2018-09-06

Kiez

Neulich läuft hier ein Kater zu. Ich stehe Sonntags auf und sehe auf der Straße einen Vater mit seinen beiden Kindern und einen Kater spazieren gehen. Dann sehe ich den gleichen Vater auf der anderen Straßenseite, wie er diesen Kater im Hof wieder versucht los zu werden.

Keine halbe Stunde maunzt es kläglich bei uns im Hof und dann gehe ich ungewaschen, dafür auf die Schnelle angezogen, hinunter, um den Schreihals zu suchen. Der sitzt gegenüber vor der Nachbarn Tür, wo schon eine Nachbarin aus dem Fenster guckt und mir bestätigt, er würde wohl eher nicht in deren Haus gehören. Also spreche ich ihn an und er kommt freudig auf mich zu und so nehme ich ihn auf den Arm und erst einmal mit hoch. So selten und ungerne ich freilaufende Katzen anspreche und mitnehme, hier habe ich das Gefühl, es nicht mit einem Freigänger zu tun zu haben – und nichts ist schlimmer als irgendwann von einem vermissten Tier zu lesen, dass man rechtzeitig hätte greifen können.

Kater ins Haus und Shiina zeigt Laune. Kater erst mal eingesperrt und Futter gegeben, davon Shiina etwas abgegeben – weil ich doch Waage bin und Gleichberechtigung mein zweiter Vorname ist. Shiina hat aber immer noch Laune. Ich fotografiere den Kater, der großen Hunger hat und einer zweiten Portion nicht abgeneigt ist, Shiina, die nun nichts mehr bekommt, hat noch mehr Laune. Ich stelle den Kater im Nachbarschaftsforum als auch bei ebay Kleinanzeigen ein. Sowie auf Twitter. Und bekomme alle Ratschläge, was man nun alles mit dem Kater tun müsse/solle/könne, um die ich nicht gebeten habe, jetzt aber alle kassiere – weil ich sie wohl selbst professionell ungefragt in solchen Momenten verteile. Karma, Baby! Ich entwerfe Zettel mit netten Texten über zugelaufene Katzen und motiviere die Nachbarin J. von gegenüber, sie mit mir aufzuhängen. Ich rechts herum, sie links herum. Wir treffen uns wieder und ich gehe noch mal mit ihren restlichen Zetteln und von mir neu ausgedruckten Zetteln los. Ich habe einen drolligen, voll gefressenen, sehr freundlichen Kater zu Hause, eine sehr übel gelaunte Shiina und habe langsam Sorge, mir etwas einfallen lassen zu müssen für die Nacht – ohne das Tier gleich im Tierheim abgeben zu wollen bzw. müssen.

Ich komme nach Hause, der letzte Zettel hängt, das Telefon klingelt und ein freundlicher Herr glaubt, ich könnte wohl seinen Kater haben. Ich erfahre des Katers Namens und man verspricht ihn gleich abzuholen.

Zehn Minuten später kommen zwei junge Männer, die über die Straße wohnen – dort, wo sich die Menschen in ihre schönen Gärten hinter dem hohen weißen Tor verschanzen und wo die beiden einen Garten haben, den der Kater sonst nie verlässt, seit er vor sechs Jahren aus dem Tierheim zu ihnen zog, außer: neuerdings. Neuerdings, wenn Kinder im Hof sind, die er wohl über alles liebt, geht er einfach mit ihnen mit. So wie heute. Und dann vergisst er den Rückweg. So wie heute. Also an diesem Sonntagheute.

Ich habe eine Flasche Rosé mehr, einen Kater weniger, eine begeisterte Shiina, darf die Zettel wieder einsammeln und habe einen Aushang gefunden, wo für eine Bewohnerin eines Wohnprojektes der Caritas bei uns im Dreh, von dem ich gerade zum ersten Mal höre, jemanden sucht, der mit dieser Bewohnerin näht, weil sie das gerne tut.

Ich rufe in der Woche dort an und verabrede mich mit der Betreuerin zum Kennenlernen. Es sind fünf Wohngruppen von Menschen mit geistigen Behinderungen, vier für Kinder und Jugendlich und zwei für Erwachsene. Und das Haus ist sehr schön und die Leute sind alle sehr nett und die Bewohnerin, wir nennen sie jetzt S., findet mich gut und so verabreden wir uns zum Nähen die Woche drauf.

