2018-09-01

Gestern war Tag der Liebe. Und der Stinker.

Ich bin gestern U-Bahn gefahren. Das war gruselig und schön. Beides gleichzeitig. Gruselig … ich wohne an der U-Bahnlinie, die vom Wedding ins Neukölln führt, das sind – für Nichtberliner erklärt – beides Bezirke die ein gewissen Potential bieten im Berliner Gemeinschaftsleben. Während es in anderen Bezirken betont grün oder betont elitär zugeht, geht es in diesen beiden Bezirken bevorzugt rauh, von Drogen supportet und immer sehr bodenständig zu. Das bedeutet eben auch, dass auf die Linie gerne gedealt wird und man kann live beim Zusehen lernen, wie man sich auf einem U-Bahnhof den Schuss setzt. Beides möchte ich nicht empfehlen.

Dort, wo diese Dinge passieren, verfällt leider auch der Mensch. Und dort, wo der Mensch verfällt, ist dieser Mensch gezwungen um Geld zu betteln. Das tut er – nachvollziehbar – in der U-Bahn. Wenn ein Mensch verfällt, fängt er irgendwann an bei lebendigem Leib zu verwesen. Das riecht, was es sehr schwer macht, diese Menschen im geschlossenen Raum auszuhalten, bei allem Verständnis für deren Not und bei allem Mitleid.

Da mich solche Schicksale, der Hochsensibilität geschuldet, problemlos aus meiner Tagesform kicken können und prima zurückwerfen können in meinem hart erarbeiteten „mir geht's halbwegs gut”-Dasein, habe ich nun in der Maßnahme gelernt, solchen Dingen aus dem Weg zu gehen. Irgendwie. Das gelingt mir mittlerweile relativ gut, wenn ich nur sehe, bis jetzt. Aber es ist durchaus Luft nach oben. Kommt zum visuellen Effekt aber noch ein olfaktorischer, bin ich relativ flink schachmatt gesetzt. Ich habe da einfach ein echtes Problem, ich bin einerseits voller Mitleid für diese Menschen – aber ich kann sie nicht gut ertragen, weil sie mir meine Kraft ziehen und in Zustände katapultieren in denen ich nicht mehr sein möchte. Also blende ich aus, so gut es geht. Das geht nur bei halbwegs guter Tagesform. Oder indem ich fliehe.

Gestern kam so ein bekanntes Gesicht ausgerechnet den Moment die Treppe hinunter als die U-Bahn einfuhr, die ich nehmen wollte. Eine später zu nehmen, war keine Option, da der Takt vergleichsweise lang war zur nächsten. Und dann war es eine durchgehende Bahn. Da siehste dann immer die Leute nach vorne oder hinten fliehen, wenn der Freund zu steigt. Ihm Geld geben will niemand, weil man es in seiner Nähe einfach nicht aushält. Es ist eine so fürchterliche Misere. Wir leben in einer Gesellschaft in der Menschen öffentlich verfallen, während wir ihnen dabei zusehen. So fährste also U-Bahn und flüchtest nach vorne in der Hoffnung, er kommt Dir die nächsten zwei Stationen nicht zu nahe. Und Du siehst diese beiden Stationen die Menschen auf den Bahnhöfen nur noch fliehen. Und alles, einfach alles, tut Dir fürchterlich leid.

Bei meinem Rückweg hielt eine U-Bahn auf der gegenüberliegenden Seite, eine mit noch einzelnen Wagons. Da sprach der Fahrer durch die Anlage, die Fahrgäste mögen bitte nicht in den ersten Waggon einsteigen, weil es dort unerträglich riechen würde.

Ja.

Dafür am gleichen Bahnhof an der Stelle, wo man von einem Bahnsteig zu anderen bzw. in das darüber liegende Kaufhaus geht: Türen. Dergestalt, dass man sie aufhalten muss. Wir haben gestern aufgehalten, auch dergestalt, dass Menschen sogar relativ lange verweilten und die Tür hielten, bis die nächste Person heran gekommen war. Und diese Personen – das wird ja leider immer weniger in dieser Stadt – sie lächelten vor Freude und bedankten sich. Man war untereinander freundlich zueinander. Ein „Danke!” hören! Das war sehr schön.

All diese Dinge, sie liegen so eng beieinander!

