2020-11-09

Impfung

Meine von mir sehr wertgeschätzte Musiklehrerin an dem (nicht so sehr von mir wertgeschätztem) Gymnasium hatte eine Gehbehinderung. Sie hatte als Kind eine Poliomyelitits-Infektion. Sie hatte diese zum Glück überlebt aber als „Post-Polio-Symptomatik” eine spinale Kinderlähmung mit einer sichtlichen Spastik an den Beinen zurückbehalten.

Eine flächendeckende Impfung gegen Polio unter dem Slogan „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam” gab es in der DDR seit 1960, in der BRD ab 1961. Die BRD hatte im Jahr 1961 mit der größten Epidemie in Europa zu kämpfen. Von 4.600 nachweislich Infizierten verstarben 272 Menschen und blieben 3.300 Menschen mit lebenslangen Lähmungen und den anderen Folgeerscheinungen dieser Krankheit (Erschöpfungssyndrom, Atembeschwerden) zurück. Natürlich gab es auch damals Impfzweifler, Impfskandale und Schlagzeilen. Aber unter dem Strich ist hierzulande bzw. in ganz Europa Polio weitestgehend kein Thema mehr im heutigen Gesundheitssystem.

Ich erinnere die Impfungen in der Grundschule, wir standen Schlange mit unseren gelben Impfbüchern und bekamen ein Stück Zucker auf die Zunge gelegt, diese eine Schulstunde war versüßt gelaufen. Und wir waren sicher vor einer grausamen Krankheit. Ich durfte ohne die Gefahr einer solchen schweren Erkrankung durch meine Kindheit wachsen. Meinen Eltern, die noch sehr bewusster diese Krankheit erlebt hatten bei Mitschülern und ihren Mitmenschen, musste diese Sorge bei uns Kindern nicht haben.

Seit 1991 erfolgt die Polio-Impfung per Injektion mit den Kombi-Impfungen. In der Folge des landesweiten Impfprogramms reduzierte sich die Zahl der Infektionen hierzulande gen Null. Allerdings ist Polio bis heute leider nicht ausgerottet, in armen Ländern, wo nicht flächendeckend geimpft werden kann, erkranken und sterben heute immer noch Kinder und auch Erwachsene daran, beziehungsweise müssen mit den Folgeerkrankungen leben. Der Begriff Kinderlähmung ist irreführend. Viele der heute impfbaren Krankheiten sind immer noch da, sie sind nur aus unserem Bewusstsein entschwunden, weil uns deren Erkrankungsfolgen nicht mehr so häufig im Alltag begegnen. Ich hatte noch Schulkameraden, die nicht rechtzeitig geimpft wurden und deswegen ein Leben mit einer Gehbehinderung lebten. Die in der Folge oft gehänselt wurden. Deren Leben ohne die Krankheit sicher ein anderen Lauf genommen hätte.

Und ich kenne die Geschichten meiner Eltern und Großeltern, die von Menschen sprachen, die an Polio erkrankt waren, die Infektion nicht überstanden hatten.

Ich kann Eltern, die sich weigern ihre Kinder heute impfen zu lassen, einfach nicht verstehen. Ich verstehe nicht, wie man dem eigenen Kind diese möglichen Schutz vor schweren Krankheiten verweigert. Wie man den Kindern anderer Eltern, die aufgrund schwerwiegender anderer Erkrankungen denen ein Impfschutz nicht wie andere Kinder frühzeitig zugeführt werden kann, diesen Fremdschutz versagt.

Ich werde es auch nie verstehen, denn ich habe diese Bilder im Kopf.

2020-11-07

So viele Steine, …

… die da gerade weltweit gepurzelt sind!

Dann gucken wir uns das Trumpsche Resttheater bis Januar an. Möge es schnell vorüber ziehen!

Und ich gratuliere den Vereinigten Staaten zur ersten Vizepräsidentin! Himmel, es wurde aber auch so sehr Zeit!

2020-11-06

Neues vom Käse …

Gestern bin ich zufällig an einem Öko-Markt in Schöneberg vorbei gekommen und der Käsestand hatte meinen neuen Lieblingskäse „Duc de Bourgogne” im Sortiment, den die Bioladen-Käsetheke bei mir um die Ecke wieder aus dem Programm geworfen hat.

