2006-07-16

Meine Lebensplanung …

hat gestern einen völligen Wandel genommen. Aber jetzt greife ich der Sache vorweg.

Was ich Euch schon längst mal erzählen wollte ist: creezy ist 'nen Drummer-Groupie. Will sagen, mein Ohr gehört grundsätzlich den Drums in der Mucke und mein Herz gehört grundsätzlich den Drummern der Bands. Die haben gute Oberarme, ein feines Taktgefühl, sind häufig auch intellektuell veranlagt und dabei ausgeglichene Charaktere. Solange sie nicht Phil Collins heißen, drängen sie auch nicht penetrant in den Vordergrund. Hätte ich jemals ein echtes Groupie-Gen in mir wachsen gefühlt: meine Seele, äh meinen Körper hätte ich immer dem Drummer geschenkt, dann dem Bassisten, aber nie, niemals dem Sänger.

Selber Drumms spielen lernen, war eigentlich immer etwas was ich noch als mögliche Option im Hinterkopf hatte. Als Kind konnte ich schon stundenlang mit den chinesischen Stäbchen (ein befreundeter Japaner hatte ein China-Restaurant) auf den Kochtöpfen und -deckel meiner Mutter (Emaile klingt anders als Edelstahl!) Sessions veranstalten. Viel länger mit steigender Begeisterung, nachdem mein Bruder schon Wochen vorher die Lust verloren hatte. Leider hatte meine Mum die Zeichen meines Talentes nicht erkannt oder wollte sie aus purem Eigenschutz nicht erkennen: ich durfte Blockflöte und Gitarre spielen lernen, beides fand ich nicht spannend.

Neulich, bei meinem Freund Micha, stand da also ein E-Drumkit rum. Mir war nicht bewusst, das es so etwas mittlerweile halbwegs finanzierbar gibt. Bei mir war bis dato immer die Grenze zum Traum als Drummer der fehlende Proberaum mit Schallisolierung. Aber mit so einem E-Drumkit, da öffnen sich mir die Türen zu allen Visionen doppelt so breit. Natürlich habe ich mich auch an das Kit gesetzt und versucht einen einfachen Audioslave-Beat zu schlagen. Jetzt bin ich mittel bis sehr schwer infiziert.

Gestern nun Zeichen Nr. 2: wir hatten einen netten Abend bei Lucie Leydicke (zu Lucie an anderer Stelle demnächst mehr), der Freund eines Freundes trat da mit seiner Jazzband auf. Mit ein Highlight des Abends die Ansage: 'Wir fangen jetzt mal an zu spielen, obwohl unser Gitarrist noch nicht da ist. Der hat den Termin vergessen, saß in einem Restaurant, ist jetzt aber auf dem Weg hierher. Naja, das ist ok, er ist ja auch schon 87!'

Das war auch ok, ich habe auch schon Termine vergessen, ohne vermutlich überhaupt jemals so alt zu werden. Der Dummer mit Minimialkit vor Ort ist auch schon 65 Jahre alt, sehr fit und schnell und hat großartig gespielt (das Beste am Jazz für mich sind immer die Basser- und Drumsoli). Der Rest der Musiker hat das Durchschnitts-
alter der Band übrigens um -30 Punkte gesenkt. Aber somit ist für meinen Lebensabend klar: ich werde jetzt anfangen Drums spielen zu lernen (sobald mir ein für mich finanzierbares E-Drumkit über den Weg läuft), viel üben, dabei gleichzeitig dem altersbedingten Abbau meiner Motorik den höflichen Stinkefinger zeigen. Und mit 65 ziehe ich als coole Alte durch die Berliner Kneipenszene, mache ein paar Euro nebenbei, kriege Samstagabends Getränke auf's Haus und werde bis zum Schluß meiner Tage viel, viel Spaß haben.

Die anderen können derweil ja ins Altenheim auf Mallorca ziehen …

2006-07-14

Das Response-Element

Der beste Freund der Welt erhält neulich den wundervollen, sehr feinen und im super 'mach-die-Drucker-fertig' gibt es nicht Format gemachten Prospekt des neuen Audi A6 allroad quattro mit hässlichstem Grill aller SUVs und wiederlich silber-pseudoholz Armaturdesign. Seit der beste Freund der Welt mit dem ersten Wagen dieser Art leider einmal etwas Pech hatte auf der Autobahn und somit das zweite Auto der gleichen Preisklasse nach nur sechs Monaten nachorderte, zählt er zu den 
g a n z besonders gern gesehenen Vertretern der Zielgruppe dieses Autokonzerns.

Deshalb auch bekommt er diese schicken Broschüren zugeschickt. Mit einem sehr freundlichen, enthusiastischen und informativen persönlichen Anschreiben, das selbstverständlich die fröhlichste und dynamischste Einladung zu einer Probefahrt enthält, die sich ein Citroën-Fan nur vorstellen kann.

Der beste Freund der Welt liest vor: '[…] Bei Interesse an einer Probefahrt brauchen Sie nur das beiligende Response-Element ausfüllen und an uns zurückschicken. […]'

Der beste Freund sieht auf und fragt gedehnt, wie nur der der beste Freund der Welt gedehnt fragen kann: 'R e s p o n s e - E l e m e n t?'

