2006-07-31

Oops,

heute habe ich erstmals seit der Nacht des Grauens versehentlich mal wieder etwas bewußter in den Spiegel geguckt: Mensch, sehe ich scheiße aus! Und die 'ich-bin-Vollwaise'-Diät funktioniert bei mir allererste Sahne, warum wird die eigentlich nie in den Frauenmagazinen propagandiert? Jetzt muss es nur etwas kühler werden, damit das Joggen doch wieder mehr Spaß als Stress bringt und ich bin ratzfatz unsichtbar.

Diese Woche habe ich die ganzen bürokratischen Dinge auf den Plan. Konto sperren, Telefon kündigen etc. Heute habe ich dann angefangen bei der Agentur bzw. beim Bürgeramt vorzusprechen, bezüglich der teilweisen Übernahme der Bestattungskosten. Meine Mum hatte zwar eine Art Sterbevorsorgeversicherung abgeschlossen, aber noch nicht die notwendigen ersten drei Jahre komplett einzahlen können, also fließen von dort nur die eingezahlten Beträge zurück. Rücklagen gibt es sonst keine. Den Rest muss ich also als Auftraggeberin aufbringen, nur fällt das unter den jetzigen Bedingungen schwer.

Das alles wird noch die wahre Freude werden, ich spüre das.

Noch keine Nachricht von der Gerichtsmedizin. Heute habe ich zwei Uralt-Testamente gefunden, sie sagen nicht mehr aus als ich eh schon wußte, sie spricht sich nur sehr deutlich für eine Seebestattung aus. Diese klare Aussage tut gut, denn ich war mir noch nicht im klaren, ob ich sie dem Wasser vor ihrer Insel übergeben soll oder dem Wind, der über's Land zieht.

Vorhin habe ich ihre Nachbarin getroffen, die mich fragte, wie es mir geht und ich antwortete 'ich habe es überhaupt kein bisschen kapiert oder realisiert.'

Aber auch so gar nicht.

Glauben

Meine Mum war Buddhistin. Wie wir heute festgestellt haben in Deutschland mit eine der ersten Deutschen überhaupt, die aktiv dabei waren. Ca. zwei Jahre nach der Scheidung meiner Eltern, brachte ihr neuer Freund, ein amerikanischer Jazzmusiker, sie zum Buddhismus der Nichiren Shôshû (nach ihrem Lehrmeister Nichiren Daishônin). In diesem Umfeld bin ich groß geworden. Als gläubig würde ich mich nicht bezeichnen, in erster Linie glaube ich an mich. Da schließt sich aber wieder der Kreis zum Buddhismus, denn hier hofft keiner auf irgendein (Gottes-) Wunder, sondern hier ist jeder selbst für sich in seiner Entwicklung verantwortlich. Die buddhistische Philosophie habe ich nun von klein auf mitbekommen, und auch wenn ich nur sehr wenig praktiziere, so glaube ich unbedingt an das Gesetz von Ursache und Wirkung. Und ich finde auch andere Gesetze und Überlegungen in der Philosophie des Buddhismus selbst in der heutigen Zeit realistisch, anwendbar und modern.

Der Tod im Buddhismus ist kein solcher im Sinne der christlichen Überzeugung. Im Gegenteil, der Tod ist hier sehr positiv besetzt. Denn bildlich gesprochen bedeutet er im Buch des Lebens nichts anderes als das Ende eines Kapitels in einem Buch und mit der Seite, die sich zu dem letzten Kapitel schließt, öffnet sich automatisch mit der sich öffnenden Seite bereits ein neues Kapitel. Da man mit jedem Leben als Buddhist dem Ziel der eigenen Buddhaschaft näher kommt, weil man die nächste Karmastufe erklimmt, steht der Tod im Buddhismus sogar für die Freude darüber. Deswegen trauern wir nicht, wir nehmen allenfalls Abschied.

Im Zusammenhang mit dem Tod meiner Mama kann ich damit gut leben. Ich weiß, ich muss physikalisch in Zukunft auf sie verzichten und auch viele Dinge sind nicht so gelaufen, wie sie es hätten sollen. Ich weiß aber eben auch, sie ist schon längst wieder unter uns und wird ihren Weg weiter gehen und ein schöneres Leben leben können, als das Vergangene es vielleicht für sie war.

