Mit dem Rad entlang des Sile bis nach Jesolo
Von Treviso hatte ich euch schon vorgeschwärmt. Wer gerne Rad fährt oder wandert, der wird in Venetiens Marca Trevigiana traumhaft schöne Touren machen können in einer flachen, dennoch abwechslungsreichen schönen Landschaft, die den Augen viel Weite gönnt!
Woher ich das weiß? Tsja. Tatsächlich wurde ich gar nicht nach Treviso eingeladen, um Tiramisù zu verkosten oder in traumhaften Castelli zu schlafen. Ich wurde eingeladen, um Fahrrad zu fahren. Genauer, ich sollte hier die Erfahrungg machen mit dem neuen Angebot von Treviso.bike „Bike & Boat” – wir wollten vom Castello auf ein Hausboot wechseln. Der Plan war zwei Nächte auf dem Boot zu schlafen und mit diesem die pittoresken Inseln in Venedigs Lagunen anzusteuern und sie dort mittels Rad zu erleben. Der Plan war klasse, das extreme Regenwetter der vorangegangenen Woche indes nicht.
Die Lagunen waren durch die aufgestellten Schutzwälle vom Hochwasser geschützt – kein Durchkommen mit dem Boot. Also sind wir Strecken gefahren, die befahrbar waren – und haben uns trotzdem köstlich amüsiert, hatten Spaß und sind mit wunderschönen Momenten in der Natur belohnt worden!
Treviso.bike
Treviso.bike ist ein Bike Store in Treviso, der sich als Full-Service-Spot rund um das Fahrrad sieht in Treviso. Vier gestandene Männer haben ihre früheren Jobs u.a. im sozialen Management oder als Architekt an den Nagel gehängt und ihre eigene Leidenschaft, das Radfahren, zum Beruf gemacht. Die Jungs kennen nur einen Gott – und der heißt Fahrrad!
Giovanni, Andrea, Riccardo, Filippo und noch einmal Andrea erfüllen ihren Kunden jeden Radwunsch und verkaufen in ihrem extrem nett designten Shop, Fahrräder in der Preisklasse von 1.000-11.000 Euro. Der Shop liegt übrigens keine 100 Meter vom Sile entfernt, hat im Prinzip eine eigene Bootsanlegestelle – und bietet sofortigen Zugang in die reichhaltige Natur.
Nebenbei vermieten sie Fahrräder an Touristen. Filippo repariert zusammen mit Andrea in der peinlichst sauber geführten (so etwas habe ich noch nicht gesehen!) Werkstatt alles, was zwei Räder hat. Wirklich, in dieser Werkstatt kann man vom Boden essen!
Sie organisieren Verkehrserziehungs- und Reparaturkurse für Schulkinder, machen mit ihnen Radtouren. Sie begleiten Radtouren, entwickeln individuellen Touren je nach Kunden-Gusto und -Fitness und bieten einen Abholservice an. Das alles mit einer unglaublichen Freude, Begeisterung und Professionalität.
Und sie leben ihren sozialen Anspruch. Wenn man sieht, wie sie alle mit Freude mit ihrem Kollegen Andrea umgehen, den sie aus einer Behinderteneinrichtung abgeworben haben und wie sie von ihm sprechen – ihm übrigens „Boss of it all” auf die Visitenkarte gedruckt haben – sich einfach darüber freuen, ihn in ihrem Team zu haben, mein Herz hat's berührt. Auch die Hingabe, mit der sie Kinder in respektabler Gruppengröße in allem rund um das Fahrrad schulen und auch Touren mit ihnen fahren, es beeindruckt. Sie sind mit Freude sozial aktiv und leben es motivierend vor. Ich mag die! Im Foto übrigens Andrea oder Andreone „The Boss”, Giovanni, ich, Riccardo und – whatelse? – ‘nen Bike.
Unser erstes Date mit Tourguide Riccardo war ein Online-Date. Früh wurde eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet, Riccardo erkundigte sich nach unseren persönliche Radvorlieben und Fitnessstand, um uns die besten Bikes für unsere längeren Touren zu empfehlen. Jorge, der seit Jahren erst Mountain-Bike-Rennen und nun Gravel-Bike-Rennen fährt, bekam sein Gravelbike umgebaut für seine professionelleren Ansprüche. Hester und mir hatte Riccardo e-Bikes empfohlen; wir hatten nichts dagegen einzuwenden.
