2025-10-04

Frederick's – historische Location mit französischem Flair

Bellevuestraße 1 – wer diese Adresse in Berlin sein Eigen nennen darf, residiert an der souveränsten Postanschrift, die man in der Hauptstadt haben kann. Unter dieser Anschrift verbirgt sich der gerettete Kaisersaal des früheren Grand Hotel Esplanade im „Das Center"(am Potsdamer Platz.)


Frederick's – Welcome to the Pleasure Dome!

Seit 2022 befinden sich das Restaurant und die Bar Frederick’s in diesen historischen Räumen und haben ein Konzept des Wohlfühlens konzipiert. Serious about food, serious about fun! Die Strategie geht auf, das spürt man schon bei der herzlichen Begrüßung im Garderobenbereich. Seit Kurzem steht dem Restaurant Chefkoch Nicolas Gémin vor.

Bevor am 1. Oktober 2025 seine neue Speisekarte Berliner Gourmetfreunde begeistern wird, durfte ich sein Begrüßungsmenü im Rahmen des Soft Openings genießen. Noch bis zum 4. November serviert, wird es von einer geflügelten Adventskarte neben der regulären Hauptkarte abgelöst. Das kann man durchaus bedauern, es ist ein Genuss!

Zu viert – nehmen wir zwei Tatsachen vorneweg – waren wir alle mehr als begeistert von dem Menü mit seiner spannenden Wein- und Cocktailbegleitung und: Wieder einmal waren es die vegetarischen Gänge, die uns besonders zu begeistern vermochten.


Who is Nicolas und Josip?

Nicolas Gémin lebt Tempo. Das ist schnell klar, sobald man sich mit dem eloquenten, sehr sympathischen Franzosen unterhält, der uns in seinem schnellen, perfekten Englisch seine berufliche Vita erzählt.
Im französischen Gabat (Nouvelle-Aquitaine) geboren, hatte der junge Baske noch dem typischen Hobby französischer Kinder gefrönt: Go-Karting-Rennen fahren. Die Leidenschaft ging so weit, dass er kurz davor war, in den Profirennsport zu wechseln.

Doch die Liebe zur Küche, das Talent, ist ihm von der Großmutter und Mutter, letztere professionelle Köchin, vererbt, hatte gesiegt. Den Abschluss machte er an der École hôtelière de Biarritz. Seinem Wunsch, nach der Ausbildung zunächst ein nur viermonatiges Praktikum im Ausland zu machen, folgten acht Monate in Marokko und seine große Liebe zu den Gewürzen des Orients. Dem schlossen sich viele Stationen mit jahrelangen Beschäftigungen in Sterneküchen in Kanada, New York, Dublin und Amsterdam an – inzwischen bereits auch zehn Jahre in Berlin. Hierher hatte ihn die Liebe verschlagen. Das SPINDLER, das er mit seinem Team zu einer der Top-Brunch-Adressen in Berlin gemacht hatte, war davon die meiste Zeit seine berufliche Heimat.
Mit der Aussicht auf ein Glas Crémant brut vom Weingut Abril (Kaiserstuhl) als Aperitif begrüßt uns Josip Dzajic im Restaurant. Als Restaurantleiter bildet er gemeinsam mit Gémin das neue Führungsteam des Frederick’s. Dzajics hat kroatische Wurzeln, sein beruflicher Werdegang ist speziell. Nach seiner Ausbildung als Hotelfachmann im Europe Hotel Stuttgart ließ er zunächst ein Theologiestudium in Tübingen mit anschließendem Studienaufenthalt in den USA folgen.
Zurückgekehrt in die Gastronomie, arbeitete er in Deutschland, der Schweiz und den USA. Als diplomierter Sommelier (WSET Level 3) steht er seit 2016 in Berlin namhaften Gastronomien wie dem Reinhard’s am Kurfürstendamm, Einstein unter den Linden und Scirocco Brasserie am Ku’damm als Restaurantleiter vor. Nun zeigt sich Josip Djajic im Frederick’s also für die vorzügliche Weinbegleitung – und somit auch für unser Menü – verantwortlich.


Ein Ausflug in die Berliner Historie

Zuerst gewährt er uns aber eine charmante Führung über die ehrwürdigen Treppen aus Marmor in den Kaisersaal des legendären Grand Hotel Esplanade, der in die besondere Architektur integriert ist. Denn: Wir dinieren hier in Berliner Geschichte – lediglich etwas vom Originalschauplatz verrückt. Das Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnete Hotel, absoluter In-Treffpunkt berühmter Persönlichkeiten seiner Zeit, wurde bei einem Luftangriff der Alliierten auf Berlin 1945 größtenteils zerstört. Erhalten blieben über die Jahrzehnte dann lediglich der Kaisersaal, der Frühstückssaal, das Treppenhaus mit Säulen und Waschräume. Im Kaisersaal finden heute wieder besondere Veranstaltungen, wie z. B. Trauungen im kleineren Rahmen, statt.
Der Abriss für die übrigen Reste des Hotels stand in dem Bebauungsplan nach dem Fall der Mauer mit der neuen gestalterischen Planung des Potsdamer Platzes für das Sony Center. Die über die Jahre immer noch für das pure Vergnügen genutzten restlichen Räumlichkeiten standen u. a. für den Film „Cabaret“, aber auch für Wim Wenders „Himmel über Berlin“ Kulisse.

Der Einspruch des Denkmalschutzes mündete in der millionenteuren Translozierung. Der Kaisersaal wurde auf ein Luftkissen gehoben und Meter für Meter transportiert, um 75 Meter weiter direkt in das Center neu versetzt zu werden. Ein Meter auf dem Luftkisssen kostete knapp eine Million, es hat sich gelohnt. Die Rokokowände des früheren Frühstückssaals, in 500 Einzelteile zerlegt, wurden am neuen Ort ebenfalls wieder zusammengefügt und sind jetzt Teil der Fassade.
Heute sind sie von einem Glascontainer geschützt in den Innenplatz des Centers integriert.
Von der Rhubarb Hospitality Collection 2020 erworben, wurden die Räumlichkeiten zwei Jahre komplett umgebaut, bevor das Fredericks’s unter neuer Führung 2022 eröffnete.
Der Wohlfühlcharakter ist immens. Dazu verhelfen einladende Sofa-Landschaften in gesetzten Farben im nicht überstylten Art-Déco, große Spiegelwelten an den Wänden und moderne multimediale Lichtinstallationen zu den zeitlosen Lichtelementen, wie sie am Anfang des 20. Jahrhunderts en vogue waren. Brüche in der Moderne sind charmant und sehr klug umgesetzt. Immerhin bis zu 150 Gäste finden an den sehr variablen, elegant eingedeckten Tischen Platz.
Der Weg zum Speisesaal, dem ehemaligen Silbersaal, führt zunächst an der einsehbaren Küche vorbei. Begrüßt wird der Gast von der einladenden Art-Déco-Bar mit ihrem Loungebereich, der in der Galerie im ersten Stock Fortsetzung findet. In dem Raum sind die geretteten Säulen des früheren Hotels integriert. Dem kreativen Tempel der Getränke gegenüber liegt der große Speisesaal, der mit einer eleganten Gemütlichkeit und den großen Spiegelelementen abgelöst von moderner Wandgestaltung Berliner Street-Art-Künstler lässige Gastfreundschaft vermittelt. Die Einrichtung von Innenarchitekt Robert Angell vermittelt – trotz der Größe des Saales – ein Gefühl von Intimität am Tisch. Angells Philosophie ist es, ein Gleichgewicht zwischen Opulenz und Wohnlichkeit zu bewahren – job well done!

