2015-09-15

Strausberg



Wie schon berichtet, sagte ich neulich zu einem Wanderführer rund um Berlin beim hiesigen Discounter nicht nein. Der Drang neue Ecken zu erleben, abseits der etwas überfüllten Stadt, ist momentan recht groß bei mir. (Dieses „ich mache demnächst das halbe Jahrhundert voll” macht komische Dinge mit mir!) In diesem Wanderführer blätterte dann Abends die Nachbarin von gegenüber, die mich auf den neuesten Stand unserer Nachbarin unten rechts brachte und stellte bei der Tour nach Strausberg fest, dort sei es besonders schön.

In Strausberg war ich einmal recht kurz nach dem Mauerfall. Wir sind auch nur durchgefahren, alles wirkte damals auf mich, wie typische Orte in der DDR wirkten, recht grau, einen langjährigen visuellen Mangel an Farbe und Baumaterialien penetrant vor sich herzeigend.

Nun, so nachbarlich motiviert, stieg ich Samstag mit Rucksack und ordentlichem Schuhwerk in die S-Bahn und machte mich schon im Vorfeld leicht beeindruckt auf den Weg, denn alleine die Fahrstrecke nach Strausberg beträgt von meinem Standpunkt in Mitte aus eine knappe Stunde – was für Berliner S-Bahn-Verhältnisse ab Stadtmitte erstaunlich lang ist. Die S-Bahn pflegte mir noch ein zusätzliches kleines Abenteuer in die Tour, denn mein Aussteigebahnhof sollte „Strausberg Stadt” heißen – der eh nur von jeder zweiten S-Bahn nach Strausberg angefahren wird, weil die Linie nach Strausberg nur eingleisig verläuft – und genau dieser Bereich der Strecke ist bis Ende September gesperrt und wird von einem Bus-Ersatzverkehr bedient.

So erwartete uns am S-Bahnhof Strausberg ein Bus, der mit uns die restliche Strecke abfuhr und hätte ich nicht zwischenzeitlich vergessen, dass ich gar nicht nach „Strausberg Nord”, der Endhaltestelle, hätte wollen, sondern bereits den Bus in „Strausberg Stadt” hätte verlassen können, was mir just und schon in dem Moment auffiel, als sich die Türen an dieser Haltestelle wieder geschlossen hatten und der Bus bereits anfuhr, hätte ich mir sicherlich nicht die kleine zeitliche Unwucht ins Tagesgeschehen gebastelt.

„Das würde wohl nicht so tragisch sein”, dachte ich und „denn was ist schon eine Station mit dem Bus und die könnte ich sicherlich locker zurück laufen?!” Aber erst nach einer gefühlten Weltreise landeten wir in Strausberg Nord an einem Bahnhof der typischen plastifizierten Neuzeit nach Mauerfall in so etwas wie einem Industriegebiet jungfräulich nach „erschließ mich weiter!” rufend. Es luden am Bahnhof ein: ein Restaurant, erstaunlich nobel eingedeckt, zwei Sitzbänke und die Endpoller der einspurigen Bahnlinie am Bahnhof, der das Zeug gehabt hätte, die besondere Melancholie von „12 Uhr mittags” zu vermitteln. Hätte uns doch nur der cleane Look ein paar Wollmäuse auf der Straße im Wind gen Norden wandernd gegönnt. Und hätte der in der unmittelbaren Nachbarschaft liegende Ford-Autohändler nicht zum Fest geladen und eine ein-Mann-Kappelle auf der Bühne Hits in deutscher Sprache der Hitparade der 80iger Jahre zum Besten geben lassen. Ein Autohausfest und ein Markus-Replikat, das „Ich will Spaß, ich geb' Gas!” singt – darauf muss man ja auch erst einmal kommen im Autohaus-Marketing!

Da ich wusste, würde ich jetzt von dem Poller ein Foto machen, würde der Bus direkt kommen und ohne mich losfahren, entschied ich mich für gegen das Foto!

