Schlesisches Himmelreich
Oma ist die zweite von rechts, links von ihr meine Mama, mein Bruder und Papa und links von ihm Omas Bruder Theo, der im Vergleich zu seinen drei gut gebauten und für die Zeit erstaunlich groß gewachsenen Schwestern (rechts von Oma und die zweite Dame von links) immer erstaunlich schmächtig daher kam. Ich bin übrigens auch am Tisch anwesend, als Embryo.
Oma und Opa mütterlicherseits, somit natürlich auch meine Mum, stammen aus Breslau, Oberschlesien, was mich hälftig zu einer Vertriebenen in zweiter Generation macht. Womit ich übrigens gerne kokettiere, wenn mir mein gehobener Status als gebürtige Berlinerin zu muffig wird. Von Oma Kaupisch wird berichtet, dass sie, die ja als Tänzerin in gehobene Kreis einheiratete, von Küche nicht wirklich viel Ahnung hatte zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit. Sich aber sogleich, da die Familie seitens des Großvaters sie für eine missglückte Wahl, weil unter seiner Würde, erachtete, auf diesem Gebiet recht schnell eines nahezu perfektes Wissen aneignete, um an der Seite ihres Gatten eine exzellente Gastgeberin geben zu können. Zu Repräsentieren, das war ihre Rolle im Leben nachdem sie die auf der Bühne ablegen musste und die beherrschte sie sehr gut.
Während Oma Mau (väterlicherseits) als Kaltmamsell auch sehr souverän kochte und mich mit ihrer Küche sicher auch nachhaltiger beeinflusste, letztendlich wohl auch, weil ich sie länger im Leben hatte, war Oma Kaupisch eine Göttin in der Zelebrierung ihrer Empfänge. Und da dieser Teil der Familie eher vermögend war als der väterliche Part, gab es hier natürlich das Essservice mit Goldrand, ebenso exklusiv waren die Gläser ausgestattet, wurden Stoffservietten kunstvoll gefaltet, gab es immer lustige Partysticker und Schirmchen für Cocktails. Wann immer Gäste im Haus Kaupisch waren, wurde an nichts gespart!
Interessanterweise kann ich mich, außerhalb der gelungenen Festivitäten, leider kaum an etwas erinnern, was meine Oma kochte. Tatsächlich ist meine persönliche Erinnerung an ihre Küche eher eine ungenutzte. Ich weiß aber, dass sie mir und meinem Bruder, wann immer wir bei ihr schliefen, wundervolle Obstteller schnitzte mit dem legendären Bananendilokrok und immer ein großartiges Frühstück servierte. Und ich erinnere mich, dass es bei ihr ein Essen gab, das nach ihrem frühen Tod (ich war 12) für lange Zeit aus meinem Leben verschwand, weil niemand in unserer Familie das wohl mochte und es eher zu einer der Leibspeisen meines bereits vor meiner Geburt verblichenen Opas gehört haben muss: Schlesisches Himmelreich!
Das ist ein Essen, das ich lange Jahre in meinem Leben vermisst habe. Ein Geschmack, an den ich mich immer gerne erinnerte und den ich sehr gerne wieder schmecken wollte, weil ich das als Kind wahnsinnig gerne gegessen habe. Was ich heute im Nachhinein noch komisch finde, denn die Sauce wurde in unserer Familie aus Bier gemacht und Biersoßen sind wahrlich der wenigsten Deutschen heute noch ein vertrautes Mahl. Da möchte ich gerade für Berliner sprechen, deren ursprüngliche Küche sehr viele Gerichte und zwar von Vorspeise über Hauptgang bis zum Dessert mit Bier kennt, die leider heute kaum noch serviert werden. Meine Mum kochte mir das Essen übrigens ein einziges Mal. Es kam geschmacklich nicht annähernd an Omas Original heran und es gab's danach nie wieder, sie mochte es überhaupt nicht.
Ich mittlerweile habe mich über die Jahre auf die Suche nach dem Rezept gemacht, was im übrigen nicht so leicht war, weil „Schlesisches Himmelreich“ bei uns in der Familie unter „Himmel und Erde“ lief, was, wie wir wissen, im Ruhrgebiet ein bekanntes Gericht ist, das so gar nix mit Biersoße am Hut hat. Wie auch immer, ich koche und esse „Schlesisches Himmelreich“ sehr gerne und möchte behaupten, mich mittlerweile ganz gut an Omas Original heran gekocht zu haben. Für mein Leben gerne würde ich es ihr einmal servieren können und mich mit ihr darüber unterhalten!
