2012-09-30

Unterhaltungsprogramm der Berliner Sorte

Meine Freundin, noch aus der Grundschulzeit, reicht mir neulich auf Facebook eine Einladung weiter zu einem denkwürdigen Abend. Fragt mich, ob ich Lust habe mitzukommen, es hat was mit „Die Magie des Denkens - Gehirnleistungen jenseits des Vorstellbaren” zu tun. Und ich denke bei mir: Gehirnleistung klingt gut, Magie klingt kryptisch, Denken hilft immer (na gut meistens) und ich sage zu.

Hotelentertainment. Berlin hat sich, es ist wohl der Geschichte geschuldet, eine ordentliche Ansammlung an Hotels zu eigen gemacht über die vergangenen Jahre. Ich glaube, jeder Bezirk hat mittlerweile mindestens ein Motel One, wenn nicht sogar drei. Und Motel Ones sind ja bekanntlich nur das Ende der Kette einer langer Reihe existierender Hotelketten. Diese Hotels müssen selbstverständlich, ein Adlon vielleicht ausgenommen, um Kunden kämpfen und das tun sie auch, in dem sie sich um die hier ansässigen Bewohner bemühen, damit diese möglichen Gästen eine Heimstatt besonders empfehlen im Hauptstädtchen.

Das habe ich diese Woche schon einmal kapiert: ich muss mich nur auf mehr Hotel-Newslettern eintragen. Dann ist abendliche Langeweile (also ob ich die kennen würde) nichts, was der Gegenwart ein Partner wäre.

Zurück zum Denken. Zur Einladung gab es nämlich eine weitere Einladung: zu einem Nudelbuffet, das nennt sich dann „Pasta satt” (und wer jetzt schon Unterirdisches ahnt, der wird Recht behalten) für nur Euro 8,50. Wir einigen uns darauf, das komplette Programm mitzunehmen – wenn schon, denn schon – und suchen vergangenen Dienstag dieses Hotel in Tiergarten oder Moabit oder noch nicht oder doch schon Mitte, wer weiß das schon?, auf, das idyllisch in einer Shopping-Center-Installation beheimatet ist. Eines dieser Hotels, das unten als solches nur durch Fahrstühle zu erkennen ist und sich dann in der zweiten Etage mit einem großen Atrium präsentiert, so dass man sich merkwürdig eingesperrt vorkommt. Wie auf Zion. Eigener Planet im Planet.

Der Hotelgastgeber begrüßt uns (die Freundin kommt eben rum …) und wir gehen in den Restaurationsbereich, der bereits gut gefüllt ist. Im Atrium singt sich eine wunderschöne Frau mit einer unglaublichen Stimme ein. Cara Ciutan, stellt die Technik vor eine hohe Aufgabe und ich frage mich, was hat so eine Frau auf einer so kleinen Bühne zu suchen?

Eine sehr akkurat, erstaunlich lieblos formierte Gemüsedekoration zeigt viele Gemüsesorten auf, die wir später im Essen nicht wieder sehen werden; beinhaltet die sehr wenigen Sorten, die wir später im Essen wieder finden werden indes bevorzugt nicht. Es stehen sechs dieser üblichen Hotelwarmhalte-Dinger (ich gebe zu, ich weiß wirklich nicht wie sie heißen) auf einem Tisch. Buffetstyle halt. Beim Blick in die Karte wird uns eine Weinauswahl präsentiert, die, was die offenen Weine anbelangt, preislich jeden Wunsch nach unten offen lässt. Mittlerweile habe ich das Design des Hotels zur Kenntnis genommen und einen ersten Blick auf den Teller der anderen bereits Pasta speisenden Gäste zur Kenntnis genommen und mich beschleicht das Gefühl, dass es eine kluge Idee sein könnte hier besser keine Unsummen für Wein auszugeben. (Hier ist hier klar das Modell „nimm gleich die ganze Flasche” kalkuliert, was leider nicht wirklich auf Qualität des Weines schließen lässt.)

