2016-08-09

Sonntägliche Freizeitgestaltung

Hat man Sonntags nichts Nennenswertes vor, kann man schlicht einfach nichts tun. Man kann aber auch sein Frühstücksbrötchen, das man quer teilen möchte, mit den rattenscharfen Brotmmesser von Sabatier nicht quer teilen, weil man dumm von der Kruste abrutscht und alternativ den kleinen Finger quer teilt. Kann man so machen. Kann man aber auch prima sein lassen – wäre meiner Erfahrung nach der Profitipp an Euch.

Man kann dann einen Blick auf den sich schnell erst mal blau färbenden Finger werfen und denken „Mist, das war jetzt wohl eher uncool", bis man schnell zum Küchentuch greift. Fast gleichzeitig mit dem ersten spritzenden Blut und mehrfache Fingerumwicklungsversuche ratz fatz durchblutet, so dass selbst die im Druck geübte und überhaupt in Angesichts von Blutmengen – selbst bei den eigenen – erstaunlich souveräne Ex-Arzthelferin leicht ins Grübeln kommt, ob sie aus der Nummer halbwegs gut alleine raus kommt.

Dass der Schnitt genäht werden muss, ist bereits auf dem ersten Blick klar. Der Schnitt geht deutlich tiefer als alles, was ich mir früher an Schnitten so zufügte, wäre aber von mir gerne auf den Montag verschoben worden. Denn Sonntag heißt Notaufnahme und wer will schon in die Notaufnahme solange der Kopf nicht unterm Arm hängt und das Herz noch tickt? (Die erste Idee, Omas Nähmaschine zu beauftragen – einfach nur, um mich in der Misere lustig zu stimmen – doch verworfen, weil Technik gar keine Blutbäder mag. Angeblich.)

Dann nach einer Stunde und diversen Blutstillversuchen und nun doch aus Trotz einem Frühstücksbrötchen (für'n Kreislauf, hilft ja nix) den Weg ins Krankenhaus angetreten. Man weiß ja nie, wie viel man von der roten Suppe in Reserve hat und überhaupt sieht so ein Schnitt eher gruselig aus als die Sorgen beruhigend und wenn man sich schon dem Unangenehmen fügen muss, kann man das ruhig gleich tun.

Der erste Spaziergang führt ins Urban-Krankenhaus. Das kennt man, es ist fußläufig zu erreichen und die Cafeteria ist gut bestückt, die Lage der Gäste-WCs ist auch bekannt. Dort stapeln sich allerdings die Patienten im Wartezimmer und es sind mir ein paar zu viele von den „auf Methadon-Turkey”-Freunden anwesend, die das Warten noch anstrengender machen als es eh schon ist. Also wieder rückwärts raus gegangen und das freundliche kleine Krankenhaus in Mitte heimgesucht, das mit den Nonnen am Empfang und der Heiligen Hedwig im Namen. Dort wartet tatsächlich nur ein Pärchen im Warteraum, nebst einigen vom Krankentransport angereichten Patienten in der Behandlung und ich bin schon nach nur 30 Minuten dran. Da hatte ich noch nicht mal das „Goldene Blatt”, „Neues Gold” und die Tageszeitungen als auch meine zwei in meiner Tasche befindlichen Bücher (die kluge Notaufnahme-Gängerin baut vor) noch gar nicht ausgelesen.

Dem freundlichen jungen Arzt erkläre ich mein dummes Tun und versichere ihm der Nähte würdig zu sein, den schließlich ist es mir mehr als peinlich solche Umstände zu machen, nur wegen so einem lapidaren Schnitt und dann noch auf einen Sonntag und überhaupt und … *seufz*

Der wickelt dann den Finger aus, der sich nach stundenlangem Hochhalten etwas zurück genommen hatte in seiner Rumbluterei (und wo zur Hölle ist die blaue Ersatzflüssigkeit, wenn man sie mal braucht?) und erklärt nach einem Blick auf das in Ober- und Unterhälfte lustig verschobene Ding: „Das muss genäht werden!” „Jo”, sage ich, ihn insgeheim für die von mir schon vor ca. anderthalb Stunden getroffene Diagnose bewundernd, „deswegen bin ich hier.”

Er geht dann raus und organisiert steriles Tuchmaterial und bestellt Nadeln und Garn. Was alles nicht so sexy klingt, denn schließlich bestellt er das für mich bzw. für meinen kleinen Finger, den ich jetzt kurzfristig gerne zur Adoption frei geben möchte. Als sie mit dem ganzen Kram zurück kommen, mich umbetten („Ach, ich halte das auch im Sitzen aus.” Aber die glauben einem ja nie.) und sich hübsch verpacken, dann das sterile Zeug auspacken, spielt im Hintergrund in einem Fernseher die Deutsche Nationalhymne. Und hey, mehr kann man von so einer blöden Situation nicht verlangen. Außer, dass der lustige Arzt zur Krankenschwester spricht: „Holen Sie mit bitte einen Mundschutz. Falls es spritzt.”

Die Ahnung, dass die große Spritze mit dem vielen Betäubungsmittel wohl in meiner Fingerkuppe landen wird, wird durch den in Rosé gefärbten Kanülenaufsatz auch nicht angenehmer und richtig, nachdem man meinen kleinen Finger hübsch in steriles Papiergut verpackt, während ich neben ihm auf dem Bett rumlümmele, macht der Arzt sich daran spitze Gegenstände rund um die Fingerkuppe meines kleinen Fingers zu spritzen, dann am Übergang zur Hand gefühlsarm zu legen – und ich … mag es einfach nicht. Meine Fingerkuppe mag es auch nicht. Aber hilft nichts. Wir sind hier nicht zum Spaß. Offensichtlich.

Ich denke an mir bekannte Menschen, die nicht mal Spritzen sehen können, geschweige denn gesetzt bekommen wollen. Denke an den kleine Großcousin, der diese Woche eine viel unangenehmere Krankenhausbehandlung erfahren wird als ich und versuche im Geiste für ihn besonders tapfer zu sein.

Dann fängt er an zu nähen und mein Finger fängt wieder an zu bluten. Die Krankenschwester tupft und er ordert weitere Nadeln und Fäden nach und arbeitet sich von rechts nach links außen, wo die Nadeleinstiche höllisch weh tun, gleichfalls das Knoten fest ziehen und im Grunde hätte er sich auch das Betäuben echt sparen können, weil ich eigentlich doch noch alles prima spüren durfte. Meine Freude als er mich fragt, ob das ein stumpfes Messer gewesen wäre, denn vorne seien die Nähte wieder ausgerissen (ich beschrieb am Anfang das Brotmesser mit Wellenschliff, das aus irgendeinem Grund im Arztbericht zu einem Cuttermesser wurde) und erkläre ihm die Methodik eines Wellenschliffes.

Na, wie dem auch sei. Man kann sich mit solchen Messern prima schneiden, muss dann aber im Nähvorgang damit rechnen, dass sich die ersten Nähte direkt wieder frei machen, wenn hinten fertig genäht und … ähem … die hinteren Nähte schon nicht mehr halten, wenn vorne zum zweiten Mal Nähte gestochen werden. Ich mache einen Witz wie: „Na dann vielleicht doch die Nähmaschine mit Zickzack-Stich nehmen” … aber dieser Arzt flickt mich lieber wieder weiter – anstatt meine blöden Witze angemessen zu honorieren. Mehr Kanülen in Fingerkuppen, mehr Nadeln in zerschnittene Finger, mehr elegant tapferes Ausatmen nach Kampfsportart im Moment des fröhlichen Schmerzes meinerseits, mehr Nähte, mehr Spaß.

Apropos Spaß, als ich mir das Schlachtfeld so angucke und zur Auflockerung der Situation scherzhaft anmerke: „Na wie gut, dass wir alle drei Blut sehen können.”, gucken ein Arzt und eine Krankenschwestern mich sofort in leichter Panik an. Ich finde, die reagieren etwas überzogen auf einen harmlosen Spruch und versichere ihnen etwaige Kreislaufaussetzer anders anzudeuten. (Alles Memmen.) Auch als ich, der Doc erzählt mir, ich solle in sieben bis zehn Tagen zu meinem Hausarzt, niedergelassenen Chirurgen, wer halt so Fäden entfernt – macht eine Pause in der ich schnell einfüge „also zum Tierarzt?” – gehen, findet er nicht annähernd so lustig wie ich. (Ich indes finde den Witz heute noch super und könnte mich beömmeln darüber.)

