Machtmissbrauch
Ich hatte gestern keine Termine. Also habe ich mich heute früh mit Katze und Kaffee noch einmal zurück ins Bett verzogen. Man muss Winterwetter huldigen, wenn es gehuldigt gehört. Diese vergnügliche Kraulen meinerseits von Shiinas Bauch hatte das Frühprogramm des Fernsehers begleitet und nachdem ich den Nachrichten entnehmen durfte, dass nicht sehr viel mehr passiert ist auf der Welt außer AfD-Gedöns, dem die Öffentlich-Rechtlichen Sender weiterhin eine mir völlig unverständliche Priorität einräumen und … Schnee, blieb ich bei einer Dokumentation über den Sachverhalt zum Sexmissbrauchskandal in Hollywood, namentlich unter Harvey Weinstein geführt, hängen. Macho, Macht, Missbrauch – Der Fall des Harvey Weinstein.
Diese Sendung gehört im Grunde in den Bereich Bildungsfernsehen sortiert – für Männer und Frauen gleichfalls, damit vor allem junge Generationen von Menschen nie wieder auf solche verdammten Kackärsche (pardon my french) reinfallen müssen – und somit dauerhaft in die Mediathek der Öffentlich-rechtlichen Sender sortiert. Insbesondere weil TV-Sender sich im gleichen Metier bewegen und es diese Form von Machtmissbrauch, aka Couchbesetzung, hierzulande genauso gegeben hatte. Und weiterhin geben wird, dmüssen wir uns nicht schön lügen.
Mir ist beim Sehen dieser Sendung, der darin geschilderten Sachverhalte, nicht nur einmal noch mehr bewusst geworden, welche unfassbare Dimension Weinsteins Handeln hatte. Alleine nur die Nennung seiner vielen vielen Opfer über die Jahre – ohne deren Beigeschichte – würde die übliche Sendezeit einer Dokumentation von 45 Minuten sprengen! Bei Wikipedia werden alleine 88 Frauen genannt, die bekannt gegeben haben, von Weinstein mindestens sexuell bedrängt worden zu sein. Schlussendlich hat sich dieser Mann neben seinen eigenen strafbaren Handlungen von Frauen auch der Zuhälterei schuldig gemacht: er hat von Frauen verlangt für Rollen als Bettgespielinnen seiner Kumpel zu dienen.
Die große Lüge im Rahmen der Aufklärung dieses einen Falls ist also, die reine Konzentration auf den einen Namen Harvey Weinstein. Er hat viele andere Weinsteins über seine Macht sexuell beglückt in dem er Frauen unter Druck setzte und weiter vermittelte. Es gehören viel mehr Namen genannt und vor Gericht gestellt.
Am meisten aber hatte mich heute schockiert, was dieser Mann hinsichtlich seiner Sexsucht für eine – ja, man kann es so sagen – unsagbar große Industrie im Grunde entwickelt und bezahlt hatte. Es müssen Millionen geflossen sein, weil dieser Mann seinen Schwanz nicht wegstecken wollte. Weil dieser Mann – dieser abgrundtief von allen Seiten hässliche Mann – seine Machtposition so dermaßen auslebte und sich dabei über jegliches Recht, über jeden Anstand, jede Form von Humanität hinweg gesetzt hatte. Offensichtlich Freude daran empfunden hatte, Frauen zu dominieren, zu verletzen und schlussendlich damit in Kauf nahm, sie zu zerstören.
Was aber auch dem Ganzen die Krone aufsetzt, Weinstein hatte so – und das sollte vielleicht auch jedem anderen kunstschaffenden Mann in Hollywood hoffentlich mittlerweile klar geworden sein – jede Form von freier künstlerischer Entfaltung im Filmbusiness in Amerika unterbunden. Freie Kunst entsteht nicht, wenn man einer einzelnen Person auf welchen Ebenen auch immer, dienen muss, wie er das befiehlt. Wenn namhafte Schauspielerkollegen und -kolleginnen schweigen, wenn eine andere Kollegin in Folge einer Vergewaltigung leidet. Wenn sogar die ihre Angst nicht ernst nehmen, das Geschehene dulden oder dem Opfer gegenüber negieren, dann, wie im Beispiel von Matt Damon und Ben Affleck, ist deren Kunst nicht frei. Deren Dasein als Mensch schon mal gar nicht mehr. Sie haben sich nämlich von Weinstein in ihrem menschlichen Dasein genauso missbrauchen lassen.