Wir begeben uns sodann zum Nudelbuffet und warten … nicht in einer Schlange. Nur so auf Nudeln. Mit uns wartet auch ein junger Hotelangestellter, der uns versichert, die Nudeln kämen gleich, dann steht er gemeinsam mit uns herum. Und während wir so gemeinschaftlich herum stehen, überlege ich (bin mehr der Typ lieber machen als rumzustehen) ob ich ihn frage, ob er mit einen Lappen bringen könnte, damit ich für ihn die Flecken vor dem Pesto-Teller wegwischen hätte können. Oder ob ich die durchwühlten Parmesanteller (Qualität Paniermehl) wieder appetitlich verrühre oder den einen fast leeren Teller schon einmal unauffällig weg räume … naja, diese Kleinigkeiten halt, die mir auffallen, die ich dezent als Lieblosigkeit dem Gast gegenüber wahrnehme. Dinge mit denen man sich nicht wohl fühlt, wenn man schon warten muss.

Die Nudeln (Rigatoni) kommen dann, haben ihren al Dente-Moment auch schon längere Zeit hinter sich gebracht und werden mit einer sehr flüssigen (!), das stellt sich erst später heraus, erstaunlich geschmacklosen Carbonara-Sauce mit Pressschinken vermengt. Das ist so ziemlich das Ekligste, was ich in letzter Zeit zu mir habe nehmen dürfen. Und dabei sehe ich großzügig darüber hinweg, dass das Rezept ursprünglich „Spaghetti Carbonara” heißt, hier keine Spaghetti zu finden sind. Ich erkläre noch meiner Freundin, dass an Carbonara grundsätzlich Sahne gar nichts verloren hat, wobei ich heute, einige Tage später, nicht einmal mehr behaupten würde, dass das überhaupt Sahne gewesen ist, was diese Flüssigkeit flüssig und weiß erscheinen ließ.

Gut, unsere Begeisterung hält sich gemeinschaftlich in Grenzen, wir versuchen es aber noch ein zweites Mal. Vorne am Buffet angekommen, bittet uns der freundliche junge Mann zu warten, die Nudeln … Es wartet eine stilvolle Tomatensauce und alternativ eine Tomatensauce mit (wirklich) komischer brauner Farbe mit Fleisch, die Bolognese. Ich ignoriere höflich die Pesto-Flecken, alte Bekannte mittlerweile, auf dem Tisch und wir warten ausgiebig auf Nudeln. Und warten. Wir warten etwas länger. Die Nudeln kommen (wieder Rigatoni), wir versuchen die Sauce Bolognese (wieder nicht Spaghetti Bolognese) und hören irgendwann tapfer auf uns mit Geschmacklosigkeit zu quälen und erklären das Projekt „Pasta satt” im BEST WESTERN PREMIER Hotel MOA Berlin (!) (eigentlich gehören hinter diesen Namen sehr viele Ausrufezeichen aber ich darf das aus typographisch Bescheid wissenden Gründen nicht tun. Leider.) für uns, wenn auch noch ungesättigt, als beendet. Immerhin scheint ein frischer Teller am Nebentisch zu signalisieren, dass nun doch auch etwas Abwechslung in das Nudelangebot gekommen sei … sie werden breiter und länger. Wir sind zu diesem Zeitpunkt aber bereits vom Mut verlassen.

Ich denke an die Steinpilz-Ravioli aus dem Gorgonzola Club, frisch gemacht für Euro 9,— und man ist danach auch sehr satt. Glücklich satt. Ich wundere mich nicht darüber, dass ich hier nicht einmal Lust habe, dass Essen zu fotografieren. Und wann fotografiere ich Essen denn schon mal nicht?

Aber es gibt ja noch Programm. Bis hierhin gilt übrigens nicht, dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, aber ab jetzt. Ich tue es trotzdem. Das Atrium ist eingedeckt mit Stühlen und einer Bühne mit einer schlechten Montage als Hintergrund, die „Jens-der-Denker” einmal als grafische Arbeit für sich in Auftrag gegeben hat. Ich habe das Gefühl „Jens-der-Denker” ist mir schon in Talkshows begegnet oder Kopien von „Jens-der-Denker”, was weiß ich. Nach einem kurzen Appetizer-Versuch von Claudio Maniscalo und der oben schon gepriesenen Cara, die versuchen für ihr Programm „La Familiga” zu werben (das ich schon mit dem großartigen Robert Luis Griesbach sehen durfte), auch wenn nach dem Pasta-Erlebnis vermutlich niemand im Raum mehr der Sinn nach Nudeln steht für die nächste Zeit, beginnt, ja was eigentlich? Ich nenne es der Einfachheit halber einmal die Show.

Jens humpelt auf Gehhilfen auf die Bühne, ein Intermezzo mit seinem Orthopäden, und eine junge Dame kündigt den „Meister” für die Location drei Spuren zu theatralisch an.

