2011-09-02

Mein persönliches Befremden im Prenzlauer Berg

Ich habe es nicht so mit dem Prenzlauer Berg als einen der Berliner Bezirke, in denen ich mich öfter als notwendig aufhalten müsste. Ich bin dort immens verunsichert, denn im Prinzip kostet alles mindestens einen Euro mehr als woanders und mindestens zwei Euro mehr als in Neukölln in den Filialen gleicher Ladenketten – aber das wird sich ja bald ändern. Die Menschen dort sprechen nicht so oft noch Deutsch. Und wenn sie aber doch noch Deutsch sprechen, hört man nie einen Berliner Akzent mehr, sondern wohlgenormtes Hochdeutsch (denkt Euch hier den blöden Schwaben-Spruch), wenn Mami dem dreijährigen Leon-Rinaldo und der zweijährigen Emma-Marie erklärt, was man alles nicht tut aus biologischen Gründen. Läuft man durch Prenzlauer Berg in den kleineren Straßen im Sommer an einer dieser vielen kleinen Bio-Eistheken „Mami, ich will Bio-Eis, ich will ein Bio-Eis!” (Bio-Eisbuden müssen dort die Lizenz zum Geld scheißen sein!) vorbei, muss ich die Straße wechseln, weil diese völlig in Beschlag genommen wird von Muttis, Papis und deren Gören, die die Laufwege blockieren und mich die gleiche Panik befällt, die mich in den 80igern befallen hatte, wenn mir morgens auf dem Weg zur Arbeit ein Pulk Tauben die Straße versperrte. Meine Tauben-Phobie wurde durch eine Prenzelwichser-Phobie substituiert.

Es gibt also nicht sooo viele Gründe mich in diese Region meiner persönlichen Abneigung zu begeben. Außer wenn ich einmal Katzen sitte, was ich dieses Jahr öfter tat, weswegen ich auch letztendlich öfter im Prenzlauer Berg unterwegs war als mir gut tat und es ein Glück war, dass die zu befütternden Viecher niedlich genug sind, um meine persönlichen Qualen zu kompensieren. Dann gibt es diesen einen Second-Hand-Laden gegenüber der Katzensitterstelle, der es als einziger Second-Hand-Laden in der Stadt schafft, die Klamotten nicht stinkend anzubieten, weswegen sogar ich mich ausnahmsweise in der Lage sah in diesem Jahr dort mehrfach Sommerröcke für sehr wenig Geld zu erwerben – weil es ja in diesem Jahr im normalen Handel nur Shorts gab oder sehr kurze Röcke nur mit Leggins zu tragen, die ich auch seit den 80igern nicht mehr anziehe. Und es gibt einen Laden, der französische Lebensmittelprodukte anbietet, den ich auch gerne hier und da als Kundin beglücke. Andererseits, dessen Produkte finde ich auch auf einem Wochenmarkt in Charlottenburg … also … kein echter Grund, meine Abneigung geographisch allzu oft zu unterlaufen.

Dass ich mit dem Prenzlauer Berg wirklich nichts aber auch wirklich gar nichts mehr zu tun haben will, das ist mir letzte Woche aufgefallen, als ich dort an einer Döner-Imbissbude vorbei lief, die draußen Tische offerierte an denen Menschen saßen, die ihr Döner im Brot (!) auf dem Teller (!) mit Messer und Gabel (!) aßen.

Der Prenzelwichser kommt eben von einem anderen Stern und lebt in einer Galaxie, die nicht meine ist.

(Aus der Reihe: ein Gentrifizierungsblogpost in Ehren soll creezy niemand verwehren.)

18 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

du gehst zu hart mit den Bewohnern um, sind nicht sie es, die den Schnitt in der durchschnittlichen Einkommenstabelle oben halten und so vermeiden, das Berlin völlig absinkt und bis in den letzten Winkeln der Republik als assi angesehen wird? Also etwas mehr Dank, an die, welche die Stadt nicht verkommen lassen... ;)

Kiki hat gesagt…

Ich esse selten Döner, weil ich ungern fast food esse. Aber wenn, dann hole ich mir einen oben am Bahnhof, nehme den mit nach Hause und esse ihn mit Messer und Gabel und vom Teller, und habe einen Stapel Papierservietten daneben liegen. Ich HASSE es, mit den Fingern zu essen. Ich HASSE bekleckerte Finger, schmaddernd runterfallende Essensreste, Sauereien auf Klamotten und Tischen. Ich werde eher verhungern, als etwas mit den Fingern zu essen, auch wenn es Fingerfood ist. (Das gilt alles auch für Hamburger & Co.) Ich habe mich nicht an die Spitze der Nahrungskette gekämpft, um (wie ein) Schwein zu essen. Ich finde es einfach nur eklig, genau wie ich es widerlich finde, wenn Leute in der Öffentlichkeit aus Papiertüten Backwaren oder aus Pappbechern Kaffee trinken. Der Gipfel ist dann Döner im Bus oder in der U-Bahn: warum nicht den Mitreisenden gleich auf die Schuhe kotzen?

