2007-04-16

Dumm gelaufen

Seit zwei Monaten habe ich auf dem Plan zu bloggen, dass es nur noch so und so viel Wochen sind bis in den Medien wieder das „AG II-Empfänger sind …“

Halt! Das war jetzt zwar sachlich richtig aber in medialem Deutsch ausgedrückt falsch, also noch mal: … bis in den Medien wieder das „Hartz IV-Empfänger sind zu faul, blöd, dumm, besoffen, verpennt, um Deutschen Spargel auf gemeinnütziger 1-Euro Jobbasis zu ernten.“ (Wobei ich ja nie das Wort „gemeinnützig“ bei den hiesigen Spargelpreisen finden konnte und meine Nase, was habe ich lange danach gesucht.) Jedenfalls wollte ich das bloggen und dann mit Euch bis zum ersten dem-Staat-auf-der-Tasche-Lieger-haben-doch-alle-null-Bock-auf-Spargelernte-Bericht rückwärts zählen.

Dumm gelaufen. Da schiebt sich der Frühsommer mit rafinierter Penetranz passend zum 12-monatigen-Sommerlochthema „Klimadesaster“ mal eben vier Wochen zu früh in den Vordergrund. Kommen die Meldungen natürlich viel früher, weil der Spargel jetzt schon sprießt. Und was nun? Da wird meine auf ewig wiedergekäute Lieblings-Hartz-IV-Nummer einfach so ergänzt um ein, „die Polen gehen lieber nach Irland oder ins Königsreich arbeiten, weil da die Löhne viel besser sind als in Deuschland!“-Skandal.

Na, Du kleine süße schnuckelige superpfiffige Arbeitsagentur, Du? Haste mal wieder schön kompetent das Lohnniveau der Ärmsten gekillt? Das passiert nämlich, wenn der Bauer Arbeitskraft für € 0,– vom Staat hingestellt bekommt, der erzählt dann dem Polen, er könne doch jetzt auch für € 1,50 die Stunde arbeiten. Das konnte aber natürlich keiner vorhersehen, dass der subventionierte gemeinnützige Spargelbauer so clever denkt und tut.

Also Kinders, dieses Jahre gibt es keinen Spargel. Is‘ nich', wegen Polenmangel. Und die Hartz IVer sind auch gleich mit auf die Insel, weil für mehr Geld in Irland das Bücken auf dem Feld nicht so weh tut! Aber wenigstens kann die Agentur die Deutschen Spargelbauern, die dieses Jahr pleite gehen werden, weil die Ernte nicht rechtzeitig aus der Erde kommt, nächstes Jahr als kompetenten Facharbeiter für € 1,50 auf's Feld schicken. Das macht sich auch gut in der Statistik.

P.S. Gestern im Fernsehen einen Spargelbauern gesehen, der genau das gesagt hatte, was ich mir immer gedacht habe: „Wissen Sie, die Arbeitsuchenden für zwölf, dreizehn Wochen auf's Feld zu holen, das ist keine echte Alternative, denn die sind danach wieder nur arbeitlos. Und für die kurze Zeit den Irrsinn an Schriftkram mit der Arbeitsagentur, das lohnt sich nicht für mich.“ Das ist genau der Punkt, der Pole bekommt € 4,– auf die Hand und weiß, was er zu tun hat noch vom letzten Jahr und basta. Den Arbeitsuchenden von der Agentur zu nehmen, bedeutet für den Bauern in der heißen Phase seines Geschäfts, mehrseitige Anträge ausfüllen zu müssen, auf Genehmigungen warten (da hat schon mal ein Spargelbauer drei Wochen gewartet bis ihm der erste Bewerber vom Arbeitsamt zum Vorstellungsgespräch geschickt wurde) und den Arbeitsuchenden einarbeiten, der nicht von Anfang an den gleichen Erfolg haben kann, wie der erfahrene Feldarbeiter. Für zwölf Wochen.

Abe das schreibt keiner.

13 Kommentare:

Cecie hat gesagt…

danke. nix hinzuzufügen, aber genauso angepisst.

wie gehts den fellen und dem balkon?

hab eine sonnige woche - ich sitze nur draussen und geniiiiiiiesse...

