2007-08-11

Relationen



Als wir am letzten Tag durch Chicago bei strahlendem Sonnenschein und heißen Temperaturen wandelten und nachmittags gegen 16:00 Uhr uns die Limo abholte und zum Flughafen kutschierte, hätten wir wohl alle gerne noch einmal kurz geduscht. Ging nicht, denn wir mussten ja vorher bereits aus den Zimmern auschecken. Hoteltoilette, Waschlappen und umziehen hatte genügen müssen. Tat es selbstverständlich auch. Lächerlich.

Meine Freundin nach der Chemotherapie und erfolgreicher Operation und nun in der Bestrahlungstherapie befindet sich gerade in der Situation, sich zehn Wochen lang nicht duschen zu dürfen und an den bestimmten Partien des Körpers nicht einmal waschen zu dürfen. Gerade jetzt, mitten im Hochsommer. Das ist nur eine der kleinen Feinheiten einer Karzinom-Therapie von denen der Außenstehende üblicherweise nur die Bruchteile mitbekommt.

Das „Waschverbot“ hat unterschiedliche Gründe, zum einen werden auf die Haut die Markierungen für das Bestrahlungsgerät aufgezeichnet, da es recht kompliziert und aufwändig ist, mittels CT oder MRT und Bestrahlungssimulationen, den genauen Standpunkt des Tumors im Vorfeld über die Haut zu orten, ist das Interesse groß, die Kriegsbemalung zu erhalten. Der andere Grund ist, dass das Waschen zu verstärkten Strahlenreaktionen auch im gesunden Umgebungsgewebe des Tumors führt. Und der letzte Grund ist, dass durch die Bestrahlung die Haut denkbar stark gereizt wird und reagiert, je nach Länge und Intensität der Therapie kann es in der Folge zu offenen Hautpartien kommen. Selbst nur reines Wasser reizt zu sehr.

Die Körperpflege erfolgt dann mit Puder und wie meine Freundin sagt, man gewöhnt sich daran.

Von meinem Gefühl her, sie sagt es aber auch selber, ist die Bestrahlung noch einmal der echte Hammer innerhalb der Therapie. Am Anfang denkt man noch mit der vorangegangenen Chemo und der OP hätte man die härtesten Momente hinter sich gebracht. Sicherlich nicht nur wegen der Bestrahlung, sondern auch als nachwirkende Reaktion auf die vorangegangene Chemo, kriechen alle Nebenwirkungen aus ihren Ecken und machen den Kampf zäh und noch unangenehmer. Die Gelenke tun weh, Hände, Füsse werden taub und steif und schmerzen, die Erschöpfungszustände kommen öfter, plötzlicher bzw. sind die Leistungsperioden deutlich kürzer.

Daneben stellt sich heraus, wie man dann von der Praxis und dem Spezialisten der Mamma-Onkologie mit diesen Nebenwirkungen („Nebenwirkungen sind nicht mein Gebiet") alleine gelassen wird und selber suchen muss, nach Kompetenz, Hilfe und Behandlung innerhalb dieses und „eines der besten“ Gesundheitssysteme „dieser Welt.“ Tragische Worte gestern nachmittag mit auf den Weg bekommen: „Wenn ich mich nicht selber im Vorfeld informiere und mit meiner Vorgschichte nicht mit einer bereits von mir z.B. via Internet für mich selber gestellten Diagnose zum Arzt einer anderen Fachrichtung gehe und ihm diese quasi in dem Mund lege, habe ich keine Chance auf eine medizinisch fachgerechte Behandlung unter diesen besonderen Umständen."

Die so besonders überhaupt nicht sind. Die Gynäkologin meiner Freundin sagte neulich lapidar, „Brustkrebs ist die Pest dieses Jahrhunderts, alleine in Berlin erkrankt mittlerweile jede achte Frau daran." (An dieser Stelle sei dem hier noch mitlesendem männlichen Leser empfohlen, sich regelmäßig mit der Voruntersuchung seiner Brust auseinander zu setzen. Noch ist Brustkrebs beim Mann selten (und tritt oft erst im dritten Lebensabschnitt auf) – aber die Krankheit ist bei Euch leider im Kommen!

Generell scheinen aber die Beschaffung von Informationen, die Sicherung der für sich besten Behandlung und sei es nur die Information darüber, welche Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden und welche nicht, besondere Herausforderungen der Krankheit zu sein. Man muss sehr viel kämpfen, sich mit keiner ersten Antwort zufrieden geben und darf sich an keiner Stelle von irgend jemandem bevormunden lassen, in einer Zeit seines Lebens, wo man wirklich an anderer Stelle seine Energien zum Kampf konzentriert aufbringen können sollte.