Frederick's und sein Team – die können was!

Europäisches Brasserie-Essen – so beschreibt das Frederick’s seine Küche. Mit der Präsentation der neuen Speisekarte von Küchenchef Nicolas Grémin werden die üblichen klassischen Verdächtigen der europäischen Küchen serviert: Fine-de-Claire-Austern, Dry-Aged-Beef-Tatar über Burrata mit Rote-Bete-Tatar, Gnocchi mit Trüffel-Beurre-blanc u. v. m. Grémin malt sie mit seiner ihm eigenen modernen, eleganten Art zu delikaten Gebilden auf den Tellern. Daneben serviert er natürlich eigene Kompositionen.
Im Rahmen des Soft-Openings genießen wir das dreigängige saisonale Willkommensmenü von Nicolas Grémin mit der Weinbegleitung. Diesem stellt Josip Djajic mit seinem Barteam optional auch eine vorzügliche Variation an Cocktails zur Seite.

Der Spirit im Frederick’s ist Sharing und dafür wurden extra die Group-Menüs konzipiert. Sich die einzelnen Gänge am Tisch zu teilen, das ist ausdrücklich gewünscht – schließlich genießt man so in vielen Regionen Europas, warum also nicht auch hier? Genau das machen wir: Wir bestellen im Hauptgang die Fleisch- und die fleischlose Variante, teilen und diskutieren deren Weinbegleitung.
Der Einstieg ist ein herbstliches Farbenspiel: Topinambur und konfierte Minikräuterlinge mit frischer Trüffel tummeln sich im schwarzen Geschirr. Ergänzt wird der vegetarische Gang von einer weichen Topinambur-Creme, Lauchfondue mit Petersilienöl und getoasteten Brioche-Croûtons und frittierten Artischocken-Chips. Die Topinambur-Creme vom Meister persönlich angegossen. Die Croûtons wirken auf den ersten Blick groß, sind aber mit aufgenommener Creme einerseits weich, andererseits oben immer noch zart-knusprig und entwickeln sich so zu geschmackstragenden Gaumenschmeichlern.
Knusprige Artischocken-Chips begleiten das Lauchgemüse mit ihrem Crunch, die Topinambur-Creme ist mit orientalischen Gewürzen aufregend abgeschmeckt. Lediglich der Trüffel ist geschmacklich erstaunlich zurückhaltend.
In unserem Glas leuchtet ein Auxerrois vom Weingut Margarethenhof (Mosel) von 2023 hellgelb und pariert die erdigen Genüsse des Herbstes auf dem Teller mit seiner ausgewogenen Mineralik. Herbstliche Früchte wie Mirabelle und Quitte schenken fruchtige Aromatik und das einfach zu gut. Als Cocktail hätten wir auch einen spritzigen, leicht herben French-75-Cocktail dazu trinken können.
Der Hauptgang kann gewählt werden als Gang mit Fleisch– und ohne. Mir wurde ein Iberico-Schweinebauch, langsam gegart, mit knuspriger Polenta und einer Variation vom Blumenkohl mit einer deftigen Senfjus serviert. Der Bauch wird nach 48-stündiger Beize für 8–9 Stunden im Sous-vide-Verfahren gegart, abgeflämmt und schmelzend-zart serviert. Auch für die Glace, in der dieser saftige Schweinebauch auf dem Teller badet, hatte sich Grémin wieder von den Gewürzmärkten Marokkos inspirieren lassen. Die Farbe kommt vom Ahornsirup, gepaart mit der frischen Säure der Limone.
Die Polenta ist knusprig, der Blumenkohl mit Biss genießt die Begleitung der hervorragenden Senfjus. Dazu geschmackvoller Crunch von knuspriger Schweinebauch-Haut. Diese Beilagen könnten bonfortionös alleine als Hauptgang bestehen.
Auch die vegane Variante, ein gedämpfter, dann abgeflämmter Spitzkohl mit Auberginenceme, frischem Koriander und knusprigem Wildreis, überrascht und begeistert uns alle mit einem dezenten Gewürz-Potpourri. Der Spitzkohl erhält einen rauchigen Barbecue-Goût. Dazu begeisterte die Auberginencreme mit Koriander als Begleiter, der nie nach zu viel schmeckt, in seiner Präsenz zum Kohl der Gamechanger. Selten ist mir Koriander so sinnvoll unterstützend serviert worden. Dazu der gepoppte Wildreis als knackiger Gegenspieler. Einigkeit am Tisch: Der vegane Gang triumphiert über den Fleischgang. Dass dieser köstliche Gang einen dauerhaften Platz auf der neuen Speisekarte des Frederick's findet, ist eine sehr gute Nachricht!
Im Glas zum Schwein serviert uns der Service einen 2022er Lemberger Rosé von Dautel aus Württemberg. Der hat einen zarten, fruchtigen Auftritt mit Pfirsich und Himbeere und endet mineralisch im Abgang. Mich begeistert der Guigal: Condrieu La Doriane, der dem veganen Gang zur Seite gestellt wird.
Was für ein Tropfen! Aus 100%iger Viognier-Rebe auf fünf Lagen angebaut, reift er ausschließlich in neuen Eichenfässern, die die Domäne sogar selber herstellt. Sein Bouquet hält, was es verspricht. Weißer Pfirisch, Zwetschge, zarte Honignote mit viel Frische, Säure im unteren Bereich, dafür erstaunlich passende Mineralik. Für mich an dem Abend die Entdeckung im Glas! Cocktailfans hätten einen Mezcalita-Sour-Cocktail dazu genossen.


Warum nicht … einen Cocktail zum Dessert?

Und das tun wir als Zwischengang zum Dessert. Josip Dzajic serviert uns alle im Menü enthaltenen Cocktails: den Mezcalita-Sour-Cocktail, den zum Dessert gedachten Little-Italy-Cocktail und den French-75-Cocktail des Entrées. Alle Drinks mit einer gesunden Bitterkeit, die elegante Begleiter zu den einzelnen Gängen sind. Mit dem Mezcalita Sour fühle ich mich sehr wohl, am meisten begeistert mich aber der elegante Little Italy.
Ein Dream-Team der kleinen Sünden bildet er mit dem zarten Zitrus-Cheesecake, auf dem sich saftige Quitten (pochiert) tummeln, an dessen Seite ein intensiv nach Sanddorn schmeckendes Sorbet. Das ist mit Abstand das erwachsenste Dessert, das ich je kosten durfte – ausgewogene Süße und Säure mit einer Spur Bitterkeit des Sanddorns. Ein Dessert, das selbst nicht allzu großen Fans süßer Abschlüsse gut gefallen dürfte.
Nicolas serviert uns noch seine vegane (!) Mousse mit aufgeschlagener Orange und dunkler Valrhona Gananche und Himbeeren, sie ist ab sofort auf der ständigen Karte zu finden.
Und eine Empfehlung, sie verspricht allerfeinstes Pâtisserie-Talent. Ganz ehrlich: Die vegetarischen und veganen Gänge im Frederick's sind zeitgemäß fantasievoll, köstlich – unbedingt probieren!
Dieses Menü macht große Lust auf die neue Karte des Frederick's von Nicolas Grémin! 45,— Euro kostet das dreigängige Begrüßungsmenü, Weinbegleitung plus 20,— Euro, Cocktailbegleitung plus 25,— Euro. Die neue Karte gibt es à la carte als auch mit dreifacher Menüauswahl ab 79,— Euro. Vegetarier und Veganer sind allerbestens aufgehoben im Frederick's! Freitag und Samstags übrigens mit Musik von DJs an den Turntables begleitet. It's all about fun!


