2024-05-07

Wanderungen im Gargano: Monte Sacro, die Abtei SS Trinità und die Welt der wilden Orchideen

Im Norden Apuliens liegt der Gargano, 65 Kilometer ragt diese Halbinsel in die Adria hinein. Zu ihm zählen die drei ihm vorgelagerten Inseln, die Isole Tremiti: San Nicola, San Domino und Caprara. 150 Kilometer Küstenlinie bilden die Verbindung zur Adria am Golf von Manfredonia.
Blick auf die Buch Baia delle Zagare

Kieselstrände, Felsküsten, unberührte Natur mit lebendiger Flora und Fauna und sehr viel Historie – das alles ist der Gargano.
Il Parco nazionale del Gargagno

Der Gargano ist gleichzeitig Namensgeber seines Nationalparks: Gargagno – il Parco nazionale del Gargagno. Auf 118.144 Hektar wachsen vorrangig Pinienbäume. Buchen dominieren in dem vom Nationalpark umschlossenen Forest Umbra. Auch selten Eichen-Arten findet man hier. Er beherbergt eine reiche Flora und ebensolche Fauna, darunter seltene Spechtarten, wie den Weißrückenspecht; Greifvögel wie den Habicht und die Eule, unter den Säugetieren kann man Wildkatze, Marder und Wildschweine beobachten. Ungefähr 120 Exemplare der Gargano Hirsche leben hier. Auch halbwilden Pferden wird man begegnen können.
Drei Wanderungen darf ich hier während meines kurzen Aufenthaltes in dieser wunderschönen Natur machen, jede einzelne ist ein besonderes Geschenk. Jede ist anders – ob die Berge hoch, entlang der Küste. Überall begegneten mir andere Pflanzen. Rosmarin, Thymian, Mastix, die wilden Arten von Fenchel, Ruccola und Knoblauch, die Malven, Königskerzen und Wolfsmilche blühen, ganze Landstriche bemalt, stolz der weiß-rosa blühende Ästige Affodill, den ich so sehr liebe, mit seinen jetzt hoch stehenden Blüten. Und natürlich: Die wilden kleinen Orchideen, die hier mit einer Häufigkeit wachsen, wie selten!
Freunde: Der Ästige Affodill hat Hummelbesuch

Der Nationalpark selber ist in vier Zonen eingeteilt, zwei sind für Fußgänger zugänglich, die dritte nur mit besonderen Auflagen bzw. mit Führung. Die vierte Zone zu bewandern, das ist strikt untersagt.

600 Höhlen und 128 Seegrotten sind im Gargano heute bekannt und 4000 Dolinen in diesem riesigen Karstgebiet von Kalkstein geformt. Es wäre also eine Schande, hierher zu reisen, nur um am Strand zu liegen. Auch wenn diese sehr reizvoll sind, mit ihren zahlreichen Buchten! Aber der Naturpark ist vor allem ein perfekter Schattenspender im Sommer – und es gilt hier wirklich viel zu entdecken!
Zwei Seen liegen hier, der Lago di Varano gilt als der größte See Süditaliens mit einer Fläche von 60,5 km². Getrennt ist der (Brackwasser-)See von einer 10 Kilometer langen sandigen Landzunge vom Meer. Bewachsen mit Mastixsträuchern, Pinien und Eukalyptusbäumen. Zwei Zuläufe aus der Adria sorgen für den Wasseraustausch. Beeindruckend groß ist auch der Lago di Lesina mit einem Umfang von 50 Kilometern. Auch er wird von zwei Kanalgängen mit Meereswasser versorgt und ist ebenfalls durch eine Düne von der Adria getrennt.

Entlang der Küste vom Golf von Manfredonia wechseln sich Sumpffelder, Salzfelder mit einem hohen Flamingoanteil, raue abfallende Felsenküsten und wunderschöne Strandbuchten ab. Vico del Gargano, Monte Sant’Angelo, Vieste, Carpino, Peschici und Mattinata heißen die Ortschaften, die zur Communità Montana del Gargano gehören.

Von meinen Wanderungen im Gargano, war eine so wunderschön wie die andere, geprägt von fantastischen Aussichten auf die Landschaft, das Meer. Blicke in die Natur, die eine Vielfalt der Botanik zeigen, die unendlich scheint.

Endloses Blütenmeer! Der Ästige Affodill verzaubert Apulien im Frühling mit seinen Blüten

Die besondere Schönheit des Monte Sacro

Bei unserem ersten Ausflug zum Monte Sacro erwarteten uns – dem Grund unserer Reiseeinladung entsprechend – kleine wilde Orchideen satt.
Anacamptis papilionacea

Er ist der höchste Berg, der das Tal von Mattinata bewacht. In den unteren Ebenen wird Landwirtschaft betrieben. Kolonien von Olivenbäumen stehen in Reihe und Glied. die Agroturismi freuen sich über Gäste, die einen Urlaub in der Natur am Berg vorziehen als direkt an der Küste. Kurz unterhalb seines Gipfels wartet die im Verfall begriffene Abtei Santissima Trinità di Monte Sacro.