Schlesisches Himmelreich
Zutaten
1 schönes Stück Kasseler (hier dieses Mal ausgelöst) oder Kasselerlachsbraten, ca. 500 g
1-2 ca. 2 cm dicke Scheiben Bauchspeck, unbehandelt, ca. 500 g
1 große Zwiebel
400 g getrocknetes Mischobst
2 Flaschen Schwarzbier (Böhmisches Litovel ist genau richtig dafür)
1 Stück Kochlebkuchen (alternativ normaler Lebkuchen oder Pumpernickel)
2 Lorbeerblätter
1 Pimentkorn
2 Nelken
1 Stange Zimt
Schale einer unbehandelten Zitrone
Salz, Pfeffer etwas Butter zum Anbraten
Zubereitung
Das Fleisch, beide Sorten, wird im Bräter in etwas Butter von allen Seiten angebraten, dann gibt man die Zwiebel in Würfeln hinzu und gießt mit dem Bier auf. Das Fleisch im Ofen ca. 15 Minuten mit allen Gewürzen bei ca. 180 Grad (Gas Stufe 2-3) schmoren, dann das Backobst hinzu geben und nochmals 15-20 Minuten weiter schmoren lassen, bis das Fleisch weich ist. Den Kochlebkuchen ebenfalls nach den ersten 15 Minuten hinzugeben, der löst sich auf. Ich habe, da man im Handel mittlerweile lieber unnötige Fertigsaucen verkauft als übliche natürlich Soßenbinder aus der Generation unserer Großmütter, 2-3 normale Lebkuchen genommen, die nur leicht glasiert waren, getrocknet, gemahlen und 2 Esslöffel zur Soße gegeben. Lebkuchen ergänzt das Bittere im Bier mit seiner Süße sehr gut. Übrigens kann man, wenn man gar nicht an Lebkuchen kommt, auch Pumpernickel als Ersatz verwenden. Das sollte man allerdings möglichst fein mahlen, da es sich in der Soße nicht auflösen wird. Fein gemahlen kommt die Süße des Brotes noch deutlicher zum Vorschein.
Üblicherweise serviert man zum „Schlesischen Himmelreich“ Knödel, halb und halb – die tatsächlich bei diesem Essen den viel höheren Aufwand im Kochvorgang verursachen, als das Hauptgericht selbst, das nicht mehr als fünf Minuten Aufwand verlangt. Ein herrliches Herbstessen – ich liebe es sehr!
Natürlich gibt es das „Schlesische Himmelreich“ auch in der Variante ohne Bier bzw. Alkohol. Dazu weicht man das Dörrobst einfach einen Tag vorher in gut 500 ml Wasser ein, fängt den Sud später auf und kocht diesen mit den Gewürzen auf, bevor man ihn zum angebratenen Fleisch gibt. Aber für mich – als passionierte Nichtbiertrinkerin übrigens – gehört der Geschmack vom Gerstensaft dazu, zwingend.
15 comments:
Ich bin zwar nur Beute-Oberschlesierin (mein Stief-Großvater kam aus Oberschlesien, mein Großvater väterlicherseits, ein Nordhesse, starb vor der Geburt meines Vaters - eigenartigerweise in Wismar), aber ich bin sicher, meinem Opa Kurt hätte das gar köstlich gemundet, und die Kombo klingt auch genau so wie *ich* mir schlesische Küche vorstelle.
was für ein foto! (dieses himmelreich muss mir aber verwehrt bleiben. ich mag kein bier.)
Oh Mann bzw. Frau, ich nehme gerade diätisch Anlauf auf das Weihnachtsfressen und dann haust Du hier solche Sachen raus ...ich könnt' mich da jetzt großflächig reinsetzen *lechztriefsabber*
Oh, meine Oma kommt auch aus Breslau. Aber die Familie musste flüchten, als meine Oma gerade zehn Jahre alt war. Deswegen gibt es bei uns keine schlesische Küche ;)
Aber das sieht natürlich sehr lecker aus, das muss man schon sagen...
Meine Großeltern kamen auch aus Breslau und wurden vertrieben, landeten aber schließlich in Bayern...so kennt man die Schlesier - feierfreudig und das am liebsten im Familienkreis. ;)) (Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Kennst du noch ein gutes Knödelrezept?)
Der einfachste Ersatz für Lebkuchen beim Kochen sind sog. "Gewürzprinten", also die Sorte ohne Schokoladenüberzug. Die kommen z.B. auch in den rheinischen Sauerbraten.
Die haben außerdem den Vorteil, ewig zu halten, denn wie hart sie zwischendurch geworden sind, ist beim Kochen egal.
Ralf
@Foodbreak
Beute-Oberschlesierin ist super, habe ich sehr gelacht darüber! ,-) Schlesische Küche ist etwas feines, vor allem in diesen kalten Tagen …
die können auch Desserts!
@katha
Welches denn? Das von der Oma und den Tanten! ,-) Ach, einfach mal probieren. Biersoße ist ja dann doch auch süßlich und sie passt zu einigen Fleischsorten wirklich ausgezeichnet!
@Foxxi
Du Mädchen, wir sind mitten im Weihnachtsfressen! Es gibt Maronen!
