2018-08-27

Es gibt Senf, Baby!



„Du jibst wohl zu allet Dein' Senf zu!” Berlinerische Floskel an jemanden gerichtet, der eine eigene Meinung hat und diese gerne, nicht immer danach gefragt, in die Welt posaunt.

Bezüglich meiner Ernährungsgewohnheiten passt das auf mich sehr gut (bezüglich meiner Kommunikationsgewohnheiten vermutlich auch, selbstkritisch betrachtet). Ich mag Senf und ich habe gerne Senf als Sparringspartner beim Kochen an meiner Seite. Schon als Kind habe ich es geliebt, eine dicke Graubrotstulle fürstlich mit Senf bestrichen als Mittagessen zu mir zu nehmen. Ehrlich, wo andere Eltern verzweifelt auf drastisch schnell schwindende Inhalte im Nusscreme-Tiegel blickten, konnte meine Mutter für mich nie schnell genug Senf wieder herbei schaffen. Senfstulle war mein erklärtes Fastfood nach der Schule!

Das hat sich heute immer noch nicht verwachsen. Bei Hackfleischzubereitung, egal welcher Art, ist Senf meine Gottheit. Senfeier gehen immer, keine Salatvinaigrette ohne Senfsupport und generell verleiht die Messerspitze Senf, also eine sehr dezente Menge Senf (fast) jeder Sauce einen Hauch Vollendung. Ja, ich gebe zu – auch wenn ich mich da noch eine Weile nicht heran trauen werde – aber ich denke sogar über ein Senf-Eis-Rezept nach. Senf ist mein Ding! Und vor allem als Beilage zur heißen Wurst: sehr viel davon.

Ich habe keine Ahnung, warum es so lange gebraucht hatte bis ich – bei der Historie – auf die Idee kam, Senf selbst herzustellen. Obwohl hier in Berlin schon seit Jahren die Senf-StartUps aus dem Boden sprießen. Im vergangenen Jahr war es soweit: mein erster senfiger Selbstversuch – den ich als nicht gelungen betrachtet habe, weil das Grundrezept eine Menge Kurkuma vorsah, die ihm für meinem Geschmack überhaupt nicht gut tat. Aber gut Ding will Weile haben und mittlerweile bin ich zu einer ganz profunden Senfhexe heran gewachsen.



Senf selber ist ein Kreuzblütler und den gemeinen einjährigen Acker-Senf kennen wir als Unkrautpflanze alle. Er wächst hierzulande wild und an jedem Feldrand. Übrigens ist er als Pflanze im Erscheinungsbild dem Raps sehr nahestehend. Senf selber anzubauen, das ist keine Hexerei. Genügend Feuchte im kalkhaltigen Boden und etwas Sonne, dann gedeiht er munter vor sich hin. Man muss ihn nur solange stehen lassen bis die Schoten getrocknet sind, aber sie rechtzeitig ernten bevor sie aufgehen. Nur sollte man Senf immer im Wechsel anbauen, er beansprucht den Boden und gedeiht dort nicht gut in Folge.

Ansonsten ist die Pflanze sehr widerstandsfähig. Probiert auch ruhig mal ihre Blätter: klein geschnitten im Salat ist sie eine gute Würze. Und sie funktionieren auch als Pesto. Natürlich kann man Senfsaat auch prima als Sprossen ziehen. Neben seinen schmackhaften Eigenschaften gilt Senf auch als probates Heilmittel: Umschläge aus Senfpaste sind für alle Leiden, denen Hitze förderlich ist, eine gute Unterstützung. Senf-Brei soll bei Wunden, Ausschlägen und Flechten gute Dinge tun. Für Verspannungen sind Senfumschläge sinnvoll, bei Entzündungen eher nicht. Und zur Anregung des Stoffwechsels empfiehlt sich ein Senfbad.

Die Senfsaat lässt sich gut verwenden – entweder im Ganzen als Gewürzmittel. Oder gemahlen als Senfpulver bzw. daraus zubereitet die Senfpasten pur und mit allen möglichen feinen Zutaten. Grober Senf ist nichts anderes als Senfpulver zusammen mit nicht ganz fein gemahlenem Senf zubereitet.