Heute haben wir uns in der Wohnung meiner Mum getroffen und für sie gechantet. (Chanten heißt, man wiederholt immer wieder 'Nam myôhô renge kyô', dem Daimoku.) So konnten wir alle von ihr in ihrer Wohnung Abschied nehmen und ihr auf ihrem Weg unsere Wünsche mitgeben. Im Buddhismus wird für den Verstorbenen mindestens 42 Tage lang intensiv gebetet (ursprünglich eine japanische Tradition), das ist in etwa der Zeitrum, den der Verstorbene hinüber in sein neues Leben benötigt. Man schickt ihm Frieden, Kraft und gute Wünsche, begleitet ihn noch auf auf diesem Stück seines Weges: viel Zeit zum Ausruhen hat meine Mum also nicht. Das zu tun ist für Buddhisten wichtig, sie machen das gerne.

Ich weiß, dass ihr buddhistischen Freunde (und so wenig sind das nicht) in Deutschland, Italien und Spanien seit dem sie von ihrem Tod erfahren haben, genau das sehr viel tun und ihr den Weg ebenen. Meine Mum ist somit sehr gut aufgehoben.

So war es heute das erste Mal in dieser Woche, dass ich mir die Zeit nehmen und konstruktiv etwas für meine Mum tun, ihr viel sagen und wünschen konnte. Das vor IHREM Gohonzon zu tun (der sinnbildlich für das Spiegelbild desjenigen steht, der ihn besitzt) war am Anfang und zwischendurch sehr schwer und zwischendurch und am Ende auch sehr schön. Bis jetzt war die ganze Woche nur ein destruktives Agieren und Befolgen irgendwelcher behördlicher Vorgänge und Regularien, dem Saugen von Informationen über Dinge, die ich nie wissen wollte. Aber das heute hat mir wieder Kraft gegeben und auch ein bisschen Frieden gebracht.

Wir haben danach noch über sie gesprochen. Ich kann nicht verstehen, warum Hinterbliebene in der christlichen Welt immer so still und klein gehalten werden in den Trauerzeremonien. Über meine Mum zu sprechen, die ich gerade am meisten vermisse, einfach laut sagen zu können, warum ich sie vermisse, was ich ihr wünsche, gibt soviel mehr Kraft als dieses stille Trauern. Klar habe ich dabei vor allen geheult. Es gehört dazu.

Abschließend haben wir dann ihren Gohonzon eingerollt, der nun meiner ist. Das heißt, ich habe jetzt eine sehr große Verantwortung übernommen. Und das wiederum heißt, es geht weiter.

2006-07-29

Passt irgendwie,



denn erstmals im Leben erhalte ich auch digitale Kondolenzpost.

via Spektrum der Wissenschaft 08/2006, Zeichner nicht benannt

Relativ

gestern bin ich abends noch zum Discounter gefahren, Bestechungs-
krabben in Salzlake kaufen. Damit kriegt man die drei Fellträger gemeinsam an einen Esstisch in nur wenige Zentimeter Entfernung gesetzt, ohne diesem zur Zeit üblichen disharmonischen hässlichen Knurren und Fauchen. Sie müssen dann begeistert über die Krabben herfallen und nicht über sich. Katzenpsychologie. Fragt mich nicht. Ich bezahle bloß.

An der Kasse direkt vor mir eine typische Kladowerin (die meisten haben etwas Geld in dieser Ecke Berlins) in ihren 50igern: gepflegt, geschminkt, attraktiv, schwarze Hose, weiße Bluse mit spanischer Stickerei, sehr edel. Auch der Schmuck bestimmt kein Sonderangebot. Gemeinsam mit ihrer Begleitung räumt sie den Einkaufswagen aus. Der ist so voll, dass das ganze Band komplett belegt ist, fast schon gestapelt. Da der Einkaufswagen voll war, haben sie oben drauf noch einen Karton aus der Obstabteilung zur weiteren Warenaufbewahrung genutzt.

Die Frau stöhnt die ganze Zeit nur: 'Mir ist schlecht, wenn ich daran denke, dass wir das alles schleppen müssen.' Sie scheint deswegen richtige schlechte Laune zu haben. Das Meckern zu diesem Thema hält sie die nächsten fünf Minuten durch. An der Kasse beschwert sie sich bei dem Kassierer über die mangelnde Qualität der Obstbeutel, die direkt reißen. (Ein Kritikpunkt, den ich nach empfinden kann.) Sie reisst die Beutel vor seinen Augen extra auf. Bei ihr scheint der Kassierer persönlich Schuld zu haben. 'Man könne zu Hause ja nicht mal mehr in den Apfel beissen, weil er schon Weichobst sei.'

