2012-08-23

Kunstformen, die mir politisch nicht auf die Sprünge helfen …

Die Aufregung um die russische Mädchenkombo dieser Tage, war hierzulande enorm. Gelegentlich war ich geneigt – möge man mir bitte den Zynismus und die Abgeklärtheit meines hohen Alters nachsehen – die hätten die Gören in Russland installiert, damit hierzulande (und wahrscheinlich auch in anderen medialen Sommerlöchern weiterer europäischer Nationen) Merkel wieder irgendwelche Gesetzesvorlagen an uns (also mehr an unserer hiesigen beduselten Presse) elegant vorbei winken kann.

Ich muss mich wohl selbst als religiös schimpfen. Ich nenne Buddhismus zwar lieber Philosophie. Dennoch gibt es in meiner Philosophie ein paar glücklich machende Rituale, die das Gefühl einer religiösen Abhandlung aufkommen lassen; auch wenn ich das lieber Meditation (und es gerne mit Joggen gehen vergleiche) nenne. Was aber auch immer: ich schätze es persönlich sehr, dass in dieser Welt meiner Religion und auch in unserer Gemeinschaft, mich per se erst einmal niemand mit politischen Ideen, Kritiken etc. nervt. Es geht nicht ums Ausblenden. Wer mich kennt, weiß, ich bin eine politisch und dabei oft kritische Person. Aber Politik bitte dort, Religion bitte da. Beides mischen funktioniert nicht gut, das wissen, glaube ich, aus jahrhundertlangen Erfahrungen, die bis ins Heute reichen, alle ziemlich gut. Ich möchte nicht die bekannten Fehler anderer persönlich nochmals nachbilden. Zumal ich persönlich meine Religion/Philosophie sehr bewusst als einen Zufluchtsort fern von politischen Welten verstehe.

Ich kann Kritik an Putin verstehen. Wenn mir ein Politiker sehr suspekt ist, dann ist es er. Ich kann auch Kritik an der Kirche verstehen. Auch kann ich Kritik an der russisch-orthodoxsen Kirche nachvollziehen. Ansonsten verstehe ich verhältnismäßig wenig vom derzeitigen politischen System in Russland, mangels meiner Sprachkenntnisse. Ich bin auf die Deutung anderer angewiesen, die sich oft mit subjektiven Eindrücken mischen. Letztendlich kann ich nur ahnen, und das ist sicher nichts Gutes.

Aus meinem persönlichen Empfinden kann ich aber auch verstehen, dass es gläubige Menschen nicht lustig finden in einem Gotteshaus, ihrem persönlichen Zufluchtsort, von der politischen Meinung anderer penetriert zu werden. (Und penetriert habe ich an dieser Stelle sehr bewusst gewählt, das erklärt sich dann aus der Lektüre des unten verlinkten Artikels.) Protest, der in seiner Ausführung andere – unbeteiligte – Menschen verletzt, ob nun mental, physisch oder psychisch, ist immer kontraproduktiv. Aus etwas Ungutem wird selten etwas Gutes geschaffen.

So habe ich die Aktion dieser russischen Frauen nicht verstanden. Ich fand sie respektlos. Bei aktiv zelebrierter Respektlosigkeit mag ich nicht mehr gerne einen möglicherweise guten, noch einen wertvollen Sinn hinterfragen, bei allem Verständnis und verstandener Relevanz hinsichtlich der notwendigen politischen Auseinandersetzung in dieser noch russischen jungen Demokratie, die meinem Verständnis nach, sehr laut hinterfragt gilt hinsichtlich ihrer derzeitigen Regierung.

Seit jeher werden Menschen, die sich in einem öffentlichen Umfeld nicht angemessen verhalten, vom Gesetz des jeweiligen Landes bestraft. So darf ich hierzulande nicht am helllichten Tag in irgendeinem Park, auf irgendeiner Parkbank mich meinen sexuellen Gelüsten hingeben, ohne dafür abgestraft zu werden. Dafür gäbe es übrigens auch in Deutschland keine Ordnungsstrafen, üblicherweise werden dann Haftstrafen ausgsprochen. Auch Rowdytum im deutschen Straßenverkehr wird abgestraft. Mitglieder der russischen Mädchenkombo ficken in öffentlichen Museen, masturbieren mit Hühnern in Supermärkten. Gerne tun sie die Dinge vor Augen von Kindern, teilweise den eigenen Kindern die somit bei Aktionen instrumentalisiert werden. Dafür habe ich ungefähr null bis gar kein Verständnis. Dafür wurden sie bis dato mehrfach lediglich verwarnt, nie abgestraft. Das nenne ich vom russischen System vergleichsweise moderat reagiert.

Wie schön, dass pünktlich zur Verurteilung dann auch der russischen Mädchenkombo neue Platte auf den Markt kam. Sorry, Punk geht m. E. nach anders. Punk ist Handeln aus Kritik an dem System ohne ein daran offensichtlich gebundenes finanzielles Interesse. Ich erinnere mich gut, ich war schon dabei, als das Wort geboren wurde. Punk ist für mich nicht das Instrument einer schnöden PR-Kampagne für eine gehypte Mädchenkombo, die in Russland offensichtlich niemanden hinter den Ofen hervor lockt, weil ihre Aktionen ein ganzes Land nur noch abnervt bis peinlich berührt. Übrigens verstehe ich dabei gerade Russland nicht als ein sexuell unaufgeklärtes prüdes Land. Nun hat man dabei einem wegbrechenden Absatzmarkt im eigenen Land dann jetzt den gesamteuropäischen Markt hinzugewonnen. Sehr sicher bin ich, Putin wird den juristischen Rest in seinem Imagesinne schon zeitnah richten. Und ständig muss ich an t.A.T.u. denken.

