Altherrenwitze vs Minisexismus
Die Brüderle-Debatte. Das schlimme Internet treibt also gerade FDP-Spitzenkandidat Brüderle durch die null-eins-null-Gassen, während in den Medien lieber über journalistische Ehren diskutiert wird. Ob man sexistische Übergriffe (ja, die können sehr wohl nur verbal stattfinden und sind deswegen weder weniger schlimm noch leichter hinzunehmen) überhaupt noch zwölf Monate nach dem Tatbestand ansprechen dürfe? Und dann ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wenn der Verursacher die Karriereleiter noch einen Schritt weiter nach oben zu schreiten gedenkt. Das ist alles so schrecklich unprofessionell von dem schreibenden Opfer als auch diesem Magazin, das sich der Veröffentlichung strafbar macht.
Geht's noch?
Ich habe in meiner Zeit als Patientenvertreterin mir ständig in privaten Herrenrunden anhören müssen, wie gut doch damals die Zeiten waren, als es noch keine Frauen in der Politik gab. Denn dann hätte man sich so schön streiten können und kurz vor dem Abendessen hätten sich die oberen Vertreter schön am Pissoir getroffen und die Rahmenbedingungen klar gemacht.
Das ist Sexismus.
Der wurde im übrigen nicht besser, weil man mir das im Schnitt einmal im Monat immer wieder erzählte. Diese Häufigkeit ist dann eher ein Zeichen dafür, wie sehr Frauen im Amt so manch einem älteren Herren immer noch tief schmerzen müssen.
In meinem letzten Job in einem großen Firmenbereich, der komplett umstrukturiert wurde, alte Jobbezeichnungen gestrichen, neue geschaffen worden sind, wurden ungefähr zwanzig Stellen, davon 12 mit Personalführungsaufgaben, neu geschaffen, die intern aus dem Kollegenstamm rekrutiert wurden. Von diesen zwanzig Positionen sind lediglich zwei Stellen mit Frauen besetzt worden. (Übrigens ist das Unternehmen eine Telekom-Tochter, die diesbezüglich, was das Thema Frauenquote anbelangt, vergleichsweise vorbildliche Vorgaben hält.)
Das ist Sexismus.
Zu dem Zeitpunkt meiner Benennung zur Trainerin war mir sehr bewusst, ich bin jetzt eben eine der Alibi-Frauen.
Das ist Sexisimus.
Als ich dann dem versammelten Team vom Bereichsleiter in der ersten gemeinsamen Teambesprechung vorgestellt worden bin, wurde meine besondere berufliche Kompetenz alleine meinem Dasein als Frau zugute gesprochen, denn dieser freute sich nun endlich auch „weibliche Intuition” mit der ausgesprochenen Hoffnung ich würde diese auch anwenden, im Team begrüßen zu dürfen.
Das ist Sexismus.
Dass für eine gesamte zirka 200 Mitarbeiter umfassende Abteilung in den morgendlichen Führungsgesprächen ausschließlich Männer auch über das Wohlergehen im Arbeitsumfeld auch von Frauen befinden – ohne eine einzige Frau in dieser Führungsriege aktiv dabei zu haben im Jahr 2012. Bei einer klaren Positionierung des Mutterunternehmens zur Frauenquote.
Das ist Sexismus.
Sexismus ist alltäglich. Er passiert nicht nur dann, wenn eine Frau sich wieder einmal dumm kommentiert sieht von einem Mann, sich in ihrer Körperlichkeit bedroht, berührt sieht oder mit klarer „Du bist für mich Sexobjekt”-Aussage verbal kontaktiert wird.
Vor allem in der deutschen Arbeitswelt. Dazu muss man Frauen weder in das Dekoltee starren, noch darüber dumme Sprüche über ihre Titten machen, noch ihnen an den Hintern grabschen. Es reicht komplett sie unter den Tisch fallen zu lassen, weil sie eine Frau ist.
Sexismus ist, wenn Frauen, weil sie Frauen sind, ignoriert werden. Sexismus ist, wenn man ihnen einen Job lediglich aufgrund ihrer „weiblichen” Eigenschaften zugesteht. Sexismus ist nach wie vor, wenn man Frauen „härtere” arbeitspolitische Entscheidungen nicht zutraut oder daran zweifelt, dass sie diese umsetzen können. Sexismus ist, wenn man als Arbeitgeber allen Mitarbeitern zugesteht, dass die weiblichen Angestellten den Bürokaffee kochen, den Kühlschrank aufräumen, das Wasser dem Kunden servieren, die Büroblumen auszusuchen haben.
Sexismus ist übrigens auch, wenn der verklemmte Vorgesetzte den weiblichen Mitarbeitern wochenlang nicht in die Augen gucken kann und das erst dann tun kann, nachdem er sich ihr gegenüber in einer Diskussion als „ihr Vorgesetzter” verbal positionieren durfte.
Sexismus ist unglaublich subtil, vielfältig und in einem unfassbar hohen Maße in dieser Gesellschaft noch ständig existent. Und er ist vor allem auch dann existent, wenn Männer befinden möchten, was die Frau als Sexismus empfindet, das sei doch lediglich eine Lapalie.
Um nochmals auf Herrn Brüderle zurückzukommen: Es fällt dann doch schwer zu vermuten (nicht nur als Frau), dass solch sexistisch humorigen Politiker sich in der Lage sehen für beide Geschlechter im Land gute Politik zu machen.
Daher kann ich persönlich auf solche „Herren” in meinem politischen Weltbild prima verzichten.
1 comments:
Danke.
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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