2008-10-05

Gestern sagt die Freundin …

die neu einen gebrauchten Fordkombi erworben hat, zu dem der eine Teil ihrer im Osten ansässige Familie belustigt meinte, «Ford – Für Ossis Reicht Der!», nachdem wir im in der Nähe ansässigen Baumarkt waren, Weihnachtsdeko gucken und fotografieren (extra für Herrn Exit), Katzenkakamatsch (O-Ton Freundin, hier lief das bisher immer funktionell lapidar unter Katzenstreu) kaufen und Winterbepflanzung bestaunen. Ein gelungener Anlass wieder einmal für mich meinen absoluten Hass auf alles, was nach Erika und Heidepflanze aussieht, egal wie wild künstlich gefärbt, zu äußern. Die Freundin sagte also: «Lass uns zu Ikea fahren. Samstags zu Ikea. Unglückliche Pärchen beobachten, das ist großartig!»

Taten wir dann, ist ja nicht weit weg (ja, ich könnte mit dem Fahrrad zu Ikea fahren und Billy abschleppen, ätsch!), direkte Luftlinie. Deswegen cruist auch noch der Rosinenbomber über dem schwedischen Albtraumland. Wir konnten ja im Vorfeld nicht ahnen, dass alle Berliner Pärchen an diesem einen Samstag, dem zwischen Feiertag und Sonntag, an dem Wochenende an dem eigentlich alle Berliner aus der Stadt verreist sind und trotzdem wie durch Wunder welche nachgewachsen sind,  a l l e  auch zu Ikea wollten. Nur um uns ihr Unglück als Paar bem Ikea-Einkauf zu demonstrieren. Und wenn ich schreibe   a l l e,  dann waren es auch   a l l e. Vermutlich ist Karstadt gestern endgültig pleite gegangen.



Es waren also a l l e da! In ihren Autos, mit Rückstau auf Zufahrtstraßen. Habe ich so noch nie erlebt dort. Beeindruckend. Die samstägliche Devise am Frühstückstisch muss gewesen sein: «Schatz, Merkur ist rückläufig, wir haben uns trotzdem lange nicht mehr gestritten: lass uns doch kurz nach Ultimo zu Ikea fahren und uns mit allen anderen so richtig stressen lassen.»

Es war köstlich, zuerst der Weg ins Restaurant, die Freundin rief liebenswerterweise einen bis viele Ikea-Kaffees und eine Runde Köttbullar (çøtbʊlːar)und Kohlroulade (für mich, ich hatte akutes «the-day-after-Prossecco-Kopfleiden»). Erste Schlange. Im Restaurant habe ich sofort das beliebte Spiel «nur wer bei Ikea keinen trifft, den er kennt, hat gewonnen!» verloren. Mitschüler Gymnasium, bekannt als «The Brain», der war so klug und so schräg und im Grunde bereits mit 12 Jahren so politisch, dass wir alle sicher waren, der würde zur RAF gehen, wenn die dann überleben sollte. Den Ex-Mitschüler wiedergesehen, nach Jahren sah er aus wie immer, nur die Horde Kids um ihn herum war neu. Richtig viele Kids. Mit so vielen Kids an einem Samstag zu Ikea gehen und sie nicht direkt im Kinderparadies abzugeben (Schlange!), das gibt Mutdoppelbonus. (Allerdings hatten wir beide beim aus allen Poren und dem Mund nach Zigarre stinkenden Herrn Dr. Frank Geschichte und Sozialkunde, das hat uns für alles, was danach kommen sollte, sehr stark gemacht.)

Es folgte die Hardcorenummer: Freundin sagt, «Wir gehen durch die Möbelabteilung!» Ich gehe nie durch die Möbelabteilung. Ich steuere immer direkt die untere Ebene, die Küchenzubehörabteilung an. Es sei denn, ich will explizit etwas kaufen. Was nun seit einiger Zeit nicht mehr vorkam. Okay, letztes Jahr der Bürostuhl aber da habe ich auch die Abkürzung genommen. Es frustriert mich immer, an der Ikea-Modulküche vorbei zu kommen, die ich wirklich gerne hätte und der ich Rollen unter die Beine bauen würde, damit sie noch höher ist als sie schon ist und ich mit ihr Rollschuhlaufen könnte in der Küche. Gut, also dieses Mal durch die Möbelabteilung: unglückliche Pärchen gucken, funktioniert so richtig wohl schon da oben.

