Doch wir trauern …
Wie das offizielle Gedenken an Hatun Sürücü am Mittwoch ablief, war Thema in den meisten Medien dieser Stadt. Wie das Fehlen der türkischen Vereine interpretiert wurde, wie die Vereine auf die Vorwürfe nun reagieren, das wird noch diskutiert. Wie aber erlebt ein(e) Berlinerin dieses Gedenken?
Ich wohne selber in der gleichen Wohnanlage in der Hatun Sürücü mit ihrem kleinen Sohn Can gelebt hatte und wo sie von ihrem Bruder niedergestreckt wurde. Matthias hatte das bereits eindrücklich zitiert. Wir wohnen hier in der Bärensiedlung in Tempelhof aber an der unmittelbaren Grenze zu Neukölln meist in Eintracht. Einfache arbeitende Menschen sind das, die hier leben, die Mieten sind hier noch verhältnismäßig günstig. Menschen, die ihre Zeitungen vom anderen Müll trennen, den Biomüll dann aber doch in der Plastiktüte in die Biotonne entsorgen. Es sind viele Berliner, viele in die Stadt gezogene Menschen unterschiedlicher Couleur, sicher auch sehr viele in der Stadt bereits geborene Menschen, bei denen man das den ersten Blick anhand ihrer Haut- und Haarfarbe nicht vermuten würde. Wir sitzen hier nicht aufeinander aber wir kommunizieren hier noch miteinander. Auf der Straße treffen wir uns in Grüppchen, unterhalten uns und wünschen uns das Beste.
Natürlich habe ich Hatun Sürücü nie bewusst wahrgenommen. Möglich, dass wir bei Lidl gemeinsam an der Kasse standen, einmal gemeinsam dem Bus entstiegen sind, ich sie beide die Straße habe lang laufen sehen und gedacht habe „der ist ja niedlich, der Kleine”. Sie war also kein Mensch, der mir wichtig war, denn sie war mir nicht bewusst. Dann war sie tot. Und sie war mir wichtig. Uns allen hier. Wir waren fassungslos.
An dem Abend, als Hatun gegen 21:30 Uhr getötet wurde, bin ich gegen 20:00 Uhr nach Hause gekommen und irgendwann ins Bett gegangen. Ich habe nicht mitbekommen, dass in nicht einmal 100 Metern Luftlinie von meiner Wohnung einem Menschen gewaltsam das Leben genommen wurde. Ich hörte keine Polizeisirenen. Ich hörte erst am nächsten Morgen in den Nachrichten von dem Vorfall, sah die TV-Aufnahmen von dem Ort und dachte, „das ist ja hier. Das ist an „unserer“ Bushaltestelle.“ Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment zurück denke.
Gewalt, Kriminalität, Morde, Vergewaltigung gibt es hier in der Gegend, gab es hier schon immer, wird es immer wieder geben. Die Gegend um die Silbersteinstraße war nie die Beste, wir hier, die wir hier leben wissen das, haben es teilweise schon selber erlebt – wir leben hier mit Gewalt. Wir leben hier auch mit Morden. Irgendwie. In der gleichen Anlage wurde schon ein Mann nachweislich erschossen, dessen Leichnahm später im Landwehrkanal entsorgt wurde. Eine Rentnerin, die in ihrer Wohnung in der Silbersteinstraße nicht weit entfernt vergewaltigt und erdrosselt wurde. Eine junge Frau in einem Park mit dem gleichen grauenvollen Schicksal. Es ist nicht so, als das wir hier nicht genau Bescheid wüssten, von dem Bösen, das es gibt in der Stadt.