Simone, Sabine, Susanne, Sandra oder Mandy, wie sie auch immer heißt, hat sich in schwarze enge Kluft mit einem roten Korsett darüber geschnürt geworfen und assistiert dem im Sessel sitzenden Denker mit ausgesuchter Lieblosigkeit, Abgestandenheit, wohltemperierter Arroganz, Pseudosexualtiät und wohltuender Befreitheit eines Lächelns gepaart mit affektierter Überheblichkeit. Sie bietet alles, was man von einer Assistentin nicht sehen möchte und schafft es tatsächlich damit sehr schnell, dass ich doch noch an diesem Abend pappsatt bin. Sie zeigt somit offensichtliche Pasta-Kompetenz.

Jens selber tut das, was er kann: rechnen und zeigt uns das willig bis ausführlich. Zwischendurch reißt er einen verbalen Kalauer nach dem anderen. Witze der Sorte, die man schon beim ersten Mal vor 20 Jahren nicht wirklich goutieren wollte. Seine Witze sind so vorprogrammiert, wie eine Online-Banking-Einlog-Routine. Ansonsten hat er ein fotografisches Gedächtnis und Spaß daran, sich mit Telefonbüchern zu beschäftigen. Telefonbücher sind indes mein Ding eher nicht, ich hatte die letzte Telefon-CD vor zehn Jahren im Postamt abgeholt.

Es ist sicherlich ganz nett, was er kann, aber meine Ambitionen sind nicht die seinen. Ich weiß schon, dass der Mathematik eine gewisse Logik zu Grunde liegt, sich diese Logik zu eigen zu machen, ist schön. Aber auch nur bedingt im Leben hilfreich. Sieht man ja an seinem kaputten Fuß. Andererseits kann er mit seinem Job seinen Orthopäden finanzieren, es muss also ganz gut laufen. Als Jens verkündet, dass er seine Tricks gerne später am Buchstand, wo er sicherlich gerne gekaufte Bücher signieren würde, unter Umständen auch gern verraten würde, hat die Vorführung keinen Reiz mehr für uns und wir beschließen Jens und seinem Dominaversuch Mausi ihrem Abend zu überlassen, gehen ins benachbarte Restaurant, trinken einen finanzierbaren sehr feinen Riesling und schauen den anderen Gästen neidisch auf den Spätzle-Teller …

Manchmal zählt einfach nur die nette, charmante Begleitung!

2012-09-27

11. Blogparade: Kochen, Backen, Erhitzen

Nettes Küchenblogstöckchen vom Küchen Atlas Blog mit Gewinnchance (also selber mitmachen aber bitte ganz schnell bis 30.09.2012!), das ich jetzt einmal dazu benutze, Euch hier im Blog einen ersten kleinen Teil meiner Küche in der neuen Wohnung vorzustellen. Zunächst einmal inspirierende Kollegen, die in keiner Küche fehlen sollten:



Was für einen Herd hast Du?

Die untere Küche, der schwarze Teil, wurde mir freundlicherweise von @moapp und Gattin geschenkt, die vergangenes Jahr nach Berlin zogen und ich somit damals das Vergnügen hatte erstmals eine Ikea-Küche dort mit aufbauen zu helfen. Als beide dieses Jahr in eine neue Wohnung umzogen und kein Ikea-Teil mehr in ihrer Wohnung haben wollten, bekam ich die komplette Küche (also fast alle Unterschränke), den Kühlschrank und den Ceranherd sowie Backofen von ihnen sehr großzügig geschenkt. Wofür ich ihnen immer dankbar sein werde, sonst hätte ich mir nie so eine Traumküche aus bekannten Gründen leisten können zur Zeit. Ich stellte allerdings die Küche auf die 21 cm hohen Beine (wofür ich wiederum Ikea immer dankbar sein werde). Meine Küche ist also für große Menschen perfekt, meine Bandscheiben und ich mögen sie sehr.

Welchen Herd? Welchen Backofen? Einbaugeräte oder separat?

Der Herd ist somit von Ikea, zweiteilig eingebaut und besteht aus dem Ceran-Kochfeld (dessen Bezeichnung ich nicht kenne, weil nicht mehr online zu finden auf der Ikea-Seite) und dem Backofen Framtid OV3. Die Einsteigervarianten im Programm.



