Und liebe Mütter: gebt Euren Kindern, vor allem aber Töchtern, Mut mit auf den Weg!
Heute nachmittag bin ich wieder U-Bahn gefahren. Ich steige Schönleinstraße ein, zwei lächerliche Stationen, die ich sonst immer laufe – aber die Füße taten weh und ich war müde.
Im Wagon steht ein Typ merkwürdig im Gang in eine Sitzreihe übergebeugt und versperrt halb den Weg zum Sitz, den ich einnehmen möchte und ich denke noch bei mir, mich an seinem Rucksack grob vorbei schiebend, „wat stehst Du hier so bräsig rum?” Als ich sitze fällt mir auf, der spricht mit jemandem auf der anderen Seite und es klingt alles nach Abrechnung. „Wenn ich mit Dir fertig bin, ich werde Dir alles zurück zahlen, was Du mir angetan hast …”, ganz merkwürdig monoton. Die junge Mutter mir gegenüber fängt schon an ihre Tochter von der anderen Seite einzusammeln, die dieser Person gegenüber sitzt, die der Typ zulabbert. Ich denke bei mir, aha, Beziehungskrise galore!
Irgendwann ändert sich sein Vokabular und er fängt an ihr zu drohen, was er alles mit ihr anstellen will, wenn sie aus der Bahn raus sind und sie alleine sind. Aber immer noch ganz ruhig und unaufgeregt, monton.
Nun muss ich sagen, ich bin ja das Kind eines unter Alkohol prügelnden Vaters – der aber mich nie angerührt hatte. Immer nur meinen Bruder und meine Mutter. Insofern stand ich mit vier Jahren vor meinem Vater, mehrmals, nachts, wenn er wieder besoffen auf Prügeltour (und bei meiner Mum Schlimmeres) war und habe die beiden beschützt. Da war meine Kindheit dann auch vorbei – aber er hat mich eben nie angerührt, ich hatte dieses Gottvertrauen. (Heute erzähle ich das immer recht lapidar und fast lustig, aber das war es natürlich nie. Gar nicht.) Das hat aber heute immer noch zur Folge, dass ich a) sehr aggressiv werde, wenn ein Typ einer Frau gegenüber übergriffig wird und ihr Schläge androht und b) ich dummerweise auch glaube, mir könnten solche Typen nichts, denn ich bin m. E. nach irgendwie seit jüngster Jugend unverletzbar. Tatsächlich haben diese Situationen häufig in meinem Leben gezeigt, dass die allermeisten Männer in solchen Situationen, sobald sie Gegenwehr bekommen von Außen, ganz schnell ablassen.
Kurz: die Situation in der U-Bahn nahm meiner Meinung nach eine Richtung, die ich ziemlich zum Kotzen fand. Ich beugte mich also über und fragte die Frau, die da saß, sehr gepflegt, ca. 25 Jahre alt, relativ groß sogar, ob sie Hilfe bräuchte. Sie antwortete, „im Moment noch nicht.” Ich fragte sie, ob ich mich zu ihr setzen solle und in dem Moment kamen bei ihr schon die Tränen.
Der Typ ließ übrigens in dem Moment, als ich ihn ignorierend über den Haufen stoßend den Platz einnahm, sofort ab von ihr. Der Mann ihr gegenüber reichte ihr dann ein Taschentuch und war auch sehr hilfsbereit. Interessanterweise stellte sich nämlich kurz darauf heraus, sie kannte den Kerl gar nicht! Der hatte uns alle richtig gut gefoppt mit seiner Psychose. Letztendlich war er nur eine versandete Seele auf Exkurs. Der stand mittlerweile auch wie unbeteiligt in der Ecke an der Tür und traute sich uns keines Blickes zu würdigen. (Ich guckte ihn mir nochmals sehr genau an, falls wir das Zeugenspiel spielen sollten.)
Ich bot der Frau an mit ihr zu fahren und sie dorthin zu begleiten, wo sie hinwollte, damit sie sich überhaupt beruhigen konnte, denn es ging ihr wirklich schlecht. Wir klärten wo sie hin müsste, und es erklärten sich der Mann gegenüber als auch eine weitere Frau bereit mit ihr zu fahren und sie auch ein Stück zu begleiten. Ich bot ihr auch an, dass wir den Zug verlassen könnten und falls er auch nachkäme, sofort die Polizei rufen würden. Aber das wollte sie nicht.
Sie also in guten Händen wissend, bin ich dann ausgestiegen. Die andere Frau nahm dann meinen Platz ein.
Okay, ich nehme das als Zeichen – ich sollte vielleicht wieder einfach weniger U-Bahn fahren, der Deppenalarm ist momentan ausreichend groß. Aber am meisten tut mir weh, dass diese junge Frau nicht den Mut hatte aufzustehen, und dem Mann ganz klar zu signalisieren, dass er sie in Ruhe lassen soll. Am besten ihn siezend, denn dann hätte wir anderen vielleicht nicht solange still gehalten, weil wir früher bemerkt hätten, die streiten sich gar nicht gerade auf sehr ruhige eigene Art.
Es tut mir so leid, was der Mann ihr emotional angetan hat. Wirklich sehr!