agressiva
Wie gesagt, der Dienstag war scheiße. Beim Bestatter bekam ich ohne Vorwarnung die goldene Eulenkette meiner Mum hingelegt, die sie um hatte. Das war ein Schock, weil … ich weiß nicht einmal warum genau. Eine Kombination aus dem Schock, dass ich diese noch gar nicht vermisst hatte, ein Schock, weil's etwas war, was ihr sehr, sehr wichtig war, ein Schock, weil's diese Entgültigkeit in aller Penetranz unterstrichen hatte.
Dann die Urnen-Storie beim Sozialamt. Die Sozialamttreffen sind thematisch leider sehr eng mit dem Bruder-Karma verbunden, deswegen so oder so nicht zur Entspannung für mich gedacht.
Auf dem Weg zum Auto vor einem Kaufhaus in dem wir auf WCs hofften, stand ein junger dynamischer Parteiblattverteiler von irgendeiner politischen Minigruppe, die angstvoll vor dem dritten Weltkrieg warnt. Er wollte uns sein Manifest in die Hand drücken, wir laufen in unsere Gedanken versunken vorbei und sagen – weil höfliche Menschen – 'Nein, Danke!'
Erster blöder Spruch: 'Ja, danke sagen und weitergehen kann jeder.'
Die schärfste Frau der Ex-DDR und ich drehen uns unabhängig auf die Zehntelsekunde im Takt gemeinsam um und, ich: 'Halte die Klappe, wenn Du keine Ahnung hast!', sie: 'Es gibt manchmal wichtigere Dinge.'
Zweiter blöder Spruch (in der Kurzform, im gesamten Kontext unterstelllte er uns grundsätzliches Desinteresse an politischen Dingen): 'Nichts ist wichtiger als der drohende dritte Weltkrieg!'
Ich drehe mich um, gehe auf ihn zu und erkläre ihm noch mütterlich fair: 'Doch. Das sind sie. z.B. ist meine Mutter vor einer Woche* verstorben (* falsche Zeitangabe, konnte in meiner Rage nicht nachrechnen) und ja, ich habe gerade vollkommen andere Sorgen.' Die schärfste Frau rät ihm auch noch: 'Urteile nicht über Menschen, über die Du nichts weißt.'
Als hätte er nicht zugehört, der dritte nun wirklich blöde Spruch. Da habe ich ihm beide Hände auf die Schulter gelegt und ihn über die Straße geschickt, so daß er nichts mehr daran ändern konnte in dem Überraschungsmoment. Dann bin ich gegangen, wohlwissend, er hatte richtig große Chancen, der erste Mensch in meinem Leben zu sein, an dem ich erstmals den vielfach im Fernsehen gesehen Faustschlag ausprobieren werde. Ich bin nicht entspannt zur Zeit. So gar nicht.
Sein jugendlich testosteron geschürrtes politisches Engagement und seine Angst vor Weltkriegen, Hunger und globaler Erwärmung in allen Ehren – aber diese Typen sollen auch lernen im richtigen Moment die Klappe zu halten. Mit ihrer Pentranz schaden sie ihren Parteien mehr, als sie nützen. Ich bin nicht stolz auf meinen körperlichen Angriff, überhaupt nicht. Ich hasse körperliche Gewalt. Aber der Typ wußte einfach nicht, wann man die Provozier-Nummer zu stoppen hat. Als wir aus dem Kaufhaus wieder heraus kamen, war er weg.
Mit soviel Mut wird man die Welt vor dem dritten Weltkrieg sehr wahrscheinlich nicht retten.