Die, die ich die letzten Jahre immer mit Gas kochen durfte, war anfangs sehr skeptisch hinsichtlich der für mich „neuen” elektrischen Technik namens Ceran. Ich kannte vorher im mütterlichen Umfeld nur die alte Variante Elektroherd, natürlich nie mehr meine Wunschvariante. Tatsächlich bin ich vom Ceran angenehm angetan. Die Hitzeregelung ist Gas gar nicht so fern ähnlich und ich kam mit den Temperaturregelungen von Anfang an gut klar. Aber immer habe ich Panik, mir fällt mal etwas aus dem Schrank ungünstig auf das Glas. Den Ofen finde ich hinsichtlich seiner Funktion prima. Ich habe eine völlig neue Beziehung zum Backen entwickelt, das machte mit meinem alten Gasofen schlichtweg keinen Spaß mehr. Hiermit bekomme ich endlich einen Hefekuchen hin, wie er sein soll.



Kritisieren würde ich an dem Backofen zwei Dinge – und die ärgern auch sehr. Die doppelseitige Glastür ist natürlich aufgrund von Ventilations- und Hitzeschutzgründen oben und unten offen. Somit läuft generell schnell Kondenswasser und wenn oben auf dem Herd etwas schief geht auch alles andere zwischen diesen Glasscheiben hinunter oder fallen Backkrümel hinein. Die Tür ist ratzfatz dreckig. Die Tür ist aber nicht ratzfatz innen zu reinigen. Im Gegenteil. Es lässt sich nur die Tür aushängen, die Fläche zwischen den Glastüren zu reinigen funktioniert nur mit wilden Eigenkompositionen. Das ist die Pest und man bekommt auch das nicht ohne Wasserflecken hin. Überhaupt ist der Aufwand massiv von Angst geprägt, man macht dabei dann die Tür oder Glasscheiben komplett kaputt. Das ist ein einziges „No Go!”. Was so dermaßen unkompliziert verunreinigt werden kann, muss deutlich unkomplizierter – ich würde ja hier lieber schreiben wollen: überhaupt – gereinigt werden können.

Neulich kochte ich dann erstmals Gulasch im Ofen. Am nächsten Tag hatte ich eine Kondenswasserpfütze unterhalb des Ofens auf dem Boden. Hallo?! Der Ofen ist eingebaut, als nimmt das Wasser auch Weg über das Holz. What the fuck?

Welche Spezialfunktionenn sind Dir bei den Geräten wichtig?

Als Spezialfunktionen wären mir persönlich bei einem anderen Modell wichtig: sehr gerne hätte ich wirklich Heiß- bzw. Umluft, eine Turbo-Grillfunktion bzw. was sich immer bei den Öfen im Besonderen unter Brotback-/Pizzafunktion verbirgt. Natürlich und überhaupt: Selbstreinigung und eine Auftaufunktion (ich bin Mikrowellenhasser) und eine ökologisch sinnvolle Warmhaltefunktion wären wünschenswert. Ach ja und eine Zeitprogrammierung bzw. automatische Zeitregelung.

Was ist Dir sonst noch wichtig bei diesem Thema, vielleicht Dein Lieblingstopfset, Pfannen und Bräter …?

Da fällt mir nur eines ein: ich bin von allem neumodischen Kram mit superduper Beschichtungen und Halligalli-Griffen in den Jahren zurück zum guten alten Kochmaterial: Gußeisen bzw. Eisen, vor allem beim Braten, Emaile für Auflauf- und Backformen und natürlich gibt es noch ein paar Edelstahltöpfe. Ich liebe meine gußeiserne Pfanne von LeCreuset sehr, dto. deren Bräter – auch aber nicht nur wegen ihrer Farbgebung. Und die deBuyer-Pfannen. Das sind unvergleichliche Bratergebnisse. Silikon nutze ich in der Küche nur als Topflappen, das Material käme mir nie an Essen oder an den Kuchen. Da bin ich Traditionistin.

(via Melody)

2012-09-26

Darauf …

komme ich den ganzen Tag schon nicht klar (obwohl ich diesen Artikel schon vor einigen Tagen las.)

In Griechenland sterben Menschen, heute, an Krebs. Ohne Morphiumversorgung. Weil in deren zusammenbrechenden System einerseits stringent Leistungen gekürzt werden ohne Sinn und Verstand. Andererseits, weil aus Brüssel Gelder nicht fließen.