Anonym hat gesagt…

Wollen wir mal nicht vergessen, dass die Motivation der Polen auch besser ist. Feldarbeit ist ja kein Meisterberuf, sondern kann mit ein wenig Willen auch erlernt werden.

Schon mal in Polen gewesen - und nicht nur auf dem Markt in Slubice? Wenn das Niveau des Arbeitslosengeldes II nicht so hoch wäre, würden die Empfänger begeistert in den Spargel ziehen. Nur so wie es zu Zeit abläuft, macht es keinen Sinn - richtig erfasst.

Und Tatsache ist, dass die Bedingungen in England und Irland für Polen besser sind. Auch die Community stimmt. 100.000de sind schon da, inkl. polnische Messen am Sonntag.

Entweder wird der Lohn angehoben - was angesichts des Agrarmarktes kaum vorstellbar ist, oder die Polen werden von Weissrussen und Ukrainer abgelöst. Das sieht man schon auf dem Markt für Au-pair. Polnische Mädchen sind kaum noch zu bekommen, weil sie lieber nach England und Amerika gehen und da richtig arbeiten können und nicht nur 260 Euro/Monat für teilweise ausbeuterische Verhältnisse in den Familien bekommen. Nun sind es Russinnen, Weissrussinen, Georgierinnen, Ukrainerinnen usw. die für 30 Stunden/Woche als Au-pair 200 Euro bekommen und meist 40+ Stunden arbeiten. Die haben halt keine Alternative ausser zurück in ihr ärmliches Dorf ohne Job und Hoffnung.

Anonym hat gesagt…

Sicher ist ein Teil des Problems der "relative Wohlstand" - gemessen an richtig armen Regionen der Welt fragt man sich, warum in Deutschland/Österreich soviel fast neue Autos auf den Strassen unterwegs sind und tagsüber alle Einkaufstempel überfüllt, wenns uns doch so dreckig geht...

ABER ich hab einmal miterlebt, was es bedeutet von Hartz-IV leben zu müssen. Und durch Freunde krieg ich ein Teil davon heute noch zu spüren. Wer da "ALG kürzen!" als Lösung vorschlägt hat noch nie versucht davon zu leben.

Leider hab ich keine Patentlösung. Allen Arbeitslosen vorzuwerfen sie wären arbeitsunwillig, nur weil sie Feldarbeit als gelernter Lehrer ein wenig deprimierend finden, ist ein wenig zu kurz gegriffen. Wenn ich solche Politiker oder Wirtschaftsheinis nur höre könnt ich speien. Mag sein, dass es Arbeitsunwillige gibt (wobei ich auch da nicht weiss, was daran SOOOO schlecht sein soll), es gilt nicht für alle. Und Feldarbeit kann nicht die Lösung sein.

Anonym hat gesagt…

@leb:

Sie haben recht, Günther Oettinger hat recht, wen wollen Sie noch missionieren?

Anonym hat gesagt…

Ich habe nicht gefordert, dass HartZ IV gekürzt werden muss. Es ein komplexes Thema. Denn dadurch, dass Feldarbeit so billig ist und von Osteuropäern erledigt wird, kann sich auch ein Harz IV Empfänger mal ein Spargelessen leisten. Mit einem Mindeslohn von 8 Euro + Sozialleistungen wäre das Kilo Spargel auch als B-Ware nicht unter 15 Euro zu bekommen.

Trotzdem bleibt als gut-aber-nicht-spitzen-verdiener der das ganze Sozialsystem finanziert ein übler Beigeschmack. Feldarbeit ist keine Lösung - aber ich verüble es niemanden, wenn er auf solche einfachen Kurzschlussideen kommt.

Anonym hat gesagt…

Hab ich heute schon gekotzt?
Nö noch nicht... - aber ich bin schon aufm Weg zum großen weißen Telefon um Ralf anzurufen.
Arme Creezy und hallo cecie, mein Bedauern - hier haben sich ja wieder nach euch die Intelligenzallergiker der Amtsstuben aller Länder vereinigt und gefunden, die von Tuten und Blasen keinen Schimmer los haben, aber noch genug Senf in der Backe, um den hier abzulassen. Darauf einen Jägermeister.
bel;-)

Anonym hat gesagt…

"Wenn das Niveau des Arbeitslosengeldes II nicht so hoch wäre" - Gott, wenn ich so eine Scheiße schon lese...