2018-08-31

IFA 2018: GPO Retro

Ich denke, bei den Fotos erübrigt sich jeder Kommentar zu den hübschen kleinen Musikmachern im Retrolook – mit digitaler Technik. Als ich den GPO Retro-Stand entdeckt habe, hatten die Jungs gerade wohl eine Schaffenspause – insofern kann ich wenig Infos liefern. Aber gelegentlich reicht auch nur Angucken und glücklich grinsen.













Die Leute von likehifi.de hatten etwas mehr Glück als ich und konnten schon ein paar Infos zum Ghettoblaster erfahren.

Gedankensprünge

Aretha Franklin wird aufgebahrt in einem farbenfrohen Kleid mit dazu passenden High Heels und man hat ihr lässig die Beine übereinander geschlagen im Sarg. Diese eine Foto geht um die Welt und es gäbe sehr viel dazu zu sagen. Aus Sicht des Respekts vor der Künstlerin, die Sängerin war, weniger Tänzerin. Aus Sicht der Fotografie. Aus Sicht des Anstands. Aus vielerlei Sicht.

Kneife ich mir. Mich hat das Foto auf die Idee gebracht, dass immerhin eine Möglichkeit besteht, dass auch ich versterben werde (sehr sicher!) und eventuell Menschen auf die Idee kommen könnten, mich nach meinem Sterben nochmals ankleiden zu lassen (nicht sehr sicher!). Aber die Idee, man könnte mich mit Schuhen, die ich ein Leben lang nie sonderlich gerne getragen habe, weil ich immer der Typ barfuß war in einen Sarg legen, die behagt mir nicht. Möchte ich an dieser Stelle öffentlich feststellen.

Barfuß. Meinethalben mit roten Fußnägeln. Aber: barfuß bitte!

2018-08-30

Blog-Statistik

Ich ziehe hier nicht viele Infos über meine Blogzugriffe. Aber eines kann ich sagen, in keinem Jahr ist der Sommer so zu Buche geschlagen wie in diesem Jahr. Im Schnitt 50% weniger Zugriffe.

Aber ich finde das toll, denn es heißt, wie kehren wieder dahin zurück uns im Urlaub auf andere Dinge zu konzentrieren als auf dieses Internet. Schalten wieder richtig ab. Weiter so bitte!

2018-08-29

Retro-Heilbutt

Hattet Ihr neulich auch Skrei auf dem Teller? Dieser neue In-Fisch? Total nordisch exotisch?! Der nichts anderes ist als ein Kabeljau, der schon immer Kabeljau gewesen ist und auch immer Kabeljau bleiben wird? Der in Norwegen halt nur Skrei genannt wird und, um den Absatzmarkt zu erheitern, vor ein paar Jahren als Skrei, sogenannter „Winter-Kablejau” auf den Markt gebracht wurde – übrigens mit wirklich großem Erfolg? Dabei ist Winter-Kabeljau nichts anderes als „darf nur saisonal noch gefischt werden”, weil der Kabeljau schon weitestgehend als überfischt gilt.

Also nochmal: da sollte ein Fisch eigentlich nicht mehr gegessen werden und weil sich das herum gesprochen hat, dass man Kabeljau besser (wie viele andere Fische) nicht mehr kauft, wirft ihn die Industrie mit einer anderen Namenbezeichnung auf den Markt – und schon steigt der Absatz wieder.

Ja. So doof ist der Konsument.

Auch ein schönes Beispiel: Skyr. In der hiesigen Werbung wurde nie erklärt, was Skyr eigentlich ist. Aber hübsche, gesunde und aktiv wirkende Frauen mit nordischem Akzent (oder was die deutsche Werbeindustrie unter isländischem Akzent glaubt zu verstehen) essen in Werbespots Skyr und alle kaufen es.

Ist ein Frischkäse der Magerstufe. Hierzulande käme keiner auf die Idee Exquisa light oder Philadelphia light einfach so in sich hinein zu löffeln. Bei Skyr tun sie es.

Kytta. Die Salbe, die „nicht chemisch” ist. (Mir wurde heute übrigens in einem Facebook-Post erklärt, dass veganes Convenience Food aus dem Kühlregal eines Bio-Händlers nicht chemisch sei.) Was lernen die Leute eigentlich in deutschen Schulen? Chemisch bedeutet Stoffe in einen anderen Zustand zu verändern bzw. eine Verbindung mit anderen Stoffen einzugehen.

JEDE. VERDAMMTE. SALBE. IST. EIN. CHEMISCHES. PRODUKT.



