„Behindert ist man nicht, behindert wird man.“ not quite like beethoven hinterfragt diese Redewendung aus der Sicht eines Menschen, der nicht gut hören kann.
Ich verstehe ihn, seinen Unmut. Wenn etwas im eigenen Körper nicht so funktioniert, so wie es die Natur bei anderen vorgesehen hat und funktionieren lässt, dann ist man in diesem Leben auf das Entgegenkommen (Entgegenkommen ist übrigens etwas anderes als Mitleid!) anderer angewiesen. Da muss man die Kunst des Geben und Nehmens sehr gut und ausdauernd beherrschen. Aus ihrer Sicht eher die Kunst des Nehmens, denn man muss ständig darum kämpfen, dass andere Geben, damit man Nehmen kann: nämlich von Anderen die Umstände, die die eigene Individualität mitbringt – im äußeren Umfeld oft als Schwäche definiert – vereinfacht zu bekommen, damit man zusammen mit ihnen am Leben aktiv teilhaben kann. Wenn man das ein Leben lang tun muss, neue Menschen, die ins Leben treten immer wieder darauf einstimmen muss, kann das sehr zermürbend sein.
Irgendwie ist das doch fatal, denn die meisten Menschen, die ich bis heute erlebt habe, die mit einem besonderen Merkmal ihres Körpers oder Geistes leben (nichts anderes ist eine „Behinderung“ nur), haben andererseits mindestens ein und so hoch ausgebildetes Talent auf einem anderen Gebiet, dass ich mich als „08/15“-Mensch aber ganz weit hinten anstellen muss, um überhaupt mitspielen zu können. Liga-Reife nie gesehen! Wir nehmen indes aber nur die Behinderung der Menschen wahr, gucken nicht auf ihr außergewöhnliches Talent. Das öffnet vielleicht ein wenig den Blick auf die Dimension des Selbstbewusstseins, die ein Mensch von Haus aus mitbringen muss, um sich täglich mit uns „Untalentierten” hinsichtlich seiner persönlichen kleinen Ecke in der er nie Liga-Reife erlangen wird, auseinander zu setzen. Alle Achtung!
Zum gleichen Thema gab es neulich eine interessante Diskussion bei Spreeblick in den Kommentaren zum Rollstuhl-ReDesign-Post von Johnny. Die im Grunde wieder offen gelegt hatte wie wenig Ahnung wir doch vom Leben haben, das die Leute täglich leben, die nicht so hören wie wir, sehen wie wir, laufen wie wir, denken wie wir. Was für uns daraus wiederum für Ängste resultieren, etwas falsch zu machen. Was uns unsere kulturelle Lehre natürlich wieder verbietet, einfach zuzugeben. Denn es wäre eine Schwäche, wollen wir doch immer so aufgeklärt und souverän wirken. Wir haben Angst, eine Schwäche zu zeigen den Menschen gegenüber, die täglich und immer von ihrer Umwelt ihre „Schwäche“, weil sicht- oder messbar, demonstriert bekommen – ein bisschen skuril ist das schon oder?
Nein, wir sind im Umgang mit Menschen mit besonderen Merkmalen nicht aufgeklärt und souverän. Dafür haben viele von uns gar nicht ausreichend Zugang zu ihnen. Wir haben eben nicht von Natur aus den „Blinden“, den „Tauben“ und den Menschen im Rollstuhl sitzend in der engeren Umgebung von denen wir einen Einblick in deren täglichen Alltag erhalten könnten. (Und leider versemmelt unsere Bundesregierung gerade die Chance unserer Kinder in Integralschulen genau so leben und erfahren zu können, gewaltig!) Also bleibt uns nur zu kommunizieren. Damit schließt sich aber der Kreis, denn hier fangen ja die Berührungsängste an, darf man fragen? Wie darf man fragen? Darf man die Besonderheit überhaupt thematisieren? Und es öffnet sich prompt der nächste Kreislauf:
Denn Nichts ist schwarz und weiß, gut und böse, behindert und nicht behindert. Prallen Menschen mit ihren unterschiedlichen Eigenarten, Merkmalen, körperlichen und geistigen Talenten aufeinander, wird deren miteinander auch von äußeren Umständen, Tagesformen, meinethalben Bio-Rhythmen geprägt. Da ist ein Mensch nicht nicht bemüht oder direkt arrogant, nur weil er vielleicht müde ist und Signale nicht richtig deuten kann, da ist ein Mensch auch mal tierisch abgenervt, weil ihm zum x-wievielten Maß in einer Situation Hilfe angeboten wird, indes in einer anderen Situation, wo ihm wirklich Aufmerksamkeit helfen würde, die Tür vor der Nase zugeworfen wird. Dieses Geben und Nehmen ist ein unglaubliches sensibles Ding.