Mieten kann man bei Treviso.bike alles, was man sich für seine Touren persönlich wünscht: Mountainbike, Tourenrad, e-Bike, Gravelbike – für Familien gibt es natürlich auch Lastenräder für die Kinder (oder Hundebesitzer) und für die Kids, die selber fahren können, natürlich auch kleinere Fahrradmodelle. Solange es ums Fahrrad geht, erfüll dir Treviso.bike jeden Wunsch!
Let’s get the Party startet!
Tag 1. Riccardo fährt mit dem großen Treviso-Van im Castello di Roncade vor und sammelt uns gutgelaunt ein, damit wir den Shop kennenlernen und unsere Räder in Empfang nehmen können. Als Erstes werden wir im Shop zum Caffè eingeladen (Dankeschön @Andrea!), dürfen unsere gesattelten neuwertigen Ponys bewundern, auf unsere Größe einrichten. Wir bekommen Helm, Radtasche und Wasserflasche – Ricardo erklärt uns die Tour. Und ab geht der Spaß.
Dabei begreifen sich die Jungs wirklich als extrem gute Gastgeber. Auch wenn die Tour nicht von ihnen persönlich begleitet wird, man erhält von ihnen grandiose Tipps zu Sehenswürdigkeiten, Food-Stops, ob Agriturismo oder Gelateria. Und sie sind extrem professionell organisiert. Panne unterwegs? Anruf, einer wird kommen. Ihre Touren sind in Komoot eingepflegt, alternativ haben sie Tourenflyer. Der Wohlfühlfaktor hier ist groß, die lieben einfach so sehr, was sie tun.
Wir, das sind Hester aus den Niederlanden und Jorge aus Spanien (hier nach den ersten 20 Kilometern im Schatten), fahren kleine Testrunden mit den Bikes auf dem großen Parkplatz neben dem Laden. Vor dem Shop links abgebogen, fahren wir direkt auf den Sile zu. Unsere erste Tour von den drei geplanten Tagestouren führt von Treviso nach Jesolo an den Strand. Die Strecke verläuft flach ohne nennenswerte Steigungen; sie ist ca. 63 Kilometer lang und in fünf Stunden zu schaffen. Pausen, Genussmomente und ständige „Fotostopp!“-Zwischenrufe nicht eingerechnet.
Riccardo von Treviso Bike begleitet uns mit seiner personifizierten guten Laune auf zwei Beinen bzw. Rädern. Er erklärt uns die Umgebung, löst kleine Pannen und serviert uns eine schöne Aussicht nach der anderen. Er bringt uns in das perfekte Lokal, wo wir ein fantastisches ursprüngliches Mittagessen serviert bekommen – und eine kleine Siesta in den Liegestühlen im Garten halten dürfen.
Tatsächlich verläuft unsere Tour etwas länger. Knappe 70 Kilometer fahren wir am ersten Tag, denn aufgrund der Regenfälle in der Vorwoche sind noch nicht alle Wege wieder passierbar. Daher müssen wir einen Bereich komplett auf der Straße umfahren, weil dieser noch gesperrt ist.
Hier liegt Venedigs Historie vor Anker: Cimitero dei Burci
Den ersten Höhepunkt haben wir knapp vier Kilometer hinter dem Shop. Im kleinen Vorort Silea wartet der Cimitero dei Burci. Auf dem Sile wurden früher die abgeholzten Baumstämme auf großen Holzkähnen, Burci, nach Venedig transportiert. Stämme, aus denen die Pfähle gearbeitet wurden, auf denen heute Venedig immer noch steht. Erst als der Transport über die Straße mit Motorkraft einfacher und schneller vonstattenging, stellte man den Wassertransport ein.
Wir befinden uns hier im Naturpark des Sile (Parco Naturale Regionale del Fume Sile) und müssen über eine kurze Strecke mit Holzbohlen die Räder schieben. Dafür erleben wir hier echte Historie Venedigs – den Friedhof der Burci. Auf dem Gelände eines ehemaligen Steinbruchs, heute geflutet, wurden von 1968 bis 1975 insgesamt 13 dieser traditionellen Transportboote aufgegeben und den Gezeiten überlassen. Von ihnen sind heute noch neun Boote vorhanden – Mitte der 90er Jahre sind vier Boote verschwunden. Niemand weiß, wohin.