Beispiel: die Übernahme der Transportkosten zur Chemotherapie. Die werden von den Kassen getragen, ebenso die Kosten der Transportwege zu den Laboruntersuchungen im Zusammenhang mit der Chemo (finden immerhin u. U. bis zu drei Mal die Woche statt) und ebenso die Kosten zu anderen Untersuchungen in anderen Praxen, die innerhalb der Chemotherapie anfallen. Die angestellten Damen in der onkologischen Praxis gaben als Auskunft: die Kasse übernimmt nur die Transportkosten zur Chemo und zurück. Das ist insofern fatal, weil eine Chemotherapie bekannterweise so wirkt, dass sie das Immunsystem des Patienten ausschaltet – und man in dieser Phase der Behandlung eines logischerweise meiden sollte wie die Pest: Menschenansammlungen. Denn damit minimiert der Patient das Risiko innerhalb dieser Zeit z. B. an einer läppischen Erkältung (die in dieser Behandlungsphase sehr gefährlich werden kann) zu erkranken. So sollten auch Bus und Bahn innerhalb dieser Phase der Therapie gemieden werden. Krankenkassen wissen das (wissen, dass der ungünstige Fall die Kosten der Behandlung schnell in die Höhe schießen lässt) die Fachärzte und ihr Personal offensichtlich nicht immer …

Die Reihe lässt sich lang und breit fortsetzen, ich höre die Geschichten regelmäßig, in der für mich immer noch unfassbaren Tatsache, dass es eine meiner Freundinnen getroffen hat, ist ihre Therapie und ihren Kampf zu erleben, beinahe so etwas wie Bildungsurlaub – lehrreich ohne Ende. Am ehesten halfen ihr tatsächlich noch die kompetenten und sehr hilfsbereiten Sachbearbeiter der Krankenkasse, was man anlässlich des Tenors über die Gesundheitsreformen nicht automatisch vermutet. Und Anrufe bei der Deutschen Krebsgesellschaft.

Sie kämpft weiter und wir sind guten Mutes. Sie vor allem, was das Wichtigste ist. Sie ist eine der tapfersten Menschen, die ich kenne!

9 comments:

Melody hat gesagt…

Ganz viel Kampfgeist wünsche ich ihr.

Anonym hat gesagt…

ich wünsche euch beiden viel kraft. ihr, damit sie den kampf gewinnt und dir, dass du sie unterstützen kannst.

und danke, dass du das thema nicht tabuisierst, sondern andere daran teilhaben lässt. das ist auch wichtig.

elternrunde hat gesagt…

Meine Schwägerin hat vor 4 Jahren die Diagnose Lungenkrebs bekommen ... mit dem Hinweis, daß sie ohne Behandlung in 6 Wochen und mit Behandlung wahrscheinlich in 3 Monaten tot ist. Schriftlich!
Inzwischen gilt sie als geheilt ... toi toi toi!

Narana hat gesagt…

Echte Freundinnen, halt Menschen, die nicht nur die eigene Sensationsgier stillen wollen, sind so wahnsinnig wichtig. Euch beiden drücke ich die Daumen, dass alles ein gutes Ende nimmt.

Anonym hat gesagt…

auch ich drücke fest die daumen und denke an euch. das wichtigste für den sieg über die krankheit ist ja gegeben: menschen die ihr zur seite stehen durch dick und dünn wie du es tust!

Anonym hat gesagt…

Es ist gut, dass sie mit Dir offen darueber reden kann und es ist auch gut, dass Du hier darueber schreibst.

Auch von mir alles Gute!

Anonym hat gesagt…

Meinen Vater hat es mit Darmkrebs (an die mitlesenden Männer: frühzeitige Diagnose hat drastisch erhöhte Behandlungs-Chancen!) erwischt. Halber Darm rausgenommen, seitdem ist er nicht mehr derselbe.

Wenn man einen solchen Kampf einmal mitbekommt, relativieren sich andere Probleme im Leben. Jetzt zu lesen, dass die "Götter in Weiss", als die ich die Ärzte wider meiner Erlebnisse immer noch ansehe, offenbar damit überfordert sind, ist zusätzlich ein Albtraum.

Schön, dass Du für sie in diesen Momenten da bist. Wünsch ihr, Deiner Freundin, weiter einen solchen eisernen Willen!

Anonym hat gesagt…

Respekt !dass man solche kraft entwickeln muss u Menschen um sich hatt die die kraft und ängste teilen!!!!!!

creezy hat gesagt…

@All
Vielen Dank für Eure guten Wünsche für sie, ich werde es ihr bei Gelegenheit zeigen. Im Grunde kann ich nicht viel für sie tun (und sie ist zum Glück auch in einem schönen sozialen Umfeld gut aufgehoben.) Aber ich habe viel, viel gelernt von ihr und über die Krankheit und dieses System.

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