Carosselo – die königliche Melongengurke aus dem Salento in Apulien
Carmen Mancarella lud uns im letzten Oktober nach langer Covid-Pause wieder ein, den Salento zu besuchen und dessen historischen und kulinarischen Schätze kennenzulernen. Das Olivenöl und die Weine aus Apulien sind weltweit bekannt und stehen für die Qualität der landwirtschaftlichen Produkte, die auf den roten Böden angebaut und von der Sonne viele Stunden lang beschienen werden.
Ich nutzte die Gelegenheit und reiste einige Tage früher an, um etwas mehr Zeit mit meiner Freundin verbringen zu können. Auf der Fahrt vom Flughafen nach Lecce (in Carmens Traumauto, dem Audi!) hatten wir eine Idee, wie wir den in Kürze eintreffenden Journalisten eine besondere, leckere Spezialität Apuliens vorstellen könnten.
Hierzu vorab eine kleine Geschichte: Anlässlich meiner ersten Einladung von Carmen nach Apulien, damals besuchen wir das Valle d’Itria mit Oria und Ostuni, servierte man uns im Hotel zum vorzüglichen Abendessen einen Teller mit – vermeintlichen – geschälten Gurken zu den Antipasti. Sie schmecken jedoch ganz anders: süßlich, etwas nach Gurke, doch mehr aber nach Melone. Auf jeden Fall: frisch, saftig und lecker.
Also nachgefragt und mir wurde erklärt, ich hätte meine erste Carosselo Leccese – Meloncella Scura – gegessen. Botanisch zu Cucumis melo L, zu den Melonen sortiert, wird die Carosselo als Melonengurke bezeichnet.
Von den üblichen Melonenarten, die wir so kennen, unterscheidet sie die Größe und von der Gurke die Form. Eher rundlich, ist sie lediglich eine Hand voll groß, oft kleiner und sie ist deutlich weniger süß als Melonen. Von den Gurken wiederum unterscheidet sie, dass sie kein Cucurbitacin, also den Bitterstoff der Gurke besitzt. Sie ist reich an Kalium und β-Carotin. Weiterhin enthält sie bioaktive Verbindungen wie Methylgallat, das wirkt antioxidativ und antiviral sowie α-Tocopherol, das hemmt die Lipidoxidation.
Eiskalt und frisch auf dem Teller, ist die Carosello oder ihr biologisches Äquivalent, die Barratiere, eine der besten Erfrischungen, die man in Apulien im Hochsommer genießen kann. Tatsächlich sind diese Züchtungen eine regionale Spezialität des Salentos, die man auch in Norditalien oft gar nicht kennt. Nur in Sizilien ist sie noch bekannt, sie heißt dort Battagliuno. In Apulien wird einem dieses fruchtige Gemüse oder die gemüsige Frucht unter vielen unterschiedlichen Namen begegnen können, auch je nach der Region dieser italienischen Provinz. Sei es, weil es eigene familiäre Züchtungen sind oder weil der Dialekt sie anders bezeichnen möchte. Außerhalb Italiens dürft ihr näher hinsehen, wenn euch der Begriff Cumelo auf dem Markt begegnet.
Bei meinem nächsten Besuch in Apulien erwarb ich im Supermercado eine Packung mit Samen und zog mir meine ersten Carosello vom Typ Carosello Scopatizzo Barese auf meinem Balkon. Die Fotos meiner ersten, übersichtlichen Ernte von zwei kleinen Früchten, schickte ich natürlich Carmen, die sich heute noch darüber sehr freuen kann. (Ein großes und liebenswertes Talent der Salentiner, sich über Kleinigkeiten so freuen zu können!) Und wann immer wir gemeinsam unterwegs sind in Apulien, gibt sie unsere Geschichte zum Besten: Von meiner Begeisterung zu den Carosseli, dass ich sie auf meinem kleinen Berliner Balkon versuche anzubauen.
Das war mein Vorschlag an Carmen anlässlich unserer aktuellen Tour. Wir könnten doch einen Produzenten der Carosseli besuchen, damit die Journalisten – neben dem bekannten apulischen Olivenöl – einer weiteren köstliche grüne Spezialität des Saletnos begegnen könnten. Gesagt, getan, am ersten offiziellen Tag der Reise organisierte Carmen für uns die Cooperativa Agricola San Rocco in Leverano, wo uns der Präsident der Cooperative, Walter Ingrosso, mit seinem Team begrüßte und uns alles zur Carosello Leccese beantwortete.
Diese Kooperative wurde 1973 als Floristikunternehmen gegründet und musste sich in einer Absatzkrise neu überdenken. Von da an setzte sie auf den Anbau von Gemüse und Obst. Das tut sie noch heute mit dem Anspruch, die Landwirtschaft möglichst nachhaltig zu betreiben und dabei diesem Land und seiner Vegetation gerecht zu werden.
Eine Genossenschaft, die mit ihren Mitgliedern herrliche Früchte in apulischer Erde angebaut, sortiert und teilweise händisch verpackt und im Direktvertrieb absetzt. Heute besteht San Rocca aus 229 Mitgliedern mit über 300 Hektar Anbaufläche, auf der geschützte apulische Kulturen im nachhaltigen Anbau produziert werden.
