2015-08-25

Blogger für Flüchtlinge III – Gäste aus Syrien

Vor vierzehn Tagen wurde hier in der Stadt Berlin fast allen Bewohnern erstmals der Begriff „LaGeSo” (Landesamt für Gesundheit und Soziales) bekannt. Dort standen an einem der heißesten Tage im Jahr die Menschen nach ihrer Flucht zu Hunderten in der prallen Sonne und wurden seitens des Senates nicht einmal mit dem Nötigsten, nämlich Wasser, versorgt. Die Zustände dort vor Ort machten in den Sozialen Medien, später auch in den journalistischen Medien, die Runde und es waren Bürger und Hilfsorganisationen, die sich sofort sehr engagiert um diese Menschen kümmerten.

Freunde von mir haben in diesem Zusammenhang über das Wochenende drei Menschen aus Syrien aufgenommen und die nächsten Tage begleitet. Ich bat sie im Rahmen unserer Aktion „Blogger für Flüchtlinge) (#bloggerfuerfluechtlinge) diese Geschichte aufzuschreiben. Hier nun der erste Teil von Ann Effes.

Eigentlich nur zufällig vor zwei Wochen die Situation vor dem LaGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Dort müssen sich neu in der Stadt angekommene Flüchtligne registieren, um dann in einem der Auffanglager Unterbringung zu finden.) mitbekommen, weil ein Kollege (der auf Facebook aktiv ist) mich drauf aufmerksam machte.
Partner erzählt, grosse Augen.

Da haben wir uns dann zwei Tage mit rumgequält und irgendwann haben wir gesagt: „Wir fahren jetzt da hin.” Das war am Freitag vor zwei Wochen um 22:30 Uhr. Die Idee war, irgendeine Familie mit kleinen Kindern aufzusammeln, damit die nicht in einem Park bis Montag übernachten müssen.

Als wir ankamen war der Park aber geräumt und ein THW-Helfer, der da noch rumstand, sagte uns, die Flüchtling seien alle in die Kruppstrasse gebracht worden.

„Okay”, haben wir gedacht, „dann fahren wir jetzt ‘ne Pizza essen und wieder nach Hause.”

„Höchstens”, sagt der THW-Mann, „könnten Sie die da noch in die Kruppstraße bringen.”

„Die da” war eine Frau und zwei kleine Kinder. Offenbar mit dem letzten Zug aus München in Berlin eingetroffen und von einem Taxifahrer umsonst zum LaGeSo gefahren.
Gut, machen wir natürlich.

Kruppstraße – nur zehn Minuten Fahrzeit entfernt – stellt sich dann aber als hohffnungslos überbelegt raus, das ist nämlich nur so eine Aufblashalle, und schon proppenvoll. Ganze fünf freiwillge Helfer versuchten den Laden zu schmeißen und sagen uns unverblümt: „Wir haben nichts mehr, die muss hier draußen auf dem Platz schlafen. Da halten sich sowieso schon dutzende Leute auf.”

Also kurz überlegt: Wir nehmen die drei mit, und fahren sie Montag wieder zum LaGeSo, wo sie sich registrieren lassen müssen. Das ihr mit einem Dolmetscher vor Ort klar gemacht, denn die Frau kann nur Arabisch.

Auf der Fahrt per Telefon nach Leuten im Bekanntenkreis gesucht, die arabisch können (da war es schon nach 23:30 Uhr), schließlich jemanden gefunden und der erklärt ihr, was der weitere Plan ist und fragt sie, ob sie etwas braucht.

Eigentlich sind mir da nur zwei Dinge hängen geblieben: Wie peinlich ihr es sei, uns zu belasten und dass sie Kleidung für die Kinder brauche.

Alles, was die drei mit hatten, passte in eine kleine Reisetasche.

Mit dem Wort für „Kleidung” gibt es erstmal Probleme, denn unser Telefondolmetscher ist Palestinenser und sie kommt aus Syrien und die Dialekte sind wohl doch sehr unterschiedlich. Ich wundere mich eigentlich nur kurz und überlege mir: Wenn es umgekehrt wäre, ich wäre auf der Flucht und ein Araber würde mir als Dolmetscher einen Bayern oder Schweizer finden können, könnte es auch Probleme geben.

Zu Hause angekommen wird erstmal etwas gemacht, womit ich nicht so gerechnet habe. Mittels Gesten: Wie ist das WLAN-Passwort? Das wird in ein arg ramponiertes Lumina gehackt und dann per WhatsUp irgendwelchen Familienangehörigen oder Freunden mitgeteilt, dass man noch lebt und alles gut ist. Wie sich später herausstellt, waren die Drei buchstäblich Monate unterwegs und sind unter anderem 14 Tage zu Fuss gelaufen. Anfänglich waren noch die Brüder der Frau dabei, die die Kindern getragen haben, sie wurden aber getrennt (unter Umständen, die wir nie ganz klären konnten) und sind - wie wir zwei Tage später ermitteln konnten - in Schweinfurt gelandet.

Weil wir alle Kleidung waschen wollen, geben wir ihr Sachen von uns, die grob passen könnten. Sie scheint froh, dass wir auch an ein Tuch denken. Streng gläubig ist sie erkennbar nicht, ohne Kopftuch zeigen, möchte sie sich aber trotzdem nicht.

Dann duschen. 40 Minuten. Dann ins Bett – bis am nächsten Tag um 12:00 Uhr.

Ich bin dann mehr oder weniger die ganze Nacht damit befasst die Kleidung zu waschen. Die Sachen sind natürlich … sehr dreckig.

