2009-08-28

Baby

Gestern eine junge Mutter in der S-Bahn gesehen. Jung im Sinne von jung entbunden, im Sinne von Alter war sie offensichtlich längst schon ihren 20igern entsprungen. Das kleine schlafende Etwas, das sie im Tuch vor sich hertrug, von dem wir eigentlich nur ein kleines dunkles beinahe frisch geborenes Köpfchen sahen, dass noch viel kleiner war als nur klein, hatte schon etwas fast zu früh geborenes an sich, so klein. Die junge Mutter indes strahlte. Sie sah sicherlich nicht jugendlich frisch aus, die Haare etwas wirr, die Haut etwas unausgeschlafen. Sie hatte sich den neuen Umständen von Schlafverlust offensichtlich mit Hingabe ergeben. Aber sie strahlte. Aus jeder Pore ihres Körpers, selbst dem kleinen Zeh; jeder ersten Falte, jeder ungelegten Strähne ihres Haares entschlüpfte ihr das mütterliche Glück in Form einer hellen unübersehbaren Strahlerei. Jede Faser ihres Körpers strahlte, hätte ich sie sehen können, hätte ich sogar die Kniekehlen strahlen sehen. Bin mir sicher. Das war der hellste S-Bahn-Waggon, in dem ich je gesessen habe.

Vorgestern ein sehr junge werdende Mutter in der S-Bahn gesehen. Sehr jung. Ein kleines Babybäuchlein im sechsten Monat ungefähr, dazu ein blasses sehr hübsches Mädchengesicht. Sie fasste sich ständig an, richtete träge alle 20 Sekunden ihre langen naturgewellten blonden Haare nach hinten, die zwischendurch gar keine Zeit hatten ihr wieder ins Gesicht zu fallen, fasste sich danach direkt an ihre Kette am Hals, wie in Trance und gähnte. Sie tat das dauernd, in einer ewigen Schleife, ungefähre drei Mal zwischen den einzelnen Bahnhöfen. Sie fasste dabei nicht einmal ihre Bauch an. Neben ihr saß ein sehr junger Mann, hat eine kleine Ratte unter dem T-Shirt. Beide, junger Mann und junge Frau, scheinen zusammen zu gehören. Er unterhielt sie ständig und ohne Pause mit Belanglosigkeiten, er sprach von seiner Ratte, sehr liebevoll wie von einem Baby. Kümmerte sich, ist besorgt, als sie sich einmal erschrickt, weil einem Passagier die Tasche vom Schoß fiel. Sie fahren irgendwohin, offensichtlich um sich Computerspiele abzuholen. Jemand hatte sich nicht ganz legal viele Spiele besorgt. Sie sagte, ein einziges Mal für einen kurzen Moment zum Leben erwacht: „Bin jespannt wat det für Spiele sind, da soll eina 20 Spiele bekommen haben, hat der jesacht.“ Dann richtete sie sich wieder die Haare und suchte nach ihrer Kette.

Vorvorgestern eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter im Kinderwagen in der S-Bahn gesehen. Ihre kleine Tochter ist vielleicht zwei, knapp drei Monate alt. Ein zierliches Mädchen, sie guckte schon sehr aufmerksam und staunend mit noch sehr blauen Augen in die Runde und beglückt alles, was sie sah, mit lustigen Mundbewegungen und Geräuschen. Als ihre Mama sie, sehr verliebt in ihre kleine Tochter, auf den Arm nahm, rutschte deren Körper schnell wieder zusammen und das Köpfchen sackte immer wieder weg, wenn sie es eine Weile aufrecht gehalten hatte. Sie konnte schon ihrem Alter entsprechend viele Dinge aber noch nichts ganz richtig oder lange. Ich musste daran denken, wie so ein kleines Lebewesen in den zwei Monaten, die es erst auf der Welt ist, die Welt ihrer Eltern ordentlich auf den Kopf stellt und komplett aus den Fugen hebt. Mit unschuldiger Selbstverständlichkeit. Wie sich der Horizont momentan wohl nur um sie drehen wird und alles, was Mama und Papa tun, alleine auf ihr Wohlbefinden abgestellt ist.

Dann musste ich daran denken, wie unfassbar groß das Loch sein muss, das so ein kleiner Mensch in das Leben seiner Eltern reißt, wenn er abends einschläft und morgens einfach nicht mehr aufwacht. Wie unfassbar groß dieser Schmerz sein muss, so ein kleines Wesen abgeben zu müssen, nachdem man es gerade erst so kurze Zeit kennenlernen durfte. Wie unfassbar tief das Loch sein muss in das man fällt, muss man so ein kleines lebenslustiges Wesen nach so kurzer Zeit des Glücks in einen kleinen weißen Holzkarton der dunklen Erde anvertrauen.

Wie unfassbar schmerzhaft und unglaublich.

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