Und halten wir das doch zum allgemeinen Verständnis fest. Die Ursache für die Krisen in denen sich viele europäische Länder befinden, liegen sicherlich in einer falschen Politik und in schlecht gemachten Rechenaufgaben. Hauptursächlich sind aber daran die Banken schuld. Was hier passiert, ist der verlängerte Arm der Finanzkrise.

Wie könnte ich mein Kind unter Qualen sterben sehen ohne den nächstbesten Bänker kalt zu machen, frage ich mich da ernsthaft? Wie können wir zulassen, dass in einem zivilisierten Nachbarland Europas die Menschen so ohne Hilfe zugrunde gehen müssen? Ich habe gerade so einen Hass darauf. Ich kann damit umgehen, dass wir uns verschulden, ich kann damit umgehen, dass wir sparen müssen. Aber dass Menschen in diesem Europa ohne medizinische Versorgung und Schmerzmittel leiden müssen? Wieso dulden wir das?

Und noch ernsthafter frage ich mich, wieso erklären wir Banken nicht viel intensiver und offensiver, vor allem deutlich destruktiver und lauter unsererseits zum Feind? Warum lassen wir uns von einer dussligen amerikanischen Politik glaubhaft machen, der Islam oder der Terror sei unserer einziger bevorzugter Feind obwohl der Hauptfeind aus deren eigenen Land kommt?

Im Moment mag ich diese Welt nicht mehr. Mein Vertrauen in sie geht verloren.

2012-09-25

Sozialisierung

Ich wohne nunmehr in einem brisant politischen Umfeld keine zwei Minuten vom Mauerweg entfernt, genaugenommen nicht weit vom ehemaligen Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. Drei Häuser und eine Querstraße weiter begann seinerzeit der Westen, überall wo ich in meinem Kiez laufe überlege ich immer, war hier eigentlich Osten oder Westen? Die alte Realität verschwimmt mit den Jahren …

Die Wohnanlage in der ich lebe, die Wohnbautengenossenschaft ist also recht ostzonal, aus geographisch nahe liegenden Gründen. Der Menschenstamm, der hier wohnt, ist in der Hauptsache hochbetagt. Tatsächlich hat das Wohnumfeld Ähnlichkeit mit einer Seniorenwohnanlage auf Mallorca nur mit weniger Sonne. Das ändert sich auch eher langsam und so merkwürdig es klingen mag, ich mit meinen knapp 47 Lebensjahren senke hier den Altersdurchschnitt weiträumig. Persönlich macht mir das Mut, denn offensichtlich ist das Leben hier ein Gesundes, wenn so viele Menschen hier mit einem hohen Alter gesegnet aber sehr aktiv durch das Leben schreiten.

So trifft es sich, wenn mag es wundern, dass ich morgens an meinem Schreibtisch sitze, der zur Zeit noch in Richtung Balkon ausgelegt ist und bei offener Balkontür den Dialogen meiner Nachbarn lauschen darf, die auf dem Weg vom Kaiser's in Richtung Wohnung oder von der Wohnung in Richtung schlimmer Discounter ihre morgendlichen Rituale begehen. Fast immer treffen sich die weiß- oder graubehaarten Menschen direkt unter meinem Balkon, man grüßt sich höflich und immer siezend, kommentiert das eigene Leben, den Tagesablauf und das allgemeine Geschehen im Wohnumfeld, was ich immer recht apart finde, denn ich bin soweit ganz gut informiert. In der kurzen Zeit, die ich hier wohne, gab es wenig Skandale. Keine vier Hochzeiten. Auch keinen Todesfall.

Ein Satz fällt übrigens in den Dialogen immer, danach kann man die Uhr stellen. „Ich komme gerade vom Arzt!” Dann folgt üblicherweise eine ausführliche Beschreibung des gesundheitlichen Status und eine Aussichtsbeschreibung auf künftige Untersuchungen. Von dieser Dialogtradition wird niemals abgewichen und ich korrigiere daher meine obige Angabe, die Wege, die sich da kreuzen seien ursächlich käuflicher Willkür. Ich komme nicht umhin bekannt zugeben, dass ich somit meine Nachbarn zunehmend als „das ist die Frau mit dem CTG” oder „die Hypertonistin” benenne.