Frederick's Restaurant & Bar
Bellevuestraße 1, 10785 Berlin
Dienstag - Samstag ab 17:30 Uhr
phone: +49 30 3119 6736
e-Mail: hello@fredericksberlin.com

2025-09-30

Ertrunken …

… in einem Meer voller wunderschöner Reiseprospekte.



In die ich natürlich auch nie wieder reingeguckt habe.

2025-09-29

Für euch getestet

Wenn man mitten in der Nacht mit dem M29 nach Hause fahren möchte, der aber gerade an der Haltestelle Wittenbergplatz steht und die immerhin 200 Meter noch entfernt liegt – man den Bus also auch mit Rennen nicht erreichen dürfte – man dann hinunter in der Bahnhof geht, dort direkt die am Bahnhof wartende U-Bahn U2 nach Pankow nimmt, dann am Mendelson-Bartoldy-Platz aussteigt, die ca. 500 Meter zur Haltestelle in der Stresemannstraße flinken Fußes läuft, kann man ca. fünf Minuten warten, um in genau den M29 einzusteigen, den man vorher nicht bekommen hätte.

Gestern für euch getestet.

Autofahrer sind wie immer bei dem Spaß draußen.

2025-09-27

So Kinders!

Ich erkläre hiermit den Sommer 2025 offiziell für beendet, denn …



… ich werde morgen die Lüfter in den Keller bringen.

2025-09-26

Ist die Brandgefahr bei e-Autos wirklich hoch?

Ob Autos mit Akku-Antrieb viel häufiger brennen als Fahrzeuge mit Verbrennermotoren, deren Brände schlechter zu löschen sind, diesen Fragen ist das Correctiv nachgegangen. Kurze Antwort, tatsächlich nicht. Es wird medial häufiger darüber berichtet. Die Aussagen der Behörden oder Versicherer können den dadurch entstandenen Eindruck nicht bestätigen.

Der Correctiv-Artikel ließt sich wirklich interessant und klärt das mit den vermeintlichen Gefahren bei e-Mobility.

Angeblich größere Brandgefahr bei E-Auto gibt es nicht

Das Correctiv ist eine der Organisationen, denen rechte konservative und rechtsextreme Parteien gerne die finanziellen Unterstützungen unserer Demokratie streitig machen wollen. Es leistet mit seinen Faktenchecke relevante Arbeit für uns und unsere demokratische Grundordnung und gehört immer unterstützt mit Spenden. Finde ich jedenfalls.

2025-09-24

Trüffel extrem – Sassone Tartuffi bringt kalabrische Trüffel auf den Teller!

Lediglich 13 Minuten sind es mit dem Auto von der Altstadt Rocca Imperiales aus bis zum Trüffel-Paradies in dem kalabrischen Küstenort Montegiordano! Ein Teil der Fahrt führt dabei entlang der schönen ionischen Meeresküste.
Sassone Tartuffi ist Passion. Um die Jahrhundertwende hatte Edigio Sassone, er stammt selber aus Rocca Imperiale, sein Unternehmen gegründet und ist damit seiner tiefen Passion und Liebe zum erdigen Pilz, der Trüffel, gefolgt. Der kalabrisch-lukanische Apennin mit seinen beiden großen Nationalparks, Sila und Pollino, ist reich an diesen lukrativen Bodenschätzen. Sie sind von Kanälen und Wasserwegen durchzogen, die die umliegenden Felder und Wälder bewässern und den „symbiotischen“ Bäumen den Trüffeln Kraft verleihen.
Steinpilze wachsen hier oberirdisch und unterirdisch ruht das weltweit geschätzte weiße oder schwarze Gold Italiens: die weiße oder schwarze Trüffel.

Mit seinem Team produziert Edigio aus diesen besonderen Pilzen wunderbare Spezialitäten und er teilt mit begeisterten Kunden das Wissen über die Kultur der Trüffeljagd.
Die Waffen dieser wohl friedlichsten Jagdform der Welt? Eine begeisterte Spürnase auf vier Pfoten, etwas Belohnung in der Tasche für den schnüffelnden Freund, der hier den bezeichnenden Namen Cash trägt. Ein kleiner, spitz zulaufender Spaten – und ein Pilzkorb mit Deckel aus Weide, der die gefundenen Pilze frisch aufbewahrt.