Ich habe keine Ahnung, wo sich dieser Käse die letzten Jahre vor mir versteckt hatte, ich habe ihn dieses Jahr erst entdeckt und ich möchte nicht mehr ohne ihn sein. Er kommt, ist jetzt sicher nicht die große Neuigkeit bei seinem Namen, aus dem Burgund und ist ein reiner Kuhmilchkäse mit Steinsaltz gereift und als Weichkäse mit weicher Edelpilzrinde sehr schmelzig, verhalten süßlich und mild. Sehr lecker und seine Konstistenz ist … pure Sahne.

Ich sah ihn also gestern dort am Stand in der Theke und stellte mich an, während ein Paar bedient wurde. Das Paar, am Stand bekannt, kaufte ein. Sie probierte hier und dort, sie bestellte ihre Lieblingskäse, er bestellte seine favorisierten Sorten – und am Ende hatten sie verkündet, dass sie erst Ende des Monats wiederkommen können. Und hatten ein Käsepaket für das sie ganz knapp unter 50 Euro bezahlt haben.

Sie haben sich also richtig schön reich und satt Käse eingekauft – und ich fand es wunderschön sie dabei zu erleben! Zumal man beiden anmerkte, wie sehr sie sich über und auf die Käseschlemmereien freuten.

Ist es nicht schön, dass wir uns so einfach all die Länder, die wir gerade nicht bereisen können, dennoch ins Haus holen können?

Die kleinen Freuden … sind sie da, auch in dieser vermaledeiten Zeit!

2020-11-05

Dies und das …

Mein Lieblingsphysiotherapeut ist aus dem Urlaub zurück, Sein Rückflug fand einen Tag, bevor Zypern hier zum Riskiogebiet erklärt worden ist, statt. Großbritannien hatte das 24 Stunden früher getan – und so traf er am Flughafen auf irre viele britische Touristen, die noch schnell einen Tag vor dem Inkrafttreten der Quarantäneregeln zurück in ihr Land fliegen wollten.

Wenn die sich jetzt am Flughafen eventuell inifziert haben, weil es eng auf eng ging – und die nächsten 14 Tage nicht in die Quarantäne gehen … und, ach, lassen wir das. Es macht einen nur kirre. Ich begreife bei diesen Verordnungen diese Vorlaufzeiten nicht. Gefühlt sind in der einen Woche Restlaufzeit bis zu diesen zeitlich vergleichsweise kurz definierten Einschränkungen in unserer Freizeitgestaltung alle noch mal schnell Essen gegangen – als gäbe es nach den vier Wochen überhaupt keine Restaurants mehr auf den Planeten. Samstag noch wurden überall schnell Fotos aus Restaurants gepostet, als gäbe es keinen Morgen. Als hätten die Verordnungen keinen ernsten Hintergrund.

In anderen Worten, ich habe mich in der Zwischenzeit wieder deutlich zurück gezogen aus dem offenen Leben. Wer das auch getan hat, hat bereits frühzeitig angefangen sich und andere Menschen in der Pandemie zu schützen. Ich weiß, es waren viele. Wer am 31.10.2020 noch im Restaurant essen war, tat genau das Gegenteil. Das war nicht gut, nicht sozial. Im Gegenteil. Eat it!

Kauft doch Gutscheine Eurer Lieblingsrestaurants in diesen vier Wochen. Oder partizipiert von deren Takeaway-Angeboten.

Ich habe zu meinem Geburtstag einen neuen Schreibtisch geschenkt bekommen, er ist nur halb so tief wie mein alter Schreibtisch – hat aber mehr Auflagefläche, weil er über Eck läuft. Also mehr Auflagefläche für eine Katze. Ich mag ihn sehr, er gibt dem kleinen Zimmer mehr Raum. Dummerweise passte der alte Trümmer von Rollcontainer nicht mehr so richtig zu ihm. Der war nämlich so tief wie der alte Schreibtisch und farblich traf man sich jeweils am anderen Ende der Farbskala. Ein Ersatz beim schwedischen Albtraumkaufhaus aus Metall fiel durch, schon alleine aufgrund der Online-Beschreibungen, die diesem die Note sechs gaben. Irgendwie bin ich Bisley-Fan, seit den 80igern. Bisley neu kam nicht in Frage, Bisley gebraucht schien auch sehr schwierig. Dann habe ich Freitag zufällig eine Anzeige gesehen, in der jemand in Berlin eine ganze Reihe von Bisleys, sogar mit Rollen, loswerden wollte für 40 Euro, was schon sensationell günstig ist. Also habe ich mir einen reserviert, habe ihn Samstag abgeholt und habe den Trolley mit dem Bus nach Hause transportiert. Ich freue mich sehr über mein Schnäppchen, durfte noch etwas Büromaterial mitnehmen.