Denn: nehmen ist schwerer als geben. Ich bin eine kurze Zeit lang (wenn für mich damals auch viel zu lange) gezwungen gewesen an zwei Gehhilfen zu gehen. Es gab in meinem Umfeld viele Menschen, die sich wirklich aufopfernd um mich bemüht haben und mir sehr geholfen zu haben. Und man läuft dennoch unzufrieden mit sich durch den Tag, weil man nicht so kann wie man will. Auch weil man keine Ahnung hat, ob man jemals die Zuwendung, die man gerade erhält gleichwertig zurück geben kann. Was man schon deshalb nicht wollte, weil es bedeuten würde, dass es dafür Freunden ja auch mal schlecht gehen müsste.) Da löst das seelische Unzufrieden sein den körperlichen Schmerz 1a ab. Man ist ständig in einem Zustand auf die Zuwendung und Hilfe angewiesen zu sein und andererseits sich klein und „gehandicapt“ zu fühlen. Äußere Umstände, die den Alltag verdammt schwer machen, zeigen Wirkung und machen mürbe. Daraus resultieren Gefühle und manchmal ein Aktionismus, der die Umwelt denken lässt, „der/die ist jetzt aber undankbar.“ Es ist eine verdammte Crux in unserer heutigen hochleistungsorientierten und optimierten Welt nicht so funktionieren zu können, wie man es sollte. Gut, das war es wohl schon immer. Andererseits war das Erleben für mich, eine Chance sich zurück zu nehmen und wieder ein anderes Tempo zu leben und Dinge zu erkennen, die wichtiger sind als Leistung und Perfektion. Nur: davon wird der Mensch im Rollstuhl aber trotzdem nicht automatisch in unser Leben integriert.
Vielleicht sollten wir aufhören, uns alle auf einem Level sehen zu müssen und uns akzeptieren und nehmen wie wir sind. Der Umgang mit Menschen, die etwas weniger gut können als man selbst, ist der spannendere, denn die Menschen zeigen uns eine neue Dimension dessen wie wir den Tag erleben. Vielleicht geht es da weniger um verständnisvoll sein als um ein Miterleben und daraus eine neue Realität in größerer Vielfalt für sich zu ziehen? Für das einfachere Miteinander in Zukunft?
Manchmal glaube ich, ganz gut Ahnung zu haben vom Erleben der Menschen mit körperlichen oder geistigen Merkmalen, weil ich mit einigen von ihnen zusammen gekommen bin. Habe ich aber gar nicht. Deren Welt ist so unglaublich vielfältig und individuell, dass man nie Ahnung haben wird und sowieso nicht den einen Menschen mit dem anderen vergleichen kann. Funktioniert hier einfach nicht. Man muss immer wach bleiben und aufmerksam sein und: es wollen! Das Miteinander wollen - es nicht erst zulassen, wenn es einem zufällig aufgedrückt wird.
Ich weiß es auch nicht. Fakt ist eines: Menschen mit besonderen körperlichen und geistigen Merkmalen haben mich noch nie gebissen. Und blöd sind sie auch nicht! Im Gegenteil, meist sind sie absolut sensibel und erkennen die Unsicherheit des Gegenübers schon, wenn er nur durch die Tür tritt. Also: einfach reden! Und fragen, wie man miteinander am Besten umgehen kann, sollte sich aus dem besonderen Talent ein besondere Handlungsweise für uns Greenhörner auf dem Gebiet ergeben.
Die Tipps von not quite like beethoven „Besser reden mit Schwerhörigen“ sind allemal ein Anfang. (Wofür ich Blogs mal wieder echt liebe! Danke Dir für das neue Wissen und die Inspiration zu diesem Post!)