Meine zeitliche Unwucht nach einem ca. 20 mintütigen Aufenthalt bis der gleiche Bus uns wieder zurück fuhr und diese eine Station zurück, kosteten mich insgesamt ca. 30 Minuten. So sah ich den hässlicheren Teil von Strausberg wenigstens zwei Mal und konnte mich daher nicht beklagen. In „Strausberg Stadt” hielt ich mich geographisch an die ausgeschilderte Richtung „Fähre”, enterte einen Postbank Geldautomaten und eine Eisdiele und gönnte mir eine Kugel Schokolade und Eierlikör in der Waffel, wobei „Eierlikör” mich prompt leicht beschwingte. Mehr gab es dort auch nicht wirklich zu entern in der „Großen Straße”, einer verkehrsberuhigten Zone in der allerlei Kommerzangebote sich feil bieten. Wäre es eben nicht Samstag am frühen Nachmittag gewesen und da hat einfach alles zu. In Strausberg. Bis auf ungefähr drei Blumenläden auf einer Strecke von unter 1.000 Metern.

An einer großen Kreuzung folgte ich dem Wegweiser Fähre nach rechts und stand kurz darauf vor der Fähren-Anlegestelle. Und somit vor dem Straussee.



Ganz dem Wanderführer vertrauend, hielt ich mich weiterhin links dem Uferweg folgend, der übrigens für die Nutzung mit Rollstühlen oder Rollatoren gängig und begradigt wurde und wusste nicht, ob ich zuerst die unfassbare Klarheit des Wassers des Straussees rechts



oder die „hier wird »Schöner Wohnen« gelebt”-Villenanlagen links hoch über mir bewundern sollte, die natürlich alle kleine, fürchterlich romantische Zugänge zum See ihr eigen nennen dürfen.



Überall luden Miniatur-Sandstrände ans oder ins Wasser. In der Ferne fuhr ein kleines Fährgastschiff (das einzige dort motorbetriebene erlaubte Schiff) und einige Angler saßen in ihren Ruderbooten auf dem See bzw. spielten Menschen in einem solchen Gitarre.



Unterwegs fand ich auch zwei am Wegrand installierte „Müll aus dem See gefischt”-Kunstinstallationen, die ruhig ein wenig der Mahnung dienen können. Und wer immer ganze Kaugummiautomaten in Seen wirft, den möge das böse Kaugummimonster ruhig einmal ordentlich heimsuchen!





Ich lief die eine Seite des Sees hoch bis an sein Ende und versuchte den dort ausgewiesenen Wasserturm zu finden, der dann aber irgendwann schlicht nicht weiter ausgewiesen war, was sich insofern als ungünstig erwies, weil der Weg sich dreifach gabelte. Meine erster Versuch in eine Richtung sollte sich als falscher Versuch erweisen und so lief ich zurück zum Wegweiser „Bötzsee”, um wieder an das Ufer des Straussee zurück zu gelangen und meine Umrundung fortzuführen.



Übrigens sagt der Wanderführer, dass diese Tour einmal um den See herum (ab S-Bahn) ca. zehn Kilometer Länge hätte und man ca. drei Stunden Zeit einkalkulieren solle.



Auf der anderen Uferseite traf ich noch viel schönere Sandstrände und, der fortgeschrittenen Zeit geschuldet, viel schönere Lichtverhältnisse,



die zwei Menschen mit ihren Gitarren nun am Ufer übend (wie großartig ist das denn?) und zwei Damen auf Rädern mit Tour-Ausstattung, die es sich nicht nehmen ließen auf einem Gaskocher in einer sehr sehr edlen Carmencita ihren Espresso am Strand aufzukochen. Ein dekadenter aber wunderschöner Habitus, den ich mir direkt auf meine ToDo-Liste schreiben wollte. Kaffee kochen kann ich nämlich, trinken auch, Gitarre spielen nicht. Jedenfalls nicht so, dass ich damit Besucher einer Sees belästigen wollte. Und Blockflöte ist da auch keine Option.