Aber ich freue mich nicht über die Tatsache, dass da eine Büroauflösung vonstatten ging, offensichtlich. Schöne Berliner Altbauräume in Ku'Damm-Nähe – müssen geräumt werden. Eventagentur. Die übrigens auch als Kunden den Automobilhersteller hatte, der Dividenden ausbezahlte, während er gleichzeitig Corona-Staatshilfen kassierte. Diese Agenturen sterben jetzt. Nicht nur diese eine. Mehr als sechs Monate laufende Geschäftskosten stemmen aus Rücklagen (bei den Berliner Gewerbemieten sind dann 9.000 Euro staatliche Überbrückung eher ein Witz), schafft wohl kein Unternehmen. Und mir tat das im Herzen weh zu sehen. Da wird Liebe und Leidenschaft gekillt, Arbeitsplätze fallen hintenrunter. Menschen verschulden sich. So viel Existenzen brechen gerade weg, beruflich und menschlich. Ich habe ein Déjà-vu.

Dieser Albtraum verfolgt mich in der Stadt. Ich sehe zur Zeit überall Umzugswagen hier in Mitte stehen, die sichtlich dabei sind Büros zu räumen. Und das muss man sich jetzt in dieser Zeit nicht schön lügen. Die wenigsten davon ziehen jetzt um, weil sie sich vergrößern. Die meisten ziehen um, weil sie günstigere, kleinere Flächen gesucht und gefunden haben – oder ganz aufgeben. Selbst Fillialen größerer Ketten machen jetzt den Räumungsverkauf. Die können sich das noch am ehesten leisten, die eine und andere Filliale die nächsten zwei Jahre dicht zu machen, können dadurch auch ganz leicht dem Personal kündigen – und irgendwo in zwei Jahren, wenn es wieder besser läuft, neu aufmachen. Und den Mitarbeitern zeitlich befristete Arbeitsverträge zu schlechteren Konditionen anbieten. Die Gewerbeflächen stehen jetzt sowieso erst einmal leer.

Es ist gruselig. Und nur ein Anfang.

Auch sehr gruselig finde ich, dass die Leute, diese Maskenpimmelträger, nicht kapieren, dass das Virus über die Nase zu ihnen selbst Einzug in den Body findet. (Nase rein, Mund raus.) Wie irrgeleitet ist man wohl, wenn man eine Maske trägt, sie tragen muss – selbst, wenn man es doof findet – sich dieser persönlichen besonderen Chance beraubt, sich selbst vor der Infektion zu schützen?

Ein Stück weit verständlich, dass sozial entgleisten Leuten egal ist, ob sie andere Menschen möglicherweise infizieren. Nicht verständlich im Sinne der Tatsache, aber nachvollziehbar, weil man weiß, es gibt diese Gattung Mensch. Aber sich selbst gegenüber die einzige, echte Schutzmöglichkeit abzuwählen?

Und dann ziehen sie ständig die selbst genähten, an ausgeleierten Gummibändern, weil man die selbst genähte Maske (damals eine super Lösung, jetzt nicht mehr so) jetzt seit fünf Monaten schon trägt, hängenden kontaminierten Außenflächen der Maske immer wieder über die Nase. Ich möchte nicht wissen, wie wenig mittlerweile diese Masken noch gewaschen werden. Täglich, was man tun müsste, wenn sie schützen sollen. Ich habe mittlerweile erlebt, dass Masken bei Familienmitgliedern durchgereicht werden, weil man die eigene gerade nicht findet. Und dann siehste Fotos vom Handel mit Warnhinwiesen, auf denen der Kunde gebeten werden muss, dass man die and en Ständern hängenden unverpackten!!!!!!!!!!! (es sind genau elf!) Masken nicht aufprobieren soll.

Das Thema Maske macht mich wirklich kirre.

Wann genau sind wir in diesem Land auf den Pfad der gemeinschaftlichen Grunddoofheit abgebogen?