5 Millionen Carosellii verkauft dieses Unternehmen inzwischen und ist in jüngster Zeit auch in den Großvertrieb eingestiegen. Tatsächlich habe ich letzten Sommer erstmals die helle Carosseli bei unserem Edeka in Berlin-Mitte bei den Melonen entdecken können: Eine kleine Frucht kostete € 2,95. Das war nicht der ganz große Verkaufserfolg, weil man sie natürlich auch hierzulande nicht wirklich kennt.
Wir erhielten eine umfangreiche Führung in den Hallen, wo tatsächlich Anfang Oktober noch Carosseli und die hübschen Chili-Sträucher (händisch gebunden) von den Mitarbeiterinnen verpackt wurden.
Auch perfekte Tomaten, Auberginen, Peperoncini und Granatäpfel warteten auf ihre weitere Bestimmung. Die Carosellii sind jedoch das Hauptprodukt von San Rocco, die in diesen Früchten ihr besonderes Alleinstellungsmerkmal sehen. Walter Ingrosso, Präsident der Genossenschaft erkläre uns, dass man für Carosello und diese Region rund um Leverano die geschützte geographische Angabe, die g.g.A.-Zertifizierung anstrebe.
Die Cooperativa Agricola San Rocco hat viel investiert, die Erntezeit der Carosello bis in den November hinein um zwei Monate zu verlängern. Üblicherweise endet sie im Feldanbau Anfang September. Hier wurden späte Aussaaten in Gewächshäuser verlegt.
Auch in Apulien hat man in der Landwirtschaft hart mit den veränderten Klimabedingungen und Ernteausfällen zu kämpfen, was solche Maßnahmen – also außerhalb der Freilandkultur – zunehmend notwendig macht.
Natürlich sind wir nach der Verkostung hinaus auf die Felder und die anliegenden Gewächshäuser gefahren, die noch voll mit Blüten an den Carosseli bzw. Peperoncini waren. Die Natur in Apulien macht mich wirklich immer schwach. In einer Jahreszeit, in der bei uns sich alles zurückzieht, geht dort der nächste Frühling nach dem Sommer los. Auf den Feldern stehen jetzt die jungen Artischockenpflanzen. Ein großer Teil der allerersten Artischocken, die ihr ab Februar kaufen könnt, stammen aus Apulien.
Die Früchte der Carosello gibt es in rund mit hellgrüner Schale, länglich-dicklich mit dunkelgrüner Schale oder – visuell ähnlich unseren Schmorgurken – mit grüner Schale und hellen Streifen. Dunkelgrün ist die Sorte Barratiere, im Dialekt auch als „Tondo di Fasano“ oder „Cianciuffo“ bekannt, sie schmeckt noch etwas intensiver nach Melone. Carosseli gibt es in großer äußerer Vielfalt – aber dahinter befindet sich immer ein frischer süßlicher Melonen-Gurkengeschmack mit gar keinen Kalorien, aber viel Vitaminen und Wasser.
Später wurde uns gezeigt, wie man die Carosellii oder Barratiere schält und serviert. Natürlich durften wir sie verkosten – zusammen mit den typischen kleinen Friselli und frisch geernteten Tomaten der Genossenschaftsmitglieder.
Obwohl viele der anwesenden internationalen Journalisten schon oft mit Carmen zusammen diese wunderschöne Region in Süditalien besucht hatten – die Caroselli, als Saisonprodukte des Sommers, waren den wenigsten bisher begegnet. Und alle waren angetan von diesem köstlichen Zugewinn. Ich fühlte mich sowieso wie im Paradies.
Carosellii schält man meist wie Gurken (einige Sorten können mit ihrer dünneren Schale gegessen werden) und entfernt ihre Kerne – und serviert sie leicht gekühlt, üblicherweise pur. Ihr feiner, intensiver Geschmack benötigt keine weiteren Zutaten. Gerne serviert man sie in Apulien mit etwas mit Zitrone vermengtem Olivenöl und einem Hauch Salz, in das man die Schnitten taucht. Das ist so gut! Natürlich schmecken sie auch in einem frischen Salat. Wer im Sommer in Apulien die Friselle im Restaurant bestellt, z. B. mit frischem Tartare di Tonno und Burrata, kann sicher sein, dass die grüne Beilage eine Melonengurke ist. Ich mag sie auch sehr gerne als eine Art Caprese aufgeschnitten serviert, mit etwas frischem Pfeffer und frischer Stracciatella sowie einem Faden Olivenöl.
Wenn ihr sie selber einmal anbauen möchtet – auf dem Balkon oder im Garten, empfehle ich als als Onlinequelle den netten kleinen Samenshop Borlotti. ZEin zuverlässiger Lieferant und bietet ein breites Angebot toller italienischer Samen unterschiedlichster Couleur an. Die Melonengurke findet ihr dort in vielen Varianten in der Kategorie Fruchtgemüse bei den Gurken.
Mein hochgeschätzter Gemüsemarkthändler hier in Berlin, der seinen Stand mit vielen italienischen Produkten auf dem Markt am Winterfeldplatz hat (und dienstags sowie freitags auf dem Hermannplatz steht, direkt rechts neben dem Ausgang der U8 auf Hermannstraßenhöhe), hatte sie in diesem Jahr erstmals entdeckt und war ebenso begeistert wie ich. Er bietet sie, zu meiner großen Freude, nun auch in der Saison an.
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