Wir schauen beide auf das, was ein Response-Element sein soll.

Ich krame im Gehirn, aktiviere für einen sehr kurzen Moment mein Langzeitgedächnis und behaupte frech: ‘Wir haben das früher
(Rück-)Antwortkarte genannt.‘


Das Response-Element landete mit dem Anschreiben im Papierkorb.
Der beste Freund der Welt responst 2006 nur noch mit den Elementen digital voice transmitter (Telefon) oder electronic mail (E-Mail).

Alle haben Tickets für den Urlaub,

außer eine,
die hat keine.



Und in meinem nächsten Leben suche ich mir nur noch beste Freude, die nicht immer zur gleichen Zeit weg fahren.
Ich hoffe, das war deutlich!

2006-07-13

Wetterleuchten



Welch‘ ein Himmel. Was für ein Licht. Die Schwalben fliegen hoch. Sehr hoch. Leichtes Rollen im Hintergrund kündigt noch feuchte Freude an. Eben noch ging der Wind. Fast schon böenartig. Ganz kurz. Heftig. Schon ist er wieder weg.

Regen wäre schön. Die Natur tut mir leid. Alles ist so trocken wie normalerweise erst Ende August. Vor allem die Tiere. Denkt man in Großstädten heute überhaupt noch daran, dass Vögel Wasser brauchen, baden müssen? Als ich Kind war in den heißen Sommern, da wurden im Straßenkollektiv die Bäume bewässert. Abends traf sich die halbe Straße, einer goss, die anderen schauten zu und redeten über dieses und jenes, kein bestimmtes Thema. Den Hund begutachten, die Nachbarin bedauern, viel Glück wünschen.

Aber heute haben wir für so etwas Therapiegruppen …

Spree-Praline

Eines vorneweg: Ingrid sieht nicht gut aus. Gar nicht gut. Sie hat böse Gleichgewichtsprobleme, ein Ödem im Bauch und von der Pracht ihres schicken weiß-mahagonibraunem Outfits ist so viel übrig geblieben wie von ihrer Verglasung – wenig. „Dr. Ingrid Wengler“ liegt abgewrackt vor den Treptowers in Berlin und verursacht – so sind wir Frauen nunmal – einigen Herren böse Magenschmerzen.



Ich mag Wracks. Habe meine eigenen Beziehung zu ihnen, vielleicht weil sie so viele aufregende Geschichten erzählen, die ich mir dennoch selber ausdenken muss. Nachdem ich Ingrid letztes Jahr unter dem sommerblauen Himmel fotografiert habe, wie sie dort seit neun Jahren malerisch melancholisch abwrackend vor der imposanten neuen MTV-Zentrale liegt, sich um die edle Präsenz eines Twin-Towers, einer Allianzprachtimmobilie und dem netten Kunstgeschenk derselben, dem _Molecule Man_ keinen eitlen Pfennig Cent scherrt und völlig ungeniert weiter verfällt, habe ich mich auf die Suche nach ihrer und der Geschichte der Namensgeberin gemacht.

Ein Boot mit Doktortitel habe ich noch nie getroffen. Dass ein Boot einen Vor- und Zunamen trägt, ist in der Welt von „Aphrodite“, „Schätzchen“, „Eloise“, „Sonnenstern“ oder „Hannibal“ selten zu finden. Okay, „Moby Dick“, das ist aber eher die literarische Ausnahme. Meine ersten Recherchen erzählen mir von einer Vergangenheit von „Dr. Ingrid Wengler“ als Fahrgastschiff der sehr späten DDR. Da war klar: die Frau muss ziemlich Vodkafest gewesen sein. Eine spannende Information, dennoch nur eine Fehlinformation. Der nächste Hinweis wirft ein völlig neues Licht auf Ingrid: Sie war in früheren Jahren im Rhein-Main-Gebiet unterwegs, sofort sehe ich „Dr. Ingrid Wengler“ am Wein nippen oder 'nen Kölsch löschen. Ihr Glück: jetzt badet sie wenigstens in der Spree.

Aber Ingrid ist vorher gut ‘rumgekommen. Ihr Eigentümer und Kapitän Günther van de Lücht, kauft den 1959 gebauten Frachter, der zunächst über den Dollart in Ostfriesland segelt, 1977 und lässt das Schiff in Nürnberg für 2,7 Millionen Deutsche Mark und mit allen möglichen technischen Raffinessen umbauen. „Dr. Ingrid Wengler“ hat von nun eine Bodenheizung mit einer Wärmerückgewinnungsanlage. Er tauft das Schiff nach seiner großen Liebe um, seiner wenige Jahre zuvor bei einem Autounfall tödlich verunglückten Ehefrau, Dr. Ingrid Wengler, die Handchirurgin gewesen war.



