2022-08-19

Das Wilhelm im Humboldt Forum

Berlin und sein neues Schloss

Die Sache mit dem Humboldt Forum ist eine komische – aus Sicht einer Berlinerin. Wir, die wir die Nörgelei und Motzerei mit der Muttermilch aufgesogen haben, haben nämlich gar nicht so viel zu meckern am Humboldt Forum. Und das ist – mit einer gesunden Portion Selbstkritik gesehen – eine wirklich erstaunliche Sache an und für sich!

Tatsächlich spalten sich die Stimmen der Berliner lediglich an einem Sachverhalt: Es gibt die Berliner, die – zu Recht – immer noch über den Abriss des Palastes der Republik empört sind, sich weigern einen Fuß in den Palazzo der alten Neumoderne zu setzen und mit Schmähkritik an diesem wirklich nicht geizen. Aber eben, fragt man etwas genauer nach, einfach noch nie dort vor Ort waren. Ein Sachverhalt den Alexander von Humboldt zu seiner Zeit recht schlau kommentierte: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.”

Und dann gibt es die Berliner, die (dazu gehöre ich) den Abriss des Palastes der Republik weiterhin kritisch sehen, das Humboldt Forum mehrmals besucht haben seit seiner Öffnung (easy, ich Glückskind falle von meiner Docking Station einmal fußläufig hin) – und das pompöse aber irgendwie auch sehr bonfortionöse Ding einfach ins Herz geschlossen haben. Und mit einfach, meine ich einfach. Eine kleine Flamme der Begeisterung, die mit jedem Eintritt größer wird. Der Koloss schmeichelt sich ins Zentrum des Blutdrucks, still und unaufgeregt. Und jedes Mal, wenn ich dort zu Besuch bin – die Gelegenheiten sind unfassbar groß übrigens – denke ich so bei mir: „Das ist ja mal wieder reizend!” „Oh, das gefällt mir sehr!” „Ah, das ist jetzt nicht meins aber irgendwie doch interessant.” „Ich habe keinen roten Faden in dieser Ausstellung gefunden – aber einzeln gesehen, waren da tolle Elemente.” Und dann immer wieder die Kommunikation über das Forum. Sprecht einmal einen Berliner meiner Generation zu der Tresortür (vom eben jenem Club Tresor aka früheres Kaufhaus Wertheim in der Leipziger Straße) in der Berlin Ausstellung des Humboldt Forums an. Welten von Geschichten, ein Fest der Erinnerungen!

Das Humboldt Forum – so es partiell weiterhin noch in der Werdung ist, denn noch sind nicht alle festen Ausstellungen fertig installiert – hat unbenommen eine Größe und eine Vielfalt, dass man überhaupt nicht nicht fasziniert und begeistert von seinem Hof reiten kann. Apropos Begeisterung: Ein sehr großes Lob an alle Menschen, die dort im Publikumsverkehr arbeiten – sie sind freundlich, serviceorientiert, wahnsinnig gut informiert und offensichtlich sehr begeistert von ihrem Arbeitsplatz. Das war schon so, als das Schloss wegen Covid noch geschlossen, zuerst nur zu äußeren Besichtigung einladen konnte und man mit den „Torpfosten” (sorry, der musste sein) ins Gespräch kam. Begeisterung, die sich überträgt. Und die eben bleibt, wann immer man Zeuge der weiteren Inbetriebnahme der vielen Bereiche im Schloss wird.

