machen Sie es gut!

Tipp von Frau Lotta Lotter: das Vorsorgebuch. Kaufen, ausfüllen, hinterlegen. Es ist heute ganz einfach, die unangenehmen Dinge zu regeln.

2012-05-11

ars moriendi

Die Kunst zu sterben. Ein Artikel über das Kochen für sterbende Menschen. Guter Artikel. Vermutlich ahnt man zu selten wichtige Belanglosigkeiten, wenn im eigenen Umfeld gestorben wird. Denn, wer teilt schon seine Erfahrungen mit dem Tod mit uns, ist man erst einmal gestorben?

2012-03-04

So lala …

Den kleinen Katerfratz Lino habe ich einäschern lassen. Ich konnte ihn nicht in kalte Februarerde legen und als am Dienstag nach seinem Todestag die Welt wieder komplett weiß war, war ich darüber auch sehr froh. Als echter mallorquinischer Kater mochte er keinen Schnee, ich hätte ihn wieder ausgraben müssen.

Seit gestern ruht die Asche jetzt in einem dreibeinigen Glücksfrosch. Der hat einen hohlen Bauch in dem üblicherweise Räucherstäbchen vor sich hinqualmen und er bringt uns jetzt gemeinsam mit dem Frosch frei nach Feng Shui unermessliches Glück, Erfolg und Reichtum (har! har! har!) sowieso. Ich hätte auch den hohlen Buddha nehmen können, zu seinem Bauch hatte ja Lino auch immer eine besondere Beziehung, war es doch sein erklärtes Lebensziel sich 24 Stunden am Tag diesen massieren zu lassen. Bei der Frage „von wem?” war er da nie sonderlich wählerisch. Für eine Bauchmassage tat er alles, was so ein liebes Katerherz tun kann, sich eng neben einen legen und vertrauensvoll den Bauch hinhalten. Damit hat er ja jeden/n herum bekommen, vor allem die Katzen-Nichtmöger. Viele gibt es da zum Glück nicht in meiner Umgebung. Eine Ausnahme. Bei denen lebe ich gerade.

Es ist sehr komisch mit Lino: er fehlt nicht. Also er fehlt mir natürlich in seiner körperlichen Anwesenheit und Farbigkeit. Aber er ist erstaunlich existent. Er ist einfach nicht wirklich weg. Ich habe das so noch nie erlebt. Wahrscheinlich ist er wirklich ein kleiner Buddha. Seine Asche hier zu haben, tut gut. Irgendwann bringe ich sie vielleicht zu meiner Mum, seinem Erstfrauchen auf die Insel, seiner Heimat – wo es warm ist. Aber jetzt ist es erst einmal gut so, wie es ist.

Die Mädels geben sich alle Mühe seine Plätze, seine sehr eigene Niedlichkeit, seine Angewohnheiten wett zu machen bzw. auszufüllen. Als ich mit ihm nach Hause kam, hat sich Nishia erst noch Stunden lang auf ihn gelegt, bei ihm geschlafen und ihn bewacht. Tally hat das getan, was sie am Besten kann, ihre Trauer (die unterstelle ich ihr jetzt einfach mal dummdreistüberheblichmenschlich) mit Fressen kompensiert. Das hat sie ja überhaupt nicht meine Gene. Wir haben jedenfalls ausreichend und gut Abschied genommen. Ich hatte aber keine Sekunde lang das Gefühl, das ich sonst bei meinen verstorbenen Katzen nach einer Weile des Abschieds hatte, den Deckel über ihn schließen zu müssen. Er blieb im Transportkorb und ich habe ihn am Abend die letzten 30 Kilometer im Auto auf dem Weg zum Kreamatorium ihm weiterhin ständig den Bauch gekrault. Sein Tod war mir physikalisch in keiner Weise unangenehm. Vielleicht entwickele ich mich einfach in die richtige Richtung. Vielleicht war es schlicht seine Besonderheit.