Wobei man hier eine Sache dennoch deutlich festhalten muss: wird eine Frau vorsätzlich vergewaltigt, hatte sie keine Chance gehabt eine freie Entscheidung zu treffen. Wenn Männer vorsätzlich eine Vergewaltigung, von der sie Kenntnis genommen haben, verschweigen bzw. verniedlichen, als „ist halt so” abtun, haben sie immer eine Chance für sich selbst das Unrecht zu erkennen und dagegen anzugehen. Die Entscheidung, ob man einem Opfer hilft oder den Täter schützt, diese Entscheidung trifft immer noch jeder Mann/jede Frau für sich selbst.
Es ist erschreckend, wie viele Profiteure und Mitwisser aus dem Umfeld von Harvey Weinstein offensichtlich weiterhin sicher im Sattel sitzen. Deren Verhalten als Kavaliersdelikt abgetan wird, weil man jetzt den Oberschuldigen vermeintlich (ding-)fest gemacht hat. Die tun weiterhin, was sie immer getan haben – und sehr viele haben eben nicht nur vertuscht, viele haben jahrelang in seinem Umfeld gearbeitet und von diesem Mann gelernt, dass es völlig legitim ist, Frauen (und auch Männer) zu benutzen, zu nötigen, zu missbrauchen, schlimmstenfalls zu vergewaltigen, körperlich und seelisch zu verletzen.
Und die sind alle von heute auf morgen plötzlich geläutert? Wenn die Firmen Weinsteins ihren Geschäftsführer nun entlassen und ersetzt haben, dann ist das allenfalls ein Machtspiel und selbstverständlich der Reinigungsversuch der Unternehmungen. Denn natürlich werden die Gerichte erkennen, dass Weinsteins Verhalten innerhalb der Unternehmen bekannt gewesen sein müssen und werden sich höchstwahrscheinlich Person dafür verantworten müssen, dass sie sein kriminelles Handeln vorsätzlich gedeckt und vertuscht haben. Die Opfer wurden immer wieder mit Gelbbeträgen still gestellt. Es gab Mitwisser, daran besteht kein Zweifel.
Denn, das ist mir beim Sehen dieser Dokumentation so sehr verdeutlicht worden: Dieser Mann hatte für sich ein Unternehmensimperium geschaffen, dass ausschließlich dafür sorgte, sein kriminelles Verhalten unter den Tisch zu kehren. Da waren AssistentINNEN damit beauftragt, sein Verhalten zu verschleiern; Menschen in der Produktion, am Set wurden – wie auch immer, ob nun mit Geld, Versprechen und mindestens mit Drohungen – still gestellt, Anwälte, die Opfer still stellten, Weinstein soll selbst zwielichtige Unternehmen beauftragt haben, die als Dienstleister dafür bekannt sind, Opfer physisch und psychisch direkt unter Druck zu setzen, dass diese ernsthaft um ihr Leben fürchten mussten. Schlussendlich weiß man nicht einmal, wie viele seine Opfer womöglich nicht mehr leben. Da ist in diesem Amerika eine ganz Industrie entstanden, alleine zum Zweck der Vertuschung der Taten eines einzigen übermächtigen Mannes! Es müssen Millionen von Dollars geflossen sein, um hier Unrecht vor Recht gelten zu lassen.
Der erste verlautbare – offen dokumentierte – Hinweis über sein Handeln eines seiner Opfer erfolgte bereits 1998.
1998! Ich bin nicht der Meinung, dass Menschen von denen bekannt ist, dass sie so lange mitwissend geschwiegen haben, auch nur einen Fuß noch in Hollywood vor eine Kamera setzen sollten. Deren Mitschuld an dem Erlebten, den fürchterlichen Konsequenzen für die Opfer, das ist kein Kavaliersdelikt mehr.
Dass nun in Hollywood im Grunde nur zwei Männer (Weinstein, Kevin Spacey) aufgrund ihrer Verfehlungen offiziell der Prozess gemacht wird, ist nahezu lächerlich. Es ist offensichtlich, dass es viel mehr Schuldige auf einer so viel sehr breiteren Ebene gegeben haben muss, dass man im Grund von Farce sprechen sollte. So viele Nutznießer Weinsteins sind weiterhin in Amt und Würde.