Cecie hat gesagt…

hey creezy,

seit wann wird eigentlich in diesem blog in den kommentaren unkommentiert rumgepupst (sorry die wortwahl) - ohne eine reaktion? ;o)

wahrscheinlich hast du einfach recht, es gibt leute, die haben eine andere meinung und verdienen dank und respekt, dass sie uns an argumenten teilhaben lassen, und dann gibt es eben andere... natürlich ohne jede referenz. is klar, ne.

creezy hat gesagt…

@cecie
Nun, wir lkönnen wenigstens das Leben auf ganz anderen Ebenen genießen ;-) Die tieffliegenden Fellträger haben superviel Spaß, ich installiere seit gestern das Katzennetz – es dauert ein bisschen länger, weil sie's so großartig finden und viel helfen …

@leb
Ist die Motivation der Polen denn wirklich besser? Es bewerben sich Jahr für Jahr auch Deutsche und arbeitsuchenden Deutsche zur Feldarbeit – das wird nur in den Medien nicht zum Thema gemacht. Die zeigt niemand im TV. Und wenn, dann bekommen die allenfalls zwei Sekunden im Beitrag, der etwas unlustige Kandidat, er die negative Meinung über Arbeitssuchende bei den Leuten manifestieren soll, aber die restlichen zehn Minuten vom Sendeformat. So formt man Meinungen. Die Figuren sind dann so überzogen und so dreist dagestellt, dass völlig klar ist, die können gar nicht echt sein, denn dafür machen Arbeitsagenturen viel zu viel Druck. Nur so weit denkt merkwürdigerweise keiner von denen, der den Arbeitssuchenden lieber in die bequeme Schublade stecken möchte.

Ja, das Niveau des Arbeitslosengeldes II ist aus Sicht eines Polen in Deutschland sicherlich hoch, sicher auch im Vergleich zu anderen europäischer Ländern. Aber es ist nicht einmal einem deutschen Lebensstandard angemessen und liegt sozialen Berechnungen zugrunde, die seit über zehn Jahren keine Angleichung an den Index der gestiegenen Lebenshaltungskosen erfahren haben. Und ich habe immer noch nicht begriffen, warum in einem der reichsten Länder der Erde innerhalb von wenigen Jahren soviele Menschen am Hungertuch nagen müssen? Wer kann denn ernsthaft glauben, dass mit dem Lebensunterhalt vom Staat das Leben wirklich so lebenswert ist? Hallo?

Hier: lesen!
Wohlbemerkt: lächerliche sieben Wochen!

AG II-Empfänger können sich keinen deutschen Spargel leisten. Also, ich hatte letztes Jahr keinen.

@truetigger
Danke für die ausgewogene Meinung, die tut gut zu lesen.

@bel
Ach nee, so schlimm ist lebs Meinung nun auch nicht – und es ist auch legitim sie zu haben. Mir ist jemand mit einer offenen Meinung deutlich lieber, als die, die immer mitleidig gucken und hintenrum dann die echte Meinung kundtun, die sie einem Arbeitslosen jedoch nie ins Gesicht sagen würden.

leb hat höflich kommentiert. Mehr kann ich nicht verlangen.

Es gibt Meinungen „wie AG-II-Niveau ist noch zu hoch“ en masse. Ich bin ja der Meinung, dass zu Haus abhängen müssen, sich täglich neu motivieren müssen ohne „Lebensinhalt Job“, dreiste Bewerbungsgespräche führen müssen (Frage Nr. 3, „in Ihrem Alter, wie sieht's denn mit der Familienplanung aus“) können gar nicht teuer genug bezahlt werden.

@cecie
So lange hier höflich kommentiert wird, sehe ich keinen Grund immer einzuschreiten nur weil eine anderen Meinung geäußert wird.

Gerade diese Spargelthematik ist ja ein sehr sehr komplexes Thema, das in seiner ganzen Breite nie wirklich in den Medien präsentiert wird. Fakt ist, die Arbeitsagentur vernichtet auch mit ihrer Inkompetenz Arbeitstellen auf dem freien Markt noch und nöcher – das macht mich am allermeisten so wütend.

