2018-11-18

Stolz

Ich nähe nun seit einigen Monaten mit meiner neuen kleinen Freundin aus dem Caritas Wohnprojekt. Wir waren schon Stoff einkaufen und mittlerweile kommt sie auch ab und zu zu mir zum nähen, einfach weil ich denke, es ist schön für sie auch einmal rauszukommen aus ihrer Umgebung. Die Mitbewohner des Projektes werden durchaus angehalten, möglichst selbstständig zu leben und können auch tun, was sie wollen und ausgehen, wenn sie wollen. Aber sie ist sehr ängstlich draußen alleine, so hole ich sie ab und bringe sie später wieder nach Hause.

Während wir am Anfang noch überlegten, was sie nähen möchte und wir bei Kissen, Taschen etc. hängen blieben, hat sie mittlerweile mit meiner Anleitung ihren ersten Rock genäht. Und dies sogar an der Overlock. Der Stoff, den sie sich ausgesucht hatte, war etwas ansprechend zu nähen – aber: er ist fertig! Und sie hatte ihn am Wochenende nach der Fertigstellung schon zum Sportball getragen. Ich war sehr stolz auf sie. Und sie auf sich auch. Wir nähen zur Zeit am zweiten Rock.



Als ich ihr vor einigen Wochen erkläre, das sich in der einen Woche nicht mit ihr nähen kann, weil ich verreise und wir darüber sprechen, dass ich fliegen werde, erklärte sie mir, sie sei auch schon geflogen. Das an sich war für mich nun nicht sonderlich erstaunlich. Aber als ihre Antwort auf meine Frage wohin „China” war, habe ich natürlich nachgefragt. Sie ist leicht hörbehindert, nicht immer verstehe ich sie sofort richtig. Und: das muss ich zu meiner eigenen Schande gestehen, natürlich war in meinem Kopf verankert, dass ein Mensch mit diesem Handicap vermutlich nicht mal eben nach China fliegt.

Ja, dummes blödes Schubladendenken! Die meisten in diesem Wohnprojekt gehen regelmäßig schwimmen, so auch sie – und somit sind sie vom Behindertensport aus zu den Paralympics nach China geflogen. Und somit auch stand sie mit ihrem Betreuer schon mal auf der Chinesischen Mauer. Großartig. Wie dumm, dass ich an der Wahrheit (m)einen Moment lang überhaupt gezweifelt hatte. Und wie deutlich mir das wieder einmal aufgezeigt hatte, dass wir, die Anderen es oft sind, die Menschen mit einer Behinderung unnötig wenig zutrauen und wir sie damit nur behindern.

Es macht viel Spaß mit ihr. Ich lerne viel von ihr (und den anderen aus ihrer Wohngruppe).

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