Edigo nimmt uns mit zu einem seiner bevorzugten Sammelgebiete und zeigt uns, wie Cash arbeitet. Hierzu verlassen wir die Küste von Montegiordano und fahren keine zehn Minuten erst die Landstraßen hoch in die bewaldeten Höhen, bis wir uns nur noch auf einem befestigten Weg fortbewegen.
Die Autos abgestellt, gehen wir uns nicht wirklich sehr weit zu Fuß, schlagen uns etwas durch das Gebüsch und wild wachsende Olivenbäume.
Schon rast der Hund, von seinem Herrchen aufgefordert, über das Gelände, mit seiner Nase tief über dem Boden. Sobald er anschlägt und anfängt zu graben, ist Edigio zur Stelle mit seinem Spaten und gräbt die dunklen Früchte aus dem Erdreich.
In kurzer Zeit schnüffelt Cash eine erstaunliche Ausbeute dieser aromatischen Knollen für seinen Herren zusammen.
Und für sich selbst einige gut schmeckende Belohnungen. Sibi und Pino sind begeistert, wie es sich für Gastronomen und Köche gehört:
Ungefähr 150 Trüffelsucher suchen täglich in den kalabrisch-lukanischen Apenninen für Sassone Tartuffi mit ihren ausgebildeten Hunden und liefern je nach Pilzsaison die frischen weißen Sommertrüffel und schwarzen Herbsttrüffel in seiner Trüffelfabrik ab, wo sie gut gekühlt auf ihre weitere Verarbeitung warten.
Zuerst erfolgt die Sortierung nach Sorten, dem Zustand und der Größe der klobigen Kugeln. Weiße Trüffel sind ein Überbegriff für eine durchaus ansprechende Artenvielfalt: Tuber magnatum pico, auch Alba-Trüffel genannot oder die Tuber borchii Vittadini, auch Bianchetto (oder Marzuolo) Trüffel genannt. Letztere gilt als die Frühlingstrüffel und kommt mit ihrem besonders intensiven Aroma von Januar bis April in den Wäldern der Pollino- und Sila Nationalparks vor. Während die Alba-Trüffel ab Oktober die Sammler und Genießer mit ihrem besonderen Bouquet aus Knoblauch und Käse beglücken. Anke Sademann, Food-Journalistin, jedenfalls, ist hin und weg vom Duft der frisch der Erde entnommenen Brocken.
Die Trüffel, die die Zulieferer an Edigio verkauft haben, werden nun in den Fabrikräumen weiterverarbeitet. Frische ist hier das allererste Gebot, es gibt wohl kaum einen Ort, wo man sich in den heißen Sommermonaten Kalabriens lieber aufhalten möchte als hier in den extrem gut gekühlten Räumen dieser Produktionsstätte. Die Menge der hier gelagerten frischen Trüffel ist beeindruckend! Jeder einzelne Pilz wird per Hand sortiert und gut gesäubert aufbewahrt.
Dafür werden die Pilze in kleinen Mengen in einer sich langsam drehenden Waschmaschine mit sanftem Wasserstrahl von der Erde befreit. Besonders schöne Exemplare gehen natürlich direkt in die Gastronomie
Kleine oder beschädigte Exemplare werden in der Fabrik weiterverarbeitet zu Trüffelbutter und vielen anderen Köstlichkeiten. Edigio Sassone startete sein Geschäft als Distributor der frischen Trüffel. Inzwischen bedient er weltweit den Groß- und Einzelhandel und verkauft in seiner Fabrik direkt auch an Endkunden.
Der sich auf dem Fabrikgelände befindliche Shop ist ein Eldorado für Trüffel-Genießer – von dem auch Internetkunden profitieren. Das Unternehmen ist mittlerweile von einem reinen Trüffelvertrieb zu einer Produktionsstätte vieler spannender Trüffelspezialitäten geworden.
Die Regale stehen voll mit den Köstlichkeiten, die sich aus den Trüffeln herstellen lassen: Sommertrüffel-Carpaccio, Pesto mit weißer Trüffel, besonders lecker: die intensive Trüffelbutter, auf deren Glasboden sich Trüffelstücke verstecken, die so intensiv ist, dass man sie noch sehr gut mit etwas heimischer Butter verlängern kann. So werden Tagliatelle zu einem besonders schnellen Tüffelgericht – oder wird ein Omelett delikat damit parfümiert. Eine delikate Käsecreme oder Pilzcreme, angereichert mit Trüffel. Mandeln und Cashews mit Trüffel aromatisiert, die Crema di Balsamico mit Trüffel – Sugo mit Tomaten oder – in der typischen kalabrischen Art etwas schärfer, also picante – mit Trüffel. Der Kreativität von Edigio Sassone und seinem Team scheinen kaum Grenzen gesetzt. Selbstverständlich gibt es auch trockene Pasta schon mit Trüffel – und dass man wahlweise all diese Produkte mit weißem oder schwarzen Trüffel kaufen kann, muss ich wohl nicht extra erwähnen.
Edigio lädt uns mit seinem Team herzlich ein zu einem trüffeligen Lunch, wo wir all diese Köstlichkeiten – natürlich auch Salami und Pecorino mit den aromatischen Pilzen – probieren dürfen. Die Köchin gibt reichhaltig von der köstlichen Trüffelbutter in die Pfanne und serviert uns später die köstlichen, duftigen Gnocchi, die mit dem feinen Trüffelaroma umhüllt sind.
Dabei umspielt uns das niedliche Hundebaby Iris aufgeregt und kindlich. Sie soll zwar nicht zum Trüffelhund ausgebildet werden – obwohl zur perfekten Trüffelhundrasse gehörend – hat auf jeden Fall großes Talent für einen Wachhund, die kleine Bellnase.
Es wundert nicht, die Trüffel sind in dieser Region Kalabriens stetige Begleiterinnen in den Küchen. Kaum gibt es hier eine Speisekarte, auf der man das Wort Tartuffi nicht findet – selbst in den Lidi am Strand wird man sie ordern können. Überall, wo sie uns serviert wurden, sind sie hier mit selbstverständlicher Großzügigkeit über die Gerichte gehobelt worden! Und das vorrangig dank solch talentierter Spürnasen wie Cash eine ist!
Wenn ich ehrlich bin, konnte ich mit Trüffeln nie wirklich etwas anfangen: Für mich schmeckten sie immer nach Petroleum. Somit war diese Reise für mich ein kleines Wunder, denn dank der Einladung nach Rocca Imperiale konnte ich erstmals vom Duft und Geschmack der hier sehr frischen Sommertrüffeln Kalabriens doch überzeugt werden.

Plötzlich mag ich die Trüffel – und hätte nie gedacht, dass dieser Schatz der kalabrischen und lukanischen Erde mir wirklich so gut schmecken würde. Was echte Frische von einem Produkt verändern kann …


Sassone Tartuffi
Online-Shop
Adresse: Via Antonio Gramsci, 5, 87070 Montegiordano CS
E-Mail: info@sassonetartufi.com

2025-09-15

Stehe heute …

im U-Bahn-Zug der Linie U2 auf dem Bahnsteig Märkisches Museum. Der Zug fährt erst einmal nicht weiter.

Nach einer Weile erklärt uns der Zugführer, es würde jetzt einer der neuen U-Bahnzüge (also einer von denen ohne Klimaanlage, ihr erinnert euch?) aus irgendeinem Tunnel vor uns zu einem anderen Standort wechseln über das Nachbargleis und deswegen müssten wir ihn erst einmal über eine Weiche passieren lassen. Danach ginge es gleich weiter.

Gleichzeitig steigen in unseren Waggon drei männliche Jugendliche ein. Kurz darauf passiert der neue Zug langsam den Bahnhof, schön gelb, glänzend. Im Inneren leuchtet kein Licht, also die perfekte Symbiose zwischen tiefem Schwarz und strahlendem BVG-Gelb. Er sieht aus wie eine futuristische Schlange und ist flüsterleise. Um ihn herum der, meiner Meinung nach, schönste Bahnhof Berlins.

Die Jungs sind völlig begeistert davon und schlussendlich lässt sich einer zu der Aussage hinreißen: „Wenn ich das sehe, bin ich total stolz auf mein Berlin!”

Gut. Dieser Satz wird mich dann doch die nächsten Jahre mit diesen Zügen ohne Klimaanlage versöhnen. Einfach mal wieder stolz auf Berlin sein, ich gebe es zu, ich habe es etwas verlernt die letzten Wochen.

2025-09-12

Jeden Tag Spaghetti von Lucia Zamolo

„Jeden Tag Spaghetti – wie es sich anfühlt von hier zu sein aber irgendwie auch nicht.” von Lucia Zamolo hat eine Mission: ein Bewusstsein in uns für den von uns täglich zelebrierten Alltagsrassismus zu wecken. Das Buch für Menschen ab neun Jahren, ich schreibe bewusst Menschen, weil es meine Empfehlung auch für Erwachsene ist, hat die Autorin plakativ in Font und Illustration gestaltet.

Lucia Zamolo ist Münsteranerin, den interessanten Namen hat sie vom Vater, der italienische Wurzeln hat. Den eher südländischen Look haben sie und ihre Schwester tatsächlich aber von der deutschen Großmutter, sie stammt aus dem sehr deutschen Ruhrpott.

Lucia ist auf einer Geburtstagsparty und bekommt zum wiederholten Mal die Frage gestellt, wo sie eigentlich herkäme?! Und diese Frage setzt bei Lucia Gedankengänge in Gang, die sehr verständlich sind, bis sie die Frage so beantwortet, wie sie ein Gegenüber wohl gerne hören möchte. Die skurrilen, immer wahren Antworten, die Lucia auf diese Frage einfallen, sind natürlich sofort nachzuvollziehen. Sie kommt von hier! Dann erzählt sie aber doch, was sie glaubt, das Gegenüber hören möchte: Sie erzählt, ihr Vater würde aus Italien stammen.