Die Woche drauf war letzte Woche und da haben wir gemeinsam Kissen genäht, das kann sie schon ganz gut. Man muss ihr nur gut zureden, dass sie nicht ganz so schnell näht, dafür ordentlicher – und hier und da mal bügelt. Die Betreuerin hatte ihr zu Weihnachten eine Nähmaschine geschenkt, hat aber selber im Alltag wenig Zeit mit ihr zu nähen und die andere Betreuerin, die mit ihr früher nähte, gibt es dort erst einmal nicht mehr.

Sie freut sich sichtlich sehr, wenn ich komme und sagt mir das auch 20 Mal in zwei Stunden und heute schlug ich vor, dass sie Brotbeutel nähen könne, denn das wäre etwas anders als immer Kissen. Was sie auch sehr begeisterte und sehr gut erledigt hatte. Generell sind dort alle schnell zu begeistern, das finde ich sehr schön, weil das meine Kernkompetenz nicht so ist.

Auf dem Rückweg treffe ich die Nachbarin T. mit Sohn S. beim Discounter und später die Eltern mit den Nachbarskindern E. und E. und wir schlendern zurück, während uns Nachbar B. einholt und wir schlendern weiter und quatschen bei uns im Hof über künftige Baumaßnahmen auf dem Nebengelände (endlich wieder Baulärm). Da stößt Nachbarin F. mit Tochter J. und Hund M. zu uns.

Ich erzähle von dem Typen, den ich noch nachmittags von unserem Hof zur Hölle geschickt habe, weil er meinte, sich auf unserer Parkbank eine Koksline reinziehen zu können. Während auf der anderen Seite auf dem Spielplatz ein Exhibitionist, der sich dort einen rubbelte von der Polizei abgeführt worden war, psychisch krank, 66. Festnahme, seit Mai keinen Wohnsitz mehr in seiner ehemaligen Unterbringung im Heim für Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie F. uns erzählte. Nun gesellt sich Nachbarin B. zu uns, die kürzlich mit Elly verwaiste Nachbarin, die am Wochenende im Norden bei der Schwester von deren Züchterfreundin einen Scheidungshund über das Wochenende aufgedrückt bekam in den sie sich natürlich verliebt hatte. Wir uns auch aufgrund der Fotos und sie ihn Anfang der Woche in vierzehn Tagen holen wollte, was ich frech fand uns gegenüber, weil zu lange, während wir doch schon rund um den Hund planen und nun holt sie Ava schon morgen, was alle Nachbarn und Nachbarskinder und hoffentlich auch Nachbarhunde gut heißen!

Dann sage ich „Tschüss” und gehe hoch und gehe nochmals mit meinen Kartons runter zum Müll auf die sich Nachbarjunge E. mit Freude stürzt, weil er sich daraus einen Drachen basteln möchte. Dann kommt Nachbar R., der lange im Urlaub war, mit einem Roller und kann sich nicht heimlich ins Haus schleichen, weil schon von den Kindern entdeckt und in Hofgesprächgeiselnahme genommen werden muss.

Schlimm. Diese große anonyme Stadt.

3 Kommentare:

Sylana hat gesagt…

Schön, wie sich das alles so zusammenfügt.
Wie bei mir aufm Dorf eben!

queen of maybe hat gesagt…

Wie schön! Bewunderswert, wie Sie Dinge tun und Menschen einbinden und diese Sie wiederum... Das ist nicht selbstverständlich - finde ich jedenfalls :)

creezy hat gesagt…

@Sylana
Eigentlich ist das hier ja auch nur ein Dorf. Die Stadt tut nur so groß und mondän! :-)

@queen of maybe
Dankeschön! Nun ja, ich gebe mir Mühe. Ich bekomme ja auch so viel, da muss man weitergeben. Finde ich. Sonst bekommt der Kreis des Flusses Ecken. Und Ecken tun Kreise nicht gut, wie wir alle wissen! :-)

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