Prenzlbergbewohner hin oder her (ich bin ja nicht so bewandert in Berlin und nur sehr selten dort), aber wo jetzt ganz allgemein gesprochen der Mehrwert eines Menschen liegen soll, wenn er ostentativ auf Tischkultur verzichtet, das verstehe ich nicht, sorry. Bestenfalls kann man doch sagen: leben und leben lassen, oder?

Anonym hat gesagt…

Es wohnt ja leider niemand der ursprünglichen Bewohner letzten 20-30 Jahre mehr in der Kollwitzstraßengegend. Es gibt da nicht mal mehr normale Bewohner mit mittelerem Einkommen. Mittlerweile hat sich da eine gut betuchte und zugereiste Anwohnerschaft zusammengefunden, die alle viel Geld für die Eigentumswohnungen gezahlt haben; deren Kinder Doppelnamen tragen und dennoch nicht hören oder sich benehmen können, die Latte Macchiato und Chai-Latte anstelle von Kaffee trinken, die Ladeninhaber wie Dienstboten behandeln und mit den Hausmeistern kein Wort wechseln würden. Nicht umsonst liest man von der "neuen Arroganz" und "Müttermafia". Da ist gründlich was schief gelaufen.
Hoffentlich bekommen die zu betreuenden Katzen keine Bionahrung ?

bel hat gesagt…

Seit T. tot ist, verschlägt es mich auch sehr sehr selten in diese gegend.
Schon zu Ts lebzeiten waren wir dort in den cafes nicht willkommen, nicht weil wir aussahen, als lebten wir in einer pappschachtel, sondern weil wir etwas älter waren, keine angesagten labelklamotten trugen und auch nicht den anschein hatten, als ob wir gleich den ganzen laden kaufen würden.

Das endete oft damit, dass in den komischen mutti-hat-geworfen-und-ist stolz-darauf-Cafes freie Tische als reserviert deklariert wurden, bis hin zu dem punkt, wo man uns ins gesicht sagte, dass wir nicht zur gewünschten kundschaft gehörten.

Also liebe prenzelbergwixer, bleibt in euren cafes unter euch, zieht euch in eure eigentumswohnngen zurück um stilvoll zu degenerieren und lasst berlin in ruhe.

bel

PS: in schöneberg und in krüzübürü gibt es durchaus nette 2ndHand ohne müffel.
Versuchs mal bei fezzl in der schlesischen str.

creezy hat gesagt…

@aquiigoespott
Hey, wir sind nicht assi! WIR nicht. ;-)

@Kiki
Okay, Du bist entschuldigt. Aber nur Du! Es gibt übrigens in Berlin für jeden Menschen, der sein Essen nicht mit den Händen essen will, auch Dönner auf Teller mit Salat und Brot für mit Messer und Gabel zu essen. Man muss dafür nicht die „to go“-Variante ordern. ,-) Echt nicht!

Ansonsten, nein, Du hast das Post nicht verstanden. Das kann man vielleicht auch nicht, wenn man nicht in dieser Stadt lebt und geboren ist und sich angucken muss, wie ein Bezirk komplett entberlinert wird. Aber komplett!

@Anonym
Gut beschrieben. Ich fühle mich da – als Berlinerin – eigentlich nur noch wie ein Zombie. Die Katzen sind topp, unprätentiös und sehr gut zu leiden. Sie fressen auch Gehacktes aus dem Westen. ,-)

@bel
Nun, so schlimm habe ich es noch nicht dort erlebt – also die Gastronomie erlebe ich im Gegenteil sehr fürsorglich, was mit daran liegt, dass die dort eben vor Konkurrenz kaum noch in den Schlaf fallen. Aber ich bin mir sicher, die meisten dieser „Neuberliner“ waren noch nie in Spandau (außer bei Zugdurchfahrt) noch jemals auf der Schloßstraße, weil zu weit außerhalb südlich in der Stadt. Aber sie leben in Berlin und bauen sich dort ihr Dorf. Das ist ja auch was.