Sie bezahlen insgesamt 183,– Euro.

Ich treffe sie auf dem Parkplatz wieder, ihre Einkäufe zum Wagen bringen. Sie guckt auf den Bon und meckert. Ich treffe sie auf der anderen Seite des Einkaufszentrums wieder, kann sie nicht hören, weil ich im Auto sitze, aber ihr Gesichtsaudruck lässt weiterhin nichts Positives vermuten. Es muss ganz schrecklich sein, sich bei Lidl drei Packungen von den frischen Lammkoteletts leisten zu können.

So unterschiedlich können Menschen und Situationen sein: wenn ich mal wieder für knappe 200,– Euro Lebensmittel einkaufen gehen könnte, ich würde wohl nur Glück empfinden über den neuen ungeahnten Schatz. Fröhliche Erleichterung, weil ich mir die nächste Zeit über dieses Thema ausnahmsweise mal keine Sorgen machen müsste. Die Einkäufe würde ich mit purer Freude nach Hause tragen – egal wie schwer, auch ohne dickes neues Auto auf dem Parkplatz.

Mensch, ich weiß ja nicht, was das Leben noch so für mich bereit hält. Aber ich wünsche mir sehr, nie die Fähigkeit zu verlieren, mich auch über die ganz kleinen Dinge im Leben freuen zu können. So durfte ich z.B. gestern auf der Herrstraße unverhofft erstmalig in meinem Leben einem alten französischen Citroën Traction 11CV hinterherfahren.



Dem Großvater der Citroën Déesse. Dem Auto, dem mein Herz gehört. Darüber habe ich mich irrsinnig gefreut.

Mir geht's gerade auf vielerlei Ebenen nicht so dolle, aber mein positives Lebensgefühl habe ich zum Glück noch. Im Gegenteil zu dieser Dame. Dafür danke!

2006-07-28

Medizin

gestern habe ich Herrn Fröhlich bei der Gerichtsmedizin angerufen. Ich weiß nun seit einer Woche, dass sie tot ist. Weiß aber immer noch nicht, was sie aus diesem Leben geholt hat. Der nette Mann mit der sanften Stimme meinte, er hätte noch keine weiteren Informationen, hofft, er würde heute möglicherweise die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft erhalten und er ruft mich dann umgehend an. Ich weiß, hier gehen die Dinge nur ihren Gang. Aber alleine der Begriff Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Tod meiner Mama bringt mich derart an meine Grenze.

Sie war krank. Wenn ich heute in ihrer Wohnung vor dem Berg an Medikamenten stehe und über Nebenwirkungen und mögliche Konsequenzen bei der Einnahme dieser Mittel gleichzeitig nachdenke, frage ich mich, was sich Ärzte manchmal so denken bei dem, was sie da tun?

Ihren Hausarzt und gleichzeitig für ihre Schmerztherapie mit Morphinen verantwortlich, hatte die Gerichtsmedizin Montag dringlich aber ohne Erfolg versucht zu erreichen. So wie ich auch. Also habe ich eine E-Mail geschickt mit der Bitte den Ansprechpartner in der Gerichtsmedizin vor Ort zu kontaktieren. Der Mann ist nicht im Urlaub, das weiß ich, sie hätte einen Termin diese Woche gehabt: kein Anruf bei der Gerichtsmedizin, kein Anruf bei mir, keine Antwort auf die E-Mail. Ein guter Arzt nimmt sich auch noch fünf Minuten Zeit für seine verstorbenen Patienten. Zur Zeit läuft Herr Bek bei mir unter 'absolutes Arschloch'.

Ein Suizid oder ein Tod aufgrund von Fremdverschulden ist eher unwahrscheinlich. Für ersteres sprechen die Umstände nicht, hinsichtlich der zweiten Variante hat Herr Fröhlich mir ausdrücklich gesagt, dass sie nicht in diese Richtung untersuchen– aber solange man nichts Genaues weiß, steht eben doch auch alles im Raum. Und das fühlt sich komisch an. Auf alle Fälle fühlt es sich nach sieben Tagen zu lange an. Ich kann mir gerade gut vorstellen, dass die Hinterbliebenen von Mordopfern eine ganz andere Art, noch schrecklichere Art von Tod und Trauer erleben müssen.