Übrigens habe ich auch kein Verständnis dafür, dass – da wir jetzt auch eine gute Studienlage haben – wie sehr gut medizinische Masken vor dem Virus schützen, dass die Bundesregierung nicht schon längst diese halbgaren Witzmodelle im Handel einkassiert hat und allen Bürgen medizinische Masken kostenfrei zur Verfügung stellt. Das sollte dieses Land tun können in Zeiten einer Pandemie. Das Grundversagen dieser Regierung beim Thema Maske hält mit einer Konsequenz an, das ist schwer verständlich. Vor allem, weil man die armen Menschen in diesem Land im Stich lässt. Ich glaube, die wenigsten Menschen, die von einer Grundsicherung bzw. ALG II leben, können von einem guten medizinischen Maskenschutz partizipieren.

Die Zeit hat den derzeitigen Studienstand zum Thema Maske neulich gut aufbereitet. Leseempfehlung, bei dem Thema haben sich aus dem früheren Mangel heraus so viele falsche (wenngleich früher notwendige) Verwendungen eingeschlichen, die wir jetzt, insbesondere bei den Zahlen, ad acta legen sollten.

Wer Geld ausgeben möchte für eine Maske, die keine medizinische Maske ist aber von sicherer Stoffqualität und immerhin ein kluges Statement setzt (nämlich gegen die Kampagne einer doofen Zeitung mit vier Buchstaben, die sich nicht zu doof ist, ständig die wissenschaftlichen Aussagen von Prof. Dr. C. Drosten zu bashen), dem möchte ich die „Drosten Ultras”-Maske von Carbolution ans Herz legen. Sie war vergriffen, ist jetzt in Stückzahlen neu aufgelegt worden. Fünf Euro der Einnahmen fließen an die Coronakuenstlerhilfe. Finden bestimmt ein paar Leute auch im Adventskalender ganz knorke.

Ach ja, Donald Trump ist ein selten dämlicher Affe. Und ich möchte, dass der endlich von meinem Radar verschwindet.

2020-11-04

1000 Fragen (41-50)

41. Trennst du deinen Müll?

Teilweise. Der Sinn ergibt sich hier nicht wirklich, weil hier gerne Altpapier und Biomüll in Plastiktüten entsorgt wird.

42. Warst du gut in der Schule?

Wenn es interessant war, konnte ich sehr gut sein. Dem Rest hat die Dyskalkulie viel Spaß genommen.

43. Wie lange stehst du normalerweise unter der Dusche?

Zu lange. (Aber mit kleinem Strahl.)

44. Glaubst du, dass es außerirdisches Leben gibt?

Nein. Nicht im Sinne von menschlichem Leben oder was Hollywood unter Aliens versteht. Aber im Sinne von Bakterien etc. ja.

45. Um wie viel Uhr stehst du in der Regel auf?

Die Frage muss lauten: Um wie viel Uhr ist die Katze in der Regel wach? Um sechs Uhr. Dann wird Frühstück serviert. Und wennich ihr das serviere, kann ich mir auch gleich einen Kaffee machen. Gehe aber, wenn es Termine erlauben, noch einmal ins Bett.

46. Feierst du immer deinen Geburtstag?

Ich mache ihn mir schön. So richtig feiern mit Party, nein.

47. Wie oft am Tag bist du auf Facebook?

Zu oft

48. Welchen Raum in deiner Wohnung magst du am liebsten?

Puh, eigentlich … jeden. Jeder Raum hat seine Tageszeit. Im Moment ist mir das Arbeitszimmer am liebsten, weil das gerade mit neuem Schreibtisch und Räumerei fast perfekt scheint. Aber die Küche ist auch toll. Und das Schlafzimmer … das Wohnzimmer, das könnte ich gerne (bis auf den Esstisch) komplett neu gestalten mit den richtigen Mitteln.

49. Wann hast du zuletzt einen Hund (oder ein anderes Tier) gestreichelt?

Na eben.

50. Was kannst du richtig gut?

Rad fahren. Kinder begeistern. Katzenbäuche streicheln. Menschen aufmuntern. Auto fahren. Vielleicht schreiben …

2020-11-03

Naja, dann gucken wir …

… was die heutige Nacht so mit sich bringt. Ich hoffe so sehr, dass dieser Dump-Kelch an dieser Welt vorüber geht. So so sehr. Ich bin ja nun West-Berlinerin, ich bin groß geworden mit den Alliierten – ich habe den Amerikaner immer als einen Freund begriffen, als den großen Bruder, der sich schützend vor uns stellte. Als jemanden, der diesem Land nach seinen Greueltaten dennoch wieder die Hand reichte nach 1945 (zusammen mit den anderen Alliierten). Der uns Chancen ermöglichte.