Die wilden Orchideen des Gargano

Wir sind früh unterwegs und fahren mit dem Minibus von unserem Hotel Residence Il Porto vielleicht zwanzig Minuten in Richtung Monte Sacro und bewältigen die ersten Höhenmeter dieses insgesamt 874 Meter hohen Berges bequem fahrend. Die Abtei liegt unterhalb seiner Spitze. Ein bisschen motorisierte Pferdestärke für die ersten Meter können also von Vorteil sein.
Aber schon die Fahrt dorthin ist besonders. Wir lassen Mattinata hinter uns. Den Tunnel, der Mattinata mit den Nachbargemeinden und der Provinz Foggia verbindet. Wir kommen auf unserem Weg an Agriturismi vorbei. Das allzu sportliche Fahren verbietet sich hier auf der schmalen Landstraße, denn mehrmals begegnen wir Stuten mit ihren Fohlen, die unseren Weg kreuzen und entlang der Straße an der reichhaltigen Flora knabbern. Sind es nicht die Pferde, können es hier durchaus auch Ziegen oder halbwilde Rinder sein, die hier die Gebietspflege betreiben. Es bimmelt kontinuierlich am Monte Sacro.
Ophrys apulica (Apulische Hummel-Ragwurz, weil sie eine Hummel immitiert – um von dieser besucht zu werden)

Uns erwartet in dieser noch natürlichen Umgebung eine traumhaft schöne Wanderung, die allerdings anlässlich des Festivals und der Hauptblütezeit der wilden Miniatur-Orchideen nicht gerade mit großer Einsamkeit überzeugen kann. Aber wen wundert es? Entlang des schmalen Pfades „Sentiero Religiose Naturalistico per l’Abbazia di Monte Sacro” zur Hochobene, wachsen besonders gerne im Frühling 60 bekannte Arten wilder Orchideen. In Relation gestellt: In der Region des Gargano existieren insgesamt 80 Arten, weltweit sind 200 Arten bekannt. Wir haben an diesem Ort quasi den Jackpot aller wilden Orchideen gewonnen.
Professoressa Angela Rossini kennt sie alle! Sie erforscht seit Jahrzehnten diese wilden Orchideen. Ein seltenes Exemplar, das sie hier als noch weltweit unbekannt entdeckt hatte, hat sie nicht – wie gemeinhin üblich in Botaniker-Kreisen – nach sich benannt, sondern namentlich der Stadt Mattinata gewidmet. Anlässlich des Festivals führt sie hier die Menschen zu den kleinen Schönheiten und kann zu jeder Spezies alle relevanten botanischen Eigenheiten benennen.
Serapias lingua (Zungelstengel)

Das macht sie ehrenamtlich. Ihr Dank ist, wenn man den von ihr und Co-Autoren Giovanni Quitadamo herausgegebenen Orchideenführer „Orchidee spontanee nel parco nazionale del Gargano” erwirbt. Und wer sich für eine Führung mit Angela Rossini anmelden möchte, Kontaktmöglichkeit über ihre Homepage: Orchidee del Gargano

Der Frühling 2024 ist auch hier, wie im restlichen Europa, weiter fortgeschritten als üblich. Ein großer Teil der kleinen Orchideenpracht ist schon vergangen. Aber wir dürfen noch einige faszinierende später blühende Schönheiten entdecken und bewundern, diese sind immer noch reichhaltig und bezaubernd anzusehen. Je mehr Zeit man sich nimmt und dabei sehr vorsichtig durch die Hochebene wandert, will man diese kleinen Wunder der Natur nicht platt treten, umso mehr von ihnen kann man entdecken. Klein müssen wir uns machen, unser Ausflug in die Orchideen ist gleichzeitig das perfekte Training für unsere Knie – zumindest will man die Blüten in einer ansprechenden Perspektive fotografieren. Sie wachsen vielleicht 15 Zentimeter hoch, die größeren Arten erreichen höchstens 30 Zentimeter.
Sie lieben Steine, trockenen Boden und viel Sonne. Faszinierende Formen, Farben – es ist einfach von Orchideen an diesem Ort völlig neu in den Bann gezogen zu werden. Davon abgesehen blühen reichhaltig wilde Salbei-Zistrosen, Wolfsmilch und Affodill. Es ist ein visueller und duftender, als auch summender Traum! Einer mit Aussicht!
Neotinea tridentata

Die kleinen Orchideen wandern übrigens früher oder später in den Magen der Huftiere, die das Gebiet ordnungsgemäß sauber knabbern. Liegt es vielleicht an dieser exklusiven Kost, dass der Ziegen-/Schafs-/Kuhmilch-Käse hier so wunderbar schmeckt?

