2007-06-19

Tödliche Kultur – kommt jetzt der Pappsarg via Shopping-TV?

Südlich von Berlin im brandenburgischen Glienicke firmiert gerade der erste deutsche Trauerkanal EosTV. Wolf Tilmann Schneider, nennt sich selbst gerne Medienmann, erarbeitet mit dem Bundesverband Deutscher Bestatter das neue Fernsehkonzept, das sich zuerst via Satellit und Internet in die Herzen der TV-Junkies senden möchte. Im Visier die neue spannende Zielgruppe derjenigen, die es bald hinter sich haben könnten, die älteren Zuschauer. Wohl auch die letzte Garde, die noch Wert auf einen ordentlichen Heimgang legen dürften – und darauf sparen.

Auf der Webseite von EosTV heißen sie „Fernsehzuschauer, die sich gezielt informieren wollen, über Themen, die sie angehen. […] Wer einmal einen Todesfall in der Familie hatte, weiß, wie viele Fragen damit verbunden sind.“ Das kann ich so unterschreiben. Allerdings auch, wer einmal den Todesfall in der Familie hatte, hat die Fragen zwangsläufig bereits beantwortet bekommen.

Die Idee an sich, den sterblichen TV-Fan über den Tod und die deutsche Trauerkultur informieren zu wollen, ist so dumm sicher gar nicht. Ich verbinde das mit der vagen Hoffnung so eine längst überfällige Reformierung des Deutschen Bestattungsgesetzes voranzutreiben, um endlich auch hier mit dem Thema Trauer zeitgemäß umzugehen. Vielleicht auch in Deutschland eine moderne Beerdigungskultur entstehen zu lassen, und die individuelle Trauerarbeit und -verarbeitung den Hinterbliebenen zu ermöglichen, wie sie in anderen europäischen Ländern längst gang und gäbe ist.

Es ist eines der Geschäfte, mit denen sich viel viel Geld machen lässt, vor allem mit dem Unwissen der Beteiligten. Im Vorfeld informiert zu sein, Entscheidungen für sich getroffen zu haben, kann den Hinterbliebenen viel Stress und Ärger ersparen als auch sich selbst möglicherweise irgendwann etwas entspannter gehen lassen. Ob mit diesem TV-Konzept tatsächlich der notwendige Blick hinter die Kulissen des Bestatterbusiness ermöglicht wird, bleibt mit leisem Zweifel abzuwarten.

Warum? Im Zuge des Aufbaus möchte man strategische Partner integrieren, um das einzigartige Netzwerk mit über 3.000 Bestattungsunternehmen synergetisch voranzubringen. Das duftet dezent nach Shopping-TV, nach dem Leichenseidenhemd für den stärker gebauten Herren oder die Seidenbettwäsche für den Sarg im Doppelpack – im Angebot. Geld gemacht werden soll tatsächlich offiziell mit persönlichen Nachrufen für Verstorbene: „ […] denn die Erinnerung verbindet Generationen.“ (Das kann ich sogar noch nachvollziehen, einer meiner wärmsten Erinnerung an meinen Opa ist auch TV geprägt. Ich liebte es, gemeinsam mit ihm Sonntags den Presseclub – ohne „Club“ damals – in seinen Arm gekuschelt zu gucken.)

So werden wohl demnächst alle Angehörigen, die noch Todesanzeigen in den hiesigen Zeitungen schalten, vom Call-Center akquiriert werden. Hierfür ist eine enge Kooperation mit dem Bundesverband der Bestatter sicher sinnvoll, denn die haben ja die vielen geldbringenden Adressen der Hinterbliebenen. Ich bin mir auch sicher, alsbald dem Single-Börsen-Format „Witwen suchen Witwer“ meine Aufmerksamkeit schenken zu dürfen. Vermutlich sind sie auch schon in Verhandlungen mit von Hagens, da muss doch noch mehr Business drinnen sein mit dem Plastinator. Es liest sich so schön: Die Bestattungsbranche dokumentiert mit dieser Kooperation ein neues Selbstbewusstsein. Da muss meine Fantasie bei diesem neuen medialen Geschäft mit dem Tod einfach durchbrennen, ich bitte um Verständnis. Gleichfalls bitte ich die künftigen Trauernden unbedingt auf die ordnungsgemäße Datenschutzklausel im Auftragsformular für die Bestattung der Oma zu achten.

Als Freundin der hiesigen Friedhofskultur freue ich mich jedenfalls schon sehr auf „Dokumentationen über Friedhöfe als Orte des kulturellen Gedächtnisses, denn Zukunft braucht Herkunft.“ An der Stelle interessiert es den geneigten Leser sicher, dass sich meine Herkunft auf Zeugung im Bett bzw. Geburt in der Klinik beschränkt.

[…] denn Zukunft braucht Herkunft. Sehr sehr großes Pressemitteilungskino im Zusammenhang mit Friedhofskultur. Wo waren denn übrigens Eure Eltern als Ihr gezeugt wurdet?

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