Tatsächlich habe ich sehr wenig bis kaum Ahnung von Finanzmärkten. VWL war mir immer ein Stück zu bieder. BWL war mir frühzeitig suspekt. Ich begegne dem Thema Weltfinanzen mit einem gesunden Bauchgefühl und dem Wissen um menschlicher Schwächen, die bekanntermaßen vor allem bei Geld besonders akzentuiert in den Vordergrund treten. Ich fühle mich so ziemlich oft in meinem Gefühl bzw. Meinung bestätigt.
Beim Thema Griechenland und seinen Bewohnern denke ich seit deren jüngster Wahl, wann immer ich Herrn Janis (oder Giannis) Varoufakis, seines Zeichens frischer Finanzminister dieser Nation, medial begegne (Bauchgefühl), dass er erstaunlich souverän argumentiert und irgendwie (auch Bauchgefühl, etwas tiefer dieses Mal) als Mann für mich als hochrangig attraktiv durchgeht. Was nicht zwangsläufig hieße, ich würde ihn wählen, selbst wenn ich es könnte. Aber ich genieße durchaus die visuelle Berichterstattung mit und über ihn, denn ich habe per se sehr viel Spaß daran, dass der Mann beim Thema Klamotte auf doofe alte Konventionen pfeift. Dass ein Anzug noch lange keinen dunklen Kopf heller leuchten lässt, schon gar nicht auf politischen Ebenen, das weiß ich längst. Ganz nebenbei schätze ich seine Physiognomie, seine Haar-Knapheit und finde in dem was er so sagt, erstaunlich viel Bodenhaftung.
Bodenhaftung habe ich in der Politik recht gerne. Deshalb finde ich sie dort zunehmend leider seltener. Aber ich mag auch Flügel in der Politik, mag es, wenn Menschen sagen, „Ich will das althergebrachte Spiel nicht mehr spielen, lasst es uns anders herum aufziehen.”, dann finde ich das gut und zeitgemäß in einer Zeit in der wir Politik immer weniger vertrauen dürfen. Die anderen Spielregeln wiederholen sich seit Jahrhunderten und die politischen Spiele werden dadurch spürbar nicht besser. Im Gegenteil, diese Wege führen immer weiter weg von unserem allgemeinen Wohl.
Nun muss man Varoufakis tatsächlich, um ihn so zu schätzen wie ich, vorrangig in anderen als den deutschen Medien begegnen. Die hiesige Presselandschaft berichtet grundsätzlich über die Griechen so, als hätten sie „Rumäne” im Vornamen stehen. Allen voran unser aller vierbuchstabiges Lieblingsmedium. Dem erstaunlich viel kluge Journaille darin leider allzu oft folgt. Alles was aus Griechenland kommt, ist irgendwie oll, Griechenland als Verlierer aller EU-Nationen. Im Gegenzug dazu ist alles, was von Deutschland nach Griechenland geht, total hilfreich und humanitär und man gefällt sich in der griechischen Sage als der neue deutsche Held.
Leider spricht mein Bauchgefühl die ganze Zeit zu mir: das stimmt doch alles so nicht. So funktioniert EU auch meinem Verständnis nach nicht.
Wenn sich die deutsche Presse zum Beispiel großspurig darüber aufreget, dass Varoufakis bei seiner Antrittsreise halt mal nicht zuerst die heiligen deutschen Hallen aufsucht, kann man das natürlich als ein Zeichen sehen und bissig interpretieren. Vielleicht aber erwartet der Mann auch einfach von den deutschen Politikern nicht ausreichend viel Flexibilität in dem in Beton eingemauerten eigenen Standpunkt zum Thema. Da kann es eine kluge Maßnahme zu sein, in einer arbeitsreichen Zeit eines Neuministers unter besonders schweren Umständen, sich auf die Sparringpartner im Ring zu konzentrieren, denen man im Punkt „neue Wege gangbar zu machen” mehr Kreativität und Schaltungsfreude zugesteht als dem ollen grauen hochbetagten Hochseedampfer Merkel & Co. Dass er nun lieber zuerst die EZB in Frankfurt über seine künftigen Entscheidungen aufklärt und später erst mit Dr. Schäuble konferieren möchte, das ist okay so. Ehre wem Ehre gebührt. Ich meine, dass so mancher europäischer Ausländer den Eindruck gewinnen konnte, Deutschland wird nur noch von Banken regiert – kann man ihnen das wirklich verdenken? Wir glauben das doch selbst längst schon, oder?