Höfliche Leseempfehlung: „Wer sich schon mal die Frage gestellt hat, warum der Support seitens der russischen Bevölkerung gegenüber Pussy Riot vergleichsweise eher verhalten ist, der kommt ganz schnell zu dem Schluss, dass das gesamte russische Volk gewisslich dermassen gebrainwashed von Putins Angst-und Schreckensregierung ist […] Vielleicht haben die Russen aber auch einen entscheidenden Vorteil uns gegenüber: Die können russisch!”

6 comments:

Ramona hat gesagt…

Danke @crezzy, ich kann mich Dir nur anschließen. Das so genannte Punk-Gebet von Pussy Riot in der Moskauer Erlöserkathedrale war mehr als eine Geschmacklosigkeit. Es war eine Straftat, übrigens auch nach deutschem Recht. In Deutschland kann die "Beschimpfung von Religionsgesellschaften" nach Paragraph 166 StGB auch mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden.
Man stelle sich einmal eine Punk-Band vor, die in der Münchner Hauptsynagoge ein antijüdisches Hass-Gebet rockt und gegen Merkel pöbelt.
Einige Gruppen, vor allem aus der feministischen Ecke stilisiert die Pussy-Punks als die Guten. Meiner Meinung nach völliger Unsinn! Es geht um die Würde der Religionen und nicht um politische Vorlieben. Diese Inszenierung hatte nichts mit dem Recht auf Meinungsfreiheit zu tun. Der Auftritt war eine peinliche, selbstverliebte Provokation. Er hat dem friedlichen und kreativen Protest der Anti-Putin-Opposition Schaden zugefügt. Die jungen Frauen von Pussy Riot taugen nicht zu Märtyrerinnen. Der Beitrag von Ingeborg Fachmann bringt es auf den Punkt.
Bitte nicht missverstehen, der Prozess gegen Pussy Riot hatte wenig mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun. Man kann auch das Strafmaß hinterfragen. All das aber kann man laut und klar sagen, ohne die drei Damen zu Märtyrerinnen zu stilisieren.

hufi hat gesagt…

Mir kommen die Tränen. So viel Mitgefühl ist selten.

Ingeborg Fachmann hat gesagt…

Dankeschön fürs Verlinken... Grüße aus Berlin! http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=2492

Ingeborg Fachmann hat gesagt…

(Hier schrieb "Ingeborg Fachmann". Wollte noch einen gemeinsamen Blog für mich und Johnny Frühling einrichten und jetzt tauchen wir hier immer gemeinsam auf. Muss ich mal umstellen, LG INGE

bel hat gesagt…

So einfach ist das aber nicht.
Protest/Politik raus aus den Gottesdiensten.-

Putin hat sich von Beginn seiner Amtszeit immer der Unterstützung des russsich-orthodoxen Patriarchats versichert, so ähnlich wie der inzwischen verschiedene Franz Josef S. damals in Bayern Wahlhilfe von der katholischen Priesterschaft bekam.

Religion ist eben kein Privatraum, das ist schon seit dem Mittelalter so, nur haben wir das vergessen in unseren letzten 200 aufgeklärten Jahren, die, - siehe Vorkommentare - grade dahin flutschen, wo die restlichen 1800 davor auch gewesen sind, nämlich in der unheiligen Einigkkeit von Politik und Kirche, - also weil wir in den letzten 200 Jahrn Religion zur Privatsache erklärt haben, ist das längst nicht so.

Die Mädels hatten schon recht, das dort vorm Altar mal kurz zur Sprache zu bringen.

Und der Rest mag mal kurz drüber nachdenken, warum wir hier plötzlich nach 200 Jahren gemächlicher Toleranz wieder so allergisch auf Religion reagieren, wenn es denn die falsche ist.

Grunz. bel

creezy hat gesagt…

@Ingeborg Fachmann
jerne

@bel
Du implizierst mit der Kooperation Regierung/Kirche in Russland letztendlich, dass der Gläubige das per se gut und willkommen heißt. Das ist m. E. falsch. Es ist ein bisschen sehr leicht, Menschen – vor allem ungefragt – zu instrumentalisieren, nur weil diese Menschen für sich eine Zufluchtstätte, hier eben Kirche, suchen.

Und es gibt immer noch den Unterschied zwischen etwas zur Sprache bringen und etwas respektlos zur Sprache bringen und damit Gefühle anderer (unbeteiligter) Menschen zu verletzen. Das mag zwar im Sinne der Sache erfolgreich sein, weil ausreichend schockierend. Aber dann braucht man auch keine Anwälte engagieren, wenn es nachträglich um die Strafe geht.

Und sorry: wer kirchliches und religiösesUmfeld für politische Debatten gebraucht, sorgt aktiv für Vermeidung einer sauberen Trennung und somit einer Entwicklung von Kirche losgelöst von Politik. Ist damit also keinen Deut besser als der Verursacher, der hier angeprangert wurde.

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