Nicht weit von der Stadt befinden wir uns in einer völligen Stille und blicken auf den Untergang einer Geschichte, die schon im 13. Jahrhundert begonnen hatte. Die Boote sind – aufgrund des Unwetters in der Vorwoche –, als wir vor ihnen stehen, beinahe komplett vom Wasser bedeckt. Alles ist friedlich, Schwäne schwimmen im Wasser bzw. brüten, Schildkröten liegen auf der aus dem Wasser schauenden Bootreling und sonnen sich. Hierher möchte ich zu gerne noch einmal im Herbst kommen. Wenn der Sommer den Wasserstand des Sile verringert haben wird, das kann man auf den Fotos im Internet sehen, ragen die Boote beinahe komplett aus dem Wasser. Zusammen mit etwas Herbstnebel muss ihr Anblick in dieser reichhaltigen Natur mit den Tieren und der besonderen Stimmung grandios sein.
Ich, die ich eh so ein Ding mit Schiffswracks am Laufen habe, bin hin und weg von diesem Ort!
Friedlicher Sile, friedliche Strecke
Tatsächlich erleben wir, wie die italienische Polizei auf dem Weg die Absperrungen aufhebt und die Bänder entfernt. Wir haben doch etwas Glück mit unserer Tour. Zwei Tage früher hätten wir diese Strecke größtenteils wohl auch nicht fahren können. Auf der Höhe von Casier überqueren wir den still fließenden grün leuchtenden Sile (was wir auf der Strecke immer wieder tun werden) und reisen nun auf der anderen Uferseite entlang.
Die uns begleitenden Reisfelder haben natürlich nasse Böden, auf Brachen leuchten Kolonien von rotem Klatschmohn.
Auf der gegenüberliegenden Seite von Casier ist ein malerischer Fotostopp fällig. Immer wieder sehen wir hübsche historische Villen an den Ufern des Sile, da und dort verlassene Fabriken. „Lost Places”-Fans sind auf der Strecke gut bedient. Und was ich auch immer wieder spannend finde, sind die industriellen Brüche in der Landschaft. Es gibt definitiv viel zu sehen!
Es folgen kleine charmante Ortschaften wie Casale sul Sile und Musestre
wirkt sehr charmant mit der kleinen Kirche und dem Turmspeicher. Quarto d’Altino und Portegrandi – jetzt kommen wir in die Gegend der Lagunen und die Landschaft ändert sich langsam.
Zwischendurch mussten wir die üblichen Strecken mit ca. sechs Kilometern Umweg fahren. Die zogen sich etwas, wir rollten aber auf perfekter Straßenqualität mit erstaunlich wenig Autoverkehr. Dafür begleiteten uns Weinreben, Reis- und Getreidefelder im frischen Grün des Frühlings. Wunderschön!
Il Pranzo in der Osteria Alle Vigne Ca Tron di Roncade
Mittagessen gibt es in der Osteria Alle Vigne Ca Tron di Roncade. In dem für uns von Riccardo ausgesuchten Restaurant, gibt es eine authentische venezianische Küche zu mehr als akzeptablen Preisen, einen sehr schnellen und freundlichen Service. Riccardo musste uns ein wenig drängen, denn wie so oft auf dem Land, wird hier das Essen bis zu einer bestimmten Uhrzeit nur serviert – danach ist bis zum Abendessen auch dieses Restaurant erst einmal geschlossen.
Die Mittagskarte bietet pro Gang vier Gerichte zur Auswahl. Wir genießen Mozzarella Caprese, ich ein feines Rinder-Carpaccio und Penne all’Arrabbiata, einen sehr guten Hauswein. Ich konnte hier meine allerersten Trippa alla parmigiana essen.
Endlich fand ich sie auf einer Karte. Riccardo orderte eine kleine Portion für mich zum Probieren. Denn ich traute mich nicht, sie als meinen Hauptgang zu bestellen. Das war eine weise Entscheidung; die Jungs, die Trippa schon kannten, bezeichneten sie als sehr gut. Ich fand sie geschmacklich schon sehr nahe am … Stall. Noch einmal würde sie wohl eher nicht bestellen (probieren aber immer wieder.) Für Kinder gibt es hier einen Spielplatz im Garten. Für uns standen einige Liegestühle draußen bereit für eine kurze Siesta.
In den Lagunen von Venedig
Ab Caposile beginnt die Lagunenlandschaft Venedigs. Jesolo, wo der Sile in die Adria mündet, ist nun nicht mehr weit. Wir bestaunen die „Ponte di barche a Caposile sul fiume Sile.”
Eine Stahlbrücke, die auf flachen Metallbooten (Barken) ruht. In der Saison sitzt übrigens jemand in einem Wärterhäuschen und man entkommt dann dem „Don’t pay the ferryman!” nicht. Einen Euro kostet die Überfahrt für Autos.
