2006-02-21

Neues aus Agenturhausen Teil II

Ebenfalls letzte Woche abgesegnet: unsere arbeitslosen Freunde aus Ostdeutschland dürfen sich endlich über Leistungszahlungen, die dem bisherigen Westnivau angepasst wird, freuen: sie erhalten künftig monatlich 14 Euro mehr. Liegen aber leider immer noch gesamtdeutsch € 50,– unterhalb der Armutsgrenze.

Diese Änderung kostet die Agentur von Anfang an super viel Geld und tritt deswegen erst zum 1. Juli 2006 in Kraft. Eine rückwirkende Zahlung zum 1. Januar 2006 erfolgt nicht, da waren sich unsere Koalitionsfreunde so was von dicke. Offizieller Grund, warum die Zahlungen nicht sofort geleistet werden können: Computerprobleme.

Arme kleine Jobcenter können immer noch nicht auf die mit Hartz IV eingeführte neue Software zurückgreifen, weil sie noch ganz schön viele Mängel aufweist. Als ich das gelesen hatte, dachte ich sofort – und ich weiß, es ist vermessen – warum funktioniert eine Softwarelösung mit einem geschätzten Kostenvolumen von knapp 25 Millionen Euro 13 Monate nach Einführung nicht vollständig?

Der aktuelle Vorgang ist denkbar kompliziert:

Ein Artikel, nennen wir ihn doch mal Ossi-AG II, wird auf null gesetzt und daher kann auf ihn nicht mehr zurück gegriffen werden. Dann suchen wir alle Datenbestände, die den Artikel Ossi-AG II mit null beinhalten, kleine Prüffunktion ob der vor der Aktion ermittelte Bestand von Ossi-AG II und Ossi-AG II auf null den gleichen Wert haben, und schon fügen wir den bereits existierenden Artikel Wessi-AG II in die Datenbestände ein.

Ach nee, lasst es uns ein bisschen komplizierter machen, wir setzen jetzt den Artikel Ossi-AG II UND den Artikel Wessi-AG II auf null und ersetzen in allen Datenbeständen diese Artikel Ossi-AG II UND Wessi-AG II mit null mit einem neuen Artikel II-Gesamtdeutsch oder schöner: AG II-Ost-West.

Dann gucken wir noch mal, welche der Datenbestände unterm Strich mehr Geld als vorher erhalten und informieren die Rentenversicherung und Krankenkassen darüber.

Das nennt man Artikelpflege. Im Prinzip ist die Nachpflege der Zahlungsaufstockung nichts anderes als ein Vorgang aus der Pflege eines Warenwirtschaftsystems, wie es in den Unternehmen der freien Wirtschaft Deutschlands täglich millionenfach praktiziert wird. Ohne nennenswerten Aufwand.

Bei der Arbeitsagentur läuft das jetzt, vermute ich, so: erst mal innehalten und alle weiteren Arbeits- und Vermittlungsbemühungen stoppen. Irgendetwas ist neu und das gilt es zuerst zu analysieren.

Dann wird eine Konzeptgruppe gegründet, deren Aufgabe es ist sich zu überlegen, was dieses neue Gesetz für tatsächliche Konsequenzen in der Abwicklung mit sich bringen dürfte und ob man diese Konsequenzen der knapp 25 Millionen Euro teuren Software überhaupt zumuten kann. Die Konzeptgruppe heißt AG II-Gesamtdeutsch oder auch Konzeptgruppe AG II-Ost-West. Die Konzeptgruppe teilt sich dann in mehrere kleinere Konzeptgruppen. Eine davon heißt Project Management System Profile Software AG II-East-West. Auf deutsch: Arbeitsgruppe zur deutschlandweiten Einführung für Arbeitsgeld II Gesamtdeutsch mit besonderer Berücksichtigung Ost. Oder so ähnlich.

Diese Konzeptgruppe entschließt sich mutig erst einmal ein Anforderungsprofil zu erstellen. Damit gehen sie zur Softwareagentur und bitten um ein Angebot für diese Programmierung und geben denen einen Zeitrahmen (nur für das Angebot!) vor, der einem halbwegs fitten Programmierer wahrscheinlich noch sechs Wochen Urlaub auf den Seychellen bis zur Abgabe ermöglicht. Diese Agentur haut sich drei Wochen lang vor Freude auf die Oberschenkel, denn die fallen sowieso seit Monaten schon nicht mehr vor Lachen in den Schlaf.

Gleichzeitig wird die Konzeptgruppe Dokumentation angehalten, alle wirtschaftlichen, technischen und softwarebedingten Vorgänge genauestens zu dokumentieren, die von der Änderung betroffen sind. Die Konzeptgruppe Formular prüft welche weitreichenden Änderungen dieser Gesetzbeschluss auf die Formulargestaltung haben wird, denn die Spalte 'Neue Länder' fällt im Bescheidformular weg. Ein neues Formular alg2_bescheid v2 muß her. Das Formular alg2_änderungsbescheid v2 muß ebenfalls entstehen. Ein Konzeptgruppenleiter Formular trifft sich daraufhin mit Konzeptgruppenleitung PM SPS AG II-East-West und erklärt, bei den Veränderungen der Software müssen auch die Änderungen der Bescheide im Druck berücksichtigt werden. Konzeptionsgruppe PM SPS AG II-East-West überarbeitet daraufhin nochmals das Anforderungsprofil und reicht dieses eine Woche vor Abgabetermin 'Angebot alt' bei der Softwareagentur ein, deren Mitarbeiter zwischenzeitlich über blutige Oberschenkel klagen.