Ich bekomme nach gut einer Stunde Nähsession einen Verband, der sich erst mal ein paar Scheiben abschneiden hätte können von meinem eigenen, den ich mir vorher selbst angelegt hatte, erhalte einen Arztbrief in dem steht „linker Dig V: ventral 2 cm lange sichelförmige klaffende (klaffend trifft's echt gut) Wunde, ca. 0,5 cm proximal der Nagelspitze. Naht mit 5 adaptierenden Einzelknopfnähte.” Einzelknopfnähte – wie schön ist das denn? – sind dann aber beim Nachzählen doch sieben (plus vier zusätzliche) Nähte, ganz schön viel für so einen kleinen Finger. Und schwirre ab nach Hause mit leichten Suchterscheinungen eines Kaffeeentzuges im geschröpften Blutkreislauf.

Ach übrigens: Doktor Ross arbeitet gar nicht mehr in der Notaufnahme.

2016-08-03

Auch beim Bloggen gilt: selber nachdenken hilft!

Im Moment wird gerade Googles Blogdienst Blogger.com (also der Service bei dem dieses Blog gerade läuft) ein bisschen durch die mediale Welt als vermeintliches Untier geschliffen. Kurze Geschichte: Künstler publiziert seine Kunst in einem Blogger-Blog, haut ein ein paar Inhalte raus, die offensichtlich gegen die Veröffentlichungsrichtlinien des Blogservices verstoßen haben und irgendwann hat Google das Blog halt dicht gemacht.

1. Google spricht/mailt einen an, wenn das Unternehmen selbst oder Dritte Probleme mit Inhalten auf den Blogs hat und gibt Zeit bis zur Reaktion (im Zweifelsfall fordert Google auf Inhalte zu entfernen.) Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

2. Wer von seinen Bloginhalten, insbesondere wenn er meint, sie haben künstlerischen Wert, kein BackUp macht. Ja, sorry. Dem ist nun auch nicht zu helfen. Zumal 'nen Backup ziehen bei Google wirklich easypeasy ist, nämlich:

Beim Blog ins Dashboard -> Einstellungen -> Sonstiges -> Importieren/Sichern -> Sichern -> Auf PC sichern.

Schwer ne? Kommt übrigens eine .xml-Datei bei heraus, die sieht für mein Blog sehr gut aus. (Sollte man ab und an eben ziehen, nicht nur bei Blogger auch wenn man bei anderen Hostern unterwegs ist.)

3. Wenn ich mich mit meinen Inhalten als Schriftsteller definiere, wären diese Inhalten nicht generell unter eigener Domain und eigenem Server besser aufgehoben?

4. Nee, also so richtig mag ich hier nicht in das presseseitige Geheule mit einstimmen können.

Wenn man bei Google übrigens seinen Account löscht und somit alle von Google verwendeten Dienste mit abwählt, wie z. B. ein Blog, hält Google alle Daten noch sechs Wochen vor und informiert auch von Zeit zu Zeit darüber, dass es demnächst wirklich alles löschen wird.

2016-08-01

Wenn Menschen fragen …

thurweg schreibt im Blog „Demenz für Anfänger”, dass sie immer wieder gefragt würde, warum sie überhaupt bloggen würde und über die demente Oma schreiben würde. Und sie schreibt dann: Ich gebe mir bei dieser Frage Mühe, keinen Wutausbruch zu kriegen.

Das verstehe ich nun allerdings nicht, warum so eine Frage überhaupt ein Grund ist, einen Wutausbruch zu bekommen?

Viele Menschen verstehen die Welt des Bloggens und seine Technik nicht. Sie ist ihnen nicht nahe, um dieser Welt näher zu kommen, sie zu verstehen, fragen sie nach. Daran ist nichts Schlimmes, ganz im Gegenteil.

Vielen Menschen ist nicht verständlich, warum andere Menschen mit intimen Gedanken und Erleben in eine – für sie eventuell als so empfundene anonyme Welt – nach draußen gehen, sich mitteilen. Umso besser, wenn sie dann nachfragen und man ihnen es erläutern kann.

Ich hatte in der vergangenen Woche aus organisatorischen Gründen im neuen therapeutischen Treffpunkt (Ihr wisst schon, der PGL, Plan für Glück und Lebensfreude, hier Stichpunkt: Gesundheit) zwei Gesprächsstunden hintereinander. Und natürlich hatte ich davon erzählt, von dem Suizid, der mir so nahe gegangen ist, von meinem Text, der für mich ein Stück weit im Schreiben therapeutisch war – und vielleicht bei denen, die ihn gelesen haben, etwas bewegt hatte. Und so kamen wir auf dieses Bloggen, auf die Szene zu sprechen.

Wir sprachen (meine Gesprächspartnerin ist, was diese Medien anbelangt – wie sie selbst zugibt – ganz unbedarft) fast eine Stunde lang darüber, was dieses Bloggen für mich bedeutet, was ich damit erlebe, immer wieder. Wie gut es mir tut, Dinge, die mich bewegen in Wort und Bild rausfließen zu lassen. Wie mich Bestätigung weiter trägt, die Fürsorge, die einen in der Blogszene oft umfängt, das Verständnis. Die kleinsten Zeichen für Trost. Das Hinterfragen, das einen oft aus einer gedanklichen oder emotionalen Misere holen kann. Einfach weil jemand so zeigt, dass man da ist für den anderen und Interesse an dessen Wohlergehen hat. Wie sehr mir durch das Bloggen in allerdunkelsten Stunden geholfen wurde von mir völlig unbekannten (oder mittlerweile auch bekannten) tollen Menschen. Wie gut es tut, Zuspruch zu erfahren, wenn Menschen ihre Erfahrungen mit mir teilen, mir das Gefühl geben mit meinem Schmerz, meinen Sorgen – aber eben auch mit meinen Freuden – nicht alleine zu sein.

So traurig ich in dieses Gespräch gegangen bin, so anstrengend die zwei Stunden auch waren, so froh und wieder einmal in der Überzeugung reich beschenkt zu sein durch dieses „Bloggen” (und meinem Talent, die Dinge aufschreiben zu können) bin ich dann aus diesem Gespräch heraus gegangen. Manchmal nimmt man im Lesen, manchmal gibt man im Schreiben. Das ist die hohe schöne Kunst des Bloggens. Und mir ist dadurch wieder einmal klar geworden, wie reich beschenkt wir Blogger uns doch fühlen können. Ich war in diesem Moment jedenfalls sehr glücklich. Mir ist es wieder einmal klar geworden und dadurch einiges wieder leichter geworden.

Meine Gesprächspartnerin war im übrigen sehr fasziniert und positiv überrascht von dem, was ich ihr aus zehn Jahren Blogerfahrung erzählen konnte. Es sind ja auch die persönlichen Treffen, diese re:publicas, barcamps oder anderen Bloggertreffen, die uns so viel sozialen Halt geben. Echte, tiefe Freundschaften, die entstanden sind. Sie hatte verstanden, dass Bloggen eben keine reine virtuelle Sache bleiben muss.

Das kann nicht jeder verstehen. Wer dem Thema Blog nicht nahe steht, schon mal gar nicht. Noch einmal: Wie gut, wenn diese Personen nachfragen.

Es ist aber nun wirklich kein Grund deswegen wütend zu werden.

Liebe C.,

auch Dir ein sehr herzliches Dankeschön für das schöne Geschenk, es ist bereits angelesen!

Lieber H.P.,

vielen lieben Dank (auch im Namen von Tally) für die hilfreiche Spende!



(Ich hatte mich etwas erschrocken als abends um acht Uhr ein DHL-Mensch bei mir klingelte. Ich bin zu alt für so modernen Lieferservice.)

2016-07-31

Leave me alone please!

Nun könnte man natürlich entschuldigen, der Typ, der mir gestern früh über den halben Bahnhof vom U-Bahnhof Moritzplatz zu rief: „Ey, zieh doch mal Deinen Rock hoch!”, war voll auf Droge.

Wenn ich meinem ersten Impuls gefolgt wäre, nämlich dem Idioten einfach mal zwei Finger in die Augen zu stechen, hätte es wieder geheißen „Was denn? Darf man denn heute nicht mal mehr mit Frauen flirten?”

Nein, ein sexistischer Arsch will eben nicht nur spielen. Er will üblicherweise das andere Geschlecht bloß stellen, demütigen und verletzen. Nie auf seine eigenen Kosten.