Nun, da auch ich mir gelegentlich den Haaransatz schon färbe, jetzt noch eher gegen das Straßenköterblond ein bisschen aber auch schon gegen das Grau, dachte ich bei mir, ich könnte mich zwecks allgemeiner Sozialisierung in meiner Nachbarschaft auch einmal zum Arzt begeben. Da meine Allgemeinmedizinerin mittlerweile in Rente ist (ich war ja lange, lange nicht mehr beim Arzt), meine Gynäkologin zwischenzeitlich auch nur noch psychologisch betreut und der frauenärztlichen Grundausbildung gänzlich abgeschworen hat, lag es nahe, sich der ärztlichen Kompetenz in meinem neuen Wohnumfeld anzuvertrauen.

So suchte ich als allererstes den Tierarzt im Kiez auf. Das gehört sich so bei Katzenbesitzern oder wie Gary Larson zu empfehlen pflegt: „Erst die Hose, dann die Schuhe.” Der Tierarzt ist übrigens eine ziemliche Sahneschnitte und ich würde von dem gerne meine Fachliteratur vorgelesen bekommen, ich bin ein Fan seiner Stimme. Er hat übrigens Katzen. Hatte ich erwähnt, dass ich ein Fan …?

Die Gynäkologin befindet sich einmal über die Straße um die Ecke. Dorthin ging ich neulich scheu und erkundigte mich, ob man überhaupt neue Patientinnen noch annähme? Es ist in Berlin nämlich keine Seltenheit, dass Gynäkologen neuen Patienten die Behandlung wegen Überlast verweigern müssen. (Weswegen ich über gesundheitspolitisch verordnete Mammographie-Screenings nur lachen kann.) Und siehe da, die sehr freundliche Dame am Empfang, freute sich mir einen Termin geben zu können in einigen Wochen, da Frau Doktor die nächste Zeit in Urlaub sei. Vier Wochen Wartezeit sind aber hier in der Stadt noch lächerlich kurz und sie sagt, ich möge bitte zum Termin, mich, meine Karte und gute Laune mitbringen. Gute Laune an einem Wochentag im Oktober um 9.30 Uhr. Das Leben im Osten birgt viele Herausforderungen.

Die Allgemeinmedizinerin, auch einmal über die Straße aber dann um die andere Ecke gelegen, suchte ich dann heute heim. In der vergleichsweise kurzen Zeit, die ich dort im Wartezimmer wartete, fragten viele wagemutige Seniorinnen nach dem herbstzeitlichen Impfstoff, der aber erst im Oktober kommen sollte. Und mir ist bewusst geworden, das muss ein Bombengeschäft sein, diese Impfungen gegen Grippeviren nach denen alle, die ich kenne, die sich regelmäßig impfen lassen, immer schön fette Erkältungen bekommen mit Fieber und Bettruhe … Nun, also Impfungen, die ja eh nie vor denen in der aktuellen Jahreszeit grasierenden Grippeviren schützen können. Egal, Bombengeschäft halt.

Ich bin übrigens 181 cm groß und wiege knapp unter 70 Kilo. Sagt Messstelle und Waage in einem. Das ist insofern sehr interessant, weil ich immer dachte und mein Ausweis behauptet, ich sei lediglich 180 cm groß und daher scheine ich ganz gegentrendlich im Alter nicht zu schrumpfen sondern zu wachsen. Außerdem habe ich das letzte Mal 2004 auf der Waage gestanden (damals nur, um die Gewichtsabnahme meiner alten Katze zu kontrollieren) und habe knapp zwei Kilo mehr auf den Rippen als damals gewogen. Ich hätte gedacht, es seien mehr. Alles in allem aber eine passable Leistung.

Mit der Ärztin unterhielt ich mich dann übrigens hauptsächlich über ihre Zinnfigurensammlung und wie man dieser zu Ostzeiten frönen konnte, denn meinem Erleben nach, war das eher ein ostzonaler Trend (gefühlt kenne ich mehr Läden mit Zinnsoldaten im Ost- als im Westteil), dem sie aber vehement widersprach und mir von den Schwierigkeiten berichtete, zu Mauerzeit an derartige Figuren zu kommen. Sie war die erste Ärztin, die mir den Blutdruck auf beiden Seiten gemessen hatte, was mich sehr beeindruckt hat (tatsächlich eine diagnostisch sinnvolle Sache ist ab einem bestimmten Alter). Morgen darf ich Mittelstrahl urinieren und Blut spenden.