Die machen mich langsam alle irre! Jetzt neu und extra für Euch neulich bei Karstadt (dem Kaufhaus das mit REWE im Lebensmittelhandel fusioniert): der Retro-Heilbutt. Nur echt mit ganz doll viel Trennungsplenk vor und nach dem Bindestrich (!) und auch jetzt – ganz neu: Fisch wird wieder hängend - geräuchert!

In der Industrie wird immer hängend geräuchert, weil man Abdrücke in der Fischhaut vermeiden will und das für die Temperaturverteilung die energetisch (somit betriebswirtschaftliche) günstigere Räuchervariante ist. Dieser Verkaufsattribut ist also vergleichsweise dämlich. Aber mit uns Konsumdeppen kann man es machen oder?

Ich danke Euch fürs Zuhören! Dieser Frust gärt tief in mir. Ab jetzt zähle ich runter von 50 bis 1, denn dann gibt es garantiert „hängend - geräucherten Neo - Skrei” – die Werbung glaubt an Euch!

2018-08-28

Gerne gelesen: Sophies Weinwelt



Neulich war ich im heiligen Kaufhaus in Berlin am Ernst-Reuter-Platz, manufactum, zum gucken und Brot einkaufen: Das Steinofenbrot von manufactum liebe ich sehr. So muss ein Graubrot schmecken!

Beim Rundgang durch den Laden fand ich auf einem Tisch liegend das Buch „Sophies Weinwelt – Was Frauen schon immer über Wein wisssen wollen”, geschrieben und selbst verlegt von der französischstämmigen Sophie Houdayer, in Frankreich ausgebildete Winzerin, heute in München im Weinhandel tätig und Schulungen rund um die gepresste Traube anbietend. Ich blätterte in dem Buch herum und war … sehr angetan. Dieses Buch wollte ich gerne lesen!

Ich setzte es zu Hause auf meine Wunschliste und ein liebevoller Geist schickte es mir prompt anonym zu! Genauso wie ich vermute auch eine ordentliche Futtergabe für die befellte kleine Freundin hier im Haus, ein herzliches: MERCI! (Von uns beiden.)

Sophies Weinwelt Anliegen ist es Menschen die Welt des Weines zu erklären, ganz losgelöst von irgendwelchem philosophischen Tara oder technischem abgehobenem Fachgeblubbere, dem sich männliche Weintrinker gerne hingeben. Houdayer bietet seit Jahren speziell Weinkurse für Frauen an: Ihre Expertise dazu wie gerade Frauen Wein entdecken, erleben und welche Fragen sie zum Thema haben, ist also naturgegeben.



„Welcher Wein steht mir am besten?
„Der, der dir gefällt!”
„Und welcher ist das …?”

Natürlich vermittelt Sophies Weinwelt nicht den passenden Wein zur vom Chirurgen frisch gefeilten Nase, um Optik mit Weinkonsum auf die Sprünge zu helfen, wie dieses Zitat aus dem Buch auch suggerieren könnte. Sophie Houdayer möchte insbesondere Frauen jeden Alters ein Selbstvertrauen vermitteln, die für sie richtigen Weine zu erkennen. Dazu gehört Verständnis und Wissen rund um den Wein, seiner Produktion und Präsentation. Egal wo frau als Weinkonsumentin gerade steht, holt das Buch die Genießerin mit Leichtigkeit, Eleganz und leidenschaftlichem Fachwissen – schwesterlich von Sophie mit uns geteilt – ab.

Nun höre ich aber auf mit diesem Frau/Mann-Ding, denn auch Männer fangen irgendwann erst an Wein zu entdecken und zu trinken – und für sie ist diese Literatur genauso zu empfehlen!

Aufgebaut ist das Buch in den einzelnen Kapiteln als Frage-Antwort-Dialog. Ständig wechselnde Frauennamen (und das, ehrlich gesagt, nervt mich doch etwas am Buch) stellen Fragen zum Wein, Sophie beantwortet diese. Nett gemeint – aber eine gemeinsame konstante Frauenrunde mit vier-fünf Frauen, deren Namen immer wiederkehren, hätten es auch getan. Unruhe im Buch. Braucht man nicht.