Die Sachen in der Tasche sind total durchnässt - offenbar schon länger, denn zum Teil hat sich Schimmel gebildet. Lässt mich vermuten, dass auch sie mit den Kinder auf einem Boot im Mittelmehr unterwegs war, die genaue Route bekommen wir aber nicht raus – auch, weil wir nicht wirklich nachfragen.

Ich muss also alles im Grunde zwei Mal waschen und benutze auch so Kram wie OXIclean und reichlich Waschmittel. Dabei finde ich auch Ablehnungs-Papiere aus Ungarn („Abgelehnt, reisen Sie weiter nach Deutschland!”), und einen syrischen Ausweis. Unterlagen aus denen hervorgeht, dass sie angeblich 26 sei und die Kinder 4 und 6 Jahre alt sind.

Das mit den Kindern kommt hin; bei ihr habe ich Zweifel, ich glaube inzwischen eher, dass sie um die 18-20 war und die Kinder nicht ihre.

Ist mir egal. Sie hat die Reise nicht aus Spaß gemacht.

Und ja, sie hat sogar zwei Smartphones dabei! Das wird ja gerne als Beweis genommen, dass es den Flüchtlingen doch (zu) gut gehe und sie nur aus wirtschaftlichen Gründen hier seien. Ich sehe es so: Gerade wenn es denen in Syrien so gut gegangen ist, dass sie sich zwei Smartphones leisten konnte, dann kommt sie ja wohl genau NICHT wegen wirtschaftlicher Gründe hierher!

So oder so: Wenn ich morgen flüchten müsste, was würde ICH mitnehmen? Meine Papiere und Ausweise, etwas zum anziehen, alles Geld, das ich habe und mein iPhone. Oder?

Eben. Das würde doch jeder machen! Das iPhone sind alle Bilder die ich mitnehmen kann, alle Kontakte, alle Telefonnummern und eventuell der einzige Weg, mit anderen aus meiner Familie noch Kontakt aufzunehmen. Und genau so hat sie es auch gemacht.

Und ich kann sagen: Der Zustand der Telefone erzählt auch eine Geschichte. Ich habe eines noch persönlich repariert, weil da nämlich die Gehäuseteile schon abfielen.

Später hat sie dann noch eine App auf eines der Telefone geladen, die gesprochene deutsche Sätze in Arabisch übersetze und umgekehrt. Ich war schwer beeindruckt, auch wenn die Übersetzungen machmal wie maschinellen Übersetzungen typisch daneben lagen. Uns hat's sehr geholfen.

Am nächsten Tag dann rüber zu unseren Nachbarn. Die haben wegen ihrer Enkel Kinderklamotten und wir haben auch passende Sachen gefunden. Und zwei Rucksäcke als Ersatz für die angeschimmelte und durchnässte Tasche, die schon in Auflösung begriffen war.

Die Kinder spielen im Garten. Wir haben auch noch etwas Spiel- und Malzeug. Unsere Nachbarn haben noch so eine Plastikrutsche wegen der Enkel aufgebaut, die wird ausgiebig genutzt, ebenso das Kinderhaus.

Der 4-jährige Junge ist zunächst ein echter Rabauke, null Aufmerksamkeitsspanne und agressiv. Am Sonntag beruhigt er sich langsam spürbar. Das Mädchen ist sechs Jahre alt und schlau. Sie lernt mehr deutsche Wörter über das Wochenende als ich arabische (ich kann jetzt drei).

Ihrer Mutter (oder Schwester) ist das Ganze peinlich. Sie traut sich kaum zu sagen (also zu zeigen) was sie essen will. Wir wollen ihr eigentlich etwas zubereiten, was sie kennt (kein Schwein und so, ist klar), schließlich kommen wie immer dank Internetsuche weiter. Sie hilft uns, wo sie kann, räumt alles ab und in die Spülmaschine, manchmal wird's mir peinlich, weil sie am Ende des Essens immer sofort aufspringt und alles wegräumen will.

Am Sonntag (am Nachmittags ist Waffelessen bei den Nachbarn, die sie zunächst für unsere Eltern hält – wegen des Altersunterschiedes) zeigt sie uns schliesslich ein IS-Propagandavideo. Unter anderem genau die Videos, die ich nicht sehen wollte: Wie in Deutschland grossgeworden Idioten mit eine AK-47 in der Hand erklären, kämpfen für den IS wäre wie URLAUB für sie - und am Ende jemand in den Kopf schiessen.

Ich wollte das nicht sehen.
Aber es ist genau so.
Augen zu machen, hilft nur bedingt.

Ist mir dabei auch in den Sinn gekommen, dass sie uns das gezeigt hat, um Mitleid zu erregen? Ja, das gebe ich zu. Aber: dass sie aus Syrien kommt, daran gibt es insgesamt keinen Zweifel. Ob sie vor dem IS oder dem Bürgerkrieg geflohen ist, ist mir schlussendlich dabei egal.

Keiner, der noch die Wahl hat, macht sich mit zwei Kindern auf diesen Weg und lässt alles zurück.


Ich hoffe, Ann kommt die nächste Zeit dazu, noch die Fortsetzung zu schreiben.

Es werden weiterhin im Rahmen der Aktion „Blogger für Flüchtlinge” Spenden gesammelt, die an freiwillige Organisationen, die deutschlandweit aktiv die Menschen hier vor Ort unterstützen, verteilt werden. Bitte helft, wer kann mit einer Spende, wer nicht kann mit dem Teilen des Links!

2 Kommentare:

Faden verloren hat gesagt…

Danke für´s Teilen. Mir kommen die Tränen. Das ist alles so schlimm.
LG Lotti

Hamburger Arroganz hat gesagt…

Danke für's Teilen! Und danke an Ann für die Hilfe!

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