Später, die Party ist längst vorbei, kommen die Gedanken wieder und führen zu diesem spannenden, sehr kurzweiligen Buch.
Dass ihr Vater dabei sämtliche Vorurteile, die dann ein Gegenüber denken möchte, überhaupt nicht bedient – das ist später noch unterhaltsamer Inhalt im Buch, es räumt verdammt viele Schubladen auf. Überhaupt ist die gezeichnete Metapher mit den Schubladen meine liebste Stelle im Buch, fordert sie doch, endlich auch im kleinteiligen Begegnungsalltag anders zu denken!

Nebenbei ist in dem Buch ein hübscher kleiner Sprachkurs in frulanischer (friulanischer), italienischer und deutscher Sprache enthalten. Auch stellt Lucia uns den klugen Professor und Psychiater Chester M. Pierce vor, der den Begriff Microaggressionen geprägt hatte. Anhand dessen vermittelt sie sehr deutlich, was das andauernde Voreingestuftwerden – nur aufgrund eines Namens oder der eigenen Typologie – mit Menschen macht, die das täglich aushalten müssen. Auch in den sehr freundlichen Gesprächen.

Und sie erklärt pragmatisch, was Migrationshintergrund eigentlich genau bedeutet, verdeutlicht, dass die meisten Menschen in diesem Land, denen man ihn vielleicht zuschreiben möchte, schon längstens keinen mehr haben – wenn es ihn überhaupt je gab. Ganz sachlich per offizieller Definition.

Der von uns gelebte Alltagsrassismus macht vor allem eines: Er teilt Menschen in zwei Gruppen ein. Othering – heißt diese Einteilung in „wir” und „sie”. Unnötig und oft ziemlich bekloppt, wie ich erkennen darf, denn Lucia hält mir Leserin liebevoll den Spiegel vor. So habe ich natürlich beim Lesen mir selber eingestehen müssen, dass ich hier und dort genau in diese Fallen des Alltagsrassismus auch tappe. Dabei bilde ich mir ein, ein Mensch zu sein, der sich in diesem Punkt seiner Fehlbarkeit bewusst ist und sich vergleichsweise oft hinterfragt. (Insbesondere im Vergleich zu denen, die Rassismus heute wieder oder immer noch legitim finden.) Und trotzdem, ich lernte viel …

Auch darauf hat Lucia einen sinnvollen Satz parat: „Nur, weil etwas nicht beleidigend gemeint war, tut es ja nicht weniger weh.“ Sie möchte, dass wir Leser*innen dank des Buches ein wenig mehr auf uns achten und daran wachsen. Zum Dank enthält dieses Buch für uns ein wirklich tolles Rezept für Spaghetti mit Tomatensoße von ihrem Vater.

Ein so kluges und kurzweiliges Buch, das ich gestern während meiner Plasmaspende ratzfatz weggelesen habe. Ich finde, dieses Buch sollte man immer zweimal verschenken. An einen Menschen, den dieser Alltagsrassismus ganz sicher betrifft, denn es liefert hervorragende Argumente, die sich nicht jeder junge Mensch so zu formulieren traut. Und an einen Menschen, der in diesem Land nie gefragt wird, wo er/sie/es eigentlich herkommt. Und dieser Mensch darf, wie ich, ruhig auch schon älter sein.

Ein wertvolles Buch, 2022 im Schweizer Bohem Verlag erschienen, oft prämiert, ist mittlerweile in 13 Sprachen erschienen! Jeden Tag Spaghetti
Autorin und Illustratorin: Lucia Zamolo
Verlag: Bohem Verlag
ISBN 978-3-95939-205-1

Gestern war ja Warntag.

Bin auch gewarnt worden, inhäusig und außerhäusig. Inhäusig war ich ganz stolz auf mich, das Smartphone vorher noch sehr (!) leise gestellt zu haben. Beim letzten Mal sind eine Katze und ich vom Stuhl gefallen vor Schreck.

Gab dann von der Ninja-App nach der Entwarnung noch die Einladung an der Umfrage teilzunehmen. Habe ich brav gemacht. Irgendwann gab es das Feld, das wissen wollte, wo ich denn wohnen würde? Zuerst wurde nach der Postleitzahl gefragt. Danach nach der Stadt.

Natürlich haben die kein kleines Script hinterlegt, das nach Eingabe der PLZ direkt die Stadt automatisch in das Feld einträgt.

Und nichts beschreibt den Zustand deutscher digitaler Kompetenz besser als genau dieses kleine fehlende Feature.

Aber immerhin haben sie endlich die Sirenen schön. Der Russe lacht sicher herzlich.

2025-09-11

Aber schon drollig …

… wie die US-Republikaner getroffen aufheulen, wenn sich Nutznießer derer eigenen Waffengesetze dann auch einmal gegen einen der miesesten Vertreter ihrerselbst richten.

Und: Kann mal bitte jemand endlich beim bayerischen Ministerpräsidenten einen Kokain-Test veranlassen? Sein Movement in die komplette Absurdität ist wirklich nicht mehr besonders lustig, fesch noch auszuhalten. Also für Menschen ohne täglichen Drogenkonsum.

2025-09-10

Der Pilz ruft!

Das ging schnell! Schon sind wir wieder mittendrin in der Pilzsaison (in unseren Breitengraden). Ich gehe seit einigen Jahren mit Frau maske_katja in die Pilze. Sie hat hier ein hervorragendes Wissen von ihrer Frau Mama vererbt bekommen, lebt den sturen (aber immer lebensrettenden) „Kenn ich nicht, nehme ich nicht!“‑Slogan und versucht mir jede Saison aufs Neue zu erklären, wie der eine oder andere Speisepilz heißt. Ungefähr eine neue Sorte merke ich mir dann pro Saison. Aber das wird noch. Ich bin da pilzfruchtfröhlicher Dinge!

Zwei wirklich wundervolle Pilzbücher möchte ich euch unbedingt hier vorstellen, die es sich wirklich lohnen, in das Bücherregal zu stellen!


Alles unter einem Hut

Fangen wir an mit dem praktischen Ratgeber „Alles unter einem Hut – sicher unterwegs in der Pilzwelt“ von Franco Del Popolo (†) und Dr. Stefan Marxer (Mykohunter365 auf YouTube) aus dem AT Verlag. Ich habe einige Pilzbücher inzwischen in meinem Regal stehen, machen wir es kurz: Dieses Buch toppt sie alle!

Das ist ein faszinierendes Kompendium, das wirklich keine Information über Pilze für sich behält. Selbst wer nicht zu den großen Pilzsuchern gehört, wird hier ein fundamentales Wissen über Pilze gewinnen können, denn dieses – natürlich in Teilen auch Nachschlagewerk – macht riesengroßen Spaß beim Lesen! Das fängt thematisch an beim Sammeln unter dem Aspekt des Artenschutzes, der Qualitätskontrolle von frischen oder nicht mehr so frischen Pilzen – und wie man sammelt, um die Existenz der Pilze auch in der Zukunft an ihrem Standort nicht zu gefährden.