Und mich schmerzt so sehr, was ich erleben muss, wie Trump in den letzten vier Jahren diesed Land runtergerockt hat. Wie in den USA der Rassismus so offen aufgebrochen ist, wie grauenvoll Trump darauf reagiert. Die Mauer als Abgrenzung zu Mexiko. Diese grauenvollen Lager mit den Flüchtlingskindern. Wie asozial, wie grausam muss ein Mensch sein, dass er diese Kinder von deren Eltern trennt – in einer Art und Weise, dass sie sich wahrscheinlich nie mehr wiederfinden können!

Wie er den derzeit schlimmsten Politikern dieser Welt die Hand reicht, sich anbiedert an Diktatoren.

Wie er dieses Land gespalten hat, wie er gelogen und betrogen hat, wie er ein einst demokratisches Amerika vorgeführt hat, isoliert hat, geschädigt hat.

Ich hoffe so sehr, dass die Amerikaner diesen Albtraum heute beenden! Für immer!

Rezension: La Serenissima von Nino Zoccali

Ich war noch niemals in Venedig.

Meine allererste Begegnung mit Venedig hatte ich als Kind. Sie war zum Fürchten! Ich muss ungefähr elf Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter war ausgegangen und ich blieb alleine zu Hause und sollte irgendwann ins Bett gehen. Natürlich habe ich nicht auf meine Mum gehört in meiner besonderen Freiheit, sondern lieber lange Fernsehen geguckt. Und da lief „Wenn die Gondeln Trauer tragen”. Donald Sutherland fand ich auf den ersten Blick sehr sympathisch in der Art, dass ich ihn mir als Vater gewünscht hätte. Der Film hielt mich in meiner kindlichen Fantasie komplett gefangen obwohl ich ihn ständig fürchterlich gruselig fand. Nun, sicherlich hatte der Regisseur beim Dreh elfjährige Kinderseelen eher nicht als Zielgruppe definiert.

Leider kam meine Mum wirklich erst sehr spät heim, so dass ich den Film bis zum Ende guckte und anschließend ordnungsgemäß traumatisiert war. Das Ende hatte mich tief geschockt. Dergestalt, dass ich den roten Mantel – die tragende Requisite im Film – wirklich sehr rot gesehen habe. Und wir hatten 1977 mit Sicherheit noch gar keinen Farbfernseher. Im Dunklen einschlafen zu können war damals für mich für einige Wochen gecancelt und alleine bleiben, das wollte ich auch erst einmal nicht mehr mit so großer Begeisterung wie noch vor dem Film.

Bis heute konnte ich mir „Wenn die Gondeln Trauer tragen” übrigens nicht noch einmal ansehen. Es geht nicht. Vorspann, Beerdigungszene und zapp! So aber ist mir ein besonderer Eindruck von Venedig geblieben: Sehr dunkel, düster, grau und nass und sehr geheimnisvoll. Wann immer ich Bilder von Venedig im Sonnenschein sehe, halte ich sie für eine fantastische Fälschung. Mein erster Eindruck von Venedig auf Zelluloid sitzt sehr tief. Und den lasse ich mir doch nicht colorieren!
So fühlte ich mich beim ersten Blick in das Kochbuch „La Serenissma” von Nino Zoccati wie Zuhause. Auch hier strahtt Venedig auf den Fotos nicht wie auf einer überkünstlichen Postkarte, das schwere Papier schluckt ordentlich Farbe, die Fotos vom Markt sind sehr sympathisch an einem Regentag fotografiert. Venedig und viele der Landschaftsfotos wirken eher dunkel und schwer getragen und auch die Fotos der herrlichen Gerichte sind auf wundervolle Weise nicht neutrendisch kurz vor der Überlichtung aufgenommen, sondern farblich satt mit einem leichten dunklen Habitus, der einen Glauben macht, man hat heute drinnen gegessen – weil es draußen wieder einmal zu feucht war.

Ich finde das wunderschön! Ein Kochbuch, das sich Melancholie gestattet in der Bildesprache.

