2011-10-03

Einheitliches …

Es gibt einen Platz in bzw. vor dieser Stadt, den ich sehr liebe. Das ist der Heiliger See in Potsdam, kurz hinter der Glienicker Brücke gelegen. Auch ein Stück Land, das vornehmlich von finanziell gutbestückten Westdeutschen dem Ureinwohner nach der Einheit aus der Hand genommen wurde. Natürlich hat deren mitgebrachtes Geld den verfallenen Villen sehr gut getan und wenigstens für die Bausubstanz muss man sich freuen, dass sie nun wieder in voller Pracht glänzen kann und diese besondere Stimmung verbreitet. Das ist eben auch Einheit, dort leben zu dürfen, wo man leben möchte. Dieser Ort ist ein guter Ort, stimmungsmäßig. Ich bin früher oft nach der Arbeit im Sommer dort hingefahren, an heißen Sommertagen noch eine Runde schnell schwimmen gegangen, wenn in der Stadt die Freibäder längst geschlossen hatten und die Luft im Sommersmog schon sehr diesig war. Diese drei Stunden am Abend, die man dort dann hatte in aller Ruhe mit einem wundervollen Sonnenuntergang über den See, waren immer wie ein kleines Stück Urlaub für mich. Die letzten Jahre bin ich dann doch seltener dort gewesen. Ohne Auto fährt man doch nicht ganz so schnell „mal runter”. Aber es gab einen sehr schönen Ausflug mit meiner Mum, ein Jahr vor ihrem Tod, den ich in Erinnerung habe. Wir haben uns damals das Marmorpalais noch vor seiner Restauration angesehen und hatten einen wunderschönen Tag.

So hat es mich gestern an meinen Ehrentag dorthin gezogen, alleine. Ich brauchte Bewegung, ich war dankbar für die Sonne, für die Stimmung, es ist ein Ort an dem ich das momentan seltene Gefühl habe, es wird vielleicht doch noch mal etwas gut in meinem Dasein. Dort ist das ganz stark. Hier wieder sehr schwach.

Potsdam ist einfach die schönste Stadt von allen. Ich war als Kind schon sehr oft dort. Meine Großeltern väterlicherseits stammen aus Potsdam und so bin ich als Kind oft mit meiner Oma für Tagesbesuche hinüber gefahren, um ihre Familie zu besuchen zu der sie Zeit ihres Lebens Kontakt hielt. Das waren immer die Momente, in denen ich als Berliner Göre ganz besonders spürte, was diese Mauer mit uns machte. Letztendlich konnte man sehr gut im Westteil Berlins leben ohne überhaupt etwas von der Mauer mitzubekommen. Sie stand allenfalls nervig im Transitweg, wollte man die Stadt mit dem Auto, Bus oder Bahn verlassen. Aber so oder so konnte man problemlos in dieser Stadt leben ohne an ihrer Zweiteilung schmerzlich teil haben zu müssen. Das habe ich nie. Dazu gab es eben diese Oma, die sehr offensichtlich unter der Teilung von ihrer Familie litt. Opa zeigte das nie so. Und ich wohnte später auch viel zu nahe am Potsdamer Platz, als dass ich nicht einen ständigen visuellen Eindruck hatte von dem, was das in dieser Stadt falsch gelaufen war. Insbesondere stellvertretend für das Land, in dem etwas falsch gelaufen war.

Ich erinnere mich, wie ich einmal mit meiner Oma nach drüben fuhr und wir in ein Krankenhaus gingen in dem ihre letzte lebende Tante lag. Ich kannte diese Frau nicht besonders gut. Ich weiß heute nicht einmal mehr, ob sie aus der Familie mütterlicherseits oder väterlicherseits meiner Oma entstammte. Der Teil dieser Familie war einfach immer ein Stück weiter weg für uns Kinder.

Für mich war der Besuch eher gruselig, denn wie Kinder hellsichtiger sind, spürte ich auch ohne Worte, dass dieser Besuch wohl ein letzter war. Ich besuchte einen sterbenden Menschen. Der mir von seinem Mittagessen den süßen Orangensaft schenkte, den ich dann doch nicht trinken wollte, weil er wirklich nicht schmeckte. Mich das aber nicht traute zu sagen, weil wir ja immer die waren, die von drüben diese Sachen schickten, die Omas Familie doch nicht hatte (und vermutlich auch längst nicht mehr wollte, weil im Geschmack längst umerzogen.) Also „vergaß” ich den Saft in dem Zimmer und die uns hinterher rufende Stimme der sterbenden Frau, dass ich den Saft stehen gelassen hatte, höre ich heute noch.