Als die Mauer fällt, veranstaltet van Lücht noch erfolgreich Reisen für anspruchsvolle Kunden, die von Frankfurt über Rhein und Mosel nach Nancy, Straßbourg und zurück nach Frankfurt schippern wollen. In den 90igern plant er ähnliche Touren von Berlin über die Havel, Mecklenburgische Seenplatte nach Schwerin anzubieten. In Berlin nimmt das Verhängnis von Ingrid seinen Lauf, die erste Saison läuft nicht besonders glücklich, in der zweiten Saison wünscht eine Bank vorzeitig die Rücklösung eines gestellten Kredites, 1993 schon befährt „Dr. Ingrid Wengler“ als insolvente Größe die Spree. Liest man die von "Michael Bartnik genauer recherchierte Geschichte von Günther van de Lücht und seiner „Dr. Ingrid Wengler“ dann kommt die abergläubische Schifferseele zu der abschließenden auf allen Seen und Meeren geltenden Weisheit: „Ein Schiff tauft man niemals um, denn das bringt Unglück.“

Aktuell macht „Dr. Ingrid Wengler“ Probleme. Zwei Bauherren haben Großes vor mit dem Uferareal vor den Treptowers. Das subkulturreiche Gelände soll in einen tollen Yachthafen umgewandelt werden, mit tollem Clubhaus, tollen Cafés, einem alten Zollsteg, der ganz toll in das neue Bauvorhaben, einem tollen Verbindungsneubau, eingebunden werden soll und vielen anderen tollen Dingen, die die Berliner toll bespaßen solle.

„Dr. Ingrid Wengler“ muss somit weg. Sie gehört zwar ganz charmant zum Bild des alten Zollstegs. Aber toll ist sie mitnichten. Für die Entsorgung ist der Eigentümer zuständig. Dem die finanziellen Mittel für Hebung und Instandsetzung fehlen; und so vermisst er sie auch für die Verschrottung. Denn das ist das Hässliche an großen Booten: selbst wenn sie nicht mehr durch den TÜV kommen, die Entsorgung – zumal bei erfolgtem Wassereintritt – ist unglaublich teuer. Nun könnte man denken, der Treptower Yachthafen, das ist so ein tolles Projekt mit € 4 Millionen Bauvolumen, sollen die Bauherren die lächerlichen paar € 100.000 investieren und der Madame ein friedliches Ende bereiten. Der Steuerzahler (von den beantragten Fördergeldern) zahlt‘s mit Freude. Aber auf Ingrid, ganz Dame in diesem Punkt, lastet noch eine Hypothek von ca. 130.000 Euro, sie gehört zur Konkursmasse. Sich aber an Konkursmasse zu vergreifen, ist bekannterweise ein nur selten attraktives Geschäft. Ohne Hypothek könnte man den berühmten einen Euro in den Kaufvertrag setzen – aber so? Schrott für 130.000,– Euro kaufen, nur um ihn für weitere sechsstellige Eurosummen verschrotten zu lassen? Da kommt bei den Bauherren wenig Enthusiasmus auf.

Im Frühjahr 2006, als die Baumaßnahmen quasi in den Startlöchern standen, tönt der eine Bauherr noch großspurig: „Notfalls baue ich den Yachthafen um das Wrack herum!“ Im Herbst des letzten Jahres schon sollten erste Schiffe im neuen Yachthafen festmachen können. Still ruht der See äh das Ufer vor den Treptowers auch noch um diese Zeit. Von Bauwerkzeugen ist nichts zu sehen.

Gelernt habe ich bei meinen Recherchen: „Dr. Ingrid Wengler“ ist eines von vier Wracks die in Berlins Gewässern liegen. Zwei davon unterhalb der Wasseroberfläche. Von allen vier Schiffen sind die Besitzer nicht liquide, um eine Abwrackung ordnungsgemäß zu leisten. Die Stadt ebenfalls nicht. Und ich bin auf diese interessante Homepage gestoßen, einem Archiv für Seenotfälle, geführt seit 1996.



„Dr. Ingrid Wengler“ liegt also quer. Künftig können wir sie uns anschauen und liebevoll denken „Du charmanter betagter Schrotthaufen bist also 130.000,– Euro wert. Und erhältst uns auf Deine Weise erst einmal unsere Subkultur.“

Edit: Die Spree-Praline 2010

2006-07-12

Sehr geehrte Frau XYZ,

bei allem Verständis für Ihre Lage, ich fürchte dennoch, wir beide werden das aktuelle Problem nicht gemeinsam lösen können, solange Sie sich darauf beschränken nur mit denen Ihnen vorgegebenen Textbausteinen zu kommunzieren.

Sehr gerne würde ich einmal mit dem Menschen vor dem Monitor über die Problematik reden können.

Ist das noch möglich?

Mit freundlichen Grüßen
creezy



Aktuell war ich gerade gezwungen, diesen für mich befremdlichen E-Mail-Inhalt zu formulieren. Aber was soll man machen? Da kommt gleichzeitig dieser wunderschöne Artikel eines Professors über die E-Mail-Kommunikation seiner Studenten um die Ecke. Lesenswert!

2006-07-11

Endlich habe auch ich mal den Porno von Paris Hilton gesehen!