Hatte ich es oder hatte ich es nicht?
Omikron ist ein wundersames Ding, irgendwie stellt die Mutation wieder einmal alles auf den Kopf und macht das Allermeiste anders als zuvor. Covid mutiert vor meinem innerlichen Auge immer mehr zu der unangepassten Mitschülerin in der Oberstufe, die schon immer ein cooler Freak war, Lehrern gerne ungeliebte Diskussionen aufzwang, bunte Strumpfhose trug als schwarze für mehr Coolness sprachen, die Haare zu Dreadlocks wachsen ließ und die immer ein Hauch von Dope als Parfum begleitete. Ich mochte sie als kluge eigensinnige Person, da ich schon früh geprägt aus der buddhistischen Alternativszene kam, war aber eben diese Szene als Jugendliche für mich selbst kein bisschen interessant. Ich hatte zu viel Canabis schon passiv mitrauchen müssen. Trug aber generell große Bewunderung für die Menschen in der Schule in mir, die gerne anders waren als alle anderen – auf ganz natürliche Weise, weil sie eben anders waren – und damit mit offensichtlicher Akzeptanz und Selbstbewusstsein lebten.
Tatsächlich war ich immer so ein Zwischending. Eh immer anders. Schon als Kind einer Alleinerziehenden, damals eher Seltenheit als Normalität, war ich anders. Und als immer sehr großes Kind (mit 12 war ich schon 176 cm lang) mit – für mein Erleben – viel zu großen Füßen (40) sehr gebeutelt von der offensichtlichen körperlichen Präsenz, weil man gefühlt nie in der Masse verschwinden konnte, wenn man es gerne wollte. Also gab ich auf und sorgte ebenfalls durch eine eigene Visualität dafür dann komplett anders zu sein als nur besonders groß. Wenn schon Zirkus, dann auch Zirkuspferd – was sonst? Aber wohl, glücklich war ich dabei nie. Das eigene innere Ich wächst nicht zwangsläufig im gleichen Tempo mit wie es die Knochen tun.
Und so erlebe ich nun dieses Virus. Es ist überall präsent und sichtbar, weil ihm diese Visualität medial zugestanden wird, es ist ausgefallen genug, sich jedes Mal ein neues Outfit auszudenken und somit überall ein großes „Wow!” kassiert. Es scheint unangepasst und dadurch mächtig. Dabei ist es innerlich klein und gar nicht mehr so stark, wie es am Anfang noch war. Anders sein und anzuecken kostet eben doch auch Kraft. Das letzte Mal als ich von oben beschriebener Schulbekannten hörte – wir hatten eine Zeitland engeren Kontakt aber irgendwann entzog ich mich ihr als sie für meinen Geschmack zu viel und zu oft stoned war und sie dafür ihre herrliche Intelligenz im Schulbereich opferte; und sie entzog sich mir, weil ich zu angepasst schien, kiffen wollte ich nämlich nie – hing sie leider voll an der Nadel. Ich wünsche ihr nur das Allerbeste.
Das wünsche ich dem Virus nun auch. Es soll sich langsam ausinfizieren, zur Ruhe kommen. Im Grunde hat es seinen Job ja erledigt, wir wissen nun, dass unsere heile Welt gar nicht so sehr heile ist. Nicht einmal in unseren Breitengraden. Sie ist sehr leicht angreifbar, kann ganz einfach ordentlich durchgeschüttelt werden, Menschen ihr Leben unangenehm machen oder es ungeahnt verkürzen. Es hat uns Missstände aufgezeigt – aus denen die breite Masse dennoch nicht lernen wird. Wir haben gesehen und müssen final begreifen, dass Kapital weiterhin vor Humanität sortiert wird (ich denke da z. B. an die Weigerung der Patentfreigabe). Einsehen, dass uns Menschen in der Pflege weitestgehend weiterhin egal sind und wir lassen diese tollen Arbeitnehmer weiterhin mit erschreckendem Vorsatz abwandern, wie wir es vorher schon zuließen. Das schwarze Vulkanloch vom Pflege-Krater ist unendlich größer geworden aber wir zucken bloß mit der Schulter.
Nie guckten wir gezwungenermaßen klarer in den Spiegel, der uns selbst zeigte und trotzdem haben wir nichts gesehen.