2016-07-28

Gestern beim Tierarzt …

… die kleine bunte Katze hat mal wieder Magen. Kommen wir aus der Behandlung und warten auf die Rechnung, sitzt da eine Frau mit ihrem Hund im Wartezimmer, er groß, im radikalen Sommerschnitt, sonst Lockenansatz in Schwarz-Weiß. Ein Träumchen von einem Hund. Sie sitzt auf der Bank, er sitzt vor ihr. Guckt sie an. Und sie dirigiert ihn nur mit ihren Blicken in Richtung: „Sitz!”, „Platz!” Der Hund ist gut in Bewegung, sie spricht kein Wort und jedes Mal, wenn er ihren Blick richtig deutet und macht, was sie wollte, gibt's was aus der Tüte. (Es gibt oft was aus der Tüte.)

Tally und ich gucken ihr eine Weile zu. Sie ahnt die unausgesprochene Frage. (Mein Blick!) Und sie erklärt mir, das wären Sensibilisierungsübungen. (Ich denke so bei mir, das sind Wahnsinnsübungen 4.0.) Und antworte ihr dann nur trocken:

„Kenne ich. Kennen wir Katzenbesitzer auch. Sehr gut sogar. Das machen die Katzen immer mit uns. Also … uns angucken und wir reagieren.”

2016-07-27

Liebe K.

Herzlichen Dank für die unverhoffte so schöne Post heute! Ich habe mich sehr gefreut, auch weil's ein Herzenswunsch war – und wir nun 'nen Satz teilen! Merci!

Die Dumpheit des deutschen Politikers ist unermüdlich

„Waffenverkauf im Darknet": verbieten! „Umbau von sogenannten Theaterwaffen (ehemals scharfe Waffen für Film/Theater umgebaut zu nicht scharfen Waffen, im Darknet (oder sonst wo auf dem schwarzen Markt, ist ja nicht so als bräuchte man das Internet zwingend dafür) wieder zurück gebaut zur scharfen Waffe illegal verkauft”: verbieten!

Für all das gibt es bereits Verbote und Richtlinien (yep, sogar für den neumodischen Darknet-Kram). Werden nur nicht eingehalten, weil sie nicht kontrolliert bzw. Vergehen verfolgt werden können. Weil das Ermittlungspersonal fehlt. Weil den Ländern und Kommunen die Gelder fehlen für mehr Personal. Weswegen fehlten die Gelder für mehr Personal? Weil Politiker ihnen die Haushalte zusammen streichen auf Teufel komm raus.

Und was ist die Antwort vom Politiker, wenn seine Richtlinien nachweislich nicht befolgt werden?

Neue Richtlinien schaffen! Weil kann man ja wieder viele neue schicke AGs schaffen, die Richtlinien bewerten und befreundete Experten reinholen in den Politikersumpf, die dann als Experten prima Sitzungsgelder abzocken, die später dann wieder fehlen, wenn wir die Richtlinie einhalten wollen würden.

Ey, so ultimativ penibel wie deutsche Politiker können sich nicht mal Katzen in den Schwanz beißen. Naja, ist immerhin auch 'ne Kernkompetenz.

2016-07-26

Traurig

Gestern war ein trauriger Tag. Ein Mensch, einer dieser guten, so angenehmen Menschen, lange bekannt in unserer Bloggerszene, hatte für sich keine Kraft mehr aus seinem Leben die Kraft für sein Leben zu ziehen und ist gegangen. Mit einem Abschiedsbrief in seinem Blog formuliert. Meldung an die zuständige Behörde, die Suche, viele hoffnungsvolle gut gemeinte Tweets an ihn gerichtet, die er wohl längst nicht mehr lesen konnte. Mittags die traurige Gewissheit.

Zu den Tweets möchte ich später etwas schreiben. Generell zu dem, was man tun kann, begegnet man selbst der Situation nicht mehr zu können – oder begegnet man einem Menschen, der das von sich selbst sagt. Oder von dem man das unbestimmte Gefühl hat, er könne sich etwas antun. Simple praktische Tipps.

Der Text ist sehr lang. Sich vorher eine Tasse Kaffee zu holen, kann eine sinnvolle Maßnahme sein.

Suizide sind in Deutschland die häufigste nicht natürliche Todesursache. Also noch weit vor Autounfällen und Tötungsdelikten. Hierzulande sterben mehr Menschen in einem Jahr durch Selbsttötung als durch alle Verkehrsunfälle, AIDS, illegale Drogen und Gewalttaten in einem Jahr zusammen. Seit 2007 steigen hierzulande die Suizid-Zahlen wieder, aktuell liegen vom Statistischen Bundesamt die Zahlen bis zum Jahr 2013 vor. So starben 2013 10.076 Menschen durch einen Suizid ABER über 100.000 Menschen haben in dem gleichen Jahr einen Suizidversuch begangen. Wie immer bei solchen Zahlen, ja, es gibt noch eine Dunkelziffer.

Quelle: Suizidprävention Deutschland.

Suizide kündigen sich sehr oft an. Auch sehr oft sind sie vorher gar nicht spürbar für das Umfeld, nicht einmal zwingend für den Menschen, der selbst aus dem Leben scheiden wird. (Hinterher ist man meist schlauer.) In einem Moment in dem ein Mensch äußert, keine Hoffnung für sich und sein Leben zu sehen, nicht mehr zu können; vor allem einhergehend mit der Meinung, niemand könne ihm noch helfen – sollten Partner, Eltern, Freunde, Kollegen, Arbeitgeber sehr hellhörig werden. Je früher man hinhört, um so besser. Übrigens auch für einen selbst. Denn ein Suizid/Suizidversuch im eigenen sozialen Umfeld, das macht immer auch etwas mit einem selbst.

Das ist dann übrigens der Moment in dem man sich Sätze wie „Ach komm schon, ist nicht so schlimm. Jeder hat mal so dunkle Momente.” besser für sich behält. Alleine zum weiteren Aufbau des Vertrauens.

Suizidprävention ist möglich, sehr gut möglich mittlerweile – lässt man diese Menschen in ihrer Not nicht alleine. Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Person, wenn man so ein dummes Bauchgefühl hat, direkt fragt: „Muss ich mir Sorgen machen?” (Vorzugsweise stellt man die Frage im direkten Gespräch, Mimik erzählt hier nämlich viel.) Nicht wenige Menschen, die sich selbst töten, waren zwar vorher in ärztlicher Behandlung, sind dort nicht immer ehrlich zu sich selbst gewesen. Und deswegen sollte man diese Frage nicht lapidar nebenbei (am Telefon, im Chat) stellen. Diese Frage direkt zu stellen, die Person dabei lange anzugucken und ihr lange Zeit zum Antworten geben – sind gute Hilfsmittel, um jemanden dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie weit er gedanklich bereits einem möglichen Suizid ist. Womöglich beantwortet er diese Frage im zweiten Anlauf viel ehrlicher. (Patienten ist oft gar nicht selbst klar, wie weit fortgeschritten sie eventuell schon sind mit ihrem Wunsch nach Ruhe.) Und „Muss ich mir Sorgen machen?” ist eine Frage, die man im Prinzip nur mit „ja” oder „nein” beantworten könnte. Das tun aber die wenigsten Personen und deswegen liegen in der meist unbewusst gegebenen längeren Antwort sehr viele Informationen für den, der zuhört. (Der dann auch zuhören sollte und nicht selber reden sollte.)

Ja, die therapeutische Situation – liegen einem möglichen Suizid psychische Erkrankungen zu Grunde – in in Deutschland leider immer noch im Status Unterversorgung. Dennoch sind die Schwellen für Therapiezugänge gerade im akuten Bedarf deutlich niedriger gestaltet worden. Man bekommt in diesem Land Hilfe, nicht immer ganz leicht; daher ist es notwendig auf sich zu achten und sich frühzeitig um sich selbst bzw. den Betroffenen zu kümmern. So oder so gilt eines: vom Depressiven wird auch immer etwas eigener Aktionismus erwartet. Das ist natürlich wahnsinnig schwer – aber eben auch genau richtig.