Der Autor, Nino Zoccali, ist dabei übrigens gebürtiger Australier. Als Kind italienischer Einwanderer auf einer westaustralischen Farm aufgewachsen, hat er das Gespür für die guten Produkte der Landwirtschaft mit der Muttermilch aufgesogen. Er studierte Wirtschaft und Italienisch und tendierte doch nach seinem Studium lieber zum Leben als Koch. Heute betreibt er mit seiner Frau zwei In-Restaurants in Sydney und gilt in seinem Land als Wein- und Olivenölexperte. Mit diesem, seinem zweiten Kochbuch, setzt er seiner besonderen Liebe zu Venedig ein Denkmal, die seit seinem allerersten Besuch mit 21 Jahren ungebrochen ist.

Wer dieses Buch kauft, kauft ein schönes Stück venezianische Geschichte dazu. Die Gerichte der vier Provinzen der ehemaligen Republik Venedigs werden hier mit großer Hingabe vorgestellt. Der Leser bereist die Küchen von Venedig und dessen Laguneninseln, Venetien – dem Hinterland, entlang der kroatischen Küste am adriatischen Meer und überwindet dieses hinüber zu den griechischen Inseln, die früher auch von den venezianischen Herrschern regiert wurden. Die allerheiterste Republik nannte man Venedig, dem reichhaltigen Leben als erfolgreiche Handelsmacht geschudlet seinerzeit, eben: La Serenissima!

Jeder Region sind Gerichte in Menüfolge gewidmet, alte Rezepte, die sich bis in das 15. Jahrhundert zurück verfolgen lassen, die sich Nino gestattet, sie etwas moderner zu interpretieren. Anitipasti, Pasta oder Reis, Hauptgerichte und immer wieder fantastische Dolci zum krönenden Abschluss.
Ach, diese wunderschönen Rezepte, die einfach angerichtet auf den Fotos Appetit machen. Nicht nur einmal habe ich beim Lesen fantastisches Olivenöl auf den Lippen geschmeckt. Fotos von sichtlich guten Rezepten besitzen telepathische Kompetenzen – daran glaube ich ganz fest. Man schmeckt im Anblick dieser Rezepte und Fotos die Aromen von frischem Calamari und hört insgeheim das Krachen, wenn das Messer in die knusprige Haut des Vicenza-Perlhuhn schneidet.

Nur wird es ganz so nicht leicht sein in den hiesigen Breitengraden den Seespinnen-Pie nachzukochen oder an Lefkada-Salami zu kommen, um diese Rezepte originalgetreu kochen zu können, wenn auch nicht unmöglich. Aber die hausgemachte Mascarpone können wir selber zu Hause produzieren, denn das Rezept findet sich unter den Grundrezepten ganz hinten im Buch! Und für ein herrliches Pandoro-Tiramisu, einem Tiramisu aus Panettone, wird es auch bei uns sowieso reichen oder für ein süßliches Recioto-Rotwein-Risotto mit dem lieblichen Valpolicella Recioto angesetzt und schmelzendem Lardo. Das Zypriotische Calamari-Stifado bekomme ich hier auch noch hin, natürlich nicht mit Calamaris ganz frisch aus dem Meer – es wird das erste Rezept sein, das ich aus diesem Buch kochen (und darüber hier berichten) werde.
Nicht selten werden im Rezept noch passende Weine von Nino Zoccali erwähnt. Natürlich ist der Nähe zum Meer geschuldet, dass viele der Rezepte eine häufigere Präsenz von herrlichem Fisch, Meeresfrüchten und Schalentieren aufweisen. Aber wer will es einem Kochbuch über eine Küstenregion verdenken? Dennoch begegnet uns Lesern auch zartes geschmortes Lamm, Ziege oder Geflügel im Buch. Und genauso viele reizvolle Risotti unterschiedlicher Couleur (im wahrsten Sinne des Wortes) mit Gemüse als Zutaten oder Pastagerichte mit besipielsweise Steinpilzen, sie lassen gemütlich vegetarisch durch dieses Buch speisen.
Die wunderschönen melancholischen Landschaftseindrücke hat Andrea Butti fotografiert, die Foodfotos Alan Benson gemeinsam mit Vanessa Austin (Styling) und Dean Worthy (Koch).

Das ist ein ganz wundervolles Kochbuch. Und es ist ein bisschen mehr: Es ist gleichzeitig ein mitnehmendes Reisebuch und ein Geschichtsbuch.

Und … es ist kein bisschen gruselig! La Serenissima im Original „Venetian Republic”
Autor: Nino Zoccali
Verlag: Christian Verlag
ISBN: 9-783958-614849