Die zehn Kapitel Wein & Wissen; … & Form, … Stil, Sprache, Alltag, Essen, Körper, Land, Seele sind liebevoll mit Fotos oder Illustrationen begleitet und werden mit einem Glossar und Weinführer rund abgeschlossen. Da wird nichts ausgelassen, ob erklärt wird, wie man Wein (und wo) schmeckt, man begegnet sehr unangenehmen Dingen wie „Teebeutel-Eichenchips”, die Wein auf möglichst günstige – das heißt schnelle – Weise vorgaukeln lassen, er sei im Barrique-Eichenfaß gereift. Es wird auf Intoleranzen eingegangen und erklärt was Wein im Stoffwechsel bewirkt; wann man Wein einlagert, wann nicht. Es wird über die Entwicklung von Wein in seiner Geschichte erzählt; über klassische Weine und die neuen Modernen; was Erde für den Wein im Anbau bewirkt und … kurz, da gibt es nichts, was man nicht über Wein lernt in diesem Buch.

Alleine die Information, dass Wein von jedem anders geschmeckt wird und sein Geschmackserleben von so vielen Faktoren abhängig ist, lässt mich künftig mit viel mehr Gelassenheit auch öffentlich befinden: „Dieser Wein schmeckt mir nicht!” (Egal wie exklusiv seine Hanglage war, die sich im Preis widerspiegelt.) Und das ist alles sehr liebevoll, pragmatisch einfach, professionell und mit viel Hingabe erzählt.



Ich, für meinen Teil, habe es genossen „Sophies Weinwelt” zu lesen. Es liest sich schnell und kurzweilig, das Buchformat – für Menschen, die Printvarianten noch gerne lesen – ist zum Mitnehmen gut geeignet. Man kann es problemlos einstecken, mitnehmen in die nächste gute Weinhandlung gehen und sagen: „Ich möchte das hier Beschriebene schmecken, lasst mich Wein verkosten!” Mitreden kann man nach dessen Lektüre allemal und – das ist die Hauptsache – man steht nie mehr ratlos vor einem Weinregal.

Das Buch ist ein tolles Geschenk für liebe Freundinnen und Freunde – vorrangig aber für die allerbeste Freundin im Leben: sich selbst!

Sophies Weinwelt – Was Frauen schon immer über Wein wissen wollten
Autorin: Sophie Houdayer
Verlag: Sophie Houdayer (Selbstverlag)
ISBN: ISBN978-3-00-054635-8
Preis: € 19,95

2018-08-27

Es gibt Senf, Baby!



„Du jibst wohl zu allet Dein' Senf zu!” Berlinerische Floskel an jemanden gerichtet, der eine eigene Meinung hat und diese gerne, nicht immer danach gefragt, in die Welt posaunt.

Bezüglich meiner Ernährungsgewohnheiten passt das auf mich sehr gut (bezüglich meiner Kommunikationsgewohnheiten vermutlich auch, selbstkritisch betrachtet). Ich mag Senf und ich habe gerne Senf als Sparringspartner beim Kochen an meiner Seite. Schon als Kind habe ich es geliebt, eine dicke Graubrotstulle fürstlich mit Senf bestrichen als Mittagessen zu mir zu nehmen. Ehrlich, wo andere Eltern verzweifelt auf drastisch schnell schwindende Inhalte im Nusscreme-Tiegel blickten, konnte meine Mutter für mich nie schnell genug Senf wieder herbei schaffen. Senfstulle war mein erklärtes Fastfood nach der Schule!

Das hat sich heute immer noch nicht verwachsen. Bei Hackfleischzubereitung, egal welcher Art, ist Senf meine Gottheit. Senfeier gehen immer, keine Salatvinaigrette ohne Senfsupport und generell verleiht die Messerspitze Senf, also eine sehr dezente Menge Senf (fast) jeder Sauce einen Hauch Vollendung. Ja, ich gebe zu – auch wenn ich mich da noch eine Weile nicht heran trauen werde – aber ich denke sogar über ein Senf-Eis-Rezept nach. Senf ist mein Ding! Und vor allem als Beilage zur heißen Wurst: sehr viel davon.

Ich habe keine Ahnung, warum es so lange gebraucht hatte bis ich – bei der Historie – auf die Idee kam, Senf selbst herzustellen. Obwohl hier in Berlin schon seit Jahren die Senf-StartUps aus dem Boden sprießen. Im vergangenen Jahr war es soweit: mein erster senfiger Selbstversuch – den ich als nicht gelungen betrachtet habe, weil das Grundrezept eine Menge Kurkuma vorsah, die ihm für meinem Geschmack überhaupt nicht gut tat. Aber gut Ding will Weile haben und mittlerweile bin ich zu einer ganz profunden Senfhexe heran gewachsen.