Kurz vor Jesolo erblicken wir die ersten Bilance da pesca, die hier sogenannten Fischerwaagen, Fischerhäuschen, von denen aus die Besitzer die Reusen an hohen Holzstativen ins Wasser lassen, um Fisch zu fangen. Diese hübschen Häuser findet man überall entlang der Adriaküste. Im Süden Italiens kenne ich sie als Trabucco, das Letzte von ihnen steht dort wohl in Barletta. Ihr Charme ist unbeschreiblich. Ihre Sinnhaftigkeit unbestechlich. Noch sind wir am Ufer des Sile – aber jetzt schnuppern wir auch etwas Meeresluft. Wir fahren auf einer wunderschönen ruhigen Strecke mit seltenem Autoverkehr, der Besitzer der Bilance da pesca, die hier nur fahren dürfen.
Links der Fluss, rechts viel Grün. Die Räder rollen auf befestigtem Schotterboden, dem aber der Regen beeindruckende Schlaglöcher verpasst hat. Diese Strecke ist wunderschön – aber verlangt unbedingte Aufmerksamkeit für den Untergrund ab. Und gutes Radmaterial.
Lido di Jesolo und Lio Piccolo
Am Strand von Jesolo begrüßt uns dessen Leuchtturm – und die ruhige Adria sagt auch „Hallo!” Wenn am Ende einer Tour, mit was auch immer, „il Mare” steht – ist es dann nicht auch die schönste Belohnung vor dem Meer zu stehen?
Mit dem Umweg sind wir 67 Kilometer gefahren, das ist eine ordentliche Strecke. Ich glaube, nach einer längeren Pause am Strand und einem Getränk hätte ich zehn Kilometer noch gut durchgehalten. 20 Kilometer … da hätte ich etwas gelitten. Unsere echten Radprofis, Riccardo und Jorge ziehen durch, lassen uns zurück und fahren noch durch die Lagune, eine wunderschöne Strecke bis nach Lio Piccolo.
Hester und ich indes genießen einfach den Strand von Jesolo, der jetzt am frühen Abend fast leer ist. Wir gucken den Wellen zu und lassen Beine und Seele baumeln und sind einfach glücklich mit diesem Tag, der traumhaften schönen Tour und den vielen wundervollen Eindrücken! Später sammelt uns Giovanni mit dem Treviso Bike-Van und Trailer ein. Das ist auch deren Service auf Wunsch – am Abend gewisse Streckenpunkte abzufahren und die Kunden, deren Räder wieder einzusammeln. Die Räder sind schnell aufgeladen und gesichert und wir fahren den Jungs hinterher nach Lio Piccolo.
Lio Piccolo, ein sehr kleines Dorf mit vielleicht zwanzig Einwohnern und einer Kirche Santa Maria della Neve, gebaut 1791, liegt inmitten der Lagunen von Cavallino-Treporti und bezaubert am Abend mit seiner Stille und einem Blick auf die Vogelvielfalt, die sich hier zum gemeinsamen Abendessen zusammen findet. In der Römerzeit soll sich hier ein wichtiger Handelsposten befunden haben, wie Reste von Handelshäusern beweisen. Heute verhandeln hier weiße Flamingos, Kormorane, Stelzenläufer, Klatschvogel, Seeschwalben, Seeschwalben, Stockenten und Reiher unterschiedlicher Couleur und Größen im abendlichen Sonnenschein um die Fischbestände. Ein guter Ort! Wahnsinnig gerne wäre ich hier einmal mit dem Kajak unterwegs.
Das ist wirklich eine großartige Tour. Ich würde sie vermutlich mit etwas mehr Zeit und Muße auf zwei, drei Tage strecken, mit Übernachtungen auf der Strecke, um die Sehenswürdigkeiten in den kleinen Ortschaften, die wir durchfahren haben (bzw. haben rechts liegen lassen) zu besuchen. Da kann etwas mehr Zeit die Eindrücke intensivieren. Und: Auch wer nicht im Fahrradtraining ist, kann dann mit einem normalen Tourenbike entspannt die Strecke bewältigen. So oder so – ist die Landschaft traumhaft schön – und ihr intensives Erleben auf dem Fahrrad ist sie mehr als wert.
Treviso.bike
Stradella Interna A, 8a
31100 Treviso – Italien
phone: +39 0422 1783822
mail: rent@treviso.bike
Osteria Alle Vigne Ca Tron di Roncade
Via Nuova, 64, , Italien
31056 Ca' Tron di Roncade – Italien
phone: +39 392 248 4369
0 comments:
Kommentar veröffentlichen
Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
Kommentar veröffentlichen