Krankenkassen
Die meisten Krankenkassen kennen die Notsituation in der psychiatrischen Versorgung Deutschlands. Die kennen auch die Folgekosten, die vor allem durch missglückte Suizidversuche auf sie zukommen könnten. Sie haben daher ein sehr großes Interesse jemanden rechtzeitig in die für ihn notwendige Behandlung zu bringen. Wer also nicht weiß, wohin er sich wenden soll – für sich selbst oder Angehörige – wer im akuten Stadium gar nicht die Kraft hat x-viele Therapeuten anzurufen bzw. „abzuklappern”, kann sich an seine Krankenkasse wenden. Die allermeisten großen Krankenkassen haben hier bereits gut funktionierende Notsysteme für die Patienten installiert.

Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Als ich 2013 nicht mehr konnte – ich war im Vorfeld schon selbst aktiv auf der Suche nach einem Psychiater (meine Ärztin war verstorben) bzw. Therapiesuche (die dritte Therapeutin, bei der es gerade gut aussah, bekam mitten in unseren Vorgesprächen eine Krebsdiagnose und musste neuen Patienten absagen) – man kann sich gelegentlich nicht vorstellen, wie mies es laufen kann – war ich in einem hellen Moment sehr offen zu meiner Krankenkasse. Und ich kann nur sagen, dass die sich ab diesem Moment sehr um mich gekümmert haben. Ich bin angerufen worden. Ich habe eine persönliche Ansprechpartnerin bekommen, sehr geschult. Mir sind Angebote gemacht worden, dass man für mich einen Termin bei einem Arzt machen würde (die Kassen arbeiten da mit Ärzten zusammen, damit entfällt natürlich erst mal die „freie Arztwahl”), aber die sollte in so einem Moment auch nicht Priorität haben. Ich bin auf deren Krisendienste hingewiesen worden. Kurz: ich bin nicht alleine gelassen worden.

Aber dazu gehört, wie gesagt, Offenheit und Ehrlichkeit. Man muss sich eingestehen, dass man krank ist und man muss kommunizieren, dass man Hilfe benötigt. Das ist sehr anstrengend, aber die einzige Option, die man in dieser Krankheit hat. Und an dieser Stelle solle man sich selbst es wert sein und sich nicht von möglichen gesellschaftlichen Stigmata beeinflussen lassen! Dann bekommt man in diesem Land auch Hilfe. Und in einzelnen Fällen ist an dieser Stelle die eigene Krankenkasse womöglich sogar der bessere erste Ansprechpartner als der eigene Hausarzt sein muss – oder Angehörige und Freunde sein können. Wobei es natürlich sehr gut tut, wenn die einen dabei begleiten.

Natürlich heißt das längst nicht, dass man sofort einen Therapieplatz bekommt. Aber man ist zunächst von Profis aufgefangen, wird schon mal in regelmäßigen Gesprächen und – bei Bedarf (man wird hier nicht gezwungen) medikamentös – betreut. Denn …

Schlaf
… alleine vielleicht in den ersten Tagen einer sich neu andeutenden Phase der Erkrankung oder Krise einmal ein Präparat (das nicht abhängig macht) zu sich zu nehmen, das für einen gesunden Schlaf sorgt – das kann schon die Vorzeichen gerade bei einer akuten Depression von negativ auf wieder positiv drehen. Schlaf zu bekommen, ist sowas von die halbe Miete in einer Krise!

Und das ist mittlerweile das Erste, was ich heute für mich mache, wenn ich merke, ich steuere auf eine Krise zu: ich sorge für mich in dem ich für einen guten Schlaf sorge. Und ich weiß, ich kann diese Pillen auch sofort wieder weglassen, wenn ich selbst wieder in meinen Schlafrhythmus gefunden habe. Man muss heute vor einer Abhängigkeit keine Angst haben. Wenn man die hat, beim Arzt über diese Sorgen sprechen.

Ganz wichtig: deutet jemand an, bei dem ihr das Gefühl habt, dem geht es gerade psychisch nicht gut, er habe schon ganz lange nicht geschlafen, dann fragt bitte explizit danach, was das genau heißt. Denn, wenn jemand seit über 24 Stunden und mehr nicht die Augen zumachen konnte, dann ist das der direkte Einstieg in eine suizidale Krise. Hier als Freund, Partner etc. aktiv einsteigen (und vielleicht die Arschkarte ziehen, weil der Patient das nicht möchte) und einen Arzt rufen, ist jetzt wirklich oberste Pflicht!

Das Problem ist, dass ein Schlafmangel für Prozesse im Gehirn sorgen kann, aus denen wird sich der Patient jetzt nicht mehr selbst befreien werden können. Diese chemischen Vorgänge sorgen dafür, dass der Betroffene gar keinen Schlaf mehr findet, außer halt: sein Leben zu beenden. Dann nämlich hat er endlich die absolute Ruhe nach der er sich jetzt zwangsläufig – mehr als alles andere – sehnt. Also, wenn Ihr im Zusammenhang mit dem psychischen Zustand einer Person ein ungutes Bauchgefühl habt und sie von akutem und ungewöhnlich langem Schlafmangel berichtet, ab mit dieser Person zum Arzt! Und zwar: gleich! Nicht bis morgen oder auf schönes Wetter warten. Das muss jetzt wirklich nicht gleich ein Krankenhaus, die Krisenintervention sein. Davor haben viele Patienten Angst. Gerade solche, die sich womöglich ihrer Krankheit noch nicht stellen konnten und keine Erfahrungen haben – und für die die Krisenstation eines Krankenhauses gleichbedeutend mit weißen Jacken und geschlossenen Abteilungen ist. (Ist sie übrigens nicht.) Kümmert Euch jetzt! Auch wenn Ihr nicht selbst vor Ort seid, dann sorgt dafür, dass sich andere Menschen um diese Person aktiv kümmern. (Ich wäre übrigens in dem Punkt auch nicht mehr bereit, dass den Patienten entscheiden zu lassen. Ich würde selbst handeln. Depressive möchten oft keine Umstände machen und sagen dann gerne, es würde schon gehen. Denn alles was danach kommt, ist für sie eine Belastung – sie sind aber gerade hundemüde und können gar nicht mehr für sich entscheiden. Habt das bitte im Hinterkopf.)

• Bei normalen Praxisöffnungszeiten, geht ihr mit dieser Person zum Hausarzt oder Facharzt. Ihr lasst Euch nicht wegschicken! Ihr kommuniziert am Tresen einen Notfall. Vorrangig geht es erst einmal darum, dass diese Person sehr schnell Schlaf findet. (Blümchenpillen sind da übrigens gar nicht angebracht, liebe Freunde der Naturheilkunde. Oder gar medikamentöse Testläufe. Da ist der Stoff angebracht, der binnen von zehn Minuten für lange Stunden denjenigen zu Hause flach legt.)

• Außerhalb der normalen Öffnungszeiten ruft Ihr den ärztlichen Bereitschaftsdienst, die bundesweite Rufnummer ist: 116 117. Situation schildern, dann kommt jemand und setzt eine Injektion. Der Patient ist versorgt. Das hat für die Begleitperson den Vorteil, dass sie erst einmal in Ruhe und mit Hilfe des Arztes ein weiteres Vorgehen besprechen können. Allerdings, beim ärztlichen Bereitschaftsdienst kann es u. U. sehr lange dauern, bis er vor Ort eintrifft, daher:

• Ist die Person in ihrem Handeln einen Level weiter (z. B. mit psychotischen Anzeichen), ruft ihr 112. Den Notarzt. Auch hier geht es nicht darum, dass die Person zwangsläufig von diesem eingewiesen wird. Auch er kann entscheiden, dass es u. U. jetzt nur sinnvoll ist, den Patienten schlafen zu legen. Die Fälle in einer Krise sind sehr individuell und wenn eine Selbstgefährdung durch Schlaf im Grunde schon wieder ausgeschlossen werden kann, wird niemand zwangsweise mitgenommen. Nehmt im Vorfeld dem Patienten diese Sorge. Den Rest erledigt dann der Mediziner.

• Krisenstationen der Krankenhäuser – ja, wenn alles nichts geht und die Person für sich (bei Depressionen wirklich nur sehr sehr selten auch für andere) eine Gefahr zu sein scheint, ist die Aufnahme in einer solchen Station eine sehr gute Sache. Die einzig richtige Sache. Und ich kann nur jedem raten, auch wenn man in der Krise ist, für sich selbst zu sorgen und das selbst noch zu tun. Ins Taxi setzen und hinfahren oder selbst den Notarzt rufen. Die machen dort erst einmal nicht viel mehr, als für ein gutes Gespräch zu sorgen und z. B. für eine Ruhe- also Schlafmöglichkeit. Man muss nicht immer gleich zwangsweise über Nacht dort bleiben oder aber man kann, wenn man dort einmal richtig schlafen konnte, auch am nächsten Tag wieder gehen.