Aber dieses Mal, war unser Grauen ein anderes. Ich weiß noch, wie ich das Gefühl hatte, die ersten drei Tage nach der Tat, dass hier alles anders war. Die ganze Anlage war leise. Wir lachten nicht, wenn wir uns auf der Straße trafen, wir wollten auch nicht darüber sprechen. Wir waren sprachlos vor Entsetzen. Man nickte sich zu in dem Empfinden, was passiert war, hätte nie passieren dürfen. Nicht nur nicht bei uns hier. Nirgendwo. Diese Unfassbarkeit – die sicher in der ganzen Stadt und bundesweit über diese grausame Tat herrschte – als nach sehr kurzer Zeit die Vermutung mehr und mehr zur Gewissheit wurde, dass die eigene Familie von Hatun für die Tat verantwortlich war, war hier sehr viel deutlicher zu spüren als die Tagespresse es zu vermitteln vermochte. Wir waren traurig. Unser Entsetzen hier war groß. Und zwar spürbar groß.
Blumen wurden hingelegt zum Zeichen unserer Trauer. Von wildfremden Personen. Ich mochte diese Stelle nicht mehr. Ich bin die nächsten drei Monate lang nicht von dieser Haltestelle aus mehr mit dem Bus gefahren, lieber eine Station voraus gelaufen. Ich mag den Ort immer noch nicht. Aber jedes Mal wenn ich daran vorbei laufe oder fahre, denke ich an Hatun Sürücü. Es liegen immer wieder Blumen an dieser Stelle, wo ihr das junge Leben genommen wurde. Stehen Kerzen dort. Ganz unabhängig vom Jahrestag diese Mordes.
Einmal stellte eine Baufirma ihre Toiletten an genau der Häuserwand ab. Ich war sauer als ich das sah, empfand es als taktlos. Das Leben geht immer weiter.
An diesem Mittwoch sind wir, ich, wir Nachbarn immer wieder zu der Stelle gegangen. Die Gedenkfeier war ein Moment. Im Gedenken an Hatun Sürücü beeindruckender fand ich die Reaktion der Menschen, wie sie im Laufe des Tages an den Ort traten. Wir haben uns dort getroffen. Still. Gesprochen haben wir nicht. Wir haben dort gestanden, zusammen. Kam ein Bus aus dem Menschen ausstiegen, sind sie an die Stelle getreten und haben still Hatun gedacht. Fremde Menschen. Wenn wir aufgeguckt haben und uns kurz in die Augen gesehen haben, sahen wir Tränen darin. Gestern sind immer wieder noch neue Blumen hinzugekommen.
Der Mord an Satun Hürücü, den man nicht einmal als heimtückisch bezeichnen darf, denn die eigentliche Motivation dazu ist im Grunde nicht zu benennen, zu beurteilen – hat uns berührt, er hat unser Herz angefasst, er hat unseren Geist geweckt, er hat unsere Energie frei gesetzt für solche Frauen zu kämpfen, die mit der Angst von Hatun auch leben müssen und ihnen eine Hand zu reichen. Ein gewaltsamer Tod kann keinen Sinn ergeben. Aber der Tod von Hatun Sürücü hat etwas in uns bewirkt. So ist sie nicht völlig sinnlos gestorben in dieser Sinnlosigkeit.
Ein junges türkisches Pärchen, Junge und Mädchen, Geschwister vielleicht und ungefähr 11 Jahre alt, standen Mittwoch nachmittag auch einen Moment dort. Sie waren ganz leise, machten keine dummen Witze. Sie tragen viel Verantwortung für die künftigen Generationen. Es klein wenig schien es, als wäre ihnen das bewusst.
Und das zu sehen, das hat Mittwoch Hoffnung in mir geweckt.
3 comments:
geht ganz schön unter die Haut...! Danke!
Ich kann mir kaum einen sinnloseres Sterben vorstellen als das dieses Mädchens. Wenn es Steigerung des Todes geben würde, wäre diese junge Frau 100fach gestorben. Eigentlich sollten Religionen der Zeit voraus sein, um weiterhin visionäres für die Menschheit zu leisten. Leider ist das Gegenteil der Fall.
danke,creezy.
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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