Um acht Uhr werde ich morgen unter meinem Balkon stehen und sagen: „Ich komme gerade vom Arzt!” und wehe keiner will es hören …

2012-09-24

Der Serviettenknödel



Das Wetter sprach Samstag, es ist Herbst und er möchte zelebriert werden. Die Seele in enger vertrauter Umarmung mit dem Magen diktierten daher gemeinsam, es würde nun Zeit sein für ein deftiges Gulasch, einen perfekten Rotkohl und Klöße gehören auch unbedingt dazu. Klöße sind meine heilige heimliche Liebe, erwähnte ich das bereits?

Also besorgte ich am Samstag die notwendigen, noch fehlenden Zutaten und hatte ein hübsches Stelldichein in meiner immer noch neu sich anfühlenden Küche und kochte für den Sonntag vor. Erst ein Gulasch, schön deftig scharf mit Mohrrüben, Paprika, getrockneten Steinpilzen und einer Sauce aus Rotwein und Schwarzbier. Der Bräter wanderte in den Ofen und schmörgelte (man tut es neuerdings mit Licht) geduldig vor sich hin. Der Rotkohl war auch flink mit viel Liebe und Kirschen zubereitet und verströmte seine heilenden Düfte.

Und Sonntag standen dann Serviettenknödel auf dem Plan. Natürlich halte ich hier diverse Bücher vor, die mich mit ihren Knödelrezepten überzeugen (was nicht schwer ist, an sich), dachte aber, ich könnte auch diese Medium Internet nochmals hinterfragen. Denn die favorisierten Foodblogger/innen wissen ja auch immer besser Bescheid und wer weiß, welche feine Idee sich noch unverhofft auftun ließe für das beste Knödelrezept.

Deren Masse schlussendlich aus Brezeln, Milch, Eier, gedünsteten Zwiebeln, frischer Petersilie und zur Würze Salz, Pfeffer, Muskatnuss, etwas Thymian und Rosmarin geriet. Der eigentliche Skandal war aber, dass in jedem Online-Rezept die Klöße wenig stilecht in Folie gewickelt werden, und zwar doppelt: Klarsichtfolie, dann Alufolie. Man rät aus sehr merkwürdigen Gründen zur neumodischen Doppelung. Die Klarsichtfolie könnte ja gebenenfalls schmelzen bei zu großer Hitze. Und überhaupt könnte Wasser an den Kloßteig gelangen. (sic!)

Im Hause creezy wird ein Serviettenknödel noch ordentlich im Leinentuch gewickelt und mit Bratband verschlossen. Dazu nimmt das neumodische Küchengeschöpf ein Tuch vom schwedischen Albtraumkaufhaus, gereinigt und selbstverständlich von der Waschmaschine ordentlich ausgekocht und gut gespült, so dass kein schäumendes Kochwasser auszumachen war im Topf. Und schlussendlich hatte ich eine wundervolle Rolle Serviettenknödel vor mir. Merkwürdigerweise haben meine Knödel gar keine Angst vor Wasserkontakt.

Und ich will nie wieder etwas vom Knödel aus der Klarsichtfolie hören! Wann eigentlich – und warum – muss das gute Küchentuch sterben? Das, dass uns Fonds seien, Strudel ziehen ließ und den Knödeln die perfekte Form gab?

2012-09-22

Träume

Ich bilde mir ein, ich träume selten. Zumindest gehöre ich zu den Leuten, die, wenn sie träumen, am nächsten Tag kaum mehr eine Erinnerung daran haben. Deswegen hätte ich bis vor kurzem beinahe behauptet gar nicht zu träumen aber das wird wohl eher nicht stimmen, wenn ich mir die Traumwirtschaft so anschaue und anlese.

Tatsächlich, das ist mir erst dieser Tage bewusst geworden, gibt es einen Traum, der mich seit einigen Jahren sehr intensiv begleitet. Ziemlich genau seit 2006. In diesem Traum leben ich wieder das Leben voller Schmerz und Verzweiflung, weil meine Mum gerade gestorben ist und bin in ihrer Wohnung und bereite ihre Beerdigung vor und bin so tief in dieser schrecklichen Endgültigkeit gefangen – und da steht sie plötzlich in der Tür und ist gar nicht tot. Alles war nur ein Versehen, ein Fehler in der Übermittlung. Sie ist verwundert, wie ich eine solche Nachricht glauben konnte ohne bei ihr nachzufragen. Und sie ist natürlich erschrocken, dass ich hier in Berlin ihr Leben auflöse. In diesem Traum lebt sie eigentlich noch auf Mallorca, weswegen es überhaupt zu diesem Missverständnis kommt.