Restaurant Wilhelm und Deli Alexander

Und damit sind wir bei der Gastronomie, die mit der Voreröffnung des Restaurants Wilhelm am 1. Juli 2022 ihren runden Abschluss gefunden hat. Essen und Trinken kann man (seit Rücknahme der Covid-Maßnahmen) natürlich wie in allen Museen üblich in dem eng zu den Ausstellungsräumen installierten Forum Café und im Lebenswelten Bistro. Das Maß komplett (voll) machen in der gleichen großen Vielfalt wie die Ausstellungen im Haus nun die nach den Humboldt-Brüdern benannten Restaurants: Wilhelm & Alexander. Nachdem das Deli Alexander bereits im April seine Pforten für die Besucher öffnen konnte und Alexander von Humboldt entsprechend seiner vielfältigen weiten Reisen die internationalen Küchen seiner Reiseziele in der Karte offenbart, lädt das Wilhelm zum Casual Fine Dining ein und serviert bis zu seinem Grand Opening im September 2022 bei noch eingeschränkten Öffnungszeiten einen ersten Vorgeschmack auf seine vielfältige Küchenkunst. Im nordöstlichen Bereich des Forums residieren beide Restaurants baulich verbunden und mit Außenplätzen im Schlüterhof, der eine wundervolle Atmosphäre und auch ruhige Akustik hat. Weitere großer Außengastronomiefläche findet sich auf dem sogenannten Spreebalkon – zur Seite der Spree. (Ich schätze übrigens die Außenflächen rund um das Forum sehr.) Durch das gesamte Humboldt Forum zieht sich an 35 Plätzen die „Geschichte des Ortes”. Es sind charmante Erinnerungen an die lange Zeit dieses besonderen Ortes, der über viele Jahrhunderte Berlin prägen durfte. Und immerhin drei dieser Orte befinden sich in der Innenarchitektur dieser beiden Restaurants integriert wieder: Geschirr und Küchengeräte auch noch aus der Zeit des Schlosses als auch das Wandrelief aus Meißner Porzellan, das Besucher des Palastes der Republik aus einem seiner Restaurants wieder erkennen werden.
Fabian Fiedler ist Chef de Cuisine Die Küche des Wilhelms wird von Fabian Fiedler, der unter anderem im ***Restaurant Aqua in Hamburg bereits Chef Partissier war, geleitet. Konzeptionell unterstützte ihn dabei Patrick Jaros, beide Restaurants gehören zur Kanne Group. Für den exzellenten Service im Restaurant zeichnet sich Robert Kittelmann mit seinem hervorragenden Team, das einen wundervollen Service bietet, verantwortlich. Für meinen Martini, den ich als Digestif eines wundervollen Dinners genießen durfte, entschied ich mich für den japanischen Gin als Geschmackgeber. Die Bar ist hervorragend besetzt und kreativ bestückt – alleine diesen einen Aperitif kann man sich in drei Variationen servieren lassen nach einer sehr fachkundigen Beratung vom Service!


Von der Krise 1779 zum Restaurant in 2022

1779 reiste Wilhelm von Humboldt in einer Lebenskrise nach Paris und lebte dort mit seiner Frau Caroline und den Kindern vier Jahre als Privatier. Seine Auszeit wurde lediglich unterbrochen von zwei längeren Reisen nach Spanien. Der Aufenthalt im Baskenland trug dabei maßgeblich zu Humboldts Wende zur Sprachanthropologie bei. Genau diese Lebensepoche vermag das Wilhelm in seiner deutsch-französischen Küche à la carte aufzugreifen und schließt somit natürlich auf die durch die Hugenotten französisch geprägte Berliner Küche auf. Des Wilhelms Karte wird varieren, denn sie möchte sich auch an den wechselnden Ausstellungen des Forums orientieren. Wert gelegt wird dabei auf die saisonale und regionale Verfügbarkeit der Zutaten, um bei aller Geschichtsliebe in diesem Punkt eine sehr zeitgemäße Küchenphilosophie zu vertreten.

90 Plätze hält das Wilhelm im offen gestalteten Innenraum auf unterschiedlichen Ebenen vor, der im Design mit warmen Holz und Grün an die Kolonialzeit und ein Stück weit auch an den Jugendstil erinnert. Das Lampendesign ist sehr deutlich dem Palast der Republik gewidmet. Das Grün wird erneut aufgegriffen in dem sehr schönen Geschirr von Dibbern, das für das Restaurant nach Vorbildern aus dem Geschirr des weiter oben schon erwähnten Ortes der Geschichte entworfen wurde. Der Farbton zieht sich durch die gesamte Gestaltung des Wilhelms. Ja, es mutet merkwürdig an, wird in einer Restaurantbesprechung noch vor dem Menü über die öffentlichen intimen Räume gesprochen … aber das Wilhelm und Deli Alexander teilen sich die mit Abstand schönste Toilette für Menschen, die einen Rollstuhl oder Rollator benutzen, der ich je angesichtig wurde!