Ich weiß selbst, dass man vor der Krisenstation eines Krankenhauses große Angst hat. Für mich was das als Anlaufspunkt selber immer das Letzte. Diese Angst wurde mir aber in der Tagesklinik gänzlich genommen, denn mir wurde deutlich gemacht, dass die Selbsteinweisung längst nicht bedeutet dort für lange Zeit ohne eigenen Willen „eingesperrt” zu werden. Uns wurde verdeutlicht, dass wir z. B. bei Krisen am Wochenende, wenn die Tagesklinik nicht geöffnet hatte, dorthin gehen konnten – und keine Sorge haben mussten, nicht am nächsten Montag wieder am Tagesklinikprogramm teilnehmen zu können. Es geht lediglich darum in der Krise eine Anlaufstelle zu haben und versorgt zu werden – und das ist immer noch viel besser, als am nächsten Tag gar nicht mehr da zu sein. Ich musste zum Glück bisher nicht dort hin aber ich bin sicher, dass ich – und ich kann mich da gut einschätzen mittlerweile – ab einem bestimmten Status meiner Depression mich nicht verweigern würde, sondern lieber einen Tick früher dorthin gehe.

Ich hoffe, ich konnte klar machen, wie schwerwiegend bei einem Patienten eine Krise, durch Schlafmangel ausgelöst, werden kann und ihr in dem Fall Euch um Euch bzw. um die in Eurem Umfeld betroffene Person kümmert. Jemanden Schlaf zu bringen, ist eine ganz simple Sache – in diesem Land zu jeder Tageszeit möglich – und kann ganz viel verändern. Zum Guten!


MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum)
In jeder größeren Stadt gibt es heute mittlerweile Medizinische Versorgungszentren für unterschiedliche Fachrichtungen. Sie liegen aus historischen Gründen oft in der Nähe von Krankenhäusern, längst schon aber nicht immer. Sie wurden vom Gesetzgeber eingeführt, um Krankenhäusern auch ambulante Therapien zu ermöglichen, die dort tätigen Ärzte sind Angestellte des Krankenhauses, keine Freiberufler. Üblicherweise hat ein MVZ immer zwei übergreifende fachärztliche Richtungen, also z. B. Psychiatrie und Neurologie. In der DDR war das System als Poliklinik geläufig.

Der Vorteil von einem MVZ ist, dass sie im Grunde wie eine Notaufnahme im Krankenhaus arbeiten. Die Praxen sind zur üblichen Tageszeit geöffnet im Allgemeinen (es gibt jedoch keinen nächtlichen Notdienst) und sie nehmen Patienten, vor allem Akutpatienten, immer an! Also wer gerade nicht die Kraft hat, sich langwierig einen Psychiater zu suchen, kann sich an ein MVZ wenden. Entweder bekommt man dort wirklich sehr kurzfristig einen Termin (meiner Erfahrung nach binnen einer Woche) oder man ist morgens dort direkt vor Ort und kommt mit Wartezeit noch am selben Tag dran. Psychiatrische Praxen machen das, denn Krisen vom Patienten lassen sich halt nicht planen.

Ich selbst bin nach meinem Klinikaufenthalt in das MVZ vom Urban gegangen. Das hatte für mich den Vorteil, dass die Kommunikationswege meiner ehemaligen Therapeuten kurz waren. Nachdem aber vor anderthalb Jahren der psychiatrische Bereich im MVZ aufgelöst wurde, bin ich jetzt in Mitte in einem MVZ in Behandlung. Und fühle mich dort sehr gut aufgehoben und habe mir daher gar nicht mehr einen in einer Praxis niedergelassenen Psychiater gesucht. Dieses MVZ ist an einem Krankenhaus angeschlossen – ich weiß also, dass ich im Notfall dort in deren Krisenstation gehen könnte, muss da keine geographischen Berühungsängste haben – und kann auch alle anderen Angebote aus dem therapeutischen Umfeld des Krankenhauses bei Bedarf für mich in Anspruch nehmen.

Nehmt die MVZs bitte als mögliche Lösung im Fall einer Erkrankung und Krise in Anspruch! Sie sind deutlich leichter zugänglich als manche Praxis eines niedergelassenen Psychiaters.

Telefonseelsorge
Da wende ich mich direkt an betroffene Depressive: Wenn Ihr in der Krise seid und akut gehen wollt/müsst – was immer auch okay ist aber dummerweise eben ganz schnell auch so schrecklich final sein kann  – ruft vorher bei der Telefonseelsorge an:

0800/1110111 oder 0800/1110222*

*Jetzt wäre der ideale Moment sich diese Rufnummern in seinem Handy/Smartphone zu speichern. Dann hat man sie immer bei sich.

Ärzte, Verwandte, Partner und Freunde sind in Eurer Krise nicht immer für Euch erreichbar oder können nicht immer ein offenes Ohr haben. Oder Ihr möchtet gar nicht mit denen jetzt sprechen. Ist so. Aber dieser eine Telefonanruf bei der Seelsorge, den solltet Ihr Euch immer vorher noch einmal wert sein. Aus Gründen. Nur ein Gespräch führen – das muss zu keinen anderen Konsequenzen führen, wenn ihr nicht wollt. Es ist lediglich ein Angebot, dass jeder für sich in der Krise in Anspruch nehmen sollte. Die Seelsorge hat in einer Sache eine ganz große Kompetenz: sie kann Druck von Euch nehmen. Ohne Druck kann sich Euer Leben wieder ganz anders anfühlen. Nutzt diese Möglichkeit bitte für Euch.

Übrigens kann man sich und seinen Angehörigen das Versprechen geben, das immer noch einmal zu tun im dunkelsten Fall: diesen einen Anruf zu tätigen – vor dem anderen Schritt.

Sonstiges – Persönliches
Mir persönlich haben bisher in meinen akuten Krisen zwei Sätze geholfen, die mich vor finalen letalen Entscheidungen immer gut bewahrt haben. Der eine Satz kam von meiner (mittlerweile verstorbenen) Ärztin, die mir einmal vor langer Zeit sagte:

Niemand geht aus einem Suizidversuch hervor wie vorher.”

Damit sprach sie an, dass sehr viele Suizideversuche (Ihr erinnert Euch: Suizidversuche im Jahr um die 100.000, „erfolgreiche” nur 10.000) also gar nicht glücken und man oft dann mit physischen Schäden überlebt, die einen unter Umständen ein Leben lang begleiten und es noch weniger leichter machen. Ich habe verstanden, was sie mir damit sagen wollte, denn als meine Oma sich suizidierte (sie hatte sich erhängt), wurde sie noch lebend gefunden, reanimiert und verstarb erst Stunden später im Krankenhaus. Hätte sie überlebt, wäre sie den Rest ihres Lebens Komapatientin, mindestens aber ein Pflegefall gewesen. Ob man das für sich und seine Angehörigen möchte? Diese Entscheidung trifft man aber womöglich im Falle eines Falles. Deswegen finde ich diesen Satz sehr wertvoll. (Ich weiß aus Erfahrung, dass er bei mir wirkt.)

„Nur nicht heute.”

Kommt aus der Anonymen Alkoholiker-Bewegung, las ich vor ein paar Jahren in einem Buch. Es geht dort darum als Alkoholiker, wenn man in einer schweren Stunde vor dem Glas sitzt, nicht befinden muss, dass man für immer clean bleiben muss – was in einem schwachen Moment viel zu großen Druck aufbaut, dem man womöglich nicht stand halten kann. Sondern man bittet sich – nur jetzt in diesem einen schwachen Moment – das Vorhaben auf einen anderen Tag zu verschieben. Umgesetzt: Wenn man sich umbringen muss, kann man das immer noch tun, nur eben nicht jetzt, nicht heute.

Ich kann versichern, meine Krisen fühlten sich einen Tag später deutlich leichter an. (Natürlich habe ich mittlerweile gutes Instrumentarium in die Hand bekommen, mich in solchen Momenten um mich zu kümmern. Auch ohne Medikamente.) Es ist ein wirklich kleiner ganz toller Satz mit großem Potential. Es geht lediglich darum, nicht gleich heute zu gehen. Morgen ist auch noch ein Tag zum Sterben. Nehmt diesen Satz bitte herzlich gerne für Euch mit.