Mir hat besonders am Anfang das Kapitel zur Baumkunde – und welche Pilze sich besonders gerne rund um welche Baumart tummeln – gefallen. Denn natürlich wissen die meisten Pilzsammler*innen, welche Bäume gerne in Partnerschaft mit welchen Pilzen eingehen – aber so deutlich und ausführlich habe ich die elementare Anleitung zur Pilzsuche noch nie lesen können.
Der Beitrag, wie man Pilzsorten auch über ihren spezifischen Geruch bestimmen kann, ist mir so als eigenes Kapitel auch erstmals begegnet. Das alles ist irre spannend – und ich habe mindestens mein bisschen Baumwissen nochmals ordentlich updaten dürfen.
Nachdem dann erklärt wurde, was ein Pilz eigentlich ist – und die besonderen Pilzkategorien vorgestellt werden, da sind Lamellenpilze, Schlauchpilze, Porlinge oder Nichtblätterpilze u. a. genannt, nimmt in diesem Buch ganz vorne – also sehr prominent – das relevante Thema „Giftpilze“ ins Visier. In der benötigten Ausführlichkeit. Und die beginnt mit einer ausführlichen Tabelle zu üblichen Pilzvergiftungserscheinungen.

Dann werden die gemeinen Fieslinge vortrefflich porträtiert – und da findet sich manche Überraschung, ich wusste nämlich vorher nicht, dass es auch eine Bauchweh-Koralle, lat. Ramaria pallida, gibt, die aussieht wie eine Krause Glucke – aber im Gegensatz zu dieser eben Bauchweh macht. Vorkommen, wichtigste Merkmale und mit welchen Speisepilzen sie sich gerne verwechseln lassen – die Konsequenzen werden pragmatisch in Kategorien wie giftig, hochgiftig, potenziell tödlich giftig und pragmatisch: tödlich giftig definiert. Mit letzterem Prädikat ist z. B. der aparte Frühjahrs-Lorchel adressiert. (Ach Pilznamen, immer ein Quell der Freude!)
Im sechsten Kapitel – wir haben also schon ordentliches Fachwissen gesammelt – werden „Hunderte Leckere Speisepilze im Portrait” vorgestellt. Aber auch hier begegnen wir nochmals zu den einzelnen guten Pilzen – das Buch meint es wirklich ernst – deren boshaften Vertretern, die sich durchaus als fiese Henker erweisen könnten. Wie tricky das sein kann, erkennt man an der Gegenüberstellung des fleischroten Speise-Täublings im Vergleich zu seinem giftigen Kollegen, dem Kirschroten Spei-Täubling. Rottöne im Wald sind meistens giftig, manchmal eben auch nicht.

Abschließend lassen sich die Autoren nochmals zur perfekten Verarbeitung der Pilze aus und steuern einige ihrer Lieblingsgerichte bei. Alle Pilze werden teilweise mehrfach in Fotos dargestellt, qualitativ sind die auch wirklich gut.

Im Buch findet man an einigen Stellen QR-Codes, die weitere zusätzliche Informationen online zum Thema zur Verfügung stellen.

Ich glaube, wer das Buch durchgearbeitet hat und sämtliche aufgeführten Pilze in der freien Waldbahn schon einmal (vom Experten bestätigt) bestimmen konnte, muss sich erst einmal keine Sorgen mehr machen um sein Fortbestehen nach einem selbst gesammelten Pilzmahl. Interessant liest es sich jedenfalls die ganze Zeit.

Alles unter einem Hut – sicher unterwegs in der Pilzwelt
Autoren: Franco Del Popolo (†) und Dr. Stefan Marxer
Verlag: AT Verlag
ISBN: 978-3-03902-226-7

Das etwas andere Pilzbuch: Die Fungipedia!

Das zweite Pilzbuch, das ich vorstellen möchte, ist die „Fungipedia – Die erstaunliche Welt der Pilze” von Lawrence Millman. Die Fungipedia will kein Sammlerbuch sein. Der Autor bemerkt relativ früh: „An dieser Stelle sollte ich gestehen, dass ich an Pilzen die Essbarkeit für den am wenigsten interessanten Aspekt ansehe.” Nein, das tut er offensichtlich nicht, aber er erzählt vortrefflich kurzweilig dem Alphabet nach in kleinen oder größeren Kurzgeschichten viel über Pilze, Forschung, Erscheinung und Philosophie oder deren Entdecker*innen.

Da begegnen uns pilzzüchtende Insekten, Fliegen tötende Pilze, Pilze in der Musik und Literatur … Das ist ein wirklich kurzweiliges Potpourri auf 197 Seiten, macht Spaß zu lesen, und die Illustrationen von Amy Jean Porter sind ein feiner visueller Obolus. Und ich kann verraten: Man begegnet dem Pilz wirklich noch einmal ganz neu in diesem Buch! Übersetzt aus dem Englischen von Roberta Schneider.
Wer die Fungipedia so gerne gelesen hat, wie ich, dem ist die nächste „Pedia“, also Neuerscheinung im mairisch verlag, sehr zu empfehlen. Sie heißt „Sharkpedia“, ist von Daniel C. Abel verfasst und nimmt genauso begeistert mit in die Welt dieser wundervollen Meeresbewohner mit … beeindruckenden Zähnen!

Fungipedia – Die erstaunliche Welt der Pilze
Autor: Lawrence Millmann
Verlag: mairisch verlag
ISBN 978-3.948722-35-7

2025-09-09

Habt Ihr es mitbekommen?

Berlin wird derzeit von der CDU und der SPD regiert. Von der SPD bekommt man dabei nicht so sehr viel mit. Von der CDU vorrangig, dass sie eigentlich nicht so viel durchsetzt von dem, was Kai Wegner uns versprochen hatte. Weniger Müll auf den Straßen, mehr Sicherheit – solche Dinge. Meinem Gefühl nach, ist alles schlimmer geworden. Hier geht gerade eine massive Crack-Welle durch die Stadt und wir haben nicht nur deutlich mehr Obdachlose in der Stadt. Die Halbtoten, die in den Ecken dahinvegetieren dank der Droge, denen bringt die Stadt auch nicht so richtig viel Hilfe an – noch uns Anwohnern.

Tatsächlich kündigte gerade unsere Wohnungsbaugenossenschaft uns ein Pilotprojekt an, uns ab 1.9. unseren Wohnbestand durch eine Sicherheitsfirma beschützen zu wollen. Die Frage, wer das bezahlt, steht noch offen. Ist aber eh nur eine rhetorische Frage. In einen voll abschließbaren, das gesamte Gelände umlaufenden Zaun, den wir uns mittlerweile wünschen, möchte die Geschäftsführung der Berolina indes nicht investieren. So indes haben sich in den letzten drei Jahren alle anderen Altbestände im Umfeld von der wachsenden Kriminalität geschützt, Zäune hochgezogen. Die hier entstandenen Neubauten sind sowieso gleich auf komplette Abschottung gebaut worden. Wir sind nun das erste Gelände, das offen zugänglich ist mitten in einer Drogenkonsummeile, das auch aufgrund der wenigen Unterstützung in der Anlagenpflege seitens des Unternehmens und der Politik, das für seine Sicherheit bezahlen soll.

Ich finde die Zaunlösung auch nicht prickelnd – die andere Lösung indes wirklich gruselig ohne Ende. Nicht nur finanziell.