Als nächstes standen wir in der ersten Einengung mit leichter Kurve im Stau, finstere Stimmung. Wir feixten, ob wir die Leute mal fragen sollten, wogegen sie denn hier eigentlich demonstrieren würden: es verzog keiner in der unmittelbaren Umgebung eine Miene. Die allgemeine Stimmung war schon im Eimer, dabei waren wir noch nicht in der Vorhut der Regalabteilung angelangt. Billy war noch nicht mal zu sehen, da schienen schon alle sehr angestrengt.

Bei Billy selber war es schön wie eh und je. Billy strahlt immer soviel Harmonie aus. Da wo Billy ist, ist Geschichtsstunde. Vergangenheitsbewältigung. Die gemeinschaftliche Erinnerung an vergangene schöne und unschöne Zeiten. Mit Billy. Unbekannte Menschen mit verklärten Gesichtern erzählen entzückt von ihrer ersten Billy-Erfahrung: «Mein erster Billy-Aufbau», «wie ich meine Kochbücher und Billy zusammen brachte», «das erste Mal: Sex im Schlafzimmer vor Billy», «wie oft bin ich mit meinem ersten Billyregal umgezogen und Billy lebt immer noch», «weißt Du noch damals, als es Billy nur in zwei Größen gab?». Billy hat im Grunde das Zeug, für Weltfrieden zu sorgen. Es gibt keinen Ort weltweit, wo noch eher der Partner für's Leben zu finden ist als im Internet an der twitter-Bar: in der Billyabteilung bei Ikea. Wer Billy kennt und liebt, kann nicht von Grund auf schlecht sein, lautet die Devise. Und wahrscheinlich deswegen kann man in der Ikea-Damentoilette die Ikea-Kinderparadies-Auseinandersetzungs-Verhüterlis erwerben. (Billy ist vor den Matratzen ausgestellt!)



Ich war lange nicht mehr bei Billy. Ich wusste nicht, dass es Billy mittlerweile auch in rot gibt (mir einen Tick zu hell, als das es gut vor grauen Wänden wirken könnte) und Billy mittlerweile sogar Glastüren mit Blumenornamenten tragen darf. Aber ist auch egal. Wichtig ist nur, da wo Billy steht, herrscht Peace!

Wir zogen weiter, die Sprecherin mit der sonst so gelassenen Informationsstimme sprach aufgeregt vom Code 77 in der Schrankabteilung. Es gilt nämlich auch: da wo Billy nicht steht, herrscht kein Peace! Irgendwann sprach sie sehr laut, aufgregt und direkt mit dem Sicherheitsdienst und befahl ihn zum Code 77 in die Schrankabteilung. Und richtig, kaum bogen wir in die Kommodenstrecke ein: junger deutscher Mann mit mütterlicher Begleitung und türkischstämmiger junger Mann mit freundinlicher Begleitung waren sich lautstark am Anschreien und Pöbeln. Unglückliche Paare in der Einleitungsphase zur Partnerschaftsdebatte, hier über ungewöhnlich unschwedische Umwege: «Isch hau' Disch in die Fresse, Alter!» Zwischendrinnen ein schmaler Ikea-Mitarbeiter auf harmonischem Räucherzeichenpfad mit wenig Glück in der Außenwirkung. Begleitende Mama war aufgebracht, begleitende Freundin war peinlich berührt, entschuldigte sich später für ihren Freund, was Mutter erziehungstechnisch gegen den jungen In-die-Fresse-hau-Andeutungschläger nochmals aufbrachte, um ihn klar zu machen, wie peinlich er doch sei, wenn doch schon seine Freundin …

Das ist echte Frauen-Diplomatie: Würg dem Typn noch mal abschließend so eine rein, damit er wirklich merkt, wie ihm seine Maus in den Rücken gefallen ist. Denn nur dann, kann Maus auch garantiert der restlichen Samstag mit ihrem Typen abhaken.