Selbst die Ehefrau von Weinstein, Gorgina Chapman, die sich vergleichsweise schnell von ihm trennte als das Ausmaß der Beschuldigungen ihm gegenüber ans Licht kam, kann, meiner persönlichen Meinung nach, hier nur die Unwissende gespielt haben. Wenn Weinstein über Jahre dafür sorgte, dass Schauspielerinnen in den Kleidern ihres Labels zu erscheinen hatten, wer will da noch bitte schön an die gänzliche Unschuld und Naivität einer gestandenen Geschäftsfrau wirklich glauben?
2019. Es hat sich viel zu wenig verändert hinsichtlich der Übergriffe von Menschen mit Macht anderen Menschen gegenüber. Der Fall Weinstein ist nicht alleine eine Problem der Filmindustrie.
Musikindustrie, Fotoindustrie, Castingindustrie – überall dort, wo Menschen etwas für sich im Beruf erreichen wollen und dabei auf die direkte Unterstützung anderer Menschen angewiesen sind, werden sie von Machtinhabern missbraucht werden.
Man wird ihnen nicht glauben wollen. Weiterhin.
Man wird ihnen, wenn sie sich doch einmal trauen, sich zu wehren, Mitschuld unterstellen. Weiterhin.
Damit wird somit weiteren Opfern den Mut nehmen, sich auch zu wehren. Weiterhin.
Dabei hat m. E. hierbei gerade in Deutschland die Agenda 2010, haben die Hartz-Konzeptionen, dem immer ungleicheren Machtverhältnis von Arbeitgebern Arbeitnehmern gegenüber durchaus Vorschub geleistet. Wer über maximalen Existenzdruck die Menschen in sogenannte zumutbare Arbeitsverhältnisse zwingt – ohne als Verantwortlicher überhaupt die Ressourcen zu haben, die Legalität dieser Arbeitsverhältnisse zu überprüfen, ja, nicht einmal den unbedingten Willen hierfür signalisiert – ist an solchen Verhältnissen mitschuldig.
Sich an solchen Verhältnissen mitschuldig machen wir uns übrigens auch alle als Verbraucher, wenn wir dieser Tage Erdbeeren (natürlich nicht nur außerhalb der Saison) aus Spanien oder Italien kaufen. Überall auf Europas Obstplantagen gibt es heute noch diesen Machtmissbrauch gegenüber Menschen, allermeist gegenüber Frauen! Auch hier wird Frauen in maximaler Existenznot, werden Erntehelferinnen von Männern mit Macht gedroht. Sie werden zu schlecht bezahlt für harte körperliche Arbeit, sie werden genötigt, vergewaltigt und es geschieht mit ihnen viel schlimmeres. In Deutschland werden Flüchtlinge in die Prostitution vermittelt – von Menschen, die in Flüchtlingslagern eigentlich für die Sicherheit dieser Menschen sorgen sollen.
Weinstein ist nicht 1989 oder 2017 und nur Hollywood.
Die Weinsteins dürfen auch 2019 immer noch illegal Macht missbrauchen. Überall. Weltweit. In unvorstellbaren Dimensionen.
Die Dinge sind mitnichten besser geworden, nur weil ein Harvey Weinstein entmachtet, ein Kevin Spacey vorgeführt wurde; Frauen bei den Golden Globes wieder Farbe tragen, die Dieter Wedels Deutschlands von Medien weitestgehend in Ruhe gelassen werden.
Nein. Ihr könnt da nichts gegen tun? Doch. Aktuell braucht Ihr kein Obst oder Früchte kaufen aus Produktionen in Ländern, wo Übergriffe gegen ErntehelferInnen bekannt sind. Und: vor allem kann man seinen Händler (also Discounter) anschreiben und kommunizieren, warum Ihr bei denen solche Produkte nicht im Handel sehen möchtet.
Wir leben im Neoliberalismus. Konsumverzicht ist die härteste Waffe, will man Machtmissbrauch die rote Karte zeigen. Das müsste nur einmal von vielen Menschen mehr begriffen werden.
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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