Lino habe ich zum ersten Mal gesehen als Baby auf der Straße, als ich 2000 erstmals meine Mum auf der Insel besucht habe. Sie hatte eine Freundin, die bekannt dafür war sich um frei lebende Katzen zu kümmern und der hatte man den Wurf Katzenbabies, die aber völlig sozialisiert waren, vor die Tür gestellt. Davon hatte mir meine Mutter schon erzählt und als wir einen Tag nach meiner Ankunft dort ankamen, wuselten dort die kleinen Geschwister herum, wurden von der Freundin mit Futter versorgt und sie versuchte die Tiger zu vermitteln. Lino war das Kätzchen, das sofort an meinen Beinen sich hoch angelte und meinen Schoß eroberte und ich habe nicht verstanden, warum meine Mum ihn nicht sofort mitnahm. Ich konnte damals nicht, denn ich hatte zwei Mädels (die Vorgängerinnen) zu Hause aber meine Mum war katzenlos und ich verstand ihre Verweigerung eigentlich nicht. Also, wenn Katze in Not und woanders Platz und Katzenmangel, dann gehört das meiner Meinung nach zusammen geführt. Nun ja, kurz als ich wieder abgeflogen war, waren fast alle Katzen vermittelt. Wenige Tage später rief mich meine Mum an, um mir zu sagen, dass sie ein Kätzchen hätte. Der schwarzweiße wunderschöne Kater zog bei meiner Mum ein und wurde auf den Namen „Lino” getauft, von mir immer „Linolux” oder „Knutschkugel” genannt. Den Rest der Geschichte kennt Ihr ja.

Ich bin jetzt einfach glücklich ihn gehabt zu haben. Es gibt viele Menschen auf dieser Welt, die nie in ihrem Leben das Glück spüren werden, das man hat, lebt man mit so einem Tier. Sehr viele, die es doch tun, werden vielleicht nie das Glück haben so einen außerordentlich wundervollen, lieben, Glück und Freude spendenden Kater haben zu dürfen. Er hat viel Licht in mein Leben getragen. Ich muss einfach nur dankbar sein.

Dann geht es auch mit der Trauer.

Donnerstag habe ich erfahren, dass ich ab 15.3. offiziell Trainerin bin im Unternehmen. (Betriebsrat muss noch zustimmen, lustige mir sehr neue Formalien). Sie haben mir vorher schon gesagt, ich hätte die beste schriftliche Bewerbung (zwei Seiten gehen also doch!) abgegeben. Ich habe eine (eigentlich zwei) gute Präsentationen gestaltet und optimal gehalten (sogar ich fand mich gut, das will was heißen) und ich habe die Aufgabe (Konzeptpunkte vortragen) mit Abgabe eines schriftlichen Kurzkonzepts übererfüllt. Ich freue mich, ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe.

Eine Wohnung habe ich leider immer noch nicht. In manchen Wochen habe ich kaum Zeit die Angebote zu studieren, geschweige mir Wohnungen anzusehen, geschweige denn den Kampf zu kämpfen, der danach unter den gegebenen Bedingungen erfolgt. Da sind auch Makler keine Hilfe, weil sie empfinden, bei der Miete die ich zahlen kann, lohnt sich Aktionismus wohl kaum. Deren Berufsbild verstehe ich in der jetzigen Zeit ganz ehrlich am allerwenigsten. Also in diesem Punkt fehlt mir gerade, ganz ehrlich, der Optimismus. Aber es ist genau der Punkt, der am dringlichsten für mich gelöst werden müsste, denn das Leben so hier ist keine Freude und kostet mich enorm viel Kraft, die ich an anderer Stelle brauche.

Kurz: ich schlage mich so durch und bin froh, dass die Krokusse wieder blühen, die Mädels gesund sind, ich in einigen Punkten nach vorne gucken kann. Optimist inside, wenn auch mit sehr tiefen Schrammen.

2012-01-17

Licht

Dort, wo ich jetzt wohne, liegt gegenüber dem Garten ein großes Familienhaus, in dem sich drei Generationen das Leben teilen. Vor zwei Jahren ist die sehr kleine Tochter zu Grabe getragen worden. Leukämie.

Jede Nacht brennt auf dem Balkon, der zu unserer Seite liegt, eine Kerze. Jeden Morgen stehe ich auf, setze mich mit der ersten Tasse Kaffee ins Wohnzimmer und dann sehe ich das Kerzenlicht und mir wird warm um's Herz, weil der kleine Engel immer weiß, wo er sein Zuhause hat und ihm so leicht gemacht wird, es wieder zu finden.

Dieses kleine Licht spendet mir jeden Morgen so viel Wärme und Hoffnung!

Wir sollten viel öfter Kerzen anzünden für unsere Lieben, die schon vergangen sind. Ganz nah bei uns, nicht auf ihren Gräbern. Sie sind dann näher. Und in diese Nähe gehören sie auch genau hin!