Das Senfkorn an sich solo verkostet tut nicht viel. Aber sobald das Korn zu Mehl gemahlen wird (mörsern per Hand oder im Mixer) kommt aus physikalischen Gründen Hitze in die Sache und die verändert das Korn zu einem aufgeweckten scharfen Ding. Daher, wer viel Wert legt auf echte Senfschärfe röstet Senfkörner vor dem Mörsern leicht in der Pfanne. Wer ihn aber lieber weniger scharf mag, sieht besser zu beim Zerstoßen mit viel Ruhe und Muße an die Sache zu gehen. Auch bei der Zerstörung im Mixer lieber nur kurz mixen und zwischendurch der Sache einige Minuten Pause zum Abkühlen geben.

Selbst gemachter Senf ist aber immer viel intensiver im Geschmack und in der Schärfe als der Senf, den wir aus der industriellen Produkten kennen – da wird viel gestreckt. Leider. Für unseren Geschmack, der am industriellem Senf genormt ist, wird frisch zubereitet immer erst zu scharf und intensiv schmecken. Ansonsten gibt es weißen (gelben) Senf und schwarzen Senf. Letzterer ist die besondere Mitzutat vom Dijon Senf, er ist hierzulande aber in Geschäften eher nicht zu bekommen, sollte aber in Apotheken bestellt werden können. Schon den normalen Senf in hiesigen Supermärkten einzukaufen, wird zunehmend um Glücksspiel. Der Biomarkt hingegen ist hier Dein zuverlässiger Freund.

Für die Zubereitung von Senf gelten die „drei S” als Mittel aller Dinge: Süße (Zucker), Säure (Essig), Salz – um eine ausgewogene Senfpaste zu kreieren. Natürlich Wasser und etwas Öl, um die Masse in einen schönen homogenen Zustand zu verwandeln. Gerade bei den Dingen wie Essig und dem Öl sollte man auf Qualität achten, der Essig darf ein milder sein, zu hohe Essigsäure tritt mit der Senfschärfe in Konkurrenz. Das tut nicht gut. 5% Essigsäure sind die Grenze. Ein feiner heller Balsamico oder ein milder Apfelessig sind dem Senf gute Freunde. Und ein feines Öl runden den Geschmack schon im Entstehungsprozess gut ab. Nehmt ein Öl, das nicht zum ranzig werden neigt: Senf ist sehr lange haltbar. Da wäre Öl, das früh umschlägt (z. B. Walnussöl) kontraproduktiv. Mein Grundrezept:


Zutaten

100g Senfkörner (alternativ kann man gleich Senfmehl nehmen, so man es bekommt.)
75 ml Säure also milder Essig oder Zitronensaft (Essig lieber unterhalb 5%iger Säure, gibt es kaum noch im Handel – ich bevorzuge milden weißen Balsamico)
1 EL Salz
1 EL Süße (Zucker, Honig, Sirup)
75 ml Wasser (alternativ Wein)
1-2 Esslöffel Öl als Geschmacksträger und zum emulgieren (geschmacksneutrales Öl verwenden: ich mag kaltgepresstes Rapsöl, weil es haltbar ist und ein bisschen nussig schmeckt aber weniger Eigengeschmack mitbringt als z. B. Olivenöl)

Einmachgläser (sehr kleine, ca. 50-60 ml, ca. 4-6 Stück)

Und je nachdem, ob man den Senf weiter zubereiten möchte, Zutaten nach Gusto – hier zwei Rezepte für Feigensenf (jetzt ist Saison!) und Orangen-Mohn-Senf. Die oberen Senfmengen sind allerdings nur für eines der nachfolgenden Rezepte berechnet. Wer beide machen möchte, bitte die oben aufgeführten Grundzutaten verdoppeln!