Gerade wir Deutschen haben vom Virus aufgezeigt bekommen, dass wir auf den allermeisten Ebenen überhaupt nicht so toll – und schon gar nicht besser aufgestellt sind – als andere Länder in einer solchen Krise. Wir mussten Katastrophenschutz neu lernen und der anfangs leicht überhebliche Blick auf andere hart getroffene europäische Länder hat uns im Glashaus sitzend Steine werfen lassen, die wie fröhliche Boomerangs längst unser eigenes gläsernes Haus zerschmissen haben. Denn auch wir können hart getroffen werden – nicht nur aber auch vor allem wegen unserer Überheblichkeit.
Ich bin mittlerweile sehr sicher, dass ich zwischen Weihnachten und Silvester Omikron abgepasst hatte. Bei aller Vorsicht (trage ausschließlich FFP2-Maske, die sehr viel, achte auf die Hygieneregeln und setze mir in schwierigen Situationen [ÖPNV] auch eine zweite Maske auf), hatte ich einen nasalen Infekt mit etwas Halsschmerzen, der sich stark von meinen üblichen Infektverläufen unterschieden hatte aber doch sehr auf die Beschreibungen anderer auf Omikron positiv getestetn Menschen mit Symptomen passt. Nicht so schlimm, geboostert, eher ungewohnt nach zwei Jahren jeglicher Infektabstinenz. Meine Antigentests waren negativ. Allerdings habe ich auch erst in der Woche danach erfahren, dass bei Omikron Rachenabstriche eine deutlich höhere Positivrate haben als meine Nasenabstriche. Nichts genaues weiß ich also nicht aber mein Bauch sagt „ja!” und der hat öfter Recht als Unrecht im Nachhinein.
Und wenn ich gerade höre, wer es hatte oder hat, mit wieviel Ahnungslosigkeit darüber woher eigentlich, dann können wir getrost festhalten: Dieser Drops ist dann jetzt mit Omikron definitiv gelutscht. Im Grunde könnten wir jetzt auch alle Sicherheitsmaßnahmen uns an die Backe nageln, wir werden es alle bekommen, wirklich. Die, die geimpft sind kommen vermutlich weiterhin ganz okay darauf klar. Und wären die aus Überzeugung ungeimpften Menschen nicht – und das große schwarze Pflegeloch – könnten wir langsam wieder zur Normaltiät übergehen – und uns auf den Schutz der sehr kleine Menschen konzentrieren, die noch nicht offiziell geimpft werden dürfen.
An dieser Stelle danke an alle Ärzte, die das jetzt dennoch schon tun ohne offizielle Empfehlungen!
Das Virus hat uns klüger gemacht – in so viele Richtungen in denen ich mir gewünscht hätte, nie dieses Wissen zu erfahren. Ich weiß, wie viele Menschen absurde Dinge denken und absurd handeln. Ich weiß, wie wenig wir Menschen zu schützen bereit sind, die uns doch so wichtig sein sollten. Ich weiß, wie wirklich ungelenk deutsche Politiker auf so vielen Ebenen sind, dass ich mir wünschte, wir würden nur noch Politiker als solche zulassen, wenn sie vorher gute ehrliche praktische Arbeit geleistet haben über eine lange Lebensphase und meinethalben gerne im Zweitstudium Politik studiert haben. Aber Theoretiker braucht dieses Land garantiert nicht mehr! Und bitte wieder mehr Politiker auf Posten besetzen von deren Themengebiet sie vorher schon Expertise sammeln durften. Ja, es gibt Ausnahmen – aber die sind zu selten. Das hatte mich die letzen Jahre wohl am nachhaltigsten negativ getroffen: Die Erkenntnis wie wirklich grauenvoll inkompetent Politiker hierzulande sind.
Liebes Covid-Virus, ich danke dir für diese fulminante Erfahrung in den letzten zweieinhalb Jahren. Aber nun ist es gut, ich betrachte meinen persönlichen Bildungsurlaub mit dir als abgeschlosssen.
Liebe Mitmenschen, die Ihr diese Zeit mit mir gemeinsam ausgehalten habt, mich ertragen habt, wir uns gemeinsam aufgebaut haben, ausgehalten haben, zusammen gelernt haben, uns gesorgt haben, uns gestärkt haben, unterstützt haben, in den richtigen Momenten für den/die Andere/n die guten, die passenden Worte gefunden haben – mit euch war das gut. Jederezeit wieder – auch wenn es wirklich nicht nötig wäre!
Dankeschön! Habe die Ehre!
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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