Stigma: Depression
Ja. Gibt es nach wie vor in unserer Gesellschaft. Habe ich auch keine wirklich Lösung dafür und für mich schon mal gar nicht. Ist ein sehr heikles großes Thema auch für mich. Dennoch: es sollte Euch nicht davon abhalten, frühzeitig, wenigstens rechtzeitig Hilfe zu holen. Mit einem Stigma kann man jedenfalls besser leben als mit einer Depression. Das Stigma ist in den Köpfen der anderen. Die Depression in Eurem eigenen.

Das ist aber ein großes weites Thema, das hier den eh schon gesprengten Rahmen noch mehr sprengen würde. Vielleicht schreibe ich darüber ein anderes Mal. Bis dahin könnt Ihr Eure Depression auch gerne Burnout nennen. Aber holt Euch bitte Hilfe! Und holt sie Euch nicht etwa nicht aus den falschen Gründen. Es ist scheißegal, was die anderen denken. (Pardon my french.)

Tweets
Da war gestern viel Hilflosigkeit in diesem Internet mit Bekanntwerden des Blogposts bis zur traurigen Gewissheit in der sich viele Menschen an diesen einen Menschen an seinen Twitteraccount gewendet haben. Natürlich immer sehr gut gemeint. Das ist eine ganz schwierige Sache, war eine schwere Situation für uns alle, verständlich – absolut. Aber einige dieser Tweets hätten bei diesem Menschen in seiner akuten Situation so unter Druck setzen können – den er in diesem Moment absolut nicht gebrauchen kann.

Ja: Die eigenen gut gemeinten Wünsche können einen in der Krise befindlichen depressiven Menschen unter noch mehr massiven Druck setzen! Bitte seid Euch dessen immer bewusst.

Ein Mensch, der Suizid begehen möchte, der kann nicht mehr. Der ist tieftraurig und energie- und kraftlos. Der ist der felsenfesten Überzeugung, sein Leben gar nicht mehr stemmen zu können. Er braucht unbedingte Ruhe, er erträgt sich und sein Leben nicht mehr. Formuliert an solche Menschen bitte keine Forderungen!

Wenn man so einem Menschen in diesem Moment beschäftigt mit Sätzen wie „Denke doch an Deine Frau, an Deine Kinder …”, so nachvollziehbar sie und die gute Absicht dahinter sind, sie sind in dem Moment Bullshit. Wer in einer Situation steckt, in der er für sein eigenes Leben und Weiterbestehen keine Verantwortung mehr tragen kann, diesen Menschen auf sein Verantwortungsbewusstsein Dritten gegenüber hinzuweisen, heißt ihm das letzte bisschen Luft zum Atmen zu nehmen. Womöglich befindet er sich gerade in dieser Depression, weil er überzeugt ist, seinem Partner, der Verantwortung den Kindern gegenüber nie mehr gerecht werden zu können? Dieser Mensch kann gerade nicht mehr! So einen Menschen muss man dort abholen, wo er sich gerade befindet: in seiner abgrundtiefen Müdigkeit, in seiner Ausweglosigkeit.

Macht Angebote: „Ich möchte gerne mit Dir sprechen.” „Ich möchte Dich verstehen.” „Ich möchte Dich gerne sehen.” Aber formuliert um Himmels willen niemals Forderungen! Von jemanden, der nicht mehr kann, noch etwas zu verlangen – das ist ja fast Beihilfe. (Wenn es richtig mies läuft, sorgt man mit „denke an …, was soll aus … werden?” womöglich dafür, dass aus einem Suizid ein erweiterter Suizid gemacht wird und Partner, die Kinder mitgenommen werden.) Bitte, das ist ein ganz heikles Thema. Da kann man mit viel gutem Willen ganz viel kaputt machen.

Versucht die Person in ein Gespräch zu holen, macht Offerten, die dieser Person keinen Energieaufwand oder Handeln abverlangen. Es ist etwas anderes, wenn man jemandem sagt, „Ruf da jetzt an!” oder das Angebot macht: „Du kannst, wenn Du möchtest, wenn es Dir möglich ist, bei der Telefonseelsorge anrufen. Ich gebe Dir jetzt die Nummer.” Letzteres ist ein Angebot und da hat die Person immer eine Option, es für sich abzulehnen – kein Druck. Aber „denke doch an Deine Lieben”, das ist Druck. Den braucht der suizidale Patient am allerwenigsten.

Und, sorry, Hashtags mit dem Namen einer Person, die ihren Suizid angekündigt haben? Grundgütiger Himmel! Bitte nicht!

• a) siehe vorherigen Satz: damit setzt man diese Menschen unter unfassbar gewaltigen Druck. Wenn ich in einer Krise bin und ich sehe – sollte ich noch in der Lage sein, Twitter zu verfolgen (was ja passieren kann, weil soziale Medien Krisen erst auslösen können) – was glaubt Ihr, was ich mit meiner zusätzlich empfundenen Scham dann noch anderes ausrichten kann als zu gehen? Da gibt es doch dann überhaupt keinen Morgen mehr danach. Und

• b) denkt bitte in solch einem Moment an die Angehörigen.

Zum Schluss, in eigener Sache, diese Methode auf Twitter Namen in Klammern zu setzen, weil man Mitleid oder Betroffenheit ausdrücken möchte, da ist durch die Häufung der Symbolik viel Schwarz. Mich erschrickt es immer und zieht es immer herunter, wenn ich das sehe. Mir hat das gestern stellenweise – sicher bin ich da sensibler als andere, my fault – ehrlich körperliche Schmerzen verursacht. Sie signalisieren die absolute Erwartung von etwas Negativem. Das ist nicht schön.

Ich habe sehr bewusst den Namen der wundervollen Person, die uns verlassen hat, nicht genannt und bitte das auch in den Kommentaren nicht zu tun, weil die Familie um Respekt seiner Person in den öffentlichen Medien gebeten hatte.

Diese Person hatte uns früher einmal aufgefordert, die Welt gemeinsam zu einem besseren Ort zu machen. Auch diese Internetwelt.

Ich hoffe, dieses Post ist mit ein kleiner Anfang dafür und in diesem seinen Sinn. Eine kleine Hilfestellung damit Ihr künftig aufmerksam durch Euer soziales Leben gehen könnt und rechtzeitig auf Euch selbst und andere Acht geben könnt. Wenn hier auch viel verallgemeinert dargestellt wird: natürlich sind Depressionen und die jeweiligen Krisen immer individuell bis sehr individuell. Eine Krise in einer manisch-depressiven Phase bedarf u. U. andere Hilfen. Gerade Jugendliche müssen im Anfang einer Behandlung, vor allem bei Medikamentengabe und dem Auflösen des Schlafdefizits sicherlich ganz anders betreut werden als ein Erwachsener.

Aber wenn Ihr ein blödes Gefühl im Magen habt angesichts einer Person: traut Euch. Sprecht sie an. Fragt relevante Fragen. Hört zu. Werdet lieber einmal zu früh aktiv als einmal zu spät. Und alle anderen: bleibt stark!

Telefonseelsorge
Notfallnummern bei Depressionen und psychiatrischen Krisen Deutschland bundesweit, Österreich und in der Schweiz
Ärztlicher Bereitschaftsdienst
Suizidprophylaxe – Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention
Speziell für Jugendliche: Jugend.Support

2016-07-25

Wenn Donald Duck nicht mal demnächst seinen Vornamen ändern lässt …

«Diese Menschen (Donald Trump und Boris Johnson) haben keine Persönlichkeit. Sie haben Haarschnitte. Hässliche Haarschnitte. Und wir fallen herein auf das Spiegelbild, das sie von sich selbst sehen - das Spiegelbild, das sie als kleine Götter zeigt.»

Laurie Penny feiert bei den Republikanern.

Psychologen halten Trump für eine außergewöhnlich narzisstische Persönlichkeit. Oder wie ein ehemaliger Freudn Trumps nach dessen Reaktion in einer persönlichen Krise beschreibt: „Er pisst Eiswasser.”

Clemens Wergin, Cleveland schreibt für die Welt und N24.

2016-07-23

Leseblumen

Wahrscheinlich beschränkt Anke Gröner überhaupt noch zu verlinken, da ich denke, sie führt das im deutschsprachigen Web meistgelesene Blog – also sie wird vermutlich eh von allen schon gelesen. Aber dieser Text ist sehr besonders: „Ich wundere mich nur – Sie gehen so selbstbewusst durch die Gegend, obwohl Sie so dick sind.”