Senf selber ist ein Kreuzblütler und den gemeinen einjährigen Acker-Senf kennen wir als Unkrautpflanze alle. Er wächst hierzulande wild und an jedem Feldrand. Übrigens ist er als Pflanze im Erscheinungsbild dem Raps sehr nahestehend. Senf selber anzubauen, das ist keine Hexerei. Genügend Feuchte im kalkhaltigen Boden und etwas Sonne, dann gedeiht er munter vor sich hin. Man muss ihn nur solange stehen lassen bis die Schoten getrocknet sind, aber sie rechtzeitig ernten bevor sie aufgehen. Nur sollte man Senf immer im Wechsel anbauen, er beansprucht den Boden und gedeiht dort nicht gut in Folge.

Ansonsten ist die Pflanze sehr widerstandsfähig. Probiert auch ruhig mal ihre Blätter: klein geschnitten im Salat ist sie eine gute Würze. Und sie funktionieren auch als Pesto. Natürlich kann man Senfsaat auch prima als Sprossen ziehen. Neben seinen schmackhaften Eigenschaften gilt Senf auch als probates Heilmittel: Umschläge aus Senfpaste sind für alle Leiden, denen Hitze förderlich ist, eine gute Unterstützung. Senf-Brei soll bei Wunden, Ausschlägen und Flechten gute Dinge tun. Für Verspannungen sind Senfumschläge sinnvoll, bei Entzündungen eher nicht. Und zur Anregung des Stoffwechsels empfiehlt sich ein Senfbad.

Die Senfsaat lässt sich gut verwenden – entweder im Ganzen als Gewürzmittel. Oder gemahlen als Senfpulver bzw. daraus zubereitet die Senfpasten pur und mit allen möglichen feinen Zutaten. Grober Senf ist nichts anderes als Senfpulver zusammen mit nicht ganz fein gemahlenem Senf zubereitet.

Das Senfkorn an sich solo verkostet tut nicht viel. Aber sobald das Korn zu Mehl gemahlen wird (mörsern per Hand oder im Mixer) kommt aus physikalischen Gründen Hitze in die Sache und die verändert das Korn zu einem aufgeweckten scharfen Ding. Daher, wer viel Wert legt auf echte Senfschärfe röstet Senfkörner vor dem Mörsern leicht in der Pfanne. Wer ihn aber lieber weniger scharf mag, sieht besser zu beim Zerstoßen mit viel Ruhe und Muße an die Sache zu gehen. Auch bei der Zerstörung im Mixer lieber nur kurz mixen und zwischendurch der Sache einige Minuten Pause zum Abkühlen geben.

Selbst gemachter Senf ist aber immer viel intensiver im Geschmack und in der Schärfe als der Senf, den wir aus der industriellen Produkten kennen – da wird viel gestreckt. Leider. Für unseren Geschmack, der am industriellem Senf genormt ist, wird frisch zubereitet immer erst zu scharf und intensiv schmecken. Ansonsten gibt es weißen (gelben) Senf und schwarzen Senf. Letzterer ist die besondere Mitzutat vom Dijon Senf, er ist hierzulande aber in Geschäften eher nicht zu bekommen, sollte aber in Apotheken bestellt werden können. Schon den normalen Senf in hiesigen Supermärkten einzukaufen, wird zunehmend um Glücksspiel. Der Biomarkt hingegen ist hier Dein zuverlässiger Freund.

Für die Zubereitung von Senf gelten die „drei S” als Mittel aller Dinge: Süße (Zucker), Säure (Essig), Salz – um eine ausgewogene Senfpaste zu kreieren. Natürlich Wasser und etwas Öl, um die Masse in einen schönen homogenen Zustand zu verwandeln. Gerade bei den Dingen wie Essig und dem Öl sollte man auf Qualität achten, der Essig darf ein milder sein, zu hohe Essigsäure tritt mit der Senfschärfe in Konkurrenz. Das tut nicht gut. 5% Essigsäure sind die Grenze. Ein feiner heller Balsamico oder ein milder Apfelessig sind dem Senf gute Freunde. Und ein feines Öl runden den Geschmack schon im Entstehungsprozess gut ab. Nehmt ein Öl, das nicht zum ranzig werden neigt: Senf ist sehr lange haltbar. Da wäre Öl, das früh umschlägt (z. B. Walnussöl) kontraproduktiv. Mein Grundrezept:


Zutaten

100g Senfkörner (alternativ kann man gleich Senfmehl nehmen, so man es bekommt.)
75 ml Säure also milder Essig oder Zitronensaft (Essig lieber unterhalb 5%iger Säure, gibt es kaum noch im Handel – ich bevorzuge milden weißen Balsamico)
1 EL Salz
1 EL Süße (Zucker, Honig, Sirup)
75 ml Wasser (alternativ Wein)
1-2 Esslöffel Öl als Geschmacksträger und zum emulgieren (geschmacksneutrales Öl verwenden: ich mag kaltgepresstes Rapsöl, weil es haltbar ist und ein bisschen nussig schmeckt aber weniger Eigengeschmack mitbringt als z. B. Olivenöl)

Einmachgläser (sehr kleine, ca. 50-60 ml, ca. 4-6 Stück)

Und je nachdem, ob man den Senf weiter zubereiten möchte, Zutaten nach Gusto – hier zwei Rezepte für Feigensenf (jetzt ist Saison!) und Orangen-Mohn-Senf. Die oberen Senfmengen sind allerdings nur für eines der nachfolgenden Rezepte berechnet. Wer beide machen möchte, bitte die oben aufgeführten Grundzutaten verdoppeln!

300 g frische Feigen
100 g Zucker

2 Orangen, von beiden Orangen der Saft, von einer Orange der Abrieb
100 g gemahlener Mohn
3 Esslöffel flüssiger Honig


Zubereitung



Ich mörsere ehrlich gesagt nicht. Senfsaat, Essig, Salz, Zucker, Wasser und Öl gebe ich zusammen in den Vitamix und lasse diesen sein zerstörerisches Werk tun. Allerdings nach und nach. Mit vielen Pausen dazwischen, damit die Masse nicht warm werden kann. Für feinen Senf mixt man länger, für groben Senf einfach rechtzeitig aufhören, wenn die Masse den persönlich wertgeschätzten Zustand erreicht hat.



Diese Masse sollte nun in einem Gefäß ca. 24 h bei Zimmertemperatur reifen (fermentieren) dürfen. Es ist egal, wann ihr den Senf weiter verarbeitet. Nach den 24 Stunden kann er im Kühlschrank gut verschlossen nahezu unbegrenzt lagern. Jetzt abschmecken und falls er nicht weiter verarbeitet wird, kann er nun mit Zugabe von Wasser in seiner Konsistenz weicher (flüssiger) und seine Schärfe etwas gemildert werden. Mehr Öl nimmt auch Schärfe. Werden später noch flüssige Zutaten beigemengt, achtet darauf ihn jetzt nicht zu flüssig zu mixen!


Feigensenf



Die frischen Feigen waschen, den Strunk und unteren Ansatz entfernen und mit Schale in sehr kleine Stücke würfeln. Mit dem Zucker aufsetzen zum Kochen bringen und gut zu einer feinen Masse einköcheln lassen. Notfalls pürieren und abkühlen lassen. (Wer die Menge heiß zum Senf gibt, treibt dessen Schärfe wieder an.) Wenn die Feigenpaste kalt geworden ist, wird sie unter den Senf gerührt und mit Pfeffer ggfs. Salz abgeschmeckt. Ein Löffelchen Honig passt hier auch sehr gut! In die Gläser abfüllen und sich selbst oder anderen Menschen Freude bereiten.


Orangen-Mohn-Senf



Das ist mein persönlicher Favorit! Mein Lieblingssenf für Käse bzw. als Krönung einer jeden Salatvinaigrette! Von einer Orange den Abrieb der Schale nehmen, beide Orangen auspressen. Den Saft und Abrieb mit dem Honig aufsetzen und zu einem dickflüssigen Sirup einkochen lassen. Das dauert etwas – riecht aber die gesamte Zeit über schon königlich! Auskühlen lassen. Am Ende den gemahlenen Mohn und den Orangen-Honig-Sirup unter den Senf rühren. Wieder abschmecken mit Pfeffer. Ist die Orange zu dominant, kann man noch einen Löffel Honig zum Ausgleich kalt unterheben. Sehr gut passt hier noch wenig (!) aromatischer Rosmarin. Ist die Masse zu fest, darf noch etwas Wasser dazu gegeben werden. Und abfüllen.



Der Senf hält sich in sterilisierten Gläser gut verschlossen lim Vorratsregal ewig und mit sauberem Besteck entnommen über Jahre auch im Kühlschrank – falls er solange überhaupt überlebt.

P.S. Da ich mich heute bemerkenswert untalentiert und unmotiviert beim Fotografieren angestellt habe, habe ich zu meiner eigenen Strafe beschlossen hier nur die allerübelsten Fotos davon zu posten. Strafe muss sein!