Enno hat gesagt…

Zählt auch mit der Gabel essen (ohne Messer jetzt)? Das tue ich nämlich schon seit Ewigkeiten, um mich beim Essen nicht vollzusauen. Und Burger! Die esse ich so richtig mit Messer und Gabel. Weil: Was Kiki sagt! Ich suche noch nach diesen mythischen Ecken, wo alles 1 € billiger sein soll und die nicht Marzahn-Hellersdorf sind. Ist gar nicht so einfach. Ansonsten ist der Prenzlauer Berg so ziemlich der einzige Stadtteil, der halbwegs an Standard und Lebensqualität einer beliebigen deutschen Großstadt wie Hamburg oder München herankommt und wo man samstags nicht aufpassen muss, im U-Bahnhof in Kotzelachen zu treten. Bei mir im allerfinstersten Gentrifizierungsproblemkiez (LSD-Viertel) ist ein paar Schritte weiter ist eine ganz normale Berliner Eckkneipe mit dem typischen Asi-Eckkneipenpublikum drin. 200 m von mir entfernt ist der Bürgersteig gesperrt, weil an einem alten Haus der Putz bröckelt. Meine Miete ist 30% niedriger als in Hamburg oder Lüneburg. Irgendwie scheinen hier aber Wahrnehmung und Realität auseinander zu driften. Ich wohne ganz gerne in einem Stadtteil, der nicht ganz so grau ist, so dass man nicht Nov-Apr Antidrepressiva einwerfen muss. Dass hier alles bio und homöopathisch ist, nervt mich auch - allerdings musste ich feststellen dass es von Neukölln bis Charlottenburg und Kreuzberg bis Friedrichshain keinen Deut besser ist. Nur eure Fassaden sind grauer.

Enno hat gesagt…

Ich antworte hier nochmal, weil auf Twitter nicht genug Platz ist: Du machst dich über Doppelnamen von Kindern lustig und darüber, wie bio die Mütter eingestellt sind. Man darf einen Döner nicht mit Messer und Gabel essen und es gibt was an Bio-Eis auszusetzen (das ich übrigens noch nie gegessen habe: Es gibt in meinem Umkreis auch nur 1 Bio-Eisladen aber ca 5 normale...). Kurz: Du wetterst über kulturelle Unterschiede. Das nennt man Xenophobie. Wenn Leute so über Ausländer schreiben würden, wie manche über den Prenzlauer Berg schreiben - ein Sturm der Entrüstung bräche los.

Thomas Maier hat gesagt…

Da muss ich Enno zustimmen. Auch dass es dort Grüne gibt, die McDonalds verbieten wollen, spricht für sich. Monokulturalismus per excellence.

Enno hat gesagt…

McD verbieten wollte damals unser halbes Kleinstadtgymnasium, als sich damals (ca. 20 Jahre her) der erste bei uns niederlassen wollte...

Anonym hat gesagt…

@creezy ich schrub von "angesehen werden" nicht vom sein ;) So ein Urteil würde ich mir aus der Ferne nie erlauben.

@Kiki naja, in Schlumperhude ist das ja auch erlaubt, grundsätzlich alles mit Besteck zu essen. Aber ich halte mich an das was meine Patentante mir bei gebracht hat: "Hähnchen und Aal ist man mit den Fingern" ich hab das dann eigenmächtig um Doener und Burger erweitert, die gab es damals in unserem Lande noch nicht. Man kann dann vor und nach dem Essen die Hände waschen, das geht ;)

Und sehr interessant finde ich die Diskussion über die Doppelnamen, mehr davon

Mendian hat gesagt…

Uiiii creezy, da hast du aber einigen kraeftig auf die Zehen getreten. Aber das beschriebene Problem ist kein reines Berliner Problem. Hier wurde ein komplettes Viertel neu aufgebaut. Hipp, und damit teuer (240qm Baugrund ab 350.000 Euro). Von den alten Bewohner ist keiner mehr uebrig. Das Viertel war frueher ein ganz normales Arbeiterviertel mit kleinen Gassen und Haeuschen. Jetzt ist es eine moderne Betonwueste mit 'Kultur' und architektonischen Fehlgriffen. (Auch das haesslichste Gebauede der Niederlande ist hier zu finden).

Das gleiche Schicksal wird auch das 'alte' Scheveningen erleiden. Teure Wohnungen (hipp, modern und kalt), sehr teure Kneipen und Restaurants, der Charme wird verschwinden, und mit ihm die alten Bewohner. Dafuer kommen Yuppies, und mit ihnen die bekannten Szenelaeden ...

Karsten hat gesagt…

»Leben und Leben lassen« ist neuerdings wohl eine der Haupteigenschaften Schwäbisch-Berliner Lebensart? Ein tolerantes Miteinander schließt nicht nur das Einfordern von Toleranz für die eigene Lebensart ein.

Wenn in Kreuzberg hochwertige Autos neben Penthousebetten hoch oben über dem Kanal parken und in Friedrichshain/Prenzlauer Berg hochbegabte Kinder auf ihre ökologisch korrekte Zukunft getrimmt werden ohne »Bitte« und »Danke«, dann ist das eigentlich auch kein Problem. Dumm ist nur, dass der Berliner an sich, der sich gewollt oder ungewollt aus der Reise zu Berlins neuen Metropolenhöhen heraushalten muss, in diesem Berlin keinen Platz mehr hat.