Kitty Koma schrieb ihren ehrlichen Text „Körperpanzer” in Reaktion auf Ankes Post.

(Aus der Reihe: Interessant für mich: Ich kenne Anke Gröner ja auch en natura und treffe sie dann und wann auf der re:publica und nehme sie tatsächlich nie als „so” dick wahr.)

2016-07-22

Nervt nicht.

Vorhin spült die Facebook Timeline einen Artikel mir ins Gemüt, den diverse honore Facebook-Persönlichkeiten liken und sharen, als wäre es ein gesundes Stück Weisheit.

Ist er aber nicht. Im Gegenteil, er ist erstaunlich maulig, nervig und leider auch substanzlos.

Er disst Leute, die angeblich Leute dissen, die „Pokémon Go” spielen. Und ich bin mittlerweile maximal genervt von solchen überheblichen „Ihr Alten kapiert es halt nicht”-Artikeln.

Kurz: ich spiele „Pokémon Go” selbst nicht. Weil ich per se nicht so gerne spiele. Das hat vorrangig visuelle (optische) Gründe. Aber: ich kann mich absolut darüber freuen, wenn Leute damit ihren Spaß haben – und wenn sie weltweit gemeinsam damit ihren Spaß haben und irgendein StartUp damit reich und glücklich wird. Sehr schön! Spaß ist in diesen Zeiten wichtig.

Und: Ich habe bisher noch an keiner Stelle irgendwen über „Pokémon Go” meckern hören, noch irgendeine Kritik dazu zur Kenntnis genommen. Im Gegenteil, vornehmlich Stimmen, die am Effekt ihren Spaß haben. Manchmal Erstaunen – aber selbst über Unfälle im Einsatz beim Sammeln wird noch mit einem Augenzwinkern berichtet.

ABER: Ich nehme ständig Artikel oder Sprüche zu Kenntnis, die sich einen Affen einbilden und darüber schreiben, wir „Alten” hätten halt keine Ahnung von jungen dynamischen Webwelten und würden ständig sie und den aktuelle Pokémon-Hype dissen.

Nein, tun wir nicht.

Das ist ganz alleine eine Annahme von Euch, ein dummes Abgrenzen. Eine nicht real existierende Tatsachenverdrehung Eurerseits.

Meine alte Generation hat zwar Eure Personal Computer und das Internet zu dem gemacht, was es heute ist – aber das muss Euch ja nicht wirklich interessieren.

Wir sind die Generation, die Pac-Man, Tetris nächtelang durch gespielt haben. Die Generationen (vor meiner noch) haben uns sowas wie Mac OS und Windows noch in den einstelligen Versionsbereichen geschenkt. Wir also sind die Generation, die begonnen hatte mit Computern zu leben. Unserer Generation ist nichts ferner als das Wissen und die Erinnerung, wie geil Games sind; wir sind die Generation, die dafür gesorgt haben, dass man nicht alleine zu Hause spielen muss, sondern übers Internet spielen kann.

Merkt Ihr es? Und jetzt wollt Ihr uns erzählen, dass wir, die Alten, Euch nicht verstehen würden? Euch den Spaß nicht gönnen würden? Euch mit der Pokémon-Spielerei nicht ernst nehmen würden? Es tut mir total leid, Euch das sagen zu müssen: Ihr seid nichts Besonderes. Ihr seid nicht sonderlich hipp, nicht sonderlich klug, nicht sonderlich kreativ, nicht sonderlich innovativ. Ihr seid lediglich Leute, die erstaunlich in ihrer Anwendung reduzierte Technik bedienen könnt und damit im großen Stil Spaß habt. Euer iPhone ist lediglich ein bunter Nachfolger dessen, was mal Apples Newton hieß. Ihr spielt mit der nachfolgenden Technik für die wir schon vor 30 Jahren Software, auch Spiele, entwickelt – mindestens benutzt haben.

Und deswegen sollen wir Euch jetzt den Spaß neiden, den Ihr habt? Warum? Kann mir mal einer auch nur einen vernüftigen Grund nennen, warum wir das tun sollten? Ihr macht nix, was wir nicht schon gemacht haben! Das hieße doch unsere eigene coole Jugendzeit mit den Füßen zu treten – warum zur Hölle sollten wir das tun?

Übrigens hat meine alte Generation vor Jahren etwas gespielt, weltweit zu gleichen Zeit überall mit Hingabe und Leidenschaft, das hieß Zauberwürfel. War 'ne komplett analoge Nummer – war aber im Grund wirklich nichts anderes, als das was der Pokémon-Hype gerade ist. Irgendwelche begeisterte Fredies haben 'nen Gimmick weltweit zur gleichen Zeit begeistert bedient, unterwegs, überall – zu jeder Tages- und Nachtzeit und irgendeiner ist dadurch echt reich geworden und ja, die Medien haben damals auch darüber sachlich, unsachlich, begeistert, kritisch geschrieben.

Ihr seid weder besser noch schlechter noch hipper als wir. Ihr brauch nur Strom für Euren Spaß. That's it! Und nun geht bitte wieder spielen und hört auf uns Pseudomeckereien in den Mund zu legen.

tl;dr Der oben verlinkte und auf Facbeook wild gelikte und gesharte Artikel ist gar nicht so suppi.

Bauchschmerzen …

… bekomme ich, wenn ich an den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner denke. Da kommt noch was auf uns zu, das wird nicht lustig werden.

Im New Yorker spricht der Autor Tony Schwartz über seine Erfahrungen mit Donald Trump, als er als dessen Ghostwriter sein frühes Werk „The Art of the Deal” schrieb.

„Not long after the discussion of the party bills, Trump approached Schwartz about writing a sequel, for which Trump had been offered a seven-figure advance. This time, however, he offered Schwartz only a third of the profits. He pointed out that, because the advance was much bigger, the payout would be, too. But Schwartz said no. Feeling deeply alienated, he instead wrote a book called “What Really Matters,” about the search for meaning in life. After working with Trump, Schwartz writes, he felt a “gnawing emptiness” and became a “seeker,” longing to “be connected to something timeless and essential, more real.”

Sowas von lesenswert!

2016-07-21

Manchmal ist die Erbse …



… eine einfache Ikea-Decke.

2016-07-18

Einen schönen und guten Montag!

2016-07-17

Sportler de luxe …

Vor vielen Jahren ist einmal ein Ruderer in mein Leben getreten. Fortgeschritten, Olympia-Liga. Groß und stark wie ein Baum, ein Traum von einem Mann, dabei eine Stimme wie von Kermit. Interessant wie die Sockensammlung vom Özi. Am spannendsten fand ich an diesem Mann, wie ein Langweiler ernsthaft in der Werbung arbeiten konnte.

Er ist nach Hamburg gezogen, der Werbung zuliebe. Nicht immer weint man ihnen Tränen nach.

Erinnert heute hieran von der Frau Misanthropin.

2016-07-15

Düfte

Im Schlafzimmer riecht es leicht nach faulen Eiern, weil die kleine bunte Katze, Tally, heute morgen um drei auf ihr Katzenkissen als auch auch auf die Vorhänge kotzte, die ich jetzt aber nicht abnehmen kann, weil sie jetzt hinter und auf diesen Vorhängen ihren Schilddrüsentablettenrausch ausschläft.

(Aus der Reihe: Ihr kennt das.)

Menschen

Bei der Hebung des gesunkenen Flüchtlingsschiffes – beauftragt durch die italienische Regierung, nachdem die zuständige Staatsanwaltschaft von Catalania eine Hebung abgelehnt hatte, weil „nicht notwendig für die Ermittlungen, teuer und langwierig” – Anfang Juli ist man noch von ungefähr 300 ertrunkenen Geflüchteten im Wrack ausgegangen.

485 Menschen, das weiß man heute, sind es noch gewesen, die im Rumpf des Schiffes den Tod gefunden haben. Schiffe, die oft keinen Namen tragen, und daher leicht vergessen werden können, da sie nicht über ihren Namen mit dem Schreckens einer „Titanic” oder „Costa Concordia” verbunden werden können bzw. müssen.

