2010-06-03

Afghan Star

„Afghan Star“ ist das afghanische Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“. Unter der Diktatur der Taliban war das Hören von Musik strikt verboten, denn Musik bedeutete Gotteslästerung. Auch Fernsehen war nicht erlaubt. Verstoße der Bevölkgerung wurden mit Gefängnis und Tod bestraft. Das Verbot wurde erst 2004 drei Jahre nach Aufruf der Islamischen Republik Afghanistan aufgehoben.

arte tv zeigte diese Woche eine Dokumentation zu der Erstaustrahlung der afghanischen Version von „Pop Idol“. Das war für mich, unverhofft hinein gezappt, das TV-Ereignis der Woche. Dieser Film erdet und lässt den Blick auf die eigene Kultur unerwartet wachsen. Man erlebt ein Volk dabei, wie es Musik entdeckt – von Show mag man nun unseren eigenem Verständnis hier nicht sprechen wollen. Tanzen zur Musik ist verpönnt, alle Teilnehmer sind im Kleidungsstil hochgeschlossen. Das Gehabe um das natürlich auch sehr umstrittene Format ist im Vergleich zu unseren Maßstäben als niedlich zu bezeichnen. Die Zahlen, spricht man von Quote oder Verdienstmöglichkeiten für den Sieger, sind im Verhältnis zu uns lächerlich gering. Dennoch ist die Relevanz der Sendung groß. Die strenggläubigen Islamisten sehen in „Afghan Star“ nur eine Stärkung der Unmoral.

Frauen, die an dem Format teilnehmen, werden mit großem Argwohn beäugt und sehr schnell nicht als Künstlerin, dafür landesweit als leichtes Mädchen begriffen. Eine junge noch unverheiratete Teilnehmerin wird in der Maske vor ihrem Auftritt nach ihrem Traummann gefragt, den sie bildhaft beschreibt und die wenigen Wünsche, die sie an dieses männliche Traumgebilde für ihr ganzes Leben hat, „seine Augenbrauen sollen in der Mitte zusammen wachsen“ scheinen so herzlich naiv, dass es berührt. Auf die Frage, ob sie schon einmal geküsst hat, lacht sie herzhaft mit einem großen Selbstverständnis in die Kameras „sie sei nicht verheiratet, wie könne sie da schon mal von einem Mann geküsst worden sein?“ Unter westlichen Maßstäben als Frau aufgewachsen, bleibe ich still staunend zurück.

Und diese junge Frau macht bei ihrem folgenden Auftritt den Fehler – von ihren Emotionen getragen – zu tanzen. Ganz wenig nur, sie tippelt etwas hin- und her und bewegt leicht den Körper, dabei verrutscht ihr Kopftuch und die gesamte Nation sieht ihr Haar. Sie schafft es zwar noch in das Halbfinale, in dem sie aber als erste gehen muss. das Finale wird zwischen zwei untadligen Männern ausgetragen. Ihr Verhalten ist ein Skandal und die volksweite Schande trägt sich zurück bis in ihr Elternhaus. Sie erhält Morddrohungen, ihr wird das Appartement gekündigt, sie muss zurückziehen zu ihren Eltern in die Heimatstadt, darf dabei möglichst nicht gesehen werden, damit etwaige Übergriffe nicht geschehen können.

Für die radikalen islamischen Geistlichen scheint Vergeltung, ihr Tod, beschlossene Sache.

„Afghan Star“ ist noch für wenige Tage bei arte.tv online zu sehen. Absolute Empfehlung.

1 Kommentare:

Extramittel hat gesagt…

Ja, wirklich ein großartiger Film! Faszinierend finde ich aber auch, dass durch diese Grenzüberschreitung tatsächlich etwas bewegt wird. Die andere Kandidatin, die Dritte wird, ist auf einmal völlig unumstritten und bekommt sogar Stimmen von Taliban. Also die klassische Avantguarde-Aktion, die zunächst gewaltige Widerstände auf den Plan ruft, aber letztendlich doch etwas verändert.

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