Meine Oma besuchte ihre sterbende Tante. Der letzte Mensch wohl damals mit dem sie noch so etwas wie eine gelebte Vergangenheit teilen konnte, alle anderen Familienmitglieder waren bereits jünger als meine Oma, längst nur die Generation meines Vaters bzw. meiner eigenen. Es war dieses Wissen, das wir diese Tante das letzte Mal lebend sehen werden. Und ich spürte diese große Traurigkeit meiner Oma zu wissen, dass sie nur diesen einen Tag hatte, um sich zu verabschieden. Dass sie die Tante nicht mehr lebend wieder sehen würde. Denn eines ging damals eben nicht – auch nicht für Rentner – einfach hinüber fahren, um täglich nach einem sterbenden Familienmitglied zu sehen, sich zu kümmern. Und sich kümmern, das war für Oma immer ein Ausdruck ihrer Liebe, die sie sonst schlecht zeigen konnte. Für den nächsten Antrag eines Besuches war es dann auch bereits zu spät. Die amtliche Willkür gestattete hier meiner Oma nicht einmal die Teilnahme an der kurzfristigen Beerdigung, soweit ich mich erinnere.

Es gibt natürlich Menschen, die heute ganz froh wären über eine stattliche Trennung, die ihnen pragmatisch die Verantwortung nähme, einen Menschen bis zum letzten Atemzug zu unterstützen und zu begleiten. Aber wenn man das herzlich gerne tun würde, vielleicht auch, weil es der allerletzte Halt zur eigenen Vergangenheit nur ist und man darf es dann nicht: dann wiegt das Nichtkönnen sehr schwer. Unglaublich schwer!

Einer der Gründe, warum ich für diese Einheit nach wie vor sehr froh bin. Oft denke ich fassungslos, dass meine Oma und mein Papa sie gar nicht mehr erleben haben dürfen. Es ist vielleicht meine Aufgabe, dass ich das Glück dieser nicht mehr existenten Mauer in unserer Zeit für sie mitempfinden soll.

Und so schließt sich ein gesunder Kreis mit meinem Gefühl gestern nach Potsdam zu wollen. Ich bedanke mich bei allen, die gestern an mich gedacht haben und die mich gerade sehr liebevoll unterstützen und begleiten. Insbesondere in dem Wissen, dass ohne Mauerfall es einige von Euch vielleicht gar nicht könnten, wir uns nie kennen gelernt hätten. Die Anrufe, die gestern gar nicht kamen, sind auch wundervoll klärend. Und Klarheit brauche ich momentan mehr als alles andere. Da stehe ich derzeit gefühlt an einem sehr frühen Anfang.

4 comments:

Liisa hat gesagt…

Ich sitze hier gerade und hämmere meinen Kopf auf die Tischplatte vor mir ... Du ahnst vermutlich warum?! Von Herzen nachträglich noch alles Gute und Liebe für Dich und das neue Lebensjahr. Ich wünsche Dir so sehr, dass Du an Deinem nächsten Geburtstag auf dieses Jahr zurückschauen kannst und ganz sicher weißt, vieles ist gut geworden, wirklich gut und dass Du mit dem, was längst gut ist (Du selbst) weiter so freigebig wucherst, wie Du es tust, wann immer es Dir möglich ist und ich wünsche Dir natürlich auch die Klarheit, die Du Dir selbst wünschst. Alles Liebe!

Maike hat gesagt…

Ich wünsche dir auch alles Gute nachträglich. Ein netteres neues Lebensjahr mit vielen Gelegenheiten, zu Lachen und fröhlich vor dich hinzusummen.

Am Heiligen See hab ich meine Ausbildung gemacht, in einer der Villen, direkt neben der Villa von Günther Jauch *g* und mit einmal Gesellschaftsempfang in der Joop-Villa.
Sehr mondäne Gegend geworden, schon damals. Wir durften an Wochenenden vom Grundstück aus baden gehen (lag ja direkt am Wasser), im Sommer gabs die Mittagspause auf der Terrasse, nett wars dort. :)
Und als ich dann in Berlin gewohnt hab, bin ich täglich über die Glienicker Brücke gefahren.

Viele Grüße
Maike

creezy hat gesagt…

@Liisa
Du weißt hoffentlich, dass Du bei mir sowieso über jeden Zweifel erhaben bist? ;-) Herzlichen Dank für Deine Glückwünsche und alles andere!

@Maike
Vielen Dank Dir für Deine Glückwünsche! Was hast Du denn da für eine Ausbildung gemacht, wenn ich fragen darf? Das ist ja mehr so nur Wohngegend oder? Ich habe immer noch auf der ToDo-Liste irgendwann morgens um fünf Uhr auf dem See im Boot meinen ersten Kaffee zu mir zu nehmen und zu gucken, wie rund um den See alles wach wird! Ich war gestern Abend noch mal da, Sonnenuntergang gucken und genießen. War sehr schön! ,-)

Maike hat gesagt…

Hallo :)

Ich hab mal Steuerfachangestellte gelernt, in solchen Villen können auch nur Steuerberater oder Rechtsanwälte ihre Kanzleien haben. ;)

Ich weiß aber nicht, inwiefern sich die Gegend in den letzten 10 Jahren verändert hat, der Steuerberater hat jedenfalls dort keine Räumlichkeiten mehr.

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