Varoufakis auf z. B. arte.tv zu erleben, ist eine sehr interessante und ganz andere Hausnummer als das von ihm gezeichnete Bild einer Tagesschau zu erleben. Andere europäische Medien geben dem Mann Raum und Wort. Da wirkt er dann gar nicht so desaströs und arrogant, wie hierzulande sein Bild gezeichnet wird, sondern erstaunlich eloquent, dem eigenen Land gegenüber hoch selbstkritisch aber eben auch sinnvolle Veränderungen wollend. Mit Betonung auf sinnvoll.
Und immer öfter denke ich – und mein Bauchgefühl begleitet mich dabei durchaus wohlwollend – was ist, wenn die Griechen das jetzt durchziehen, sich genau nicht mehr von uns Deutschen klein rechnen lassen und tatsächlich in der Folge losgelöst irgendwann mal wie Phoenix aus der Asche aufsteigen? Es wird ein eher mittelprächtiger und lädierter Phoenix sein, aber er könnte aufsteigen. Das ist so unwahrscheinlich nämlich gar nicht, wenn man als eh schon zum Verlierer abgestempeltes Land einfach mal „όχι!” (nein) sagt, zum eh schon von seiner hoher Gnaden selbst ausgerufenen Gewinner und somit einfach mal an den Vorzeichen schraubt. Ich konnte bis jetzt jedenfalls nicht einmal zu der Argumentation Varoufakis nicht sagen, dass das, was er sagt, im Grunde erstaunlich souverän und klug klingt. Und bitte, Island hat gezeigt, das es funktionieren kann. Tatsächlich kann auch sehr gut sein, dass es dem einen oder anderen Land besser geht, wenn es nicht Mitgliedsstaat einer EU ist. Solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, darf man auch daran glauben. (Und überhaupt, mein Bauchgefühl …)
Griechenland muss sparen. Aber Griechenland muss auch leben und arbeiten und schaffen können, um auch weiterhin leben, arbeiten und schaffen zu können. Ein Land kaputt zu sparen, das hilft nur einer ganz kleine Mengen Mensch in einem Land, hiervon können wir uns aktuell ein prima Bild im eigenen Land verschaffen. Tut nicht gut. In dem Punkt hat uns Griechenland jahrelange Erfahrung voraus. Kontroverses modernes Denken muss da nicht zwangsläufig von großem Schaden sein.
Und während ich mich die letzten Tage so bauchfühlig umtreibe und ich so vor mich hindenke und ein bisschen mich als Deutsche im EU-Land immer weniger wohl fühle, schreibt das bildblog einen sehr schönen Artikel darüber wie die deutsche Presse zum Thema Varoufakis und was er sagt Stimmung macht und sich dabei nicht zu blöd ist zu glauben, wir seien ein Volk von Menschen, die kein Englisch sprechen könnten.
Das lesen sich dann Zitate von Varoufakis auf Deutsch ungefähr so – erschreckend gemeinschaftlich – in die offensive Richtung getrimmt “die Deutschen würden halt die Doofen sein” im immer ähnlichen Gleichklang aus dem Zusammenhang gerissen: „Am Ende werden die Deutschen immer zahlen.”
Gesagt aber hat Varoufakis lediglich: „I beg to differ. Whatever Germany does or says, it pays anyway. And in 2010, I felt that we had not, we Greeks, the moral right to accept money from German taxpayers, to pay our creditors. In reality, this money goes into a black hole, and we ask them is that they spend their money more wisely. […]”
Lest bitte den ganzen Artikel zu diesem Thema auf bildblog.de. Er ist es mehr als wert gelesen zu werden!
Janis Varoufakis kann man übrigens auf Twitter folgen. Im Gegensatz zu manchen deutschen Publizisten scheint er nämlich smart genug zu sein, zu wissen was er gesagt hat und zu verstehen, was Medien falsch daraus machen – und hält dann den Finger drauf.
Whatever, ich bauchfühle, dass der Unterhaltungswert von Yanis (oder Giannis) Varoufakis in der nächsten Zeit noch größer werden könnte. Leider bauchfühle ich auch, dass uns die hiesige Presse in ihrer Aufgabe der Aufklärung keine große Hilfe mehr sein wird in diesem Leben.
Lange Rede, kurzer Sinn: kauft ECHTEN griechischen Joghurt. Und Honig. Und Wein. Und Olivenöl. Lasst uns die Griechen ordentlich lieb haben. Denn BILD ist ja zu blöd dazu!