Cecie hat gesagt…

hmm nee, ich meinte das noch was anders. ich kann auch wahnsinnig höflich klingen, dir aber trotzdem sagen, wie scheisse (sorry nochmal die wortwahl) ich dich finde. und das hat dann nix mehr mit höflichkeit zu tun, sondern ist einfach hinterfotzig. sorry das dritte mal, wenn ich da so heftig reagiere, aber das genau regt mich an leuten am allermeisten auf: provozieren auf unterem niveau und dann daneben stehen und sagen: nänänä, ich war ja ganz sachlich!

weissu was ich meine? vllt bin ich heut auch was überempfindlich, whatever. morgen wieder ;o)

creezy hat gesagt…

@cecie
och, das bist Du heute vielleicht wirklich etwas empfindlich. Ich habe leb nicht so empfunden. Meinung ist Meinung. Und sie sachlich vorzutragen, schafft wenigstens Raum zur Diskussion. Die könnte ich mir mit einem der – vor allem gerne Anonym – nur „faules Dreckpack!“ von sich gibt schenken. Direktamente.

Alles okay? Willste nächste Woche mal zum Kaffee kommen?

Cecie hat gesagt…

joa weisste, die fische, die sind halt sensibel ;o)
so temperamentvoll und brutal direkt ich oft bin, so empfindlich dann eben auch. falls du meinst, ob es mir ansonsten so gut geht oder ich n verstecktes magendrücken hab - alles prima im hause cecie!

halt mich für doof, aber ist bel = leb? ich bezog mich nur auf den bel-artikel... hoch leben die missverständnisse, aber es freut mich sehr zu sehen, dass man von allen seiten nicht so zickt, dass was bricht, sondern noch weiter miteinander redet.

war das da unten ne einladung? würd ich gerne, am 1.5. geht bei mir (höchstwahrscheinlich) n neuer job los, vorher hab ich zeit, reichlich.

Anonym hat gesagt…

Ich wohne auf dem Land und habe mit Landwirten Kontakt, ich bin auch oft in Polen. Die Motivation ist wirklich besser. Weil es eben nicht nur ein Zuschlag zum ALG ist, sondern es buchstäblich ums Überleben geht. Polen hat trotz massiver Auswanderung immer noch die höchste Arneitslosenrate der EU (Rumänien/Bulgarien weiss ich jetzt nicht). Die Preise sind in Polen fast vergleichbar mit denen in Deutschland. Wie meine Freunde und Bekannte da überleben ist mir immer wieder ein Rätsel. Ob der materielle Druck die ethisch und menschlich richtige Motivation darstellt, bleibt mal offen. Polen findet man überall, durch die Freizügigkeit besonders viele in Irland, UK und Norwegen. Begeistert haben die ihr Land sicher nicht verlassen.

Um mal abzuschweifen. Was mich in Polen immer wieder fasziniert ist die Entschlossenheit, das eigene Leben zu ändern und der Aufbruchgeist. Die Studenten studieren unter unglaublich schlechten Bedingungen und wohnen in Studentenwohnheimen, die man hierzulande nicht mal Asysbewerbern zumuten würde. Trotzdem haben sie den Willen, Karriere zu machen. Ich war dienstlich eingeladen zu einer Unternehmensmesse, die die Studentenvereinigung AIESEC in einem 4**** Hotel organisiert hat. Das war nicht anders als hier. Internationale Unternehmen haben sich vorgestellt, um erstklassige Studenten und Absolventen für sich zu interessieren. Der Andrang war unglaublich. Ach ja: Englisch und deutsch lernen die natürlich auch fast alle.

Polen ist nur ein Beispiel, das uns in Deutschland nahe liegt. Aber ähnliches ist in anderen neuen EU-Ländern zu sehen. Irgendwann werden wie auch für die neuen EU-Länder den Arbeitsmarkt öffnen müssen. Das wird massiv werden - besser wäre es gewesen, die mit der Freizügigkeit früher zu beginnen. So wird der Schock und die Probleme eher grösser.

***
War nicht zielführend, aber vielleicht hilft es beim Nachdenken. Es gibt kein Patentrezept. Jammern und sich auf den Staat verlassen ist in jedem Fall der falsche Weg.

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