Es war neu. Also partnergemeinschaftliche Differerenzen beim Küchenkauf oder in der Schlafmatrazenauswahl, die ist man bei Ikea gewohnt. Aber angedeutete Prügelszenarien? Das kennt man doch nur aus dem Ikea-Kinderparadies! An sich wäre zu überlegen, ob man für den einen oder anderen Mann bei Ikea nicht auch endlich ein Ikea-Männerparadies einrichten sollte. Mit Fußballfernsehprogramm und schwedischblonder Stangenanimation, dort könnte man die männliche Begleitung (die sich meist bis kurz vor der Abholabteilung, der einzige Sinn und Zweck wozu man sie überhaupt mit eingepackt hat, betont nervig aufführen) gegen eine Garderobenmarke dort abgeben und dann rückseitig kurz vor der Abholabteilung wieder rauswinken. Eine saublöde Idee einen Mann Samstag nachmittags zu Ikea zu schleppen. In der laufenden Bundesligasaison. Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht.

Ein visuelles Highlight dann in der Bäderabteilung. Dort wo Toilettenbecken, die man bekanntlich bei Ikea nicht kaufen kann, aufgestellt waren, um Ikea-Toilettendeckel und Ikea-Waschunterschränke oder Ikea-Toilettenpapierhaltemechanismen auf minimalem Raum im möglichen Einsatz zu demonstrieren, durften wir erfahren, dass zwischen dem Urinal und dem Toilettendeckel Plastikdeckel eingezogen werden müssen, damit Leute dort nicht in aller Öffentlichkeit ihr Geschäft … anders lässt sich diese Vorsichtsmaßnahme kaum erklären. Aber Ihr seht hier selbst, wie plan das Ikea-Handtuch aufliegt:



Jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob die Toilette damals, als ich in der Umbauphase der oberen Abteilung in der Nähe der Bäderabteilung auf so einer minimalen Toilette war, eigentlich wirklich über fließendes Wasser verfügte oder nicht. Ich kann mich nicht mehr erinnern, es war auf alle Fälle dringend. Wie üblich.

In der Küchenabteilung, der nächste Lebenspartner, der sich bockig zeigte: Männe raunzte die ihn begleitende Weiberschar an, er hätte jetzt überhaupt und gar keine, im Prinzip noch weniger Lust noch mehr und überall nach noch mehr Küchen zu gucken, man müsse sich nun endlich entscheiden und einfach mal kaufen. Mensch, Küchenkauf an einem Samstag? Bei Ikea? Na gut, normale Menschen nehmen sich im Zweifel dafür einen Tag Urlaub und tun das in der Woche. Die anderen lassen sich sehr wahrscheinlich generell gerne auch in anderen Lebenslagen mit viel Freude quälen …

Hatten wir uns vorher noch überlegt, eventuell doch eine Packung Servietten, Geschenkpapier, einen Bilderrahmen und vielleicht einen Gardinenschal in unmöglicher Nichtbreite zu erwerben, bestätigten wir uns ab diesem Punkt, wir würden nichts kaufen sondern uns entspannt durch die Kassenschlangen bewegen, wie die unbepackten Elfen und alle entnervten Samstags-bei-Ikea-Einkäufer in der letzten quälenden Zielgeraden («Tut mir leid! Aber an dieser Kasse keine EC-Karten!») elegant antikapitalistisch links liegen lassen.

Freundin brauchte unbedingt schwedisches Hefegebäck mit Zimt in großer Umverpackung. Die Schlange in der Lebensmittelabteilung war unwesentlich kürzer als in der Pimp-my-own-Hot-Dog-Abkauf-Station. Und die war ungefähr so es-ist-Samstag-wir-sind-alle-bei-Ikea-lang!

4 Kommentare:

The Exit hat gesagt…

Auch in Hannover haben sich ähnliche Szenen abgespielt. Meine frisch erbeutete Weihnachtsdeko durfte ich leider nicht mitnehmen!

creezy hat gesagt…

@The Exit
OmG! Heisst das nun Sie sind entlobt?

Anonym hat gesagt…

Koestlich. Ich weiss und es wurde mal wieder bestaetigt, warum ich so gorsse Abneigung gegen viele Menschen auf engem Raum habe....

Anonym hat gesagt…

You made my day - einfach köstlich. ;-)

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