2008-02-13

Tanz auf sehr dünnem Eis

Die Freundin hat die letzten Jahre gearbeitet. In Teilzeit, weil es in Vollzeit nichs für sie auf dem Arbeitsmarkt gab. Bei einer Zeitarbeitsfirma, weil der «erste Arbeitsmarkt» sie so nicht wollte: denn ist sie überqualifiziert, für den Durchschnitt zu alt, daher zu teuer.

Nun droht ihr die Arbeitslosigkeit. Die Zeitarbeitsfirma hat kaum mehr Aufträge (in Zeiten des sogenannten Aufschwungs). Da gehen die Frauen jenseits der 45 als erste Mitarbeiter.

Die Freundin hat Anspruch auf Arbeitslosengeld I, das reicht zum Leben hinten und vorne nicht. Sie erreicht damit nicht einmal die Höhe einer Leistung, hätte sie jetzt Anspruch auf Arbeitslosengeld II plus Miete.

So wird sie wohl aus dem Arbeitslosengeld II bezuschusst werden bis sie wenigstens dessen Höhe erreicht hat. Anspruch auf Vergüngstigungen wie ein Sozialticket, GEZ-Befreiung etc. hat sie aber nicht. Denn sie bezieht in der Hauptsache Arbeitslosengeld I.

Aus diesem Sachverhalt könnte man zwei Gedanken ableiten.

1. Ja, vielleicht sind Menschen, die heutzutage in Deutschland noch arbeiten gehen, wirklich bescheuert. (Da sehe ich allerdings viel weniger einen Zusammenhang zu dem vielbeschriebenem arbeitsfaulem Pack als vielmehr eine Diskrepanz zum ersten Arbeitsmarkt und wie der seine Arbeitnehmer behandelt und bezahlt.)

2. Die klugen arbeitenden Ratgeber, die uns Arbeitslosen mit Arbeitslosengeld II-Bezug gerade verständnisvolle und hilfreiche Essens-Tipps geben, wie «trinkt Leitungswasser!» sollten sehr genau aufpassen, dass sie nicht möglicherweise bald die gleichen Probleme haben werden wie meine Freundin. Ganz arbeitssam und fleißig. Sehr unverschuldet. Nun vielleicht auch nicht unverschuldet, denn wer heute nicht nachdenkt, mit empfindet und nur nach oben hin duckmäusert und nach unten tritt, wird in 10 Jahren keine Chance mehr haben. Hier in Deutschland. Einem der reichsten Länder der Erde. Wo Menschen ohne Arbeit auf Anraten ihrer Mitmenschen nur Wasser trinken sollen.

Mein Vorschlag zur Güte: Menschen mit Arbeitslosengeld I-Bezug täglich einmal an einen Vollelektrolyte-Tropf hängen. Fertig. Billig. Spart Essenskostendebatten. Nach 12 Monaten auf NaCL-Lösung umschwenken. Dem Trend entgegenkommen, der Mensch ohne Arbeit verbraucht weniger Kalorien, braucht weniger Vitamine. Ab Monat 24 mit der ersten Bewilligung von Arbeitslosengeld II die betroffenden Menschen einsammeln, vergasen, wenn möglich so kompetent, dass sie noch als Transplantationslager dienen. Haben ja schließlich die Gemeinschaft viel gekostet, da muss doch was zurück kommen. Oh, bitte vorher noch kurz für viel Geld ein neues Logo für den Sozialstaat Deutschland entwickeln lassen. Aber nur von einem Designer im öffenlichen Beschäftigungssektor angestellt. (Hat nach zwei Jahren Anspruch auf Arbeitslosengeld I. 60 % von € 1.300 brutto.)

Das bis dahin entgültig zum Luxusgut erklärte Leitungswasser spart man so auch.

Mein Vorschlag zur Güte enthält tatsächlich Zynismus. Im Zusammenhang mit der aktuellen Sarrazin-Debatte bin ich über seinen Hochmut weniger erzürnt als über die Kommentare, die aus den Reihen des «menschlichen» deutschen Volkes kommen, diese haben mich in den letzten Tage viel mehr erschrocken und bestürzt. Daher hier: Kommentare aus. Die brauche ich momentan so gar nicht. Sättigungsgefühl erreicht. € 4,25 gespart.