Von mir fällt in diesem Moment alles Traurige ab – und alles scheint wieder gut. Ich kann sie sogar riechen. Es geht mir im Traum ganz wundervoll, weil die Welt wieder in Ordnung ist und ich erhalte die Chance (gefühlt) Fehler rückgängig zu machen, ihr wichtige Dinge zu sagen, Dinge nicht zu tun, die sie verletzt haben mögen. Aber sie nimmt mich nicht in den Arm, was ich mir so sehr wünsche, weil sie eben so verstimmt ist. Jetzt, da mir dieser Traum überhaupt im Bewusstsein zugängig wird, was er jahrelang gar nicht war, erinnere ich mich daran, wie ich ihn das erste Mal geträumt habe, dann wach wurde und das Entsetzen über die Realität eiskalt über mich zusammenbrach und fast noch einmal mehr weh tat, als ich im Nachspiel meinen Schmerz von dem akuten Damals in Erinnerung habe. Ich glaube, damals habe ich diesen Traum auch weggepackt. Wenn mich jemand nach dem Traum gefragt hätte, ich hätte mich tagsüber nicht daran erinnert.

Ich weiß aber genau, ich habe ihn öfter noch geträumt. Ein wenig ist dieser Moment in dem sich alles zum Positiven wendet und in ein weiteres Leben meiner Mutter auslöst, wie eine Sucht, denn in dem Moment scheint die Welt so dermaßen in Ordnung zu sein. Aber ich habe diesen Traum nie aus dem Unterbewusstsein gelassen, weil er in der Realität mir zuviel Schmerzen bereitet. Und so hat er sich tatsächlich erst in den letzten Wochen nach und nach in mein reales Tagesgeschehen gekämpft und ich kann mich offiziell erinnern. Wer weiß, was dieser Traum die letzten Jahre als Dämpfmaterial gute Dienste geleistet hat.

Seit einigen Wochen träume ich wiederholt einen anderen Traum. Wieder lebt meine Mutter darin und scheint gesund und munter aber sie möchte sterben. Sie möchte sich selbst das Leben nehmen und sie hat sehr viele gute Gründe, dass ich sie schlussendlich gehen lassen muss. Da ist der Zwiespalt zwischen der egoistischen Tochter, die natürlich ihre Mum ja nicht verlieren möchte einerseits und dem der erfahrenen, wissenden Enkeltochter einer Großmutter, die sich umbrachte, und die für den Wunsch alles logische Verständnis hat andererseits. In dem Traum geht meine Mum dann, und ich bleibe zurück und bin verzweifelt darüber, ob ich auch wirklich alles getan habe, um meiner Mum das Leben wieder lebenswert erscheinen zu lassen. Und dann schlägt dieser unglaublich klare alles Fröhliche tötende Verlust im Traum durch, dass ich kaum noch atmen kann.

Ich glaube dieser Traum lässt den anderen gerade nur in die Realität hüpfen, weil er ihn ablöst.

Ehrlich? Ich hätte gerne anderen, schönere Träume. Diese hier machen zu viel mit meinem Nerven- und Gefühlskostüm. Sie ermüden mich sehr.

Leseempfehlungen

Hatte ich mir neulich noch fest vorgenommen mindestens zwei Blogs pro Woche hier zu empfehlen, wird mir diesen Moment klar, dass ich es nicht in der Gänze hinbekommen habe, diesem Vorsatz zu folgen. Warum? Die Wochen sind zu schnell rum dieser Tage. Und überhaupt …

Frau engl@absurdum schreibt eine persönliche und schöne Selbstansicht zu dem Online-Projekt #609060, das in der Hauptsache an mir vorbei gegangen ist, davon abgesehen, dass ich natürlich auf Twitter plötzlich täglich meine hauptsächlich weibliche Timeline mit und ohne Kopf angezogen bewundern darf. Den Teilnehmerinnen scheint es viel Freude zu bringen, die schriftliche Auseinandersetzung hierzu. Nun ja, Frauenprojekt müssen wohl auch immer intellektuell besprochen werden, wir sind halt so …

Herr Buddenbohm hat sich die schönsten Gedanken gemacht, wie er eine stilsichere moderne Situation mit einem Sohn in das Reich gelesener Klassiker hinüber retten kann und daraus wundervolle Buchempfehlungen gemacht. Einfach schön!