In dieser Liste der weltweit gesunkenen Schiffe seit 2011 steht das Ungefährzeichen „≈” für die ungefähre Anzahl der zu Tode gekommenen Menschen auf der Flucht. Ungefähr, weil man die genaue Anzahl von Passagieren nicht kennt und weil man diese Schiffe nie bergen wird. Aus oben genannten Gründen. Es ist nicht wirtschaftlich vertretbar, es ist für die ermittelnden Behörden nicht von Relevanz. Man kann die Fälle nicht schnell abschließen. Das möchte man gerne, aus den Augen aus den Sinn.

Und irgendwo auf dieser Welt warten Menschen, Liebende, Verwandte auf eine Nachricht von diesen von ihnen vermissten Menschen. Sie werden nie endgültige Gewissheit erfahren. Sie werden nie beerdigen dürfen. Nie abschließen können.

Nicht jede Regierung hat das Rückgrat, wie die aktuelle italienische Regierung. (Womöglich hat die Regierung aus dem unfassbaren ersten Eintrag dieser Liste gelernt.)

Wie der italienische Regierungspräsident, Matteo Renzi, Mitte Mai 2015 in einem Interview sagte: „Ich will, dass die ganze Welt sieht, was geschehen ist. Es ist nicht akzeptabel, dass einige Leute weiterhin nach dem Motto 'aus den Augen, aus dem Sinn' handeln.”

Es liegt nun an uns, diesen 485 Menschen – und allen die nach ihnen gestorben sind und noch sterben werden auf diesem unsicheren Weg ihrer Flucht – ein Gewicht zu geben.

Unsere Regierung wird es ihnen nicht geben.

2016-07-13

Schnäppchen

Neulich an einer jungen Frau ein paar Schuhe gesehen, die mich schlicht geblendet hatten so schön fand ich die. Ganz unvermittelt. Schuhe á la Birkenstock, hellgrau glitzernd. Edel bis in die freiliegenden Zehenspitzen anzusehen. Noch nie habe ich so einen elegant wirkenden Fuß gesehen an dem eine Birkenstock-Sandale hing.

Kurz nachdem mir mein kleiner neidischer Golm, der noch bevor ich denken kann, wie immer zupolterte: „Warum die? Warum sind das ihre Schuhe? Wieso sind das nicht meine? Die würden mir viel besser stehen als ihr! Wie kann ich die Frau flink überfallen und ihr die Schuhe rauben, damit sie mein! mein! mein! sind? Die Welt ist so ungerecht. Die Frau ist doof. Die da, die hat MEINE Schuhe!”, ich wieder einen neutralen sinnvollen Gedanken formen konnte wie: „Frage die Frau einfach nett und freundlich, wo sie die Schuhe her hat.”, war sie schon wieder im Getümmel der undergründigen Bahnen verschwunden. Vielleicht war auch ich verschwunden, als Frau hat man nie ein gerechtes Gefühl für die vielen Kilometer, die man schon weitergelaufen ist, hat man so einen intensiven Schuhmoment.



Samstag schleiche ich durch die festlichen Hallen, die eine Friedrichstraße so zu bieten hat, lande bei Strauss Innovation und sehe dort ein paar Zehsandalen im Stil einer Birkenstocksandale. Rosa. Glitzernd. Aber auch Helblaugraugrisbleu (so bei näherem Hinsehen). Auch glitzernd. In Größe 41. Es ist DER Schuh! Ich herzkaspere ein wenig still vor mich hin, nehme die Schuhe mit in die Ankleidekabine, gemeinsam mit einem reduzierten Oberteil. Und probiere beides an. Die Schuhe sind so fürchterlich bequem und sollen statt der 20,— von mir aufgerundeten Euro nun noch 16,— von mir aufgerundete Euro kosten – und Passform, Schönheit und Preis erschrecken mich so sehr, dass … ich die Schuhe erst einmal wieder in das Regal zurück stelle. RISIKO!!! Denn es ist nur ein Paar noch in der Größe und Farbe da. Trotzdem, dieser stille Moment von vollkommenem Glück überfordert mich gerade.

Das Oberteil hatte mich im Spiegel so dermaßen meiner körperlichen Hässlichkeit, Unpässlichkeit und Untrainiertheit überzeugt, dass mich kurzfristig mein Selbsthass aus dem kaufenden Mode geworfen hatte.

Nun, ich verließ den Laden in Gedanken an DIE Schuhe mit einem „überlege es Dir noch mal” und widmete mich anderen Geschäften, die mich nicht mit fiesen Spiegeln obzön offensiv an meine eigene physische Vergänglichkeit erinnern wollten.

Keine einhundert Meter weiter befindet sich in einer Unterführung ein Birkenstock-Geschäft und ich stehe vor haargenau dem gleichen Schuh. Genauso geklebt wie der andere (hatte Birkenstoff die Sohlen nicht mal genäht?), gleiches Kunstleder, gleiche Schnalle, Pinöpel oben am Zehenhalter. Einziger Unterschied: Schnalle und Pinöpel gülden, statt silber wie am Strauss-Modell (wobei das Silber dem Schuh deutlich passend zum dezenten Silberglitter definitiv besser steht). Und keine Birkenstockprägung im Kunstleder (was für mich mehr Feature als Bug ist, denn ich hasse es Werbeträger zu sein). Preis allerdings: 55,— von mir aufgerundete Euro.

Da drehte ich auf dem Absatz um, ging zum günstigeren Modell zurück, das noch auf mich wartete und sprach „Ich wusste, Du würdest zurück kommen und mich in die große Weite Welt des Berliner Trottoirs entführen!”, kaufte es und trug es vorsichtig, innerlich im Schnäppchenglück leuchtend, heim.

Später am Tag trug ich die Schuhe und es machte mich schon ein bisschen irre, wie man eine Zehensandale anziehen kann, sie so ein grandioses Fußbett haben kann, so bequem sein kann und nirgends scheuern wollte. Daher meine Idee mich in anderen Filialen dieser Kette auf die Suche zu machen, ob ich nicht noch irgendwo ein gleiches Modell finden konnte. Denn ich mache das ganz gerne, wenn mich ein Schuh im Ausverkauf überzeugt: mehrere Paare kaufen. Dann muss ich mir in der künftigen Saison keinen Kopf machen, denn jedem modischen Trend laufe ich nun eh nicht mehr nach. Meine Sammlung von Schuhen, die ich nicht anziehe, weil sie nicht passen, braucht auch keinen Zuwachs mehr. Was mir passt, das habe ich gerne mehrmals. Ihr kennt das vielleicht noch von Omma: „Ein Paar für gut!”

So klapperte ich Montag diverse Filialen ab, fand aber das Modell in meiner Größe immer nur im Rosa, was halt nicht meine Farbe ist und übrigens längst nicht so edel wirkt, wie das Hellblaugraugrisbleu. Ich bin auch einfach keine erwachsene Filly Fee. Was soll ich tun?

Und in diesem Zusammenhang kam es also auch zu diesem kürzlich gebloggten Intermezzo.

Gestern wollte ich es also wissen, einerseits immer noch auf der Suche nach dem Schuh – andererseits wollte ich wissen, ob es wirklich ein Warenwirtschaftssystem 2016 gibt, das nicht filialübergreifend nach einem Schuhmodell suchen kann. Ich machte mich früh morgens auf den Weg nach Schöneberg, wissend von dort komme ich mit der S-Bahn prima zur Filiale nach Zehlendorf. Dass es noch eine in Steglitz gibt, hatte ich ganz verdrängt.

Die Sandalen standen da – nur nicht in meiner Größe. Ich ging mit einem Modell zur Kasse, wo mich eine sehr freundliche Verkäuferin aufklärte, dass man tatsächlich nicht mittels der Technik suchen könne, sie aber gerne für mich in einer Filiale anrufen könne, allerdings nur in einer, wenn es die dort nicht gäbe, müsste ich die anderen Filialen selbst anrufen. Dieses doch ganz anders sehr kundenorientierte Angebot nahm ich gerne an und als wir über mögliche Filialen sprachen, brachte sie diese in Steglitz auf den Plan. Dieser Empfehlung folgte ich gerne, nach Zehlendorf konnte ich so oder so noch fahren. Sie rief an, man hatte noch ein (!) Paar auf Lager und legte es an der Kasse für mich zurück. Ich stieg in den Bus, der mich fast vor die Tür führt und nahm glücklich mein zweites Paar (das für gut!) in Empfang.

Selbstverständlich bedankte ich mich bei beiden sehr serviceorientierten Verkäuferinnen mehr als überschwänglich. (Ich fürchte, der in Schöneberg hatte ich ein „Sie sind ein Schatz!” an den Kopf geworfen.)