2006-08-14

Tiefe Dankbarkeit

empfinde ich, wenn ich wie heute auf spiegel.de lese, wie sich der Körper von Ariel Sharon nun entgültig verabschiedet. Sie können den Mann einfach nicht in Würde gehen lassen, obwohl er doch fast achzig Jahre alt ist. Jedem, der sich auch nur ansatzweise in das Krankheitsbild eines Strokepatienten eingelesen hatte, war bereits nach der zweiten Operation klar, das kann (zumal in dem hohen Alter) nichts mehr werden. So liegt der Mann nun seit Anfang Januar im Koma auf der Intensivstation und die Maschinen arbeiten für ihn. Der Sprecher wollte sich nicht dazu äußern, ob bei nun akuter doppelseitiger Lungenentzündung und zunehmendem Nierenversagen unmittelbare Gefahr für Sharons Leben besteht. Wenn beide Lungenflügel den Kollaps haben, leidet der Mensch, das Atmen ist keine Freude mehr. Wenn die Nieren aufhören zu versagen, sollte man einen Menschen einfach gehen lassen – der Körper will einfach nicht mehr.

Das Krankheitsbild meiner Mama hätte früher oder später in der Konsequenz aufgrund der Erkrankungen und auch aufgrund ihrer medikamentösen Therapien Erblindung, möglicherweise dem Verlust von Extremitäten, Nierenversagen, Leberversagen, Herzinfarkt und Schlaganfall zur Folge gehabt. Da sie in den vergangenen Jahren nicht den unbedingten Willen und die Kraft besessen hatte, gegen ihre Krankheitsbilder aktiv anzugehen, hätte sie das im Falle eines Infarktes oder eines Schlaganfalles das noch weniger geschafft. Sie wäre ein Pflegefall geworden. Etwas wovor ich ihr – und ganz egoistisch auch mir – zuliebe wirkliche Angst hatte. Sehr große Angst.

Ich weiß, was langes und fürchterliches Sterben bedeutet. Wie es dem Sterbenden ergehen mag, kann man nur erahnen. Die Ahnung, das Zusehen meldet nichts Gutes. Ich weiß aber, was es für die Menschen bedeutet, die das Sterben eines lieben Menschen miterleben müssen. Ich kenne den Zwiespalt am Krankenbett zu sitzen und zu hoffen, das es doch bitte endlich vorbei sein soll und den Schrecken über genau den Gedanken, denn er bedeutet doch gleichzeitig jemandem, den man liebt, den Tod zu wünschen. Ich habe meinen Opa und meinen Vater an den Krebs verloren. Ich habe eine Oma noch tagelang auf der Intensivstation im Koma erlebt, nach einem dritten Herzinfarkt. Ich habe gehofft, ich habe resigniert, ich habe den Wunsch nach dem entgültigen Ende gespürt, ich habe die grenzenlose Angst vor dem ulimativen Ende gefühlt. Das alles kenne ich. Genau.

Nein, sie ist zusammen gebrochen und gestorben. Vielleicht lag sie noch einen Moment im Koma. Die Umstände deuten daraufhin, dass es einfach schnell vorbei war, sie zumindest gar nichts mehr bewusst mitbekommen hatte von ihrem Zustand. Keine Intensive. Keine Maschinen. Keine Pflege. Kein Rollstuhl. Kein Dahinsiechen. Kein Leiden mehr. Keine Schmerzen mehr. Keine Demenz bis zum Nichterkennen ihres sozialen Umfeldes.

Danke! Inständig und aus dem allertiefsten Herzen dafür Danke!

5 comments:

daniela hat gesagt…

Ich möchte später auch einfach friedlich einschlafen und nicht wieder aufwachen.
Sehr sehr viel später.

Anonym hat gesagt…

Ich habe vorgestern auf N3 Oliver Stones beeindruckendes Interview mit Fidel Maximo Leader Castro gesehen. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war er 75. Was für ein bemerkenswerter, willensstarker und kluger Mann! Momentan geht es ihm ja wohl auch nicht so gut wegen einer Krebserkrankung. Oder weniger optimistisch gesagt: Es steht schlecht um ihn. Und wenn er geht, wird der Welt ein weiterer charismatischer Politiker fehlen, denn nach seinem Tod wird Kuba sich sicher auch dramatisch verändern, teils zum Guten und teils sicher auch zum Schlechten. Ich wünsche ihm, daß ihm ein solcher Lebenserhaltungs-Androiden-Unsinn erspart bleibt. Hofft inständig der hochmikroelektronisierte Fellroboter.

silli hat gesagt…

ja ja ich kenne das auch. 8 jahre hat mein vater mit dem krebs gekämpft. es ist die hölle. ich saß ständig wie auf dem pulverfass. was mag als nächtes kommen? muss er wieder ins kh? einmal war ich in spanien bei meinen großeltern und spürte das etwas nicht stimmt. ich rief in deutschland an und was war: mein vater war wieder im kh!
oh man ich wünsche wirklich keinem auf dieser welt (was leider nicht geht) so eine leidensgeschichte. nach der beerdigung habe ich vor erleichterung geweint und gelacht.

Anonym hat gesagt…

....ich würde gerne was dazu sagen, finde aber die Worte nicht -aber ich verstehe Deine tiefe Dankbarkeit -
Ich habe immer Schwierigkeiten mit dem Tod umzugehen, doch in den letzten Monaten werde ich immer näher mit ihm konfrontiert - und jedesmal verstehe ich das Leben in der Auseinadersetzung mit dem Tod ein wenig besser.
Dass Evi so "schnell" von uns gehen konnte sehe ich als große Wohltat ihrer buddistischen Ausübung - dass ein lebensfroher und agiler Mensch wie sie es war nicht über eine lange Zeit an ein Rollstuhl oder gar ein Bett gefesselt die letzen Lebenstage verbringen musste, dafür empfinde ich tiefe Dankbarkeit.

creezy hat gesagt…

@Daniela
Möchte ich auch, aber manchmal frage ich mich, ob ein bewußter Tod nicht auch seine Rafinessen mit sich bringt. Naja, wenn man es weiß, ist es wohl eh vorbei …

@Sonnenlöwe
Ja, und ich wünsche das allen anderen auch. Ich will auch nicht, dass mit mit 76 noch ein Herzschrittmacher eingesetzt wird oder so'n Quatsch …

@silka
Ich verstehe genau, was Du da durch gemacht hast. Und kein Mensch kann einen darauf vorbereiten.

@Arminetto
Nicht wahr? Im Grunde hat sie das unter den Umständen gut hinbekommen, auch wenn mir der Zeitpunkt viel zu früh erscheint. Aber ich habe ja immer etwas zu meckern … (aber dankbar bin ich immer noch!) ;-)

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