Die kleine Sondereinheit MD R AG II-East-West – ausgeschrieben Marketing Device Release AG II-East-West – aus der Konzeptgruppe Marketing entstanden – überlegt währenddessen in Zusammenarbeit mit der Abteilung Public Relations, welche Konsequenzen dieses Gesetz auf die Aussenwirkung der Agentur haben könnte. Während die neuen Informationen in Broschüren und Internetportal eingepflegt werden müssen, überlegt man zukunftsorientiert diese aktuellen Neuerungen auch dazu verwenden, ein noch neueres Logo entwickeln zu lassen, das in Ost und West Zuspruch finden wird. Die Presseabteilung formuliert eine Pressemitteilung, deren Inhalt darauf verweist, dass sich die Arbeitsagentur im Geschäftszweck, Wesen und Profil völlig neu definiert hat, da sie nun endlich Gesamtdeutsch agiert. Die Special Web Accessibility Service, also die eine Person, die für die barriefreie Präsentation der Informationen im Web zuständig ist, startet schon mal den PC mit 286er-Prozessor, um das Wordformular in Schriftgröße 16 zu formatieren. Neulich hat die gleiche Person von einem 'neueren' Browser namens Firefox gehört und schiebt nun Panik. Die Konzeptgruppe Employee Training Implementation AG II-East-West bereitet sich mit einer 300seitigen Dokumentation auf den Schulungsmarathon für die Mitarbeiter der Jobcenter vor…

Ich höre jetzt mal auf, das erträgt eh niemand…

Sehr zu empfehlen der Artikel zu Softwaremisere der Arbeitsagentur im aktuellen Spiegel. Bundeagenturchef Weise würde nun am liebsten eine Software für die Zentrale erstellen lassen, aber die wäre frühestens in zweieinhalb Jahren im Einsatz. Wer den Artikel liest, hat das Gefühl, die Bundesagentur für Arbeit waren die ersten Menschen auf diesem Planeten, die eine Software haben programmieren lassen. Im Jahr 2002 nach Christus.

Freut Euch auf demnächst, wenn es wieder heißt: Neues aus Agenturhausen Teil III.

9 comments:

Anonym hat gesagt…

zu viel text,
zu kompliziert,
das lese ich nicht!

Anonym hat gesagt…

da strafste dich nur selber, microbi... lesen lohnt sich - mir hats auf jeden fall gefallen....

Anonym hat gesagt…

Nagel voll op de Kopp dropp ;-)

LOL

Thomas

...wenn es nicht so traurig wäre. Grrrr

creezy hat gesagt…

Zu kompliziert? Nee!
Zu lang? Möglich, aber auch nur 2 x DinA4.
Das Problem ist, das es Leute wie Dich, die Steuern zahlen, leider viel zu wenig interessiert, wie dermassen unsinnig die Agentur Eure Gelder durch den Kamin bläst…

Anonym hat gesagt…

Ach Creezylein, was soll man da sagen: Ist in der freien Wirtschaft auch nicht viel besser, das erlebe ich jeden Tag mit meinen Kunden. Zuviele Idioten in gehobenen Positionen, zu blöd und zu unwissend, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und wenn's um Steuergelder geht – wen interessierts. Ist ja noch genug drin im Topf, laßt uns aus dem Vollen schöpfen.
Dumme Menschen in relaxter Atmo.

PS: Wir werden austerben. Nicht weil wir dumm sind. Nicht weil wir rücksichtslos, gerissen, grausam und gewalttätig sind. Sondern weil wir es nicht verdient haben ... sagt der hochfliegende Fellträger.

Anonym hat gesagt…

"Ich höre jetzt mal auf, das erträgt eh niemand…"

du sagst es ja selbst.
aber ich meinte die form, nicht den inhalt. in einem browser so langen text zu lesen, das ist mir zu anstrengend, nicht das thema selbst.
als kolumne in einer zeitschrift sehr gerne!
auf einem bildschirm klick ich das weg - da war ich nur ehrlich!

creezy hat gesagt…

"Ich höre jetzt mal auf, das erträgt eh niemand…"

'du sagst es ja selbst.'

das hat die Autorin auf den inhalt bezogen, nicht auf die Menge! ;-) Aber ein Tipp, falls ich mal wieder zu viel schreibe (habe da so eine Vorahnung): ausdrucken, lesen! ;-)

Ich helfe ja gerne… ;-)

Anonym hat gesagt…

reden wir aneinader vorbei?
deshalb schrieb ich doch:
"aber ich meinte die form, nicht den inhalt."
nein nein, ist das ne webseite oder ne printausgabe?
du scannst doch auch keine zeitung, und liest die dann am rechner!?
aber erinnere dich, ich hatte ja auch bei der fotowebseite mich verweigert,
weil ich fuer jedes bild scrollen musste.
ein kurzweiliger blog ist schoen,
bei so langen texten steig ich aus.
teil 1 hab ich noch gelesen, teil 2 nicht mehr.
aber das macht doch nichts, oder?

ich lass mir gerne helfen, aber an der richtigen stelle! ;-)

Anonym hat gesagt…

Herrlich zu lesen :-)
Und unglaublicherweise siehts in der sogenannten freien Wirtschaft aber ähnlich aus... Da werden Tagesätze mit IT-Beratung verbraten, da wundert einen dann gar nix mehr... 10% Umsetzung, 20% Planung, 70% sinnlose Meetings mit Leuten, die keinen Plan haben.

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