L’Abbazia Santissima Trinità di Monte Sacro
Bisher haben wir lediglich einen netten Spaziergang ohne große Anstrengung gemacht. Ab jetzt schließt sich unserer Orchideenentdeckung der Aufstieg auf den Monte Sacro an. Und der fordert schon etwas mehr körperlichen Einsatz ab. Gute Schuhe mit ordentlichem Grip kann ich empfehlen. Am Berg kann es schnell regnen und spätestens dann sind hier nur Sneaker ein unnötiges Risiko. (Während unseres Abstiegs regnete es dann in Strömen, da war ich für gutes Schuhwerk und meinen mitgenommenen Faltstock nicht undankbar.)
Unser Aufstieg ist aber von wunderschönem Wetter begleitet. Entlang der Trockenmauern duftet die Natur. Die Sonne scheint, es ist frühlingshaft warm. Ich begegne meinem chinesischen Sternzeichen, das – mir in der Angewohnhet sehr ähnlich – völlig entspannt am Wegesrand liegt, die Natur genießt und sich sonnt.
Klapperschlange, gut genährt und tiefenentspannt im Grünen – lebt meinen Lebensentwurf
Der Weg ist schmal, aber gut begehbar, man muss nicht klettern – sollte nur gut aufpassen, wohin man tritt. Der Vormittag ist im vollen Gange – und es ist Feiertag (25.04.) in Italien. Wir sind jetzt nicht mehr unter uns in unserer kleinen Gruppe. Im Gegenteil, dieser Berg lebt in der Festivalwoche.
An einen Ort des Verschnaufens erinnert uns eine Madonnenfigur, wem wir unser Ausflugsziel zu verdanken haben. Es wird durchaus heilig.

Im 4. Jahrhundert war dieser Ort dem Jupiterkult geweiht – vielleicht wegen der Eichen, die für den König der Olympier als Symbol standen. Von ihnen haben wir während unserer Wanderung einige unterschiedliche Exemplare zu Gesicht bekommen. Am Ende des Jahrhunderts soll schon Schluss mit dem Heidentum und es soll dort ein Tempel der Heiligen Dreifaltigkeit entstanden sein. Die ersten Bauarbeiten am Kloster wurden im 10. Jahrhundert n. Chr. begonnen.
Die Benediktiner Abtei l’Abbazia di Monte Sacro in ihren weit laufenden Grundmauern entstammt wohl dem 11. Jahrhundert. Das Kloster gehörte zu einer der bedeutendsten Pilgerstätten seiner Zeit. Um die 100 Mönche lebten an diesem Ort gleichzeitig, bauten Gemüse an, sammelten Regenwasser in heute noch erhaltenen Zisternen.
Sie hielten Tiere und besaßen eine mehr als beeindruckende Bibliothek. Wandert man um das Gelände, erkennt man, wie unfassbar riesig dieser heute verfallene Ort gewesen sein muss. Die Reste der Kirche zeigen drei Schiffe, es soll einen riesigen Glockenturm gegeben haben. An einer Wand erkennen wir sogar noch Reste von Fresken. Dieser Ort ist … verzaubert!
Tatsächlich weiß man so sehr viel heute nicht aus ihrer Geschichte. Es wird gemunkelt, die Herren dort oben unter sich sollen etwas über die Stränge geschlagen haben. Schlussendlich ist ihr wohl der Monte Sant’Angelo mit seinen Heilgenerscheinungen den Rang in der Relevanz abgelaufen.
Jedenfalls wurde diese Abtei im 14. Jahrhundert mit der von Siponte zusammen gelegt. Die Abtei SS Trinità im 16. Jahrhundert aufgeben – die Natur hat sich in beeindruckender Weise ihr Gebiet wieder zurückerobert. Ein faszinierender Ort, dessen reichhaltige Geschichte man heute nur erahnen kann. Zeitweise bin ich ganz froh, nicht ganz alleine dort zu sein – denn ein bisschen gruselige Stimmung kann ich auch nicht von meinen Schultern streifen.
Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg hatte in einem Forschungsauftrag die komplette Anlage erforscht und 2013 eine reale 3D-Animation (Antonio Lupoli) dieser Abtei auf Basis der Forschungsergebnisse erstellt. Seht euch deren beeindruckende Größe bei Nicoletta de Rossi auf ihrem Blog sonoitalia.it an!
Wer nun möchte, kann auch noch die letzten Meter zum Gipfel des Monte Sacro besteigen. Auf uns wartet jedoch der nächste Programmpunkt an einem anderen Ort. Als die ersten Tropfen vom Regengebiet künden, begeben wir uns an den Abstieg. Und auch wenn wir unten am Wagen pitschnass ankommen – die Erlebnisse in dieser wunderschönen Natur, sie wirken nach.




Weitere Blogposts zu Mattinata und Umgebung:

Mattinata – La Farfalle bianca del Gargano

Zu Besuch bei Matteo Sansone – das archäologische Nationalmuseum von Mattinata Matteo Sansone

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Im Geiste kann mitwandern, so anschaulich und interessant ist deine Reisebeschreibung. Und dazu noch die Bilder. Einfach schön. ❤

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