Aber das ist CDU, viele leere Versprechungen können sie machen. Mehr passiert dann nicht.

Oh doch! Stimmt nicht. Auf vielen Straßen in Berlin, auf denen seit einiger Zeit Tempo 30 gilt (in Berlin ist Tempo 30 eine sinnvolle Maßgabe, weil dann die Fahrzeugführer wenigstens nur mit 50 km/h die Stunde durch fahren – und nicht gleich mit den üblichen 70 km/h), soll jetzt wieder Tempo 50 erlaubt sein. Weil – und das Argument darf man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen – so argumentiert Verkehrssenatorin Ute Bondin (CDU), sich in dem Umfeld die Luft verbessert habe, die Feinstaubbelastung nicht mehr so hoch sei und die Unfallstatistik sich deutlich gebessert habe. Daher wären solche Maßnahmen der Tempo-Regulierung nicht mehr notwendig, respektive dürfen sie nicht mehr angeordnet sein.

Ja, wir fühlen uns von der gänzlichen Abwesenheit etwaiger Intelligenz im derzeit von der CDU geführten Verkehrssenat auch leicht überrumpelt. Die gleiche Person hat zum gestrigen Schulanfang auch den Berliner Kindern empfohlen, mindestens auf dem Rad einen Helm zu tragen und ganz ganz (!) besonders vorsichtig zu sein. Es ist, wie man es unter einem CDU-Vorsitz erwartet hat: Das Auto rulez und alle anderen sollen sehen, wie sie durch den Verkehr kommen.

Neuester Intelligenzstreich: In Berlin gehen jetzt peu à peu 140 neue U-Bahn-Züge auf die Gleise. Wer im Sommer schon einmal auf der Haupttouristenlinie U2 gefahren ist, die vorrangig noch mit sehr alten Waggons bedient wird und diese – was sie meist sind – voll waren, weiß, was man sich auf dieser Strecke am meisten gewünscht hat: Züge endlich mit einer Klimaanlage.

Natürlich haben die neuen Züge auch keine Klimaanlage. Man habe sich aus technischen und ökologischen Gründen dagegen entschieden, denn man könne weiterhin (nur) auf der einen Seite das Fenster aufmachen. Das sei doch viel besser als Klimaanlagen. Findet jedenfalls Klimaexperte Henrik Falk, der Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Der vermutlich einen Dienstwagen im Vertrag stehen hat. Mit … Klimaanlage.

Nun denn, dank unseres unfassbar intellektuellen, an deutscher Zukunft so sehr interessierten Bundeskanzlers (CDU) wissen wir ja neuerdings auch, dass der Klimawandel überall auf dieser Welt stattfindet – nur nicht bei uns.

Ansonsten hat Berlin kein Geld mehr, um sinnvolle Projekte für z. B. Kinder finanziell zu unterstützen – diverse Streichelzoos in den Bezirken der Stadt stehen vor dem finanziellen Aus. Aber um an Hauptstraßen neue Beschilderungen anzubringen, dafür reicht's gerade noch.

2025-09-02

I'm Growing Old!

Heute ist der 2. September 2025 und wenn es in den nächsten vier Wochen okay für mich läuft, werde ich am 2.10. runde und ganze 60 Jahre alt.

Zack! Es ist so, und da geht es mir wohl wie sehr vielen Menschen, die diese Marke erreichen dürfen: Gestern war ich noch 25 … und wie bitte bin ich hierhergekommen und warum ist diese Zeit, gefühlt, schneller vergangen als man die Wartezeit zwischen zwei S-Bahn-Zügen empfindet?

Ich stolpere gerade ein wenig. Das Gesundheitliche möchte ich nicht sehr streifen, da bin ich pragmatisch unterwegs. Da hat es Menschen meiner Generation etwas besser getroffen als mich, andere aber auch deutlich schlechter. Die familiären Prognosen stehen auf eher weniger Zeit noch zu haben, geht man vom Durchschnittsalter meiner Eltern und dem der biologischen Großeltern aus. Was mich vielleicht da hinaustragen könnte, ist mein doch etwas gesünderer Lebensstil. Er wurde mir übrigens ermöglicht, weil sich mein Land zu meinen Lebzeiten nie in einem Krieg befinden musste. Und ja, dank meines wundervollen sozialen Umfeldes.

60 ist eine Marke. Mit 50 kann man sich immer noch (naiv) einreden: Wenn es richtig gut läuft, kann ich noch einmal genauso viel Zeit vor mir haben. Die Nummer funktioniert mit der 60 nicht mehr. Das ist auch merkwürdig, denn ich denke jetzt natürlich auch nicht: Okay, sind’s halt noch einmal 40 Jahre. Irgendwie markiert diese Zahl eine Linie, an der man eher auf einen Gedanken kommt, wie: „Tsja, vielleicht haste noch zehn oder zwanzig gute Jahre vor dir.”

Ich bin in eine gute Zeit geboren worden. Familiär ganz klar sehr schwierig, denn als Kriegsenkelin ist man nicht unbedarft in dieses Leben geschickt worden. Mit einer Mama als Pflegekind, gab es eben diese eine Familie nicht – über die natürlich immer der Kriegsschatten mit dem „Wie ist es zu ihrer Empfängnis gekommen, wenn ihre Mutter sie als Kind weggibt?” auch schwebte.

Die Kriegserlebnisse meines Großvaters und meines Vaters, der 1938 geboren wurde – in der Folge waren beide stark alkoholkrank. Die eine Oma, hart gebeutelt nicht nur mit dem mehrfach suchtkranken Ehemann, deren Schweigen über Russen und russische Männer alles sagte, die so auch keinen allzu hellen Schatten über unsere Familie legen konnte. Trotz aller ihrer wirklich liebevollen Bemühungen.

Die andere Oma, die Pflegemutti meiner Mama, die wohl etwas mehr Glück in dieser Zeit hatte. Man wird nicht sorgenfrei groß als Kind in einer solchen Welt, knappe junge 20 Jahre nach einem Kriegsende. Man wird auch nicht sorgenfrei groß in einer Stadt, die geteilt ist, und in der man in der Familie groß wird, in der dieser Trennungsschmerz an allen familiären Feiertagen spürbar ist – zwischendurch auch. Ja, es standen wieder mehr Häuser in Berlin als direkt nach 1945. Trümmer und Häuserlücken gab es aber in meiner Kindheit immer noch in Berlin, wie auch so viele Lebensentwürfe in Trümmern lagen, und mit ihnen das Familienwohl – auch mit Lücken.

Und dennoch: Geboren bin ich in eine Aufbruchstimmung hinein. Frauen, die sich mit neuem Selbstbewusstsein für politische Anerkennung engagierten, so dass das Gleichberechtigungsgesetz 1958 in der BRD Kraft trat, (die DDR war früher klüger). Ein wirklicher Meilenstein für uns Frauen in diesem Land. Es hieß, uns Frauen würde jetzt die Welt offenstehen.