300 g frische Feigen
100 g Zucker

2 Orangen, von beiden Orangen der Saft, von einer Orange der Abrieb
100 g gemahlener Mohn
3 Esslöffel flüssiger Honig


Zubereitung



Ich mörsere ehrlich gesagt nicht. Senfsaat, Essig, Salz, Zucker, Wasser und Öl gebe ich zusammen in den Vitamix und lasse diesen sein zerstörerisches Werk tun. Allerdings nach und nach. Mit vielen Pausen dazwischen, damit die Masse nicht warm werden kann. Für feinen Senf mixt man länger, für groben Senf einfach rechtzeitig aufhören, wenn die Masse den persönlich wertgeschätzten Zustand erreicht hat.



Diese Masse sollte nun in einem Gefäß ca. 24 h bei Zimmertemperatur reifen (fermentieren) dürfen. Es ist egal, wann ihr den Senf weiter verarbeitet. Nach den 24 Stunden kann er im Kühlschrank gut verschlossen nahezu unbegrenzt lagern. Jetzt abschmecken und falls er nicht weiter verarbeitet wird, kann er nun mit Zugabe von Wasser in seiner Konsistenz weicher (flüssiger) und seine Schärfe etwas gemildert werden. Mehr Öl nimmt auch Schärfe. Werden später noch flüssige Zutaten beigemengt, achtet darauf ihn jetzt nicht zu flüssig zu mixen!


Feigensenf



Die frischen Feigen waschen, den Strunk und unteren Ansatz entfernen und mit Schale in sehr kleine Stücke würfeln. Mit dem Zucker aufsetzen zum Kochen bringen und gut zu einer feinen Masse einköcheln lassen. Notfalls pürieren und abkühlen lassen. (Wer die Menge heiß zum Senf gibt, treibt dessen Schärfe wieder an.) Wenn die Feigenpaste kalt geworden ist, wird sie unter den Senf gerührt und mit Pfeffer ggfs. Salz abgeschmeckt. Ein Löffelchen Honig passt hier auch sehr gut! In die Gläser abfüllen und sich selbst oder anderen Menschen Freude bereiten.


Orangen-Mohn-Senf



Das ist mein persönlicher Favorit! Mein Lieblingssenf für Käse bzw. als Krönung einer jeden Salatvinaigrette! Von einer Orange den Abrieb der Schale nehmen, beide Orangen auspressen. Den Saft und Abrieb mit dem Honig aufsetzen und zu einem dickflüssigen Sirup einkochen lassen. Das dauert etwas – riecht aber die gesamte Zeit über schon königlich! Auskühlen lassen. Am Ende den gemahlenen Mohn und den Orangen-Honig-Sirup unter den Senf rühren. Wieder abschmecken mit Pfeffer. Ist die Orange zu dominant, kann man noch einen Löffel Honig zum Ausgleich kalt unterheben. Sehr gut passt hier noch wenig (!) aromatischer Rosmarin. Ist die Masse zu fest, darf noch etwas Wasser dazu gegeben werden. Und abfüllen.



Der Senf hält sich in sterilisierten Gläser gut verschlossen lim Vorratsregal ewig und mit sauberem Besteck entnommen über Jahre auch im Kühlschrank – falls er solange überhaupt überlebt.

P.S. Da ich mich heute bemerkenswert untalentiert und unmotiviert beim Fotografieren angestellt habe, habe ich zu meiner eigenen Strafe beschlossen hier nur die allerübelsten Fotos davon zu posten. Strafe muss sein!

3 Kommentare:

Frau Dinktoc hat gesagt…

*leckt trotzdem gerade den Bildschirm ab, weil sie Senf genauso heiß und innig liebt*

Arthurs Tochter hat gesagt…

Yeah, Chuck rules!

creezy hat gesagt…

@Frau Dinktoc
Senf kann ganz schön glücklich machen oder? ;-)

@Arthurs Tocher
Ja, bei diesem Prozedere allemal und ich bin wieder einmal sehr dankbar dafür. Beim ersten Mal habe ich noch anfänglich selbst gemörsert aber … Chuck ist hier mein Freund!

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