Zu diesem Zeitpunkt war ich schon längst komplett diesem See verfallen, der mit seiner Klarheit fast ein wenig an das Mittelmeer erinnern wollte und natürlich lag meine nächste Schlauchboottour im Zielort bereits fest. Mittlerweile war es knapp nach 17 Uhr und ich entschied mich hinsichtlich einer kleinen Bootkompensation der Empfehlung des Wanderführers „Abkürzung mit der Seilfähre” zu folgen,



die einen für 1,30 Euro von einem Ufer zum anderen übersetzt – und als – Europas einzige elektrische Fähre – auch als Denkmal gilt.





Ich würde auch immer empfehlen die Tour so herum zu machen, denn so fährt man mit der Fähre auf die Skyline von Strausberg mit der ollen Stadtmauer zu, was für das eigene Leben visuell hübsch bereichernd ist.



Der Fährenkapitän trägt einen schönen Seemannsbart, die Fähre ist auch mit Rollstühlen, Rollatoren oder Kinderwagen befahrbar und überhaupt hatte ich die letzte Fähre des Tages erwischt. Herbstfahrplan, da ist ab 17:30 Uhr Schluss. Ansonsten kann man bei Bedarf auf dieser Fähre auch heiraten. Oder Skat spielen.

So bleibt mir für meinen nächsten Ausflug nach Strausberg noch die andere Hälfte des Sees zu Fuß zu umrunden oder per Boot zu befahren oder mit dem Rad die „Drei-Seen-Tour” (Straussee, Bötzsee, Fängersee) zu radeln. Ich schoss noch ein paar wirklich schlechte Enten-Fotos,



beguckte mir beglückt die Stadtmauer, marschierte zum S-Bahnhof zurück; nahm vorher zur Kenntnis, dass ich mit dem Schlauchboot und der Straßenbahn ab S-Bahnhof Strausberg fast direkt an das Ufer zur Haltestelle „Lustgarten” würde fahren können und fuhr mit der S-Bahn gen Sonnenuntergang und Berlin zurück, was auch ein sehr schöner Abschluss des Ausfluges war.

Mann, ist dieser See wunderschön! Und Strausberg auch! Alleine die Mühe die Stadtmauer zu restaurieren, hat sich mehr als gelohnt. Und am Sonntag hatte ich ganz schön Muskelkater. Im Rücken und am Bauch. War aber sehr glücklich.

4 Kommentare:

arboretum hat gesagt…

Das Kaugummimonster soll demjenigen in die Haare spucken. Und alle seine Schuhsohlen bedenken.

Sie gehen hoffentlich bald wieder wandern. Das war eine sehr schöne Tour und eine ebensolche Schilderung.

Bhuti hat gesagt…

Schöner Bericht, macht Lust auf Strausberg und Straussee.

Ich hoffe auf einen schönen Herbst, damit noch viele weitere Berichte vom Paddeln, Wandern und Radfahren kommen.

Und ich freu mich stillvergnügt vor mich hin über Deine Aktivitäten.

creezy hat gesagt…

@arboretum
Aber echt! Kaugummiautomaten in Seen versenken, das ist beidseitger Frevel!

Das mache ich mit dem weiterhin wandern (und auch Boot fahren) und berichten. Man erlebt ja soviel unterwegs, das kann sich wirklich keiner ausdenken! ;-)

creezy hat gesagt…

@bhuti
Oh dankeschön! Ja, das hoffe ich auch sehr. Auf alle Fälle paddeln würde ich ja schon noch mal das eine oder andere Mal wollen in diesem Jahr! Wandern geht ja auch sehr gut im Winter (vorausgesetzt ich habe bis dahin einen Camping-Gaskocher für den Kaffee. ;-) )

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