Wilhelms Menü

Serviert wird uns auf dem edlen Porzellan eine fleischfröhliche Variation der Vorspeisen der Karte. Einfach köstlich ist der Gruß aus der Küche, der von hervorragendem Graubrot begleitet wird: Ein Jambon de Bayonne. Die gelungene Reminiszenz an Wilhelms Reise ins Baskenland während seiner Paris-Jahre, wie übrigens auch das Piment d’Espelette in der überraschend pikanten Sauce Hollandaise zum Steaktatar à la Wilhelm an einem Strohkartoffelnest. (17 €, als Hauptgang für 28 € serviert.) So robust es geschnitten wirkt, so sehr fein ist es abgeschmeckt. Wie zart und fantastisch kann Nose to Tail sein? Der gebackene Kalbskopf kommt unfassbar locker und zart daher mit einer Sauce Gribiche und einem Orchester aus kräftig abgeschmeckten fermentiertem Junggemüse für 14 €. Beides ist wirklich sehr gut aber in das Gemüse verliebe ich mich noch ein wenig mehr. Es lässt wirklich hoffen auf die weitere Entwicklung der Menükarte hinsichtlich fleischloser Gerichte in der Zukunft. Diese Zusammenstellung ist mein persönliches Highlight der Vorspeise. Die Kalbsleberpaté wird begleitet von einem Cumberland Gelee mit einem Kräutersalat an einer milden Senfvinaigrette, sie ist würzig und sehr französisch. So auch unser Hauptgang, dieser mutet erstaunlich herbstlich an – an diesem einen sehr heißen Sommertag – ein Coq au vin. Solide im Rotwein geschmort mit Perlzwiebel und Speck aromatisiert und mit butterigen Spätzlen serviert. Begleitet von einem Spätburgunder vom Weingut Münzberg (2017), er folgt auf den die Vorspeise begleitenden Riesling By The Glass der Villa Huesgen. In typisch französischer Esskultur kann man im Wilhelm ein ausgesuchtes Menü mit drei Gängen für 27 € bzw. mit vier Gängen für 39 € wählen.

Ebenso einer Schlossküche würdig die Auswahl an Austern und Kaviar (Imperial Auslese). Wem diese Köstlichkeiten preislich zu wenig schwäbisch daherkommen, dem mögen die Maultaschen aus der Misere helfen. Königsberger Klopse, ganz dem Original entsprechend vom Kalb mit Sardelle, sprechen indes absolut für den Standort Berlin.

Köstlich klingen die vegetarischen Gerichte: Geschmorter Lauch auf einem Spiegel von cremigen Graupen, zerlassenem Parmesan umhüllt von Kräuterverlouté oder ganze pochierte Artischocke mit Gemüse der Saison gebettet auf zerdrückten La Ratte Kartoffeln und Leinöl Mayonnaise. Das Trou Normand à la Pomme, ein schlichtes Sorbet vom heimischen Apfel veredelt mit Calvados aus dem Château du Breuille ist leicht und könnte genauso gut als ein Zwischengang gewählt werden. Generell sollte man das Wilhelm nicht verlassen ohne sich mit einem Gericht der Dessertkarte zu beglücken. Fabian Fiedler gelingt das absolut mit seinem für uns ausgewähltem Mandelfinancier mit Honig aus spanischen Korkeichenwäldern, dunklen Beeren der Saison und imitierter Bienenwabe. Das Dessert sieht genauso köstlich aus wie es schmeckt oder schmeckte genauso köstlich wie es aussieht. Egal: Niemals nicht das Wilhelm verlassen ohne ein Dessert gegessen zu haben – alles andere wäre sehr töricht und würde auf die eigene süße Weltanschauung defizitären Einfluss haben.

Und das läge nun schlicht nicht im Geiste der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt!
Öffnungszeiten Restaurant Wilhelm:
Donnerstag bis Sonntag 18:00 bis 22:30 Uhr
(ändern sich mit der offziellen Öffnung im September)
Wilhelm: +49 30-31873243-40

Öffnungszeiten Deli Alexander:
Täglich 11:00 bis 18:00 Uhr, Dienstag geschlossen
Alexander: +49 30-31873243-30

Buchungen unter: www.opentable.de
Restaurant WilhelmAlexander Humboldt Forum
Schloßplatz
10178 Berlin

kontakt@wilhelmalexander.de

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