Doppelnamen in der von creezy genannten Form sind doch auch schon wieder lustig, spiegeln sie doch die gewollte Abgrenzung ihrer Eltern von den vielen Kevins und Chaileens wieder. Nur bedienen sie so das gleiche Klischee.

Unbestritten findet eine Abgrenzung statt, wie sie in einer südwestdeutschen Kleinstadt nicht besser funktionieren könnte. Wer nicht das entsprechende Einkommen hat, um sich diese Lebensweise aus 30 Kaffeesorten to go, ökologisch korrekt hergestellten Lebensmitteln und entsprechend beruflicher Ausrichtung (irgendwas mit Neuen Medien am Besten) leisten zu können, der hat auch keinen Platz mehr außerhalb Marzahns oder dem Rest der Stadt.

Das Klischee bastelt sich der geneigte Zuzügler selbst. Uniform in der Erscheinung und konform mit der im Kiez öffentlich geforderten Art zu leben.

Daraus zu schließen, dass jemand, der den Döner mit der Hand isst nicht fähig ist, sich wie ein kultivierter Mensch zu benehmen, zeigt mir, dass es richtig für mich war, Berlin im Jahre 2000 endgültig verlassen zu haben.

Ein 300-Seelen Kuhdorf mitten in Bayrisch Kongo (Oberpfalz) bietet mehr Freiheit für Menschen, die anders sein wollen. Sie können es nämlich wirklich sein, ohne sich in der passenden Uniform zeigen zu müssen.

bel hat gesagt…

Komisch, komisch ich kann beides, meinen döner mit der hand essen, ohne mich vollzukleckern und auch beim fisch das richtige Besteck auszuwählen, ohne noch schnell im benimmlexikon nachschlagen zu müssen. Ist eben nur eine frage der technik.

@aquiigoespott: GrinZZ. Die liste der mit hand zu essenden lebenmittel verlängert sich bei mir um spargel, hühnchen, artischoken und allerlei meeresgetier. Möglicherweise hätte das die oma auch erfreut. Leute, die glauben, dass mit messer & gabel essen kulturüberlegenheit bedeutet, mögen mal ein paar wochen in ostasien verbringen, da wo man auch fisch mit den stäbchen isst. Und der ist dann nicht kleingeschnitten, wie in den langnasenboutiquen in der kantstraße.


bel

Foxxi hat gesagt…

Ick sach' da mal nix zu ...aus Gründen :-)

Anonym hat gesagt…

Creezy, du hast ja sowas von Recht.

Anonym hat gesagt…

Zum Thema "Gentrifizierung". Für mich ist das ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Jedoch phasenweise sehr langsam abläuft. Im Prenzlauer Berg ist das der Fall. Da ist für eine Weile ein relativ stabiler Zustand erreicht. Indofern würde ich dort nicht von "Gentrifizierung" sprechen. Das ist der normale akademisch-städtische Mittelstands-Wahnsinn. Nur halt recht groß und konzentriert.

Solche "Prenzlauer Berg"-Verhältnisse findet man in kleinerem Maßsatb auch andereswo in Berlin, beispielsweise in Friedenau, an der südlichen Bundesallee, rund um die "Carstenn-Figur".

Anonym hat gesagt…

Das Gammelfleisch aus Bayern wurde in Berlin zu Döner verarbeitet. Tonnenweise.

Lotte5 hat gesagt…

ich kann das Ganze, seit vergangenem Samstag, sehr gut nachvollziehen... allerdings muss ich das ganze auf die schwäbische Enklarve, rund um den Kollwitz-Platz, beschränken.. in anderen Ecken des Prenzl`Bergs finde ich das noch nicht soo schlimm.
Diese Kollwitz-Platz-Gemeinde, mit Ihrem schicken Bio-Wochenmarkt am Samstag, ist wirklich ein Bild gewordenes Klischee...einfach nur noch schrecklich..
Da ich seit vielen Jahren in Treptow wohne und in Mitte arbeite, ist mein natürlicher Lebensraum eher das "dazwischen", nämlich Kreuzberg, geworden. Ich komme eher selten in den Prenzl Berg (den ich vor 10 Jahren sehr, sehr mochte), und fand das Gerede ums schwäbische Dörfli immer etwas übertrieben. Aber nun war ich innerhalb von 10 Tagen zweimal da... und muss sagen: "Kotz... es stimmt alles, nix ist gelogen". Ich hoffe nur das der Friedrichshain nicht auch noch zu so einem arroganten "wie -sind-was-Besseres-Bio-Müsli-Kiez" verkommt... Amen!

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