Ich bin sehr froh zur Zeit das Auto von Freunden zu haben, deren Haus-Sitter ich gerade bin. Es vereinfach die Wege. Vor allem aber ist Auto fahren für mich therapeutisch. Fegen auch. Ich kann auf dem Grundstück meiner Freunde viel fegen. Ich denke viel über das Fegen, Blumen gießen und tote Insekten aus dem Pool holen nach. Es hält mich von anderen Gedanken ab.

Außerdem bin ich grenzenlos müde.

2006-07-27

Erbmasse



Lino, 5 Jahre alt. Maunzt deutsch mit spanischem Akzent als gebürtiger Mallorquiner, kastriert, klassisch schwarz-weiß mit sehr dünnem Schwanz aber hohem Bein. Unglaublich entspanntes Katzenwesen. Die Polizei hatte ihn freundlicherweise in der Nacht des Grauens für mich auf dem Abschnitt bis zum nächsten Morgen verwahrt und nicht sofort ins Tierheim gebracht. Das macht ihn zu dem allerersten Mann, den ich jemals aus einer Arrestzelle abgeholt habe. Alter Knastbruder!

Er ist reizend. Er freut sich ungemein über das neue Zusammenleben mit den beiden Katzendamen. Die hingegen beraten sich seit Samstag in einer Ecke des Schlafzimmers darüber, wie viele rote Karten einschließlich Platzverweis sie mir und ihm erteilen können, weil ich dieses Erbe nicht ausgeschlagen habe.

In der Zwischenzeit hüpft er wie ein junges Fohlen begeistert auf sie zu, wenn er sie sieht und will eigentlich spielen. Sie finden das nicht so lustig. Er ist locker drei Mal höher, breiter und schwerer als die beiden Bonsai-Katzen. Okay, würde Arnold Schwarzenecker mit hocherhobenem Schwanz auf mich zu springen, würde ich auch davon rennen. Schnell.

Sie hat ihn abgöttisch geliebt. Er sie zurück. Er war der einzige, der bei ihr war, als es passierte und hat ausgehalten. Auch deswegen ist er mein Held.

Der Callcenter und der Tod!

Gestern in Mums Wohnung die Dinge gesichtet, die ich unbedingt für mein weiteres Seelenheil benötige. Dazu gehören unter anderem das neongrüne Brigitte Diät-Buch Nr. 1 von 1975 und eine uralte schreiend orangefarbige Rührschüssel in der alle meine Sachertorten (ich war als Kind schon komisch), die meine Mum mir immer gebacken hatte, zubereitet wurden.

Das Telefon klingelt – ich melde mich natürlich ordentlich mit 'creezy am Apparat von creezys Mama' – und der junge Mann am anderen Ende fragt sehr reizend, ob er denn die Frau Mama oder den Herrn Papa einmal sprechen könnte. (Ich weiß, ich klinge pfiepsig am Telefon und sicher im Moment noch ein bisschen mehr, aber soooo klein klinge ich nun doch nicht, oder?) Wir quatschen ein bisschen, er kommt nicht zum Punkt, ich behaupte, er will mir jetzt einen Telefonanschluß verkaufen, er verneint und meint, nur eine Dienstleistung. Ich sage ihm, das wird nicht klappen, weil die Anschlussinhaberin verstorben sei. Da denke ich, jetzt habe ich endlich mal den coolsten Callcentermoment der Welt in meiner Leitung – und er schnattert nach nur 0.2 Zehntelsekunden 'das täte ihm so leid, er weiß wie das ist, der Vater seines Lebensgefährten sei vor zwei Wochen verschieden und ich hätte sicher eine schwere Zeit und das täte ihm auch leid und alles Gute und viel Kraft und er konnte das doch nicht wissen… .'

Apropos, kann es sein, dass sich nach diesem Sommer unser Rentenloch komplett in Luft aufgelöst hat, weil kaum noch ein Mensch über 60 nach diesen Hundstagen am Leben sein wird?

Passt bloß auf Eure Eltern und Großeltern auf, zwingt sie zu trinken.