2006-10-12

Damals …

Es begab sich zu einer Zeit, da saß creezy mit ihrem damaligen Gschpusi, einem unvergleichlich attraktiven und bildschönen Kerl von einem Mann mit reinem Herzen, ernsthaften Absichten, einer faszinierend hoch entwickelten Denke und einem warmherzigen bissig schwarzen Humor in einem der damaligen zweiten Wohnzimmer der beiden, das zu dieser Zeit noch den Namen „Menger“ trug. Dieses Etablissement befand sich in der Bleibtreustraße in Berlin-Charlottenburg, dem damaligen „In-Kiez“ der westlichen Hemisphäre und nebst einem hochkultivierten flanierendem Boulevardpublikum, wurde die moderne Inneneinrichtung (dicke Tischplatten mit ca. 1 DM-Münzen großen Löchern) durch regelmäßig aktiv vorbei schlendernde Accessoires wie Rosen-, Brezel-, Sandwichhändler in ihrer en voguen Präsenz malerisch unterstützt. In einer Zeit, in der die uns am Tisch wohlfeil gebotene Feuerzeuge erste LED-Dioden inne trugen, das Drachenfeuerzeug rot flammende Augen besaß und die aus billigem Metall gegossenen, von niedlichen kleinen indischen Kinderpatschehändchen zusammen gesetzten, feuerspeienden Feuerzeuge in Autoform für nur DM 15,– das Stück, als globaler Handel getarnte Children Charity Einzug ins noch nicht existierende Einigeuropareich fanden.

Auch die vielen Tages- und Kiezzeitungsverkäufer, kurzzeitig abgelöst durch die Stadtmagazinverteiler, die Tüchereigentumsrechtübertragungsbeauftragten, die sich selbst verlegenden Prosaautoren – als Vertriebstalente viel zu introviertiert und daher nie erfolgreich – und das freundliche Miniaturbiedermeiersträußchen anbietende Rotkäppchen, oh, nicht in Vergessenheit geraten lassen möchte ich den freundlichen intellektuellen charismatischen Chefautoren, Verleger, Redaktionsassistenten und Straßenverkäufer in einer Person, der unvergleichlich charmant die „LETTRE“ anpries, sie alle ließen uns die Abende nie langweilig, wenn auch gelegentlich das Essen über die vielfach freundlich zu formulierenden „Nein danke!" kalt werden.

All das geschah zu einer Zeit als der gemeine Punk noch ein rechtschaffender Punk war. Der gemeine Punk in dieser Zeit roch nicht gut und bewegte sich flegelhaft durch die Stadt, besaß nur einen sehr gut erzogenen Hund, hatte also noch nichts von der Hunderudelhaltung mitbekommen, rotzte beim Betteln noch fies rum, hatte das Wort „Bitte“ produktiv aus seinem Wortschatz gestrichen. Die Löcher in der Kleidung sind noch im echten Straßenkampf entstanden und kamen nicht profan von der Stange geliefert, Markenbewusstsein war dem gemeinen Punk meist fremd. Und generell hatte man immer gute Chancen, wenn man diesen freundlichen Zeitgenossen auf der Straße begegnete, eine in die Fresse zu kriegen, anstatt irgendeine nette Dienstleistung wie Autoscheiben putzen oder Tür aufhalten angeboten zu bekommen. Auch war der gemeine Punk selten so gut zweisprachig erzogen wie heutzutage, in einer Zeit in der doch jeder Punk mindestens auch perfekt polnisch sprechen kann. Der gemeine Punk zu jener Zeit war laut, auffällig, pöbelnd und meist mies drauf, roch nie nach Weichspüler und es beschlich einem ein beklemmendes Gefühl von Sorge, wenn man ein Exemplar dieser besonderen Menschengattung in weiter Ferne erblickte.

Zu dieser Zeit also saß creezy mit ihrem Gschpusi in deren zweiten Wohnzimmer glücklich an einem der sonst sehr raren ergatterten Straßenplätze beim Abendessen an einem lauen Sommerabend, hatte kurze Zeit vorher die rumänischen Straßenmusikanten ohne weiteren Hörschaden überstanden, als eine Horde besoffener lauthals gröllender Punks, einer mit einer Kinderklampfe, ein anderer mit einer Tröte in der Hand, um die Ecke bogen, sich vor uns aufstellten, uns die Mützen vor's Gesicht hielten und sagten: „‘Ne Mark, dann spielen wir auch nicht für Euch!“

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

stark! der text ist voll stark! ich will weiterlesen!!! haben sie die mark bekommen? als ich noch erwerbstätig war, musste ich jeden tag die rolltreppe nach oben zur strasse von der s-bahn altona benutzen. und oben standen die biester. man entkam ihnen nicht. jeden tag der gleich typ: haste mal n euro? nö. irgendwann sagte ich ihm genervt, wenn er mal die möge hätte sich bitte um halb 7 morgens da zu plazieren, würde ich ihm was geben. nächsten morgen stand er einsam da. er bekam 5 euro. ich sah ihn nie wieder so früh. nee, is klar!

Anonym hat gesagt…

"attraktiven und bildschönen Kerl von einem Mann mit reinem Herzen, ernsthaften Absichten, einer faszinierend hoch entwickelten Denke"

... ich war doch damals gar nicht in der Stadt?!
... habe ich wirklich so viel Holsten getrunken?

creezy hat gesagt…

@morticia
Klar haben wir die bezahlt, so viel Kreativität mußte doch belohnt werden. Vor allem haben wir unter‘m Tisch gelegen vor lachen. Mich wundert nur, dass die Methode nicht Schule gemacht hatte … ;-)

Interessante Nummer mit Deinem Punk, immerhin: der hat für sein Geld durchgemacht!

@mcwinkel
Ja, seit ich Ihnen begegnet bin, kann ich mich auch nicht mehr so richtig an den Namen des damaligen Herren erinnern, es popt immer nur irgendein MC-Banner im Kleinhirn hoch …

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