@Claudia
Ah, Vertriebene in dritter Generation, da wird's natürlich schwer! ;-)
@Wickie
Diese Schlesischen-Schicksale sind schon interessant, oder? Die Schlesier sind ein angenehmes Völkchen, das muss man ihnen lassen! Knödelrezept kommt. ;-)
@fotoralf
Stimmt, fiel mir nicht ein, weil wir ja in Berlin auch nicht soooo sehr an der Printenbar sitzen wie Ihr, dieses Ruhrvolk. ,-) Hm, Rheinischen Sauerbraten. Denn könnte man ja auch mal wieder machen … *Idee*
Ruhr...? Die ist von hier so weit wie Lüttich. :-)
Ralf
Schon so lange lese ich still und begeistert in Ihrem Blog.
Auch meine Großeltern stammen aus Schlesien und meine Oma hat wirklich wunderbar gekocht, leider gibt es kein aufgeschriebenes Rezept. Das "Schlesische Himmelreich" kenne ich natürlich nur zu gut und auch die Familienfeiern wie auf Ihrem Bild.
Ich suche allerdings schon seit langer Zeit nach einem Rezept, das meine Großmutter "Polnische Sauce" bezeichnete. Ich weiß nur noch, es war eine dunkle, relativ dicke Sauce mit Rosinen und Nüssen. Dazu gab es böhmische Knödel, an Dörrobst in dieser Sauce kann ich mich nicht erinnern. Es war kein Gericht mit Fleisch oder Fisch, sondern eher eine süße Hautmahleit, köstlich. Wir haben es geliebt.
Ich habe natürlich schon Tante Google bemüht, aber wirklich fündig geworden bin ich nicht.
Hat Oma Kaupisch das auch für Sie gemacht und haben Sie ein Rezept davon? Ich würde mich freuen.
@fabriana
Dankeschön! ;-)
Polnische Sauce ist ziemlich identisch mit dieser obigen, weil ursprünglich nämlich auch mit Malzbier gemacht. (Womit man übrigens „Schlesisches Himmelreich“ auch machen kann, aber dann wird's wegen dem Backobst wirklich sehr sehr süß.) Tatsächlich wird die Polnische Soße ohne Fleisch gemacht aber gerne zu Fleisch genossen. Oder auch nur zu den tollen Knödeln.
Also Wurzelgemüse (Möhren, Sellerie, Zwiebeln) anschwitzen und mit eben Malzbier und Brühe ablöschen und wie oben mit Lebkuchen binden. Eventuell passieren (wenn man das Gemüse nicht als Stück mag) und dann Rosinen oder Mandeln bzw. Nüsse dazu geben. Mit etwas Essig und Zucker abschmecken. Fertig! ;-)
Guten Appetit, ich hoffe, das Rezept kommt annähernd an Omas „Polnische Sauce“ ran!
@fabriana
Ich entdecke gerade im Web, dass es für die Soße auch eine Variante mit Rotwein anstelle des Malzbieres gibt und hier und da auch Rübensirup empfohlen wird. Wobei Rübensirup würde ich dann nur an die Rotweinvariante geben, mit Malzbier ist das zu süß, denke ich.
Wichtig ist der Kochlebkuchen … also die Printen. ;-)
Danke für die schnelle Antwort.
Rotwein hat meine Oma glaube ich nicht genommen, dann eher schon Malzbier.
Also ich werde das demnächst ausprobieren.
Printen müssten nächste Woche kommen, die lasse ich mir zur Vorweihnachtszeit aus Aachen schicken.
Danke nochmal und liebe Grüße
Ich habe gerade alles mit Freude gelesen..
Meine Schwester rief mich heute Mittag an und sagte:"Komm vorbei ich habe Schlesisches Himmelreich gekocht.Konnte Dir aber nicht vorher bescheit geben,mußte erst abwarten ob es glückt" Es war KÖSTLICH,auch wenn meine Mutter meinte die Klöse wären nicht richtig hergestellt!Mir hat es sehr gut geschmeckt...
Meine Mutter kommt aus Schlesien,leider hat mein Vater(geb.Hannoveraner,Mutter aus Ostpreusen) meiner Mutter verboten,Schlesisch mit uns zu sprechen,finde ich jetzt mit meinen gut 50 Jahren sehr schade,denn ich würde es gerne an meine Enkel weiter geben.
Liebe Unbekannte Grüße
Mit Bier und Pfefferkuchen ist es für mich kein Himmelreich und schmeckt auch nicht.
Ich bin über die "schlesische Weihnachtssoße", die es bei uns immer zu Weihnachten gibt, und auf der Suche nach Varianten auf diesen Blog gestoßen. In diesem Jahr bereite ich das Weihnachtsessen selbst zu, bis zum letzten Jahr noch meine Mutter, die in Breslau geboren wurde.
Deshalb eine kleine Korrektur zu dem Satz "[...]stammen aus Breslau, Oberschlesien, [...]":
Breslau liegt eindeutig in Niederschlesien! ;-)
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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