Erst aber immerhin dann vier Jahre nach meiner Geburt wurden auch (verheiratete) Frauen in Deutschland gesetzlich voll geschäftsfähig. Und erst zwölf Jahre nach meiner Geburt durften Frauen selber bestimmen, ob und wo sie arbeiten gehen, ohne sich dem Diktat ihres Ehemannes zu beugen. Kann man sich heute kaum noch vorstellen, oder? Aber das war noch Thema in der Ehe meiner Eltern. Meine Mutter musste früh nach der Geburt von uns Kindern arbeiten gehen, weil mein Vater aufgrund seines Alkoholismus immer wieder seine Arbeit verlor. Aber wenn er der Meinung war, einer der Kollegen meiner Mutter wäre zu aufmerksam zu ihr gewesen, konnte er ihren Job kündigen. Was er auch tat. Ein Glas Suff zu viel und meine Mutter war draußen – und wusste oft nicht, wie sie uns ernähren sollte.

Ich habe das noch erlebt. Ich kann euch daher gar nicht sagen, wie sehr ich diese Trad Wife-Mode zutiefst verabscheue. Was für selten dämliche Weibsbilder sind das eigentlich?

Für meine Generation hieß es in diesem Land geschlechterübergreifend und auch überhaupt: Wir können alles werden, was wir wollen! Es hieß, wir würden entscheiden, ob wir das Abitur machen oder nicht. Das war ein Stück weit etwas naiv, denn es saßen zu meiner Zeit immer noch alte Männer aus der Nazizeit unseren Schulklassen vor und gestalteten natürlich die Lebenswege von uns Schülerinnen noch ein Stück weit mit nach ihrer Überzeugung – über unsere Zensuren. Es hieß, wir Frauen konnten studieren – selbstbestimmt den Studiengang wählen. Wir jungen Frauen konnten selber entscheiden, welche Berufe wir erwählen.

Nein, das war längst noch nicht die totale Freiheit, denn vor allem wer regional in Deutschland sehr eingeengt als Mädchen damals erwachsen wurde, hatte immer noch an vielen Ecken mit dem Diktat von Männern zu kämpfen. Männern, die sich der gleichberechtigten Moderne dieser Zeit ganz bewusst – und den Frauen gegenüber aktiv, wenn auch hinterhältig – entsagten. So wie es übrigens der aktuelle Bundeskanzler gerade tut.

Aber ja, unser Selbstbewusstsein war enorm, dank vieler Frauen, die sich in dieser Zeit nicht mehr einem patriarchalen Diktat folgen wollten. Gerade meine Generation hat unfassbar viel von ihnen profitiert! Mit welch großer Fassungslosigkeit ich heute auf eine Frau wie Julia Klöckner herabgucke, wie rückständig ich diesen deutschen Bundeskanzler erlebe, wie noch rückständiger ich die Frauenpolitik der AfD (so sie überhaupt existiert) erlebe, ich kann es nicht beschreiben.

Ich bin also groß geworden mit einer wirklich engagierten, kämpfenden Frau, die ihr Leben nie wirklich leicht leben durfte als Mutter. Meine Mum war eine Löwin! Und dennoch musste ich oft sehen, wie ihr – immer von Männern – Steine in den Weg gelegt wurden. Steine, die mir nicht mehr oder sagen wir, nicht mehr in der Häufigkeit, im Weg lagen. Meine Generation hatte eine verheißungsvollere Zukunft.

1971 trat erstmals das Bundesausbildungsförderungsgesetz in Kraft! BAföG ermöglichte Schulabgänger*innen eine gleichberechtigte Ausbildung, auch wenn Eltern nicht allzu viel Geld zur Verfügung hatten, um ihren Kindern ein Studium zu finanzieren. Die Schere zwischen armen und reichen Menschen sollte sich beruflich damit deutlich verkleinern – und tat es auch.

Was durfte ich in meinem Leben für tolle – vor allem noch neue – Moden erleben! Während heutzutage junge Menschen nur noch Repliken meiner Zeit als ihre Fashion tragen. Die beste vielfältige Musik wurde in meiner Jugend geschrieben, grandiose Songs, die heute (meist leider als nicht ganz so gute) Dancetracks gecovert werden. Ich durfte immer reisen, wohin ich wollte, bekam die Grenzen der anderen Seite Deutschlands nicht aufgezwungen von einem totalitären Staat (den viele dieser Menschen mit der AfD nun wieder wählen möchten).

Ich konnte daran glauben, dass ich alles werden kann, alles erreichen kann. Auch für Menschen, die sich nicht reich erben würden, stand in meiner Generation durchaus im Raum, eines Tages über z. B. Wohneigentum verfügen zu dürfen. Generation IT – mein Gymnasium, die erste Oberschule mit Personal Computern und Unterricht (wenn auch nur im Wahlpflichtfach) in Berlin – die aufregende Zeit von PCs im Hausgebrauch ging los und meine Generation, ich, war mittendrin. So viele Anfänge, die ich mitgehen konnte, von denen ich profitieren konnte – aber auch Firmen, Prozesse, sogar Software, deren Ende ich miterleben musste. Abschiede erleben musste.

Meine Generation war die Generation, die mit dem Damoklesschwert Klimakrise aufwachsen musste. Es gab Ölkrisen, es gab schon das Waldsterben. Den Kalten Krieg. Kluge deutsche Ingenieure entwickelten mit an Katalysatoren für Autos, Solartechnik, Kunstherzen, Defibrillatoren als Implantate – wir waren eine so tolle wissenschaftlich forschende Nation, international anerkannt.

In unsere vor allem für uns Frauen errungenen recht jungen sexuellen Freiheit, crashte dann in den 80ern HIV. Aber wir erlebten und lebten damals auch eine unfassbar große internationale Solidarität, vor allem in der Musik- und Kunstszene. Videos, MTV. Was meine lahme Englischlehrerin uns nicht beizubringen vermochte, schaffte MTV in den Jahren, in denen der Sender hier in Deutschland in englischer Sprache ausgestrahlt wurde.

Wir sind gegen Atomwaffen auf die Straßen gegangen, ich erlebte, wie sich die Weltnationen annäherten. Rüstungsabbau, weil die Vorzeichen positiv waren. Ich durfte als noch junger Mensch Zeitzeugin von Solidarność sein, ich durfte dabei sein, als das wirklich Unglaubliche geschah: der Mauerfall. Und das durfte ich hier, in dieser Stadt, in meinem Berlin erleben.

Ich bin in eine verdammt gute Zeit hineingeboren worden. Vielleicht die Beste? Bin in ein Land geboren worden, das soviel Sicherheiten seinen Bürgern über lange Zeit offeriert hatte, dass es mich zu einem der privilegiertesten Menschen gemacht hat. Und lassen wir meine kleinen persönlichen Glücksmomente und auch Unglücke beiseite – dafür bin ich voller Dankbarkeit und weiß das so sehr zu schätzen!

Aber ich stehe jetzt mit ganz bald 60 mit so großer Ratlosigkeit vor unserer Gesellschaft in diesem Land und wie dieses Volk seit Jahrzehnten den politischen Rückschritt immer und immer wieder wählt, in die neue Deklassierung von uns Frauen. In ein Deutschland, das wieder Barrieren errichtet gegenüber anderen Menschen, seine Freiheiten abwählt. Seinen Fortschritt kaputtrechnet zugunsten einiger weniger Eliten. Altbekannte Irrwege offensichtlich wieder neu gehen will.

60 Jahre. Ein bisschen weise. Mit großer Zukunftsorge. Kalte Angst. Nun denn, was auch kommt. Noch einmal